Psychologie Heute - 09.2019

(coco) #1

Nicht immer braucht es ein aufgeschlagenes Knie,
damit ein Lehrer das Vertrauen und den Respekt sei-
ner Schüler gewinnt. Denn im Grunde spüren Kin-
der ganz intuitiv, was einen guten Lehrer ausmacht



  • zumindest haben sie eine konkrete Vorstellung
    davon. Wie aus Befragungen hervorgeht, wünschen
    sich Lernende Lehrpersonen, die motiviert, freund-
    lich und einfühlsam sind und die gleichzeitig über
    Führungskompetenzen, Fähigkeiten im Unterrichts-
    management und ein hohes Maß an Fachwissen
    verfügen.


Spaß am eigenen Unterricht


Vor allem aber können sie dieses Wissen spannend
vermitteln. So werden etwa die Lehrer, die mit dem
Deutschen Lehrerpreis ausgezeichnet wurden, von
ihren Schülern für ihren außergewöhnlichen Unter-
richt gelobt. „Sie denken sich immer etwas Neues
aus, bauen Spannung auf, sehen über den Tellerrand
und haben selbst Spaß am Unterricht“, erklärt die
Initiatorin des Preises, Susanne Porsche. „Solche Leh-
rer motivieren, fördern und fordern.“ Aber auch die
Beziehungsqualität ist wichtig. „Lehrpersonen, die
wir auszeichnen, gehen auf die Schüler in besonderer
Weise ein.“ Porsche erinnert sich an Lehrer, die genau
das getan haben, als sie selbst eine schwere Zeit durch-
machte. Als sie 14 Jahre alt war, starb ihr Vater. Vier
Monate hatte sie ihn versorgt, statt zur Schule zu
gehen. Die Klasse schaffte sie trotzdem – dank der
einfühlsamen Unterstützung ihrer Lehrer.
Derart engagierte Pädagogen behält man ein Le-
ben lang in guter Erinnerung. Und vielleicht mit im-
mer größerer Rührung und Dankbarkeit, je älter man
wird. Da ist die herzliche Grundschullehrerin, die
ihren verunsicherten Schützlingen beibringt, dass es
gar keine Fehler gibt. „Höchstens Fehlerchen. Und
aus denen wird man klug.“ Da ist der experimentier-
freudige Musiklehrer, der die Saiten eines Klaviers
mit Kugelschreibern und Wäscheklammern abklem-
men lässt und erstaunt feststellt, das Instrument klin-
ge jetzt wie ein indonesisches Gamelanorchester in
einer Automontagehalle. Da ist die Sportlehrerin, die
sich nach dem Schwimmunterricht extra Zeit nimmt,
um mit den ängstlicheren Schülern Salto vom Ein-
meterbrett zu üben. Und siehe da: Auf einmal traut
sich jeder!
Da ist der Griechischlehrer, der so sehr für sein
Fach brennt, dass alle begeistert mitmachen – ganz
egal welche Noten sie bekommen. Oder der Mathe-
lehrer, bei dem man auf einmal etwas versteht. Oder
der Geschichtslehrer, in dessen Unterricht man be-
greift, dass historische Ereignisse eine ganz persön-


liche Relevanz haben. Und wenn er seine Schüler dann
mit dem Satz „Macht euch ein schönes Wochenende!“
verabschiedete: War das nicht auch ein subtiler Hin-
weis, dass man sein Glück selbst in die Hand nehmen
kann?
Filme wie Der Club der toten Dichter, Fack ju Göh­
te oder die dänische Serie Rita handeln von solchen
besonderen Lehrern, von mitreißenden Menschen
und außergewöhnlichen Typen. „Wenn ich an mei-
ne Schulzeit zurückdenke, gab es Lehrer mit ganz
unterschiedlichen Qualitäten, die jeder auf seine Wei-
se gute Lehrer waren“, erzählt der Kinderarzt Remo
Largo in seinem Buch Jugendjahre. Kinder durch die
Pubertät begleiten. „Eine Qualität sollte aber immer
vorhanden sein: Ein Lehrer muss Menschen mögen
und ein genuines Interesse an Kindern und ihrer Ent-
wicklung haben. Es muss ihm Freude machen, Ju-
gendliche zu unterrichten. Er muss sich für ihr We-
sen und ihre Entwicklung interessieren.“
Ein solcher Lehrer „kann seinen Schülern die Au-
gen öffnen, Weichen für die Zukunft stellen, unver-
gessliche Aha-Effekte auslösen“. Je besser die Bezie-
hungen zwischen Lehrern und Schülern sind, desto
besser lernen die Schüler. „Entscheidend für jeden
Schüler ist das Gefühl: Der Lehrer mag mich, so wie
ich bin. Dieses Gefühl darf durch die Leistung und
das Verhalten des Schülers nie infrage gestellt wer-
den“, so Largo.

„Du hast ein Hirn wie ein Nudelsieb“
Jeder weiß aus eigener Erfahrung: Nicht allen Leh-
rern gelingt das. Dunkel erinnert man sich an die
zähen Unterrichtsstunden, in denen man sich ka-
puttlangweilte. Lebhafter präsent sind der legendäre
Ausraster des Physiklehrers, das Lateinbuch, das als
Wurfgeschoss missbraucht wurde, oder die brüllen-
de Sportlehrerin. Um die Jahrtausendwende wurden
in einer Studie 3000 Studenten im deutschsprachigen
Raum gefragt, ob sie von ihren Lehrern jemals ge-
kränkt worden seien. Fast 80 Prozent der Befragten
bejahten. Fünfzig Prozent erklärten, die Kränkung
beschäftige sie noch heute.

Sie hatte gütige Augen.


Das Taschentuch, das


sie mir ums wunde Knie


band, war blütenweiß

Free download pdf