Psychologie Heute - 09.2019

(coco) #1

ILLUSTRATIONEN: MARIANNA GEFEN


A


merikaner und Engländer haben in
ihrer Umgangssprache manchmal
treffsichere bildhafte Ausdrücke.
Debbie Downer zum Beispiel steht
für Personen, die anderen die Ener-
gie abzapfen und allen schlechte Laune machen. Oder
Mr. Nice Guy: ein Typ, der stets nett rüberkommt und
selten aneckt – ein fragwürdiges Kompliment.
Hinter solchen Spottnamen steckt eine zutreffen-
de Beobachtung: Menschen sind emotional an-
steckend. Wir alle beeinf lussen wechselseitig unsere
Stimmung und unser Befinden, und manche Perso-
nen haben ein besonderes Talent dafür. Wahrschein-
lich kennen Sie das aus eigener Anschauung und sto-
ßen etwa an Ihrem Arbeitsplatz auf Menschen, die
mit ihrer Art und Ausstrahlung andere eher auf bau-
en oder herunterziehen.
Psychologen bezeichnen dies als „affektive Präsenz“
(affective presence). Affektive Präsenz, so ein Defi-
nitionsversuch von Hector Madrid von der Pontificia
Universidad Católica de Chile, ist das „Grundgefühl,
das ein Mensch in anderen auslöst – unabhängig da-
von, wie sich dieser Mensch selbst gerade fühlt“. Die-
se Eigenschaft wäre dann also eine Art unverwech-
selbare emotionale Signatur einer Person, gespiegelt
in den Empfindungen der Menschen, mit denen sie
in Kontakt tritt.

Madrid vermutet, dass affektive Präsenz „eine Art
Persönlichkeitsmerkmal“ sei. Allerdings keines wie
die Big Five, die fünf großen Persönlichkeitsdimen-
sionen, die das Innenleben und Verhalten einer Per-
son klassifizieren, nämlich wie neurotisch, extraver-
tiert, verträglich, gewissenhaft und offen für Neues
sie ist. Anders als diese basalen Wesenszüge beschrei-
be affective presence nicht primär die Person selbst,
sondern ihre „Interaktion mit anderen Menschen,
die soziale Beziehung“, so Madrid.
Begonnen hat die Erforschung der affektiven Prä-
senz vor etwa zehn Jahren. Bis dahin hatten Psycho-
logen sich auf ein Phänomen fokussiert, das sie trait
affect nennen. Gemeint ist die Stimmung, die Ge-
mütslage, in der sich ein bestimmter Mensch die
meiste Zeit über befindet – und auf welche Weise er
diesen emotionalen Zustand reguliert. Wir alle
durchlaufen im Laufe eines Tages bisweilen eine gan-
ze Palette von Emotionen, von wütend oder ent-
täuscht bis zufrieden oder glücklich. Jeder hat Stim-
mungsschwankungen. Aber für gewöhnlich kehren
wir immer wieder zu unserem individuellen emoti-
onalen Normalpegel zurück. Einige Leute zum Bei-
spiel sind in ihrer Grundstimmung entspannter als
andere, egal was sie gerade an Ärgerlichem oder Auf-
munterndem erleben. Andere hingegen fühlen sich
im Normalzustand ängstlicher als die meisten.

VON KLAUS WILHELM

Die Gefühlsausstrahler


Manche Menschen haben eine ganz besondere
emotionale Ausstrahlung. In ihrer Gegenwart fühlen
andere sich automatisch besser – oder schlechter.
Psychologen nennen das „affektive Präsenz“
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