Zeilen der Hoffnung
Menschen, die ihre Depression überwunden haben,
schreiben anderen Betroffenen Briefe. Profitieren
diese davon?
Als James Withey vor etwa zehn Jahren
an einer Depression erkrankt, glaubt er,
er werde sich nie wieder anders fühlen. Er
denkt viel an Suizid. Doch dann f lackert
in ihm eines Tages ein Licht auf, er schöpft
Hoffnung auf Besserung. Eine Erfahrung,
die er teilen will.
„Was wäre, wenn jene Menschen, die
gerade dabei sind, über ihre Depression
hinwegzukommen, denjenigen schreiben
würden, die momentan darunter leiden?
Was wäre, wenn diese Briefe den kleinen
Teil in ihnen erreichen könnten, der daran
glauben möchte, dass Heilung möglich
ist? “, denkt er. Withey beginnt einen Blog
und schreibt darin einen Brief an alle Men-
schen, die unter einer Depression leiden.
Er trifft einen Nerv. Tausende Betroffene
haben es ihm seither gleichgetan. Das da-
raus entstandene Projekt Recovery Letters
ist heute, acht Jahre später, weltweit be-
kannt. In dem Buch MutmachBriefe hat
Withey nun gemeinsam mit der Psycho-
login Olivia Sagan einige Texte ausge-
wählt. Frauen, Männer, Junge, Alte, von
Ärztin bis Elektriker: Sie alle schreiben
über ihre Erfahrungen mit einer Depres-
sion und wie sie diese überwunden haben.
Für Betroffene ist dieses Buch eine Fund-
grube der Hoffnung. Doch auch für nicht
Erkrankte enthalten die Schriften lehr-
reiche Momente.
Die Briefeschreiber berichten, wie die
Depression sich für sie anfühlte, wie blei-
ern ihre Gliedmaßen waren, wie leer der
Geist, wie unmöglich jeglicher Alltag, wie
groß der Gedanke ans Sterben. All ihre
Schilderungen sind so eindrücklich und
bildhaft, dass auch Depressionslaien nach-
empfinden können, wie erdrückend die-
se Krankheit wirklich ist.
Zugleich sind die Zeilen der Briefe vol-
ler Hoffnung und Fürsorge. Die Schreiber
strecken den Lesern ihre Hand aus, senden
mentale Umarmungen und ermutigen:
Sei gut zu dir! Pass auf dich auf! Hab Ge-
duld mit dir! Bitte um Hilfe!
Manche tragen neben der Depression
noch weitere Päckchen mit sich, leiden an
Angststörungen, haben eine Sucht entwi-
ckelt oder erleben auch manische Phasen.
Doch sie haben sich ebenfalls freigekämpft
und sprechen den Lesern gut zu. Sie alle
erzählen ungefiltert über Medikamente,
Psychotherapie, Klinikaufenthalte und
Selbsthilfegruppen. Sie teilen mit, was ih-
nen geholfen hat – und was nicht. Dabei
wird klar: Jeder heilt auf andere Weise.
Da ist Matt, der Bildermalen für sich ent-
deckt hat. Q. S. Lam, der begonnen hat,
ein Glücksbuch zu führen. Barbara, die
stricken lernte. Für den Leser gilt es, den
eigenen Weg zu finden. Die Briefe können
ihm dabei als Landkarte zur Orientierung
dienen.
Die meisten Personen im Buch haben
ihren Weg bereits gefunden. Mancher ent-
steigt der Krankheit gar gestärkt. Die De-
pression hat sie alle Dankbarkeit gelehrt
- für Sonnenstrahlen, für die Familie oder
für ein gutes Buch. Sie lehrte sie ferner,
dass Selbstfürsorge nicht egoistisch ist,
sondern lebensnotwendig. Lektionen, die
auch Nichterkrankte für sich mitnehmen
können. JANA HAUSCHILD
Leseprobe in der App
James Withey, Olivia
Sagan (Hg.): Mutmach-
Briefe. Von Menschen,
die ihre Depression über-
wunden haben. Aus dem
Englischen von Marlene
Grois. Trias, Stuttgart
2019, 187 S., € 14,99
„Ich kenne
das Monster,
gegen das
du gerade
kämpfst,
persönlich.
Aber denke
immer daran:
Nachdem es
dunkel war,
geht die Sonne
wieder auf.
Immer“
JAMES WITHEY