Psychologie Heute - 09.2019

(coco) #1

Erbsen


pulen hinter


der Couch


Zwei Bücher beleuchten


die Historie der Psycho-


analyse: Uffa Jensen


versucht sich an einer


Globalgeschichte, Lore


Reich Rubin erinnert


sich an ihren Vater


Wilhelm Reich


Beim ersten Hören klingt der Titel sehr
spannend: Wie die Couch nach Kalkutta
kam. Obwohl auch analytische Therapie
heute oft im Gegenübersitzen stattfindet,
ist das Ruhebett – ein Relikt aus der Zeit
hypnotischer Arbeit – zum Symbol für
die Methode Sigmund Freuds geworden.
Allerdings geht es in der Psychoanalyse
um einen Prozess der Verarbeitung des
Vergangenen in der Gegenwart, nicht um
Emotionen schlechthin, wie es der Berli-
ner Historiker Uffa Jensen in diesem Buch
mit dem Untertitel „Eine Globalgeschich-
te der frühen Psychoanalyse“ ausführt.
Dies ist ein Anspruch, an dem Jensen
scheitern musste. Er hat in Kalkutta gear-
beitet und beschreibt die Faszination eines
Zirkels gebildeter Bengalen für Sigmund
Freud. Dann jedoch meint der Leser zu
spüren, wie der Autor seinen spannenden,


aber begrenzten historischen Forschungs-
ansatz auf bläht und bald ins Schwimmen
gerät, weil das Aufdröseln der komplexen
Psychoanalysegeschichte zwar in Kalkut-
ta recht übersichtlich ist, aber an den bei-
den anderen von Jensen abgehandelten
Orten – in London und Berlin – jeweils
mindestens ein eigenes Forscherleben
bräuchte.
Jensen rührt so heterogene Phänome-
ne wie etwa den psychischen Magnetismus
Mesmers, Somnambulismus und Hypno-
se zu einem Brei angeblicher Wegbereiter
der Psychoanalyse. Was ihm an Differen-
zierungen abgeht, ersetzt er durch Selbst-
bewusstsein, als hätte er mit dem Konzept
der Emotionen das Wesen der Psycho-
analyse gefunden. Seine Obsession für
diesen Begriff klären die Danksagungen
Jensens am Ende des Buchs. Man erfährt

nicht nur, dass es sich um eine Habilita-
tionsschrift handelt, sondern man stößt
auch auf Ute Frevert, Direktorin am Max-
Planck-Institut für Bildungsforschung in
Berlin, die seit Jahren über die „Geschich-
te der Gefühle“ forscht.
So finden Leser Bekanntes und anders-
wo differenzierter Erfasstes über die doch
recht begrenzte „Globalisierung“ der Psy-
choanalyse in Berlin und London neben
wirklich neuen Ausführungen über die
bengalische Oberschicht und ihre Freud-
Anhänger in den zwanziger und dreißiger
Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Für
eine Globalgeschichte, die diesen Namen
verdient, geben diese Details nicht viel her;
zu speziell ist die Situation in Indien, das
mindestens so stolz auf eine ganz andere
Bildungsgeschichte ist wie Mitteleuropa
auf die seine.
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