Der Tagesspiegel - 31.08.2019

(Sean Pound) #1

Bangen


vor dem Beben


Annegret Kramp-Karrenbauer dürfte in dervo-
rigen Woche ein paar Mal kräftig durchgeat-
met haben. Wochenlang sah alles danach aus,
als steuere die CDU in Sachsen amSonntag auf
ein Debakel ohnegleichen zu. Doch die letzten
Umfragen für die Landtagswahlen signalisier-
ten relative Entspannung: Bei allen Instituten
zogen die regierenden Christdemokraten im
Endspurt vor die AfD. Selbst die Demoskopen
von Insa, denen ein besonders gutes Gespür
für die schwer zu erfassenden AfD-Wähler
nachgesagt wird, räumten der CDU einen Vor-
sprung von 29 zu 25 Prozent ein.
Kommt am Sonntag nicht alles anders, kann
sich die Bundesvorsitzende beim unermüdlich
kämpfenden Ministerpräsidenten Michael
Kretschmer bedanken. Denn im einstigen
CDU-Stammland Sachsen – weit mehr als in
Brandenburg – entscheiden die Wähler neben-
bei mit über Kramp-Karrenbauers politische
Zukunftschancen.
Dafür trägt sie selbst kräftig Mitverantwor-
tung. Nach gut neun Monaten im Amt wären
die Ergebnisse der drei Ost-Wahlen in diesem
Herbst für sie zwar ohnehin zur Messlatte ge-
worden. Aber die Saarländerin hat es sich zu-
sätzlich schwer gemacht, als sie zwei Wochen
vordemWahltag gegen den ungebetenenWahl-
kämpfer Hans-Georg Maaßen zu Felde zog.
Der Ex-Verfassungsschutzchef, der als Mit-
glied der ultrakonservativen „Werte-Union“
auftrat und Kretschmer anempfahl, nicht auf
die eigene Truppe in Berlin zu hören, ging vie-
leninder CDU-Spitze auf die Nerven. Kretsch-
mer und der brandenburgische CDU-Chef
Ingo Senftleben betonten, sie hätten den Mann
nichteingeladen.Doch beim Stichwort „Partei-

ausschluss“ Maaßens nicht sofort abzuwin-
ken, war ein Stockfehler der neuen Vorsitzen-
den. In der eigenen Partei gibt es genügend
Leute, die ihr den bei einem Triumph der AfD
auch anhängen würden.
Aus der AfD-Gefahrenzone wäre die Vorsit-
zende übrigens auch bei einem halbwegs
glimpflichen Wahlausgang nicht. In der Sach-
sen-CDUistdie Fragekeineswegsendgültig ge-
klärt, wie man es in einem Landtag mit schwie-
rigen Mehrheitsverhältnissen mit Kooperatio-
nen mit der AfD hält.
Und auch ohne AfD-Durchmarsch bleibt
Kramp-Karrenbauers Position unsicher. Nen-
nenswert dezimiert hat sich die Rechtspartei
seit dem Wechsel im CDU-Vorsitz schließlich
auchnicht. Schwerzu sagen, ob derscharfeAb-

grenzungskurs, den der CDU-Bundesvorstand
auf Betreiben der Chefin vor Kurzem bekräftigt
hat, zumindest einen weiteren Aufwuchs ge-
stoppt hat. Selbst Angela Merkels weitgehende
Wahlkampfabstinenz hat an der Zustimmung
zur „Alternative“ ja nichts Meßbares geändert.
Die Kanzlerin kam nur zu wenigen Wirt-
schaftsterminen und geschlossenen Veranstal-
tungenwieder eines Frauennetzwerks in Dres-
den. Bei der Ankunft brüllten ihr Pegida-An-
hänger prompt wieder „Volksverräter“ entge-
gen. Merkel-Gegner sind auch in der Ost-CDU
keine Seltenheit. Vertreter des konservativen
Flügels bekamen bei Wahlkampfveranstaltun-
gen zu hören: Wann ist Merkel endlich weg?
Die sachliche Antwort ist einfach: Bis zum
SPD-Bundesparteitag am 6. Dezember jeden-

falls absehbar nicht.Die große Koalitionin Ber-
lin dürfte selbst hohe SPD-Verluste in Sachsen,
Brandenburg und Ende Oktober in Thüringen
überstehen, solange die Nachfolge von Partei-
chefin Andrea Nahles nicht geklärt ist.
Danach kann es aber schnell gehen. Fried-
rich Merz steht nicht allein mit der Vermu-
tung, dass die SPD zum Jahresende aus dem
ungeliebten Bündnis aussteigt. Merkel bliebe
dann vorerst geschäftsführend im Amt. Sie
könnte sich auch entschließen, bis auf Weite-
res eine Minderheitsregierung zu schließen.
Die bestünde dann allein aus Ministern der
CDU und CSU.
Anders als das Bild auf der Regierungsbank
suggerieren würde, könnten die freilich nicht
als „Union pur“ regieren. Sie müssten sich für
jedes Gesetz die Mehrheit immer neu besor-
gen. Zur BelebungderDebatten trüge daszwei-
fellos bei. Allerdings könnte die Belebung aus
Unionssicht nach hinten losgehen: Eine von al-
ler Koalitionsrücksicht befreite SPD könnte
sich zusammen mit anderen Oppositionspar-
teien Mehrheiten für eigene Vorstöße suchen.
Vor allem in gesellschaftspolitischen Fragen
könnte das mit Grünen, Linken und der FDP
gelingen – etwa beim Abtreibungs-Werbepara-
grafen 219a oder in Datenschutzfragen.
Merkel ist denn auch erklärtermaßen „keine
Freundin“ einer Minderheitsregierung. Sie
wollte den Bundespräsidenten schon nach
dem Scheitern der Jamaika-Gespräche zu Neu-
wahlen bewegen. Damals lehnte Frank-Walter
Steinmeier ab. Diesmal wäre aber sehr viel
schwerer zu begründen, warum nach dem
Scheitern einer Regierung nicht die Wähler
das nächste Wort haben sollten. Und Merkel
hätte ein Mittel in der Hand, das Umdenken zu
befördern: Sie könnte einfach zurücktreten.

Quelle: FGW, ZDF 29.8.2019, in Klammern Wahl 2014

SACHSEN
vor der Landtagswahl am 1. September
Stimmenanteile in Prozent,
in Klammern Wahl 2014

Wie würden Sie am Sonntag wählen?

Sonstige
(11,1)

CDU
32 (39,4)

(^5) 24,
5
8,
11
14
FDP
(3,8)
Grüne
(5,7)
Linke
(18,9)
AfD
(9,7)
SPD
(12,4)
Die Wa
hlenin Brandenburg
und Sachsen
können
weitreichende
Folgen haben,
nicht
nur für die beiden
Länder
selbst.
Für we
n steht
wasauf dem Spiel?
Kretschmers
schwere K-Frage
Nah am Bürger.Kretschmer prägt seinen
eigenen Politikstil. Foto: Imago
In der AfD-Gefahrenzone
Michael Kretschmer hat zumindest alles gegeben, Demo-
kratieinSachsenist sehranstregend geworden. Erhatdas
Ministerpräsidentenamt von Stanislaw Tillich „geerbt“,
jetzt muss er zeigen, dass er auch Wahlen gewinnen und
Kompromisse füreine womöglichin der CDU sehr unpo-
puläre Koalition schmieden kann. In der jüngsten Um-
fragekommtdieCDUauf32Prozent,dieAfDauf24,5Pro-
zent.DochdaderbisherigeKoalitionspartnerSPDnurbei
8,5Prozentliegt, bräuchteKretschmerwohldie Grünen.
Rund 90 Prozent der Mitglieder in seinem Landesver-
bandwollenaber einKenia-Bündnismitden Grünen„par-
tout nicht“, sagt Kretschmer. „Ich bin der prominenteste
Vertreter.“ Aberwiesoll eine Minderheitsregierungfunk-
tionieren, zumal die FDP den Einzug in den Landtag ver-
fehlen könnte. Tolerierung durch die Grünen? Nicht alle
in Sachsens CDU sind so klar in der Absage an jegliche
Form der Kooperation mit der AfD, wie der „MP“.
Kretschmer hat einen eigenen Politikstil geprägt, er-
hält viel Lob. Vor Ort sein, zuhören, auf Menschen zuge-
hen, ernst nehmen, Vorschläge umsetzen. Da sind zum
Beispiel die Landkreistage: morgens Treffen mit Bürger-
meistern, mitnehmen, wo der Internet-Ausbau stockt,
wo Landärzte fehlen. Dann Projekte und Unternehmen
besuchen, abends beim Sachsengespräch setzen sich
Kretschmer und die Minister seines Kabinetts mit Bür-
gern an die Tische. Und er bleibt ruhig. „Mit Demokratie
hat das hier nichts mehr zu tun. Wir haben jetzt eine
Tagesschau, die ist genau dasselbe wie die Aktuelle Ka-
mera“, schleudert ihm ein Bürger etwa in Zwickau entge-
gen. „Sie können mich anschreien“, antwortet Kretsch-
mer. „Das ist ein absolut freies Land. Aber zu dieser Frei-
heit gehört auch, dass ich Ihnen sage, ich mache mit die-
ser AfD nichts gemeinsam.“ Dann meint der Mann, 2015
sei für Schulen kein Geld dagewesen, aber für die Flücht-
linge.Gegenfrage Kretschmer:Wieviele unsanierteSchu-
lengibt’s dennhier noch?Esistdemokratische Kärrnerar-
beit. Und Kretschmer ist ganz froh, dass ihm ein Mobili-
sierungsfaktor der Anderen im Wahlkampf weitgehend
erspart geblieben ist: Angela Merkel. Georg Ismar
2 DER TAGESSPIEGEL VOR DEN LANDTAGSWAHLEN NR. 23 931 / SONNABEND, 31. AUGUST 2019
Aachen
Bonn
Brocken
Düsseldorf
Feldberg/Schw.
Fichtelberg
Garmisch-P.
Hof
Karlsruhe
Konstanz
Passau
Schwerin
Sylt
Trier
Weimar
Würzburg
Zugspitze
Amsterdam
Barcelona
Bern
Djerba
Eilat
Genf
Hongkong
Innsbruck
Jerusalem
Kairo
Kapstadt
Korfu
Kreta
Larnaca
Los Angeles
Mailand
Malta
Miami
New York
Palermo
Peking
Prag
Reykjavik
Salzburg
St. Moritz
Sydney
Tel Aviv
Tokio
Zermatt
Nordsee
Ostsee
Biskaya
Adria
Ägäis
Schwarzes Meer
Madrid
Malaga
Lissabon
London
Reykjavik
Stockholm
Berlin
Budapest
Paris
Bordeaux
Warschau
Kiew
Sofia
Moskau
Riga
Istanbul
Athen
Tunis
Cannes Rom
Helsinki
St. Petersburg
Wien
Das Hoch Doris über dem Bal-
tikumsorgt inMitteleuropavor-
übergehend für freundliches
Wetter. Dabei scheint neben
ein paar lockeren Wolkenfel-
dern häufig die Sonne. Nur ver-
einzelt bilden sich größere
Quellwolken, die Schauer oder
Gewitter bringen. Von den Bri-
tischen Inseln bis Norwegen
lenken die Tiefdruckgebiete
Denis und Egbert kühle und
feuchte Luft mit Regengüssen
heran. Am westlichen Mittel-
meer gehen zum Teil kräftige
Schauer und Gewitter nieder.
Ein Tief über Südskandinavien
sorgt in Mitteleuropa für zahl-
reiche Regengüsse und Gewit-
ter. Lediglich im äußersten
Osten bleibt es bis zum Abend
meist noch trocken. Auch im
Westen Europas und in weiten
Teilen Skandinaviens herrscht
wechselhaftes und teilweise
recht kühles Schauerwetter.
Am westlichen Mittelmeer sind
viele Wolkenfelder unterwegs,
und gebietsweise gehen zum
Teil kräftige Regenschauer und
Gewitter nieder. Am östlichen
Mittelmeer scheint dagegen
häufigdie Sonne.
So Mo
Kühlungsborn
Göhren
30/
28/
Heringsdorf
30/
Rostock
30/
Schwerin
31/
Waren/Müritz
32/
Prenzlau
33/
Schwedt
33/
Pritzwalk
32/
Neuruppin
Berlin
Berlin
31/
Rathenow
31/
Brandenburg
33/
Potsdam
33/
Lübben
33/
Luckenwalde
34/
Finsterwalde
33/
Cottbus
33/
Kiel
29/18 Rostock
30/
Berlin
33/
Hamburg
30/
Bremen
30/
Hannover
31/
Dortmund
32/
Köln
32/
Saarbrücken
32/
Freiburg
32/
Stuttgart
31/
Nürnberg
31/
München
29/
Frankfurt
33/
Magdeburg
33/
Leipzig
32/
Erfurt
32/
Dresden
31/
17
(^2333)
31
35
29
(^2929)
32 26
37
29
33
30
30
9
24
20 23
21
24
29
30
32
28
33
34
31
31
24
29
23
33/
32/15 20/10 21/11 23/
Wittenberge
33/18 Eberswalde33/
Frankfurt/Oder
33/
Di Mi
31.08.
Las Palmas
06:
19:
07:
20:
06.09.
22.09.
14.09.
28.09.
AUSSICHTEN
Am Sonntag ist es zunächst
heiter und trocken, später ent-
wickeln sich Schauer oder Ge-
witter. 30 bis 32 Grad werden
erreicht. Auch der Montag
bringt ab und zu Schauer, und
es ist deutlich kühler. Der Diens-
tag zeigt sich meist freundlich.
AUSSICHTEN
GESTERN
WASSERTEMPERATUREN
SONNE & MOND
Der Tag bringt zunächst ver-
breitet freundliches Wetter. Im
weiteren Verlauf kann es an den
Alpen vereinzelt Regenschau-
er und Gewitter geben. Aber
auch an den Küsten und in den
Mittelgebirgen nimmt das
Schauer- und Gewitterrisiko et-
was zu. Sonst bleibt es über-
wiegend trocken. Der Wind
weht im Süden schwach aus
unterschiedlichen Richtungen,
sonst kommt er schwach bis
mäßig mit frischen Böen aus
Südwest bis Südost. 25 bis
33 Grad werden erreicht.
HEUTE IN DEUTSCHLAND
Nach der Auflösung einzelner
Nebelfelder gibt es in Berlin und
im Umland zunächst viel Son-
nenschein. Im Tagesverlauf ent-
wickeln sich auch einige Quell-
wolken, es bleibt aber den
ganzen Tag über weitgehend
trocken. Die Temperaturen er-
reichen Werte zwischen 31 und
33 Grad. In der kommenden
Nacht zeigt sich der Himmel
meist nur gering bewölkt. Die
Luft kühlt sich auf Tiefstwerte
zwischen 21 und 19 Grad ab.
Asthmatiker müs-
sensichheutevermehrtauf
Atembeschwerden einstellen.
Wetterfühlige Menschen leiden
unter Kopfschmerzen. Die al-
lergene Belastung durch Pol-
len ist nur nochgering.
HEUTE IN BERLIN
WETTERLAGE DEUTSCHLAND
EUROPA UND DIE WELT
WASSERTEMPERATUREN
Namenstag: Annia, Raimund, Paulinus
wolkig 30°
wolkig 33°
heiter 23°
wolkig 31°
heiter 20°
heiter23°
Gewitter 27°
Gewitter 29°
heiter 32°
wolkig 29°
wolkig 31°
wolkig 31°
Gewitter 25°
wolkig 35°
wolkig 32°
wolkig 32°
Gewitter 10°
heiter 27°
wolkig 31°
heiter 29°
wolkig 30°
sonnig 40°
heiter 30°
Regenschauer 32°
Gewitter 29°
heiter 29°
sonnig 36°
wolkig 15°
heiter 33°
heiter 27°
sonnig 34°
heiter 26°
wolkig 31°
wolkig 30°
wolkig 33°
wolkig 27°
Regenschauer 29°
sonnig 35°
heiter 30°
wolkig 9°
wolkig 27°
Regenschauer 18°
wolkig 17°
heiter 35°
wolkig 29°
Regenschauer 17°
17-19°
18-20°
18-22°
25-28°
23-26°
24-26°
Westliches Mittelmeer
Östliches Mittelmeer
Algarve
Kanarische Inseln
Karibik
Thailand
21-28°
22-30°
18-22°
22-24°
27-29°
28-29°
Oslo
Wilna
Dublin
Palma
Venedig Bukarest
Dubrovnik
Antalya
Zürich
29
Algier
T
H
Tiefdruckzentrum
Hochdruckzentrum
Kaltluft
Warmluft
Auf unsererInternetseite:Das neueBerlin-Wetter–
mit der Wetterlage und den Aussichten für jeden
einzelnenBerliner Bezirk. Zu finden unter:
wetter.tagesspiegel.de
Warmfront Kaltfront Mischfront
Biowetter:
Der Wind weht schwach,
mitunter auch mäßig und
kommt aus Südost.
Wind:
Wannsee
Halensee
Ruppiner See
Müggelsee
Müritz
22°
22°
21°
22°
21°
Tegel
Tempelhof
Dahlem
Schönefeld
Potsdam
20,
20,
19,
19,
19,
27,
28,
28,
28,
27,
0,
0,
0,
0,
0,
11,
11,
11,
11,
11,
Tiefstwertbis 8 Uhr
Ozon
bis 13 Uhr
111 bis 133
μg/m^3
(Grenzwert 180) Temperaturbis 14 UhrNieder. 24stg. bisgestern 8 Uhr (mm)Sonnenstundenvorgestern^27
DORIS
EGBERT
DENIS
Berlin und die Ostsee Deutschland Europa Reisewetter
Von Robert Birnbaum
Unsichere Positionen.Bei den Wahlen geht es auch um die Zukunft von Bundeskanzlerin Angela
Merkel und CDU-Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer. Foto: Fabrizio Bensch/Reuters

Free download pdf