Psychologie Heute - 09.2019

(coco) #1

tional gewirkt hatte. Hatten die meisten der Proban-
den die Außenwirkung einer Person konsistent etwa
als stressig, langweilig oder entspannt wahrgenom-
men, attestierten die Forscher diesem Studienteilneh-
mer eine starke konsistente affektive Präsenz.
Offenbar, so das Ergebnis, strahlen einige Leute
tatsächlich eine so starke affektive Präsenz aus, dass
sich ihr fast keiner zu entziehen vermag. Die indivi-
duelle Präsenz eines Menschen kann demnach be-
stimmte Emotionen und Zustände der anderen ver-
gleichbar intensiv beeinf lussen wie deren eigene Per-
sönlichkeit: Meine Stimmung hängt dann ebenso
stark von der Persönlichkeit eines solchen Beeinf lussers
ab wie von meiner eigenen Persönlichkeit.
Das wirklich Verblüffende ist aber: Die „emotio-
nale Außenwirkung“ affektiv präsenter Menschen
scheint unabhängig von deren eigener Stimmung zu
sein, wie Eisenkraft und Elfenbein feststellten. Die-
se Leute können also einen sehr schlechten Tag haben



  • und trotzdem noch die Mitmenschen erfreuen. Die
    affektive Präsenz unterscheidet sich damit von der
    emotionalen Ansteckung. Nicht minder überra-
    schend: Eine für sich glückliche und zufriedene Per-
    son kann eine perfekte Debbie Downer sein: Sie zieht
    andere herunter, obwohl sie selbst gut drauf ist.
    Nach den Erkenntnissen der Studie ist die negati-
    ve affektive Präsenz eines Menschen weitgehend un-
    abhängig von dessen sonstigen Persönlichkeitsmerk-
    malen. Bis auf eine Ausnahme: Wer sich im Persön-
    lichkeitstest als wenig verträglich und zugleich ext-
    ravertiert erwies, strahlte durchweg eine stark
    negative affektive Präsenz auf die anderen aus: Die
    grobe, wenig einfühlsame Art eines unverträglichen
    Menschen, der zusätzlich noch eine große Portion
    extravertierter Dominanz mitbringt, scheint dem Ge-
    fühlsleben seiner Mitwelt wenig bekömmlich zu sein.


Chefs, die das Klima vergiften


Kann man auf diese Weise womöglich Beschäftigte
und Vorgesetzte ermitteln, die mit ihrer negativen
affektiven Präsenz Gift für das Firmenklima sein
könnten? Dafür ist die Forschung noch zu jung. Doch
erste Untersuchungen lassen tatsächlich vermuten,
dass ein Chef mit seiner affektiven Präsenz in seinem
Team einiges zum Guten und zum Schlechten beein-
f lussen kann. Madrid und seine britischen Kollegen
Peter Totterdell und Karen Niven überprüften den
Effekt von Führungspersönlichkeiten auf ihre Mit-
arbeiter und deren Kreativität und Innovation. Füh-
rungspersonen hatten die Forscher gewählt, weil sie
generell durch ihre Machtposition maßgeblich den
Affekt und das Potenzial ihrer Leute beeinf lussen.


EMOTIONALE
ANSTECKUNG

Was ist das?
Der Begriff „emotionale Ansteckung“ bezeich-
net die Fähigkeit, bewusst oder unbewusst
die Gefühle der anderen mit den eigenen
(wechselnden) Stimmungen zu beeinflus-
sen – und sich beeinflussen zu lassen. Unser
Gehirn liest Emotionen bei anderen automa-
tisch – auch unter Mithilfe der sogenannten
Spiegelneuronen.

Warum ist dieser Prozess wichtig?
Als soziale Wesen synchronisieren wir über ihn
unsere Emotionen – von Kindheit an. Schreit
ein Baby, fühlt es sich (meist) unwohl, was
sich sofort auf die Erwachsenen überträgt
und sie motiviert zu helfen. Emotionale An-
steckung ist gebunden an die Fähigkeit zur
Empathie und an emotionale Intelligenz, die
uns ermöglicht, die wahrgenommenen Stim-
mungen und Gefühle der anderen einzuord-
nen.

Welche Emotionen sind besonders
ansteckend?
Die negativen Emotionen nehmen wir stärker
wahr als die positiven Emotionen. Je negati-
ver die Emotion, umso höher die übertragene
Energie und desto größer die Reaktion dar-
auf: Ein Mensch in Rage beispielsweise lässt
nahezu keinen kalt.

Welche Arten gibt es?
Die implizite emotionale Ansteckung läuft
automatisch und unbewusst ab. Zum Beispiel
gehen auf diese Weise Gesichtsausdrücke der
Traurigkeit oder Freude von einem auf den
anderen über – oder emotionale Signale der
Körpersprache. Man kann jedoch die emotio-
nale Ansteckung genauso mehr oder weniger
beabsichtigt einsetzen. In Beziehungen zum
Beispiel können wechselnde Stimmungen ein
Mittel sein, um den Partner zu manipulieren.
Genauso wie dies gelten auch schauspieleri-
sche Fähigkeiten als Form expliziter emotio-
naler Ansteckung. KW
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