Die Welt - 31.08.2019

(Martin Jones) #1

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31.08.19 Samstag, 31. August 2019DWBE-HP


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30 DAS FEUILLETON DIE WELT SAMSTAG,31.AUGUST2019


M


acht euch nichts vor. Der
Sommer ist noch nicht vor-
bei, er ist noch nicht zu En-
de. Der Sommer kommt, und
diesmal wird er nicht enden.
Die nächsten Monate werden uns keine
Herbstkälte bringen.
Der Sommer kommt wieder und wird sich
von denen unterscheiden, die wir bisher er-
lebt haben: Er wird intensiver, heller, wär-
mer, aber vor allem global und planetarisch
sein. Es wird nicht mehr nötig sein, nach Sü-
den zu gehen, um ihn zu genießen. Er wird
überall sein. Ein endloser Sommer, eine Jah-
reszeit ohne Schatten, die alle anderen Jah-
reszeiten verschlingt. Eine Zeit des absolu-
ten Lichts, des puren Feuers und der reinen
Menschlichkeit. Es kommt ein Sommer, der
uns bis zum Ende der Zeit begleiten wird und
der alle nächsten Winter auslöscht.
Der Sommer der Erde kommt und seine
ersten Opfer sind die Bäume. Die Ankunft
des Sommers fällt mit ihrem Tod zusam-
men. Sie brennen überall. Sie verbrennen in
Sibirien. Sie verbrennen am Amazonas. Sie
verbrennen in Portugal. Sie verbrennen in
Kalifornien. Sie sterben, aber wir wissen es
nicht einmal.
Wir haben sie immer als nutzlose Verzie-
rungen in der Stadt betrachtet – grüne Flec-
ken in einer Landschaft, die wir uns immer
wieder als rein mineralisch vorstellen wollen
und nur mit Stein, Zement und Glas bauen.
Doch wir atmen nur dank der Bäume: Der
Sauerstoff, der die Existenz auf der Erde er-
möglicht, ist ein Nebenprodukt ihres Le-
bens. Wir nutzen sie und massakrieren sie,
um Nahrung und Energie zu produzieren,
aber sie sind die erste und letzte Energie-
quelle für alle Menschen auf dieser Erde.
Wir haben sie aus den Städten vertrie-
ben: Seit Jahrhunderten sind sie Wälder –
alles, was außerhalb der Zivilisation, des
Fortschritts, der Geschichte liegt. Doch wir
wurden unter ihren Zweigen geboren: Jahr-
tausendelang waren Bäume unsere Stadt.
Sie sind es, die unseren Körper und unsere
Anatomie geschnitzthaben, ausgehend von
der Form unserer Hände: Die Fähigkeit,
einen Daumen, der uns von anderen Prima-
ten unterscheidet, zu gebrauchen, ist der
Beweis dafür, dass wir uns an ihren Zweigen
fffesthalten mussten. Wir haben sie aus deresthalten mussten. Wir haben sie aus der
Stadt und der Zivilisation vertrieben, in der
wir auch die Tiere aufgenommen haben.
Doch ohne sie könnte kein Tier und auch
kein Mensch essen.
Es ist nicht nur Gleichgültigkeit. Es ist
Verachtung, die bewusste Behauptung ihrer
Unterlegenheit gegenüber Menschen und

Tieren. Darin lag sogar der Veganismus
falsch in seiner nicht zu unterschätzenden
Verantwortung.
Tiere denken, fühlen und sind mit Persön-
lichkeit ausgestattet. Wer wäre bereit zu sa-
gen, dass ein Hund nicht zu Emotionen fähig
ist? Wer würde es wagen zu sagen, dass ein
Elefant nicht denkt? Oder dass ein Delfin
nicht kommunizieren kann? Doch wenn Wis-
senschaftler wie Stefano Mancuso in Italien
und Anthony Trewavas in den Vereinigten
Staaten es wagen zu sagen, dass Bäume nicht
nur in der Lage sind, die Welt feiner wahrzu-
nehmen als Tiere, sondern auch Probleme
effektiver zu lösen als wir Menschen, können
andere Wissenschaftler darin nichts anderes
erkennen als einen Skandal. Wir erkennen,
dass eine Maus ein rationales Wesen ist, das
ihre Vernunft nutzen kann, um aus einem
Labyrinth herauszukommen. Aber zu sagen,
ein Baum oder eine Pflanze sei ein rationales
Wesen, bedeutet immer noch, unsere Über-
legenheit in Frage zu stellen.
Tiere haben das Recht, vor Missbrauch,
Gewalt und Schrecken geschützt zu werden.
Es gibt sogar diejenigen, die dafür kämpfen,
ihre Leichen dauerhaft von unseren Tischen
zu verbannen. Wer hat schon einmal daran
gedacht, die Bäume zu verteidigen? Diejeni-
gen, die dafür kämpfen, ihnen die Rechte zu
gewähren, die andere Lebewesen genießen.
Tiere sind Begleiter: Sie müssen gefüttert,
gestreichelt und getröstet werden. Sie haben
das Recht auf einen Namen und eine Persön-
lichkeit. Warum nennen wir nicht die Bäume,
die wir jeden Tag sehen und die oft viel älter
sind als wir, beim Namen? Warum sprechen
wir mit Hamstern, Goldfischen und nicht
mit den Platanen oder Kiefern, die wir sehen,
wenn wir durch die Straßen der Stadt gehen?
Bäume leben viel mehr als wir, sie denken,
fühlen und interagieren mit der Umwelt auf
eine viel radikalere Weise, als wir es tun kön-
nen. Jeder kann einen Hund von einer Katze
unterscheiden, doch wer kennt den Unter-
schied zwischen dem Blatt einer Buche und
dem einer Ulme?
Sibirien brennt. Der Amazonas brennt.
Kalifornien brennt. Das Problem liegt schon
in der Art und Weise, wie wir darüber reden
und denken. Wir sprechen über brennende
Bäume, als wären es Gebäude, die brennen.
Als wären sie Steine. Dabei brennen Hun-
derttausende von Lebewesen. Zwischen 2017
und 2018 wurden allein im Amazonasgebiet
eine Milliarde Bäume verbrannt. Besser ge-
sagt: Sie wurdenermordet. Das ist das Wort,
das man im Fall von fühlenden und denken-
den Individuen verwenden sollte. Was heute
im Amazonasgebiet geschieht, ist einer der

größten Völkermorde der Geschichte. Stel-
len Sie sich vor, jemand hätte persönlich ver-
fügt, eine Milliarde Pferde, Löwen oder Del-
fine zu töten. Stellen Sie sich vor, was passie-
ren würde, wenn die Person gefunden würde,
die für den Völkermord an Hunderten von
Millionen Walen verantwortlich ist. Was
würde diesen neuen Kapitän Ahab erwarten?
Wie viele Untersuchungen würden aufge-
nommen, wie viele Verfahren würden einge-
leitet werden? Was Jair Bolsonaro in Brasi-
lien tut, ist nichts anderes als Mord.
Angesichts der aktuellen Tragödie regnet
es weiterhin Metaphern: Die Lunge der Erde
brennt, die Erde brennt. Bäume treten nie als
Individuen, als Subjekte und als Lebewesen
auf. Wälder werden zu Instrumenten. Wir
haben sie bereits in Gedanken verbrannt.
Wir haben sie schon niedergebrannt, indem
wir sie vergessen und verdrängt haben, viele
Jahrhunderte zuvor.
Dieser weißeVölkermord ist in Wirklichkeit
viel ernster: Er ist es, der die Straffreiheit er-
möglicht. Solange wir dem Baum nicht nur
eine juristische Persönlichkeit, sondern auch
die gleiche Würde, die wir den Haus- und
Wildtiere zugestehen, anerkennen, wird alles
nutzlos sein. Solange wir nicht erkennen, dass
im Amazonasgebiet das Äquivalent der chine-
sischen Bevölkerung ausgelöscht, dass dort
Geschöpfe wie eure Katze und euer Hund er-
mordet werden, wird alles nutzlos sein.
Es wird sinnlos und sogar heuchlerisch
sein, abstrakte Dämonen wie den Kapitalis-
mus, den Neoliberalismus und die Industrie
zu beschuldigen. Natürlich ist es notwen-
dig, das Verbrechen zu bekämpfen: Bolso-
naro ist nicht nur ein verantwortungsloser
Politiker und ein unmoralischer Populist.
Er ist ein Verbrecher, der direkt oder indi-
rekt mit dem Phytozid oder Dendrozid be-
fffleckt ist – man erfindet die schönsten Wör-leckt ist – man erfindet die schönsten Wör-
ter. Er hat Hunderte Millionen von Bäumen
getötet. Wer hält ihn auf, wer nimmt ihn
fffest, wer verurteilt ihn?est, wer verurteilt ihn?
Es ist nicht nur die Schuld von Bolsonaro.
Es ist nicht nur die Schuld von Monsanto. Es
ist nicht nur die Schuld der intensiven Land-
wirtschaft. Wenn das Massaker an den Wäl-
dern weitergeht, dann auch und vor allem,
weil wir alle, jeder von uns jeden Tag, be-
strebt sind, den Bäumen ihre Würde zu neh-
men. Als Lebewesen, als autonome Subjekte,
als vernunftbegabte Individuen. Das Feuer
der Bäume beginnt jedes Mal, wenn wir sie
als grüne Steine betrachten. Jedes Mal, wenn
wir unserer Katze einen Namen geben, aber
nicht der Kiefer, die wir vor uns haben. Jedes
Mal, wenn wir unseren Hund füttern, uns
aber nicht um die Gesundheit der Bäume

kümmern, haben wir den Wald bereits ver-
brannt und die Bäume getötet.
Der Regenwald am Amazonas ist auch ein
Alibi, weil er uns glauben lässt, der Wald exi-
stiere nur in einem vormodernen Raum. Vor
dem Kapitalismus, vor der Moderne und vor
der Technologie, vor der Beschleunigung der
letzten Jahrhunderte. Es ist ein Trost für
alle: Es entlässt die Menschen aus ihrer Ver-
antwortung und erlaubt ihnen, gegen imagi-
näre Feinde zu kämpfen wie Abermillionen
Don Quijotes.
Es geht nicht nur um das Schicksal des
Amazonas. Und es geht nicht nur um das
Schicksal des Planeten. Bäume sind immer
noch die ersten Körper unserer Stadt, ihr
Fleisch, sie sind die ersten Bürger. Seht euch
um: Ihre Körper sind bei euch und in euch.
Der Baum ist der Stuhl, auf dem ihr sitzt, der
Tisch, auf dem ihr schreibt. Es sind eure Klei-
derschränke, eure Möbel, eure Werkzeuge. Es
ist die Zeitung, die ihr gerade lest. Es ist viel
von dem, was auf euren Tischen landet, vom
Olivenöl bis zu den Früchten. Der Baum ist
die Luft, die ihr atmet. Das Benzin, das ihr be-
nutzt, um eure Autos zu bewegen. Die Medi-
kamente, die eure Krankheiten heilen. Wir le-
ben von ihren Körpern und dank ihrer Körper.
Es gibt keine Stadt, die gebaut werden kann,
ohne sich auf Bäume zu stützen, auch wenn
wir Ziegel und Zement dem Holz vorziehen.
Wir sollten auf den mineralischen Snobis-
mus verzichten, der uns zwingt, zu denken,
dass Städte mineralische Realitäten sind.
Städte sind auch heute noch Wälder. Ein
Netz aus toten Bäumen und lebenden Bäu-
men, auf denen unsere eigenen Körper un-
terwegs sind und ruhen. Wälder zu retten be-
deutet, Städte zu retten.
Wir sollten aufhören zu denken, dass der
Wald draußen, weit weg, auf dem Land, in
einem anderen Land oder auf einem anderen
Kontinent ist. Der Wald ist nicht die Vorge-
schichte der Stadt. Er ist seine Zukunft. Die-
se Zukunft muss eine Moderne sein, die uns
zurück in den Wald bringt. In jeder Stadt ist
man in einem Wald, der nicht zugeben will,
ein Wald zu sein. Ein Leviathan von Men-
schen, Tieren und Bäumen. Die Welt muss
wieder zu einer unendlichen Weite von Wäl-
dern werden. Von städtischen Wäldern, land-
wirtschaftlichen Wälder und Wäldern, die
nicht von Menschen bewohnt werden.

Emanuele Coccia ist Professor für Philoso-
phiegeschichte an der École des Hautes
Études en Sciences Sociales in Paris und
Autor des Standardwerks „Die Wurzeln der
Welt – Eine Philosophie der Pflanzen“ (Han-
ser, 192 S., 20 €)

VVVerbrannte Erde, aufgenommen am 27. August im brasilianischen Altamira im Bundesstaat Paraerbrannte Erde, aufgenommen am 27. August im brasilianischen Altamira im Bundesstaat Para

AFP/GETTY IMAGES

/JOAO LAET

WIR VERÜBEN EINEN


MASSENMORD AN DEN BÄUMEN


Am Amazonas und anderswo werden keine anonymen Wälder vernichtet. Bäume sind vernunftbegabte


Lebewesen, ohne die es weder Menschen noch Tiere gäbe. Eine Brandrede von Emanuele Coccia


TIERE HABEN DAS


RECHT, VOR


MISSBRAUCH,


GEWALT UND


SCHRECKEN


GESCHÜTZT ZU


WERDEN. ES GIBT


SOGAR DIEJENIGEN,


DIE DAFÜR


KÄMPFEN, IHRE


LEICHEN


DAUERHAFT VON


UNSEREN TISCHEN


ZU VERBANNEN.


WER HAT SCHON


EINMAL DARAN


GEDACHT, DIE


BÄUME ZU


VERTEIDIGEN?


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