Die Welt - 31.08.2019

(Martin Jones) #1

D


ie Terrasse des Guts bei Florenz
ist aufwendig dekoriert – auf den
Tischen stehen Hunderte Kerzen,
zum Abendessen gibt es Büffel-
mozzarella und Rinderfilet. Die
Wärme kommt an diesen Wintertagen des Jah-
res 2014 aus unzähligen Heizpilzen. Geladen zu
dem Spektakel sind Modeblogger aus der ganzen
Welt, sie wurden für drei Tage von einem Luxus-
onlineshop eingeflogen und sollen die Kollekti-
on des kommenden Winters bewundern. Hier
treffe ich Madeleine Alizadeh zum ersten Mal,
sie ist als erfolgreichste Modebloggerin Öster-
reichs dabei. Eine Ewigkeit her, wie es jetzt
scheint.

VON NICOLA ERDMANN

Unter dem Namen DariaDaria hatte sie be-
reits seit 2010 Texte und Bilder rund um Mode,
Reisen, Lifestyle veröffentlicht. Als wir uns ken-
nenlernen, kann sie längst davon leben, reist, fo-
tografiert, schreibt, postet immerzu, über den
glamourösen Job, das Privatleben. In Florenz
lässt sie sich mit Mode und Accessoires von Va-
lentino fotografieren, sie plant gerade eine Ko-
operation mit Nespresso. Wir sprechen darüber,
dass sie mehr Follower hat als Sängerin Anasta-
cia (die in Florenz auftritt), und darüber, dass sie
sogar schon zu einer Show von Chanel eingela-
den war (Ritterschlag
für jede Bloggerin!).
2019 kommen wir
wieder zusammen –
und alles ist anders.
Innerhalb von fünf
Jahren ist aus einer
Modebloggerin mit an-
gehendem Interesse
für faire Mode eine der
wichtigsten Aktivistin-
nen im deutschspra-
chigen Raum gewor-
den. Ihre Themen heu-
te? Nachhaltigkeit in
allen Bereichen, Um-
welt- und Tierschutz,
Gleichberechtigung,
Feminismus, der
Kampf gegen Rassis-
mus und Sexismus.
Und damit ist sie er-
folgreicher denn je – täglich informiert sie mehr
als 245.000 Follower über genau das, spricht in
ihrem Podcast „A mindful mess“ über ethisch
korrekte Geldanlagen, Textilmüll oder den
Ukraine-Konflikt und landet auch damit regel-
mäßig auf den ersten Plätzen der Abrufcharts.
Jüngst erschien ihr erstes Buch „Starkes weiches
Herz“ bei Ullstein, das erklären will, „wie Mut
und Liebe unsere Welt verändern können“.
Sie wartet in Berlin im Restaurant „Frea“. Das
bietet nur vegane Küche an und produziert kei-
nen Müll, es gibt eine Kompostieranlage einseh-
bar im Lokal. Madeleine Alizadeh war hier schon
häufiger, obwohl sie in Wien lebt, sie kennt in al-
len Städten, die sie besucht, die veganen Restau-
rants. Kein Rind mehr, kein Mozzarella. Den Mo-
deblog hat sie geschlossen, ihren eigenen Klei-
derschrank radikal ausgemistet – aber nichts
weggeworfen, sondern alles auf dem Flohmarkt
verkauft. Was sie heute trägt, ist fair produziert,
nachhaltig, aus ökologischen Materialien. Ihr
Haar ist kürzer, sie hat es kürzlich schneiden las-
sen und gespendet, an eine Organisation, die Pe-
rücken für kranke Frauen herstellt. Von Wien
angereist ist sie mit dem Nachtzug.
Wie kam es zu dieser Veränderung, was ist
passiert? „Das Leben, das ich gelebt habe, ist mir
heute tatsächlich fremd. Aber die Person ist mir
nicht fremd, ich bin ihr immer noch sehr nah
und schäme mich nicht“, sagt sie. Und dass es et-
was gedauert habe, bis all das, was in ihr angelegt
war, ins Bewusstsein gekommen sei: „Ich bin mit
sehr starken ethischen Werten aufgewachsen,
was sich bei mir heute in einem ausgeprägten
Gerechtigkeitssinn zeigt. Alles, was ich tue, tue
ich mit einem Moralkompass und auf der Suche
nach Gerechtigkeit.“
Ob es um die fragwürdigen Werbekampagnen
der Smoothie-Firma True Fruits geht (die mit
Slogans wie „Noch mehr Flaschen aus dem Aus-

land“ wirbt), um Ausbeutung in der Massentier-
haltung, um die Produktionsbedingungen von
Fast Fashion, um die Ausschreitungen im Sudan,
die Klimakatastrophe und aktuell die Brände im
Amazonas: Die Österreicherin recherchiert, er-
klärt, streitet sich, engagiert sich, virtuell und im
wahren Leben. All das kostet Kraft, mit der sie
nach einem Zusammenbruch 2016 heute besser
haushaltet. Ihr Privatleben findet nicht mehr auf
Instagram statt, viele Anfragen lehnt sie ab. Sie
hat gelernt, nach Hilfe zu fragen und sich Aus-
zeiten zu nehmen. „Ich bin immer so nah an der
Front, manchmal muss ich mich zurückziehen,
um wieder vorangehen zu können.“
Hat die 30-Jährige in den Anfangszeiten ihres
Engagements noch gezeigt, wie man aus selbst
gesammelten Kastanien umweltfreundliches
Waschmittel herstellen kann, kämpft sie inzwi-
schen im großen Stil für Veränderungen: Sie
spricht etwa vor dem Europäischen Parlament,
hält Ted Talks – und kandidiert bei der kommen-
den Nationalratswahl in Österreich für die Grü-
nen. „Es ist ein Fehler, auf individueller Ebene

nach Lösungen zu suchen. Diesen Fehler habe
ich auch begangen, habe sehr individualisiert
und entpolitisiert gesprochen und gehandelt.
Aber: Wir müssen das große Bild im Auge behal-
ten.“
Also der Schritt in die Politik. Obwohl sie kein
Mandat anstrebt – es ist eine solidarische Kan-
didatur auf dem letzten Platz der Kandidatenlis-
te. Ihre Botschaft: Es geht nicht darum, hämisch
aufzurechnen, wie viel CO 2 die Atlantik-Über-
fahrt von Greta Thunberg produziert. Sondern
um Engagement und Entscheidungen, die für
wirkliche Veränderungen sorgen. „Jeder spricht
über Plastiktüten – aber niemand spricht über
den Bausektor. Der ist einer der größten Emit-
tenten von CO2.Aber wer weiß das und fragt
Bauunternehmen, wie nachhaltig gebaut wird?
Das ist Aufgabe der Politik. Bevor ich mich um
die Plastiktüte schere, muss ich wissen, wen ich
wähle, warum und was diese Partei dann macht.“
Es gehe nicht darum, dass einer alles perfekt
umsetzt – sondern darum, dass viele etwas an-
ders machen.

Vor ein paar Monaten postete sie, wie sie zum
Frühstück eine Süßkartoffel im Ofen aufwärmt,
und wurde daraufhin für diese Energiever-
schwendung beschimpft und angegriffen. „Es ist
völlig irrelevant, ob ich eine Süßkartoffel im
Backofen mache – aber solche Aufregung spielt
dann den Lobbyisten in die Hände. Solange wir
uns über Süßkartoffeln unterhalten oder ob ir-
gendwer Bahn oder Boot fährt oder fliegt, kön-
nen die im Großen weitermachen, wie sie wol-
len.“ Für die großen Bewegungen, wahre Er-
kenntnisse und den zivilen Ungehorsam sei kei-
ne Energie da, wenn man nachzähle, wer wie vie-
le Strohhalme benutze.
Wie Greta Thunbergs Kritiker sind Madeleine
Alizadehs Kritiker häufig Männer. Berichten
klassische Medien etwa über ihre Kandidatur,
häufen sich in den Kommentarspalten sexisti-
sche und rassistische – ihr Vater stammt aus
dem Iran – Beleidigungen von Männern. Das
reicht von einem nur vermeintlich harmlosen
„Endlich mal eine hübsche Grüne“ oder „Sie soll
dahin zurück, wo sie geboren ist“ (Wien!) bis hin

zu Drohungen und Vergewaltigungsfantasien:
„Ich weiß auch nicht, warum Kritik an Frauen so
oft über die Person und nicht über den Inhalt
vorgebracht wird. Das zeigt, wie strukturell
Frauen im Patriarchat zu Objekten gemacht wer-
den und in Rollenbilder gepresst.“ Angela Mer-
kel lässt sie als Gegenbeispiel nicht gelten: „An-
gela Merkel hat sehr patriarchale Züge angenom-
men, eben weil sie sich in diesem System durch-
setzen musste.“
Und trotzdem, nein, genau deshalb wird sie
weiterkämpfen, weitermachen, gerade jetzt, wo
die „Fridays for Future“-Bewegung ihr so viel
Hoffnung gibt, dass sie Shitstorms um Süßkar-
toffeln nicht vergebens ausgehalten hat. Denn
das und all das, was sie täglich als Ungerechtig-
keit empfindet – sterbende Orcas, die Ausbeu-
tung des globalen Südens, Benachteiligung –,
macht sie zwar traurig, aber eben auch wütend.
„Niemand mag wütende Frauen, die werden
nicht ernst genommen“, sagt sie nüchtern. Und
fügt hinzu: „Wütende Frauen werden die Welt
verändern.“

Immer auf der Suche nach Gerechtigkeit: Madeleine Alizadeh, auf Social Media berühmt als „DariaDaria“

Von der Modebloggerin zur


Aktivistin: Madeleine Alizadeh


hat eine überraschende


Verwandlung hinter sich. Das


gefällt nicht jedem. Was sie


nur noch mehr anspornt


DARIADARIA/MADELEINE DARIA ALIZADEH

Mit MUT und WUT


die Welt verändern


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31.08.19 Samstag, 31. August 2019DWBE-VP1


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DIE WELT SAMSTAG,31.AUGUST2019 SEITE 33

STIL


Der Galerist Karl Schwind –


und sein langer Kampf Seite 35


Kunst aus der DDR


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