Psychologie Heute - 09.2019

(coco) #1

AUFGEBLÄTTERT


Wir warten alle. Im Stau wie an der Kasse,
auf dem Amt, an der Grenze. Wir warten
auf das Wochenende, auf das erlösende
1:0, auf den Schlaf, auf die große Liebe.
In Die Kunst des Wartens (Wagenbach,
€ 28,–) erkunden Brigitte Kölle und Clau-
dia Peppel verschiedene Arten des War-
tens in den Werken zeitgenössischer Film- und Fotokünstler
und verbinden sie mit literarischen oder essayistischen Tex-
ten. Andreas Gursky fotografierte Anfang der 1980er Jahre
Pförtner in Duisburg, Ursula Schulz-Dornburg entdeckte in


der kargen Landschaft Armeniens immer wieder Menschen,
die im Nirgendwo an einer Bushaltestelle warteten. Einsame
Kinder, deren Vater oder Mutter im Ausland arbeiten, hat
Andrea Diefenbach fotografiert – als Folge der Arbeitsmi-
gration wächst in Moldawien jedes dritte Kind ohne Vater
oder Mutter auf. Johannes Vincent Knecht sieht im Warten
eine aussterbende Kulturtechnik. Für ihn ist Wartenkönnen
„eine Form des Protests, eine im Sinne der Menschlichkeit
bewahrenswerte Fähigkeit, ein Modus der Freiheit und In-
subordination“.

Normal sein – was bedeutet das? Und was,
wenn man es denn nicht ist? Wenn man sich
so verhält, dass die anderen einen nicht so-
fort verstehen? Man werde als psychisch ge-
stört eingeordnet, schreibt Asmus Finzen. In
seinem Buch Normalität (Psychiatrie, € 20,-)
stellt der Soziologe und Psychiater dar, was
die moderne Gesellschaft unter Normalität, seelischer Ge-
sundheit und psychischer Krankheit versteht. Er beschreibt
die Vorgehensweise psychiatrischer Diagnostik, deren Un-
genauigkeiten, Moden und Grenzen. Dabei konzentriert er
sich auf die Psychiatrie, da sie die Kategorisierung zwischen
„normal“ und „nicht normal“ nachvollziehbar und transpa-
rent gestaltet – anders als die meisten anderen Disziplinen.
In dem kleinen Buch streift Finzen auch den Einfluss von
Kultur, Sprache, Subjektivität oder Medien. Tief steigt er in
keines dieser Gebiete ein, dafür bietet er einen leichtver-
ständlichen und kritischen Überblick über ein komplexes
und folgenreiches Thema.


Mit verschränkten Armen steht der Klamot-
tenverkäufer da, fasst sich mit der Hand ans
Kinn und versteckt den Mund hinter seinen
Fingern. Nach den Regeln gängiger Rhetorik-
ratgeber macht er falsch, was man auch nur
irgendwie falsch machen kann. Und dennoch
erzählt die Kommunikationstrainerin Isabel
García in ihrem Buch Die Bessersprecher. Abschied von
den größten Kommunikationsirrtümern (Campus, € 19,95)
gerade von ihm. Denn bei dem Kommunikationstraining im
Bekleidungsgeschäft stellt er sich als Topverkäufer heraus.
Das Entscheidende macht er nämlich richtig: Er hört wirk-
lich zu und er zeigt ehrliches Interesse an jedem einzelnen
Kunden. In ihrem Ratgeber rechnet García mit weitverbrei-
teten Sprechmythen ab. Sie erklärt beispielsweise, warum
Ich-Botschaften nicht immer konstruktiv sind und weshalb
hüftbreites Stehen nicht automatisch zu besserem Sprechen
verhilft. Statt starrer Regeln empfiehlt sie, das Grundsätzli-
che hinter diesen zu sehen: eine aufmerksame, entspannte
und interessierte Einstellung zum Gegenüber.
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