Der Tagesspiegel - 31.08.2019

(Sean Pound) #1

Berlin-MetropolensindDigitalhochbur-
gen:DorttummelnsichHochschulen,For-
schungseinrichtungen,HubsgroßerKon-
zerneundvieleStart-ups.Gemeinsament-
wickelnsieeinÖkosystem,indemalleBe-
teiligten Synergieeffekte nutzen können.
Flächenbundesländer haben es da schwe-
rer. Zum Beispiel Brandenburg: Mit rund
29700Quadratkilometernzähltdasnord-
östlicheBundeslandzudenmittelgroßen,
doch leben dort nur 2,5 Millionen Men-
schen.DasLandweistdiezweitniedrigste
Einwohnerdichte Deutschlands auf. Der
Deutschland-Index der Digitalisierung
des Kompetenzzentrums Öffentliche IT
(ÖFIT)listetBrandenburgaufdemzwölf-
ten Platz.
Doch kann dieser Startnachteil zu ei-
nemkünftigenVorteilwerden?Daraufset-
zen zumindest die Akteure. „Branden-
burghatdasgroßeGlück,dassesBerlinin
seiner Mitte hat“, sagt Thomas Kralinski
(SPD), Digitalkoordinator der Landesre-
gierung. Ein Teil
der Brandenbur-
ger Digitalstrate-
gie ist es, diese
räumliche Nähe
zu nutzen, um auf-
holenzu können.
Denn auch die
Bundeshauptstadt
profitiere von
Brandenburg. „In
Berlin und ande-
renMetropolener-
leben wir derzeit,
wieWohnungenknappundteuerwerden,
Kindergärten und Schulen überquellen
und Flächen für neue Wissenschafts- und
Gewerbeparks ausgehen“, erklärt Kralin-
ski. „Die Wissensarbeiter von morgen
müssen nicht mehr zwangsläufig jeden
Tag ins Büro, sondern können auch ab-
seitsder Großstädte leben.“
Als Beispiel nennt Kralinski Witten-
berge an der Elbe – je eine Zugstunde von
BerlinundHamburgentfernt.„DieseLage
war in der Vergangenheit das größte Un-
glück der Stadt.“ Tausende Arbeitsplätze
gingen seit den 1990er Jahren verloren,
die Zahl der Einwohner brach massiv ein.
Die Lage soll nun zum größten Trumpf


werden. Vor wenigen Wochen lud die
Stadt zum „Digitalen Sommer“ und warb
um Fachkräfte: „Arbeiten in der Sonne an
derElbe,inderhistorischenAltstadtoder
inOrtenmitrauchigemFabrikcharme.Di-
gitalisierung machtesmöglich!“
Auch andere Initiativen wie „Kreativ-
orte Brandenburg“ versuchen die Reize
desländlichenRaumesfürneuesWohnen
und Arbeiten zu erschließen. Manchmal
klappt das auch schon ganz gut. Zum Bei-
spiel in Bad Belzig, wo sich der Cowor-
king- und Coliving-Space Coconat in ei-
nemGutshofansiedelteund seitherjunge
Kreative und Digitalarbeiter beheimatet.

„Heutzutage findet Kommunikation und
WirtschaftimNetzstattundderländliche
RaumkannbeiinnovativenIdeenunddigi-
talen Start-ups in der ersten Liga mitspie-
len“,erklärtCoconat-MitgründerJanosch
Dietrichden SchrittnachBrandenburg.
Schon2001warderdeutscheEbay-Ab-
leger aus Berlin-Kreuzberg hinter die
Stadtgrenzeauf dasGelände desehemali-
gen Grenzübergangs Drewitz gezogen.
Heute beschäftigt das Unternehmen dort
mit seiner Tochter Mobile.de über tau-
send Menschen. Auch der nicht mehr zu
Ebay gehörende Bezahldienst Paypal hat
Büros auf dem Gelände, nennt allerdings

keine Mitarbeiterzahlen. 2018 beschloss
Ebay, einen Großteil seines Europage-
schäfts nicht mehr über Luxemburg, son-
dernüberDeutschlandabzuwickeln.„Die
Umsatzsteuer auf die Gebühren fällt da-
durchinBrandenburganunddashatauch
Auswirkungen auf unsere Körperschafts-
steuer“, erklärt Deutschlandchef Eben
Sermon. Wie hoch der Effekt ist, weiß
man noch nicht. Bislang hat die
10000-Einwohner-Gemeinde Klein-
machnow, zu der Dreilinden gehört, jähr-
lich elf bis 13Millionen Euro Gewerbe-
steuer eingenommen. Der Großteil
stammte vonMobile.deund Paypal.

Auchin anderen Fällen gelingt es Bran-
denburg, Digitalunternehmen anzulo-
cken. Das in Berlin gestartete Fluggast-
rechteportalFlightrightverlegtewegenei-
nerFörderungdurchdieInvestitionsbank
desLandesBrandenburg(ILB)seinenSitz
erst nach Brandenburg und dann nach
Potsdam, wo es sich zu einem der erfolg-
reichsten deutschen Legal-Tech-
Start-ups entwickelte. Der Online-Opti-
ker Brillen.de zog aus Bayreuth nach Wil-
dau bei Schönefeld und begründete dies
unteranderemmitgutenFörderbedingun-
gen.SogibtesdasFörderprogrammGrün-
dung innovativ, bei dem Zuschüsse von
bis zu 100000 Euro an Existenzgründer
gezahlt werden. Zudem unterstützt die
ILBJungunternehmenunteranderemmit
einemFrühphasen-undWachstumsfonds
oder Krediten. In einem 2016 neu aufge-
legten Programm stehen bis 2023 insge-
samt 102Millionen EurozurVerfügung.
Insgesamt profitiert Brandenburg auch
bei der Ansiedlung von Start-ups von der
Nähe zu Berlin. Im aktuellen KfW-Grün-
dungsmonitor liegt das Land mit durch-
schnittlich 134 Gründungen pro 10000
Erwerbsfähige bundesweit auf Platz 3. Es
ist damit das bestplatzierte Flächenland.
„Es ist zu vermuten, dass die überdurch-
schnittliche Gründungstätigkeit in Berlin
auch in dessen Peripherie ausstrahlt, wo-
von Brandenburg direkt profitieren
würde“, heißtesinder KfW-Studie.
Dochnicht alles ist eitel Sonnenschein.
DeshalbspieltauchdieDigitalisierungim
aktuellen Wahlkampf eine große Rolle.
„DasistjetztderdritteWahlkampf,indem
man uns flächendeckendes Handynetz
verspricht“,beschwertesichdieseWoche
einWählerimTagesspiegel.AuchdieOp-
position im Potsdamer Landtag kritisiert,
dass die rot-rote Landesregierung den
Breitbandausbau nicht schnell genug vo-
rantreibe. Tatsächlich ist Brandenburg
nicht vorne dabei, was schnelles Internet
betrifft, wie auch der Breitbandatlas des
Bundesverkehrsministeriums zeigt. „Die
flächendeckende Versorgung mit schnel-
lem Internet muss weiterhin Priorität in
Brandenburghaben,umdiedigitaleTrans-
formation in Wirtschaft, Schule und Ver-
waltung weiter voranzubringen“, sagt
dazu Christoph Meinel, Direktor des
Hasso-Plattner-Instituts.

CD WERKTÄGLICH


In der Chipindustrie spielt„Silicon Sa-
xony“ in der ersten Liga. Auch in der
Forschung ist Sachsen stark. Doch es
gibt große regionale Unterschiede: In
denMetropolen siedeln sich die
Start-ups an, auf dem Land gibt es Dör-
fer fast ohne Internet.
„Silicon Saxony“ – so sagen sie stolz in
Dresden. Für die Produktion von Mikro-
und Nanoelektronikchips ist Sachsen,
insbesondere Dresden, der größte
Standort Europas. Fastjeder zweite in
Europa gefertigte Chipkommt aus
dem ostdeutschen Bundesland.
Doch nicht nur die Chipindustrie prägt
den Freistaat. Die Digitalisierung in
Sachsen geht voran. Beim jüngsten
Deutschland-Index der Digitalisierung,
einemBundesländervergleichvom
Kompetenzzentrum Öffentliche IT (ÖFIT)
am Berliner Fraunhofer-Institut für Of-
fene Kommunikationssysteme (FO-
KUS), belegte Sachsen den vierten
Platz hinter den Stadtstaaten Berlin,
Hamburg und Bremen. Das Bundesland
konnte damit im Vergleich zu 2017 sei-
nenIndex-Wert stark steigern.
Erst im Juli hat das Kabinett in Sach-
sen die dritte aktualisierte Fassung der
Digitalisierungsstrategie des Frei-
staats„Sachsen Digital“ beschlossen.
Ursprünglich hatten sich CDU und SPD
bereits 2016 darauf geeinigt, unter zen-
traler Koordinierung des Beauftragten
der Sächsischen Staatsregierung für
Digitales, Stefan Brangs, eine ressort-
übergreifende Strategie zu entwickeln,
um das Bundesland zu digitalisieren.
Seit 2018 arbeitet Thomas Popp als
Sachsens Chief Information Officer. Ak-
tuell umfasst die sächsische Strategie
folgende Ziele:


  • digitale Infrastruktur entwickeln

  • Informations- und Cybersicherheit ge-
    währleisten

  • digitale Innovationskraft stärken und

  • Verwaltung weiter digitalisieren.
    Lisa Oder/Anna Parrisius


„Silicon Saxony“


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DIGITALES SACHSEN D


An jeder Milchkanne notwendig.Der aktuelle Wahlkampf in Brandenburg ist der dritte, in dem den Bürgern des Bundeslandes ein flächen-
deckendes Handynetz versprochen wird. Foto: Martial Trezzini/p-a

SONNABEND, 31. AUGUST 2019 / NR. 23 931 DIGITAL DER TAGESSPIEGEL 17


Von Matthias Punz

Von wegen Speckgürtel


Brandenburg kämpft bei der Digitalisierung noch mit den Mühen der Ebene. Die Nachteile eines Flächenlandes wandeln sich aber langsam in Vorteile



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