Psychologie Heute - 09.2019

(coco) #1
In vielen Teams hilft Kreativität wesentlich, die
Firma und deren Produkte oder Dienstleistungen
weiterzuentwickeln und komplexe Probleme im Job-
alltag zu meistern. Dafür braucht es zweierlei: zum
einen neue Ideen und zum anderen die Kommuni-
kation dieser zündenden Einfälle. „Daran hapert es
nicht selten“ sagt Organisationspsychologe Madrid,
„und das bremst die Effektivität von Teams, weil die
Mitarbeiter lieber schweigen, als ihre Ideen zu ver-
breiten.“
Könnte es sein, dass gerade die affektive Präsenz
der Chefs dazu beiträgt, dass die Untergebenen ver-
stummen? Und sind effektive Führungspersonen per
se Menschen mit hochpositiver affektiver Präsenz
und holen so das Beste aus ihren Leuten heraus?
Für eine erste Studie heuerten die Forscher 84 Pro-
banden aus einer Unternehmensberatung an. Die
Psychologen ermittelten, welches vorherrschende
Gefühl die Führungskräfte bei ihren Mitarbeitern

auslösten, wie oft diese Ideen hatten und dann ein-
brachten – oder lieber nicht. Die affektive Präsenz
der Vorgesetzten wurde ermittelt, und zusätzlich
sollten diese ihre Stimmungslage in den vergangenen
vier Wochen selbst einschätzen.
Kernergebnis: „Wer als Führungspersönlichkeit
eine hohe positive affektive Präsenz hat“, so Madrid,
„schafft ein offenes, angstbefreites und freundliches
Umfeld für die Vermittlung und Umsetzung neuer
Ideen.“ Dieses Klima könne sich fruchtbar auf die
Kreativität auswirken. Denn wenn die oder der Vor-
gesetzte den Mitarbeitern im Wortsinn ein „gutes
Gefühl“ gibt, fördert das bei diesen mit den Worten
Madrids „Verhaltenstendenzen, die mit Belohnungs-
wünschen verbunden sind“. Sprich: Sie sind moti-
viert, Neues einzubringen, und zuversichtlich, dass
sie dafür geschätzt werden. Dazu kommt: Die gute
Stimmung der Mitarbeiter reduziert Vermeidungs-
verhalten: Statt übervorsichtig ihre Worte zu wägen,
posaunen sie einfach heraus, was sie sich denken. In
Teams, die von Führungskräften mit negativer af-
fektiver Präsenz geleitetet werden, verhält es sich ge-
nau umgekehrt: Die verunsicherten Teammitglieder
halten mit ihren Ideen hinterm Berg.
In einer zweiten Studie mit 350 Teilnehmern aus
öffentlichen Organisationen und 730 Probanden aus
einem Privatunternehmen stellte sich heraus, dass
eine hohe positive affektive Präsenz der Führungs-
kräfte die Innovation in den Teams erhöht. Vielleicht
sei diese Eigenschaft sogar wichtiger als andere Qua-
litäten von Chefs, spekuliert Hector Madrid. Chine-
sische Psychologen sind dem Phänomen ebenfalls
nachgegangen. Sie haben dabei im Gaststättengewer-
be bestätigt, dass eine hohe positive affektive Präsenz
von Führungskräften die Serviceleistungen der Mit-
arbeiter erhöht. Offenbar bef lügelt ein Chef mit
freundlicher affektiver Ausstrahlung nicht nur das
Gefühlsleben, sondern auch das Handeln der Mit-
arbeiter.
Auf der anderen Seite hemmt nach Madrids Er-
kenntnissen negative affektive Präsenz die Innova-
tionsfähigkeit nicht so stark, wie man erwarten könn-
te. Wahrscheinlich wird deren schädlicher Einf luss
durch andere Faktoren wie soziale Unterstützung im
Team gedämpft. Überhaupt müsse negative affekti-
ve Präsenz unter Führungspersönlichkeiten generell
nicht zwingend nachteilig sein, meint der Organisa-
tionspsychologe aus Chile. Man denke nur an den
von Natur aus grantigen Fußballtrainer, der seine
mies spielende Mannschaft in der Halbzeitpause
lautstark wachrüttelt – manchmal scheint das zu
motivieren.

RUNTERGESCHLUCKTER FRUST


Viele Menschen müssen auch dann freundlich wirken, wenn
sie sich eigentlich ganz anders fühlen: schlecht gelaunt
oder bedrückt oder verärgert. Verkäuferinnen zum Beispiel
oder Servicekräfte in der Gastronomie. Im schlimmsten Fall
den ganzen Tag lang. Wer so handeln muss, kontrolliert ge-
zwungenermaßen seine Emotionen, um andere bei Laune
zu halten. Das stresst. Menschen mit solchen Jobs greifen
nach Feierabend öfter zur Flasche, wie Alicia Grandey von
der Pennsylvania State University und ihre Kolleginnen in
einer Studie nachgewiesen haben.
Per Telefoninterview wurden fast 1600 Angestellte be-
fragt: Wie viel Kundenkontakt haben Sie? Wie oft müssen
Sie Emotionen vortäuschen? Wie eigenverantwortlich kön-
nen Sie arbeiten? Resultat: Wer oft direkt mit Kunden um-
gehen musste und dabei häufiger Ärger und Frust runter-
schluckte, kompensierte das mit Alkohol nach Feierabend.
Den stärksten Alkoholkonsum registrierten die Psycho-
loginnen bei impulsiven Mitarbeitern und solchen, die – wie
etwa Callcenter-Agenten oder Kaffeeverkäufer – schnelle,
kurzlebige Kundenkontakte erlebten. Die Unterdrückung
der eigenen negativen Emotionen senkt nach Ansicht der
Wissenschaftler wahrscheinlich die Selbstkontrolle. Geringe
Entlohnung kann den Effekt offenbar verstärken.
Angestellte in der Pflegebranche oder Lehrer griffen da-
gegen nicht so oft zur Flasche – vermutlich, weil sie für ihre
wohl auch nicht immer nur authentische positive Ausstrah-
lung mehr zurückerhalten. KW

Free download pdf