Psychologie Heute - 09.2019

(coco) #1
schlechten Eindruck machen, kein Spielverderber
sein. Muise hat herausgefunden, dass solche Nega-
tivmotive eine überaus schädliche Wirkung haben.
Sie machen unsere sexuellen Erlebnisse schal und
rauben uns die Lust auf mehr.
Bei Motiven der Annäherung stehen die Dinge
anders. Hier will man etwas unbedingt haben: mehr
Intimität, mehr Nähe, mehr gemeinsames Wachs-
tum. Solche Gründe machen den Sex mit großer
Wahrscheinlichkeit besser und erhöhen zudem die
generelle Zufriedenheit mit der Partnerschaft. Wer
sich also aus den richtigen Gründen zum Sex über-
reden kann, der liebt auf lange Sicht besser.
Psychologen haben noch einen weiteren Faktor
gefunden, der unsere Lust auf Erotik über Jahre be-
wahren könnte: „Selbsterweiterung“ (self­expan­
sion). Gemeint ist eine Haltung, mit Neugier in die
Welt zu schauen, Routinen zu durchbrechen und ge-
meinsam mit dem Partner nach neuen Erfahrungen
Ausschau zu halten. Selbsterweiterung kann höchst
unterschiedliche Formen annehmen: Regelmäßig die
Möbel im Schlafzimmer umstellen. Mit anderen
Menschen f lirten, ohne dabei die Grenzen der Treue
zu überschreiten. Sich gemeinsam ein Hobby erschlie-
ßen. Im Bett neue Spiele spielen.
All diese Beispiele sind in der Forschungsliteratur
als wirkungsvoll belegt. Wenn man sich Paare an-
sieht, die gar kein Verlangen mehr spüren, und sie
vergleicht mit jenen, die sich immer noch begehren,

dann findet man dies als größten Unterschied: Bei
den einen ist der Sex komplett zur Routine geworden.
Die anderen haben nie aufgehört, zu experimentieren
und Neues auszuprobieren.
Einige neue Studien haben die Mechanismen hin-
ter der Kraft der Selbsterweiterung genauer ins Visier
genommen. Eine Untersuchung aus Kanada etwa
kam zu dem Ergebnis, dass Paare die Chance auf
gemeinsamen Sex durch selbstexpansive Aktivitäten
um 34 Prozent erhöhen können. Forscher aus Texas
entdeckten, dass hinter der Selbsterweiterung offen-
bar eine einfache Überzeugung steckt: „Mein Partner
und ich können lernen, einander im Bett besser zu
verstehen. Wir können gemeinsam wachsen.“ Schick-
salsergebene Paare hingegen halten es mit dem Glau-
benssatz: „Entweder man passt zusammen – oder
eben nicht. Wenn nicht, kann man daran nichts än-
dern.“ Die Daten aus Texas zeigen nun: Wer an die-
se Schicksalsthese glaubt, der probiert auch nichts
Neues aus – und verpasst dadurch eine Chance, die
sexuelle Zufriedenheit zu erhöhen.
Allerdings ist auch Selbsterweiterung kein Heil-
mittel für alle. Eine Studie der Northwestern Uni­
versity zeigt, dass sie sogar unglücklich machen kann


  • nämlich dann, wenn man einen Partner erwischt,
    dem diese Tendenz zur Neugier fehlt. Erst wenn zwei
    passionierte Selbsterweiterer zusammentreffen, „er-
    leben sie gemeinsam eine viel höhere Beziehungs-
    qualität“, lautet das Fazit der Studie.


WARUM HABEN WIR ÜBERHAUPT SEX?


Diese Frage wurde erstaunlicher-
weise erst vor einigen Jahren wis-
senschaftlich untersucht. In ihrer in-
zwischen legendären Studie fanden
Forscher der University of Texas
dabei sagenhafte 237 Gründe. Ne-
ben den zu erwartenden Antworten
(„Weil’s Spaß macht.“ „Ich war ver-
liebt.“ „Es war mal wieder nötig.“)
gab es auch einige eher exotische
Kandidaten.
Einige der Befragten gaben zum
Beispiel an, per Beischlaf die näch-
ste Gehaltserhöhung oder Beför-
derung zu beschleunigen; andere
wollten sich Gott näher fühlen, vor
Freunden mit einer neuen Erobe-


rung prahlen, sich an einem un-
treuen Partner rächen oder einfach
etwas gegen ihre Kopfschmerzen
unternehmen. Erstaunlich: Der aus
biologischer Sicht wichtigste Grund
für Sex („Ich möchte Kinder haben“)
steht in der großen Liste ziemlich
weit hinten – zwischen eher pro-
fanen Angaben wie „Ich wollte ein
paar Kalorien verbrennen“ und „Die
andere Person hatte mich zum Es-
sen eingeladen“.
Unterscheiden sich die Geschlech-
ter in ihren Motiven? Wollen Frau-
en vor allem Liebe – und Männer
„immer nur das eine“? Ja und nein.
Einerseits stimmt es, dass Männer

etwas stärker auf einen schönen
Körper oder sexy Kleidung anspre-
chen; dass Frauen etwas häufiger
mittels Sex ihre „Liebe zum Aus-
druck bringen“ wollen. Andererseits
sind die Unterschiede zwischen den
Frauen untereinander und den Män-
nern untereinander viel größer als
jene zwischen den Geschlechtern.
Anders gesagt: Viele Männer haben
Sex, weil sie Liebe verspüren. Und
vielen Frauen geht es in erster Linie
um Spaß. Männer vom Mars, Frauen
von der Venus? Bei Lichte besehen
bleibt von diesen Klischees nicht
viel übrig.
JOCHEN METZGER
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