Psychologie Heute - 09.2019

(coco) #1

Affektive Erfolge beim Dating


Besser fährt man allerdings wohl meist mit einer
positiven Gefühlsausstrahlung – zum Beispiel bei
romantischen Begegnungen. Das zeigte sich bei einer
Studie des Psychologen Raúl Berríos. Dafür warben
er und seine Kollegen an der Universität von Santi-
ago de Chile 40 Studierende für ein „Speeddating“
im Labor an. Die Probanden absolvierten im Dienst
der Forschung paarweise 134 Vierminutendates.
Zuvor hatten die Versuchsleiter ihre emotionale
Intelligenz und ihre Big-Five-Persönlichkeitsmerk-
male ermittelt.
Wie sich zeigte, vermittelten vor allem verträgli-
che, also freundliche und zuvorkommende Typen
ihren potenziellen Partnern eine gute Stimmung.
Doch auch extravertierte Teilnehmer waren – anders
als in der Studie von Eisenkraft und Elfenbein – mit
ihrer aufgeweckten Art im positiven Sinn emotional
ansteckend; Extravertierte scheinen andere also so-
wohl im Guten wie im Schlechten emotional über-
durchschnittlich stark zu beeinf lussen.Nach jeder
einzelnen Begegnung wurden die Probanden gefragt,
welche Grundstimmung der jeweilige Datingpartner
ausgelöst hatte. Zur Auswahl standen: glücklich, trau-
rig, wütend, enthusiatisch, gelangweilt, stressig, be-
ruhigt und entspannt.
Ferner stellte sich heraus, dass bestimmte Perso-
nen bei den Teilnehmern immer gleich rüberkamen,
ganz im Sinne der affektiven Präsenz. Am häufigsten
waren das solche, die die anderen entweder mit ihrer
Langeweile oder mit ihrem Enthusiasmus ansteck-
ten. Für Berríos ergibt das bei der Partnerwerbung
„komplett Sinn“, weil beim Daten der erste Eindruck
oft eindeutig ausfällt: „Achtung Langweiler“ oder
„Könnte interessant werden“. Und natürlich: Leute
mit hoher positiver affektiver Präsenz waren als Part-
ner für romantische Beziehungen am beliebstesten.
„Die meisten Probanden wollten diese Teilnehmer
wiedersehen, weil sie in ihren Augen so nett erschie-
nen“, sagt Berríos, „ein Riesenvorteil beim Daten.“


Leider nicht mehr ansteckend


Wie sich die affektive Präsenz ausdrückt und den
Mitmenschen vermittelt, bleibt einstweilen unge-
klärt. Die Psychologen vermuten die üblichen Ver-
dächtigen: Körpersprache, Mimik, Stimme sowie die
Gabe, anderen zuhören zu können. Vor allem aber
scheint sie mit der Fähigkeit zu tun zu haben, die
eigenen Gefühle gut oder schlecht kontrollieren zu
können. „Wer eigene negative Stimmungen im Griff
hat und glattbügelt“, sagt Raúl Berríos, „kann mit
hoher affektiver Präsenz selbst in stressigen Situati-


onen bei anderen gute Stimmung begünstigen.“ Man
muss dazu nicht unbedingt gut drauf, wohl aber in
der Lage sein, seine schlechte Laune zu beherrschen.
Ob die affektive Präsenz ein echtes, also überdau-
erndes Persönlichkeitsmerkmal ist, das, sagt Berríos,
sei bisher „nur eine wunderbare Theorie, die noch
nicht bewiesen ist“. In einer kleinen, noch nicht ver-
öffentlichten Studie wurden 30 Angestellte einer Fir-
ma täglich gefragt, wie ihr Chef emotional auf sie
wirke. „Und leider“, erklärt Berríos, „verschwand der
Effekt der affective presence über die Zeit.“
Wenn sich das bestätigt, könnte das bedeuten, dass
affektive Präsenz vielleicht eher ein soziales Werk-
zeug als ein Charaktermerkmal ist. Vielleicht, so spe-
kuliert Berríos, nutzen manche Menschen diese Fer-
tigkeit, um kalkuliert ihre Ziele zu erreichen – um
das für sie Maximale aus sozialen Beziehungen he-
rauszuholen. In diesem Sinne kontrollieren Men-
schen mit hoher positiver affektiver Präsenz bewusst,
gekonnt und offenbar überzeugend ihre negativen
Emotionen – und eruieren geschickt die Gefühlsla-
ge der anderen. In der Speeddatingstudie zum Bei-
spiel hatten jene Probanden die höchste Präsenz, die
die emotionalen Erfahrungen anderer Menschen am
besten begriffen und sich generell für Gefühle inte-
ressierten. „Die ahnen sehr gut, was in den anderen
vorgeht, wenn sie mit ihnen interagieren“, sagt
Berríos, „und könnten das auch nutzen.“
Insofern bezweifelt er, dass die Mr. Nice Guys die-
ser Welt stets von einem grundguten emotionalen
Kern getrieben sind: „Wir sollten auch dunklere Mo-
tive in Betracht ziehen, wenn jemand notorisch gu-
te Stimmung verbreitet.“ Narzissten, Psychopathen
oder Blender, sagt der Psychologe, „können zuweilen
sehr charmant wirken und ihre womöglich hohe af-
fektive Präsenz nutzen, um andere zu manipulieren“.
PH

Literatur zu diesem Beitrag finden Sie auf unserer Website:
psychologie-heute.de/literatur

Nicht jeder ist ein


Mr. Nice Guy. Manche


nutzen affektive Präsenz,


um zu manipulieren

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