Psychologie Heute - 09.2019

(coco) #1
Die zentrale Rolle des Gesichterlesens beim Men-
schen zeigt sich auch durch das Jennifer-Aniston-
Neuron. Entdeckt wurde es von Rodrigo Quian Qui-
roga, Neurobiologe an der University of Leicester.
Seine Versuchspersonen waren Epilepsiepatienten,
denen man aus medizinischen Gründen mehrere
Elektroden im Gehirn eingepf lanzt hatte. Dadurch
konnten Quiroga und sein Team relativ genau mes-
sen, wo gerade Neuronen feuerten. Man legte den
Probanden unter anderem diverse Fotos vor, bei-
spielsweise von Bauwerken, Tieren oder eben auch
prominenten Schauspielern.
Und bei einem der Patienten passierte es dann:
Jedes Mal, wenn man ihm ein Bild von Jennifer Anis-
ton vorlegte, begann eine Neuronengruppe in seinem
Gehirn zu feuern. Und zwar unabhängig davon, ob
die Schauspielerin von der Seite, in der Gruppe oder
von weitem gezeigt wurde. Präsentierte man dem
Patienten hingegen das Bild einer ähnlich aussehen-
den Frau, passierte: nichts. Die Neuronen in der Re-
gion reagierten also nur auf Jennifer Aniston und
sonst nichts.
Eine anschließende Befragung des Patienten er-
gab, dass er noch nicht einmal ein Fan der Schau-
spielerin war. Er kannte sie, mehr aber auch nicht.
In anderen Versuchen entdeckte man bei anderen
Probanden noch weitere Neuronen, die durch ganz
bestimmte Gesichter zum Feuern gebracht wurden.
Wie etwa durch Bill Clinton, die Beatles, Brad Pitt
oder auch Halle Berry, die den ihr zugeordneten Neu-
ronenverbund sogar dann aktivierte, wenn sie in
kompletter Kostümierung als „Catwoman“ präsen-
tiert wurde. „Das Gehirn mit seinen vielen Milliar-
den Nervenzellen kann sich offenbar den Luxus er-
lauben, seine Neuronen auf bestimmte Gesichter zu
kodieren“, erläutert Sprenger.

Ein Training und seine Grenzen
Obwohl die Forschung mittlerweile recht viel darü-
ber weiß, wie das Gehirn Gesichter analysiert, mahnt
der Tübinger Neurobiologe Niels Birbaumer zur Be-
scheidenheit. Er hat in seiner langjährigen For-
schungsarbeit selbst die Grenzen des Wissens erfah-
ren müssen. Ausgangspunkt war die Beobachtung

von Psychiatern, dass Schizophreniepatienten große
Schwierigkeiten haben, emotional negative Äuße-
rungen im Gesichtsausdruck anderer Menschen zu
erkennen. Also trainierte Birbaumers Forscherteam
mit diesen Patienten, die Durchblutung in ihrer vor-
deren Insula zu verbessern, weil man in diesem Hirn-
areal das Zentrum der Erkennung von negativen Ge-
sichtern vermutete.
Als Methode wählte man das Neurofeedback: Die
Patienten beobachteten im Kernspintomografen ein
farbiges Thermometer, das nach oben ausschlug,
wenn die Durchblutung in ihrer Insula zunahm. Nach
etwa zehn Übungsstunden hatten sie gelernt, wie sie
diesen Wunschzustand erreichen konnten. Vor und
nach dem Training wurde überprüft, wie gut die Pa-
tienten positiv und negativ gestimmte Gesichter er-
kennen konnten. Wie erwartet konnten sie negative
nach dem Neurofeedbacktraining deutlich besser
erkennen als vorher – doch sie bezahlten dafür mit
einer deutlichen Verschlechterung, was das Erkennen
positiver Mimik betraf. „Vermutlich hatte der Erre-
gungsanstieg in den emotional negativen Hirnarea-
len gleichzeitig eine Hemmung anderer Regionen
bewirkt“, so Birbaumer. Ein Nullsummenspiel.
In Gesichtern zu lesen, so zeigt sich, ist selbst mit
solch ausgefeilten Methoden nicht beliebig trainier-
bar. Der Trost liegt im Umkehrschluss: Es ist uns
nicht beliebig abtrainierbar. Auch in Zeiten der Di-
gitalisierung bleibt das menschliche Gesicht für uns
ein wichtiges, vielleicht das wichtigste Kontaktme-
dium. PH

Man zeigte ihm Fotos von Gebäuden, Tieren,


Schauspielern. Doch nur bei Jennifer Aniston


begann es, in seinem Gehirn zu feuern


LITERATUR
I. Dziobek u. a.: In search of “master mindreaders”: Are psychics
superior in reading the language of the eyes? Brain and Cogni-
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