Der Tagesspiegel - 31.08.2019

(Sean Pound) #1
Vor 5000 Jahren ruhte Leizu, die Gattin
des Gelben Kaisers, unter einem Maul-
beerbaum, als ein Schmetterlingskokon
in den heißen Tee fiel. Als sie ihn aus ih-
rer Tasse herausfischte, fühlte er sich
weich an. Sie zog an einem Fädchen und
wickelte es ab, bis sich ein 600 Meterlan-
ger Seidenfaden durch ihren Garten zog.
Der Stoff, der daraus gewebt wurde, ge-
fiel ihr so, dass sie die Insekten studierte,
MaulbeerhainekultivierteunddieSeiden-
zucht erfand. Das Volk, dem sie ihr Wis-
sen weitergab, verehrte Leizu als Seiden-
raupengöttin, denn der göttliche Stoff er-
oberteüber dieSeidenstraßedie Welt. So-
weit die Legende.
Das Potenzial seiner kreativen Kraft
will China der Welt neu vermitteln und
damit an seine große Geschichte an-
knüpfen. In strahlendem Rot, Blau und
Grün werben dafür zwei Wochen lang
über20Seidenroben chinesischer Desig-
ner in der nüchternen Architektur des
Chinesischen Kulturinstituts. Umrahmt
werden sie von Kostümentwürfen, die
die Designerin Zhang Fang für die bun-
ten Shows des chinesischen Fernsehens
geschaffen hat. Dort überlebte die hohe
Schneiderkunst, bis sich nach der Öff-
nung Chinas wieder ein Kreis von Kun-
dinnen bildete.
Die ausgestellten Abendkleider sind
von den fantasievollen Kostümen der Pe-
kingoper inspiriert oder von der Kunst
des chinesischen Scherenschnitts. Dafür
hat Promi-Designerin Grace Chen rote
Seide in feine Streifen geschnitten und
kunstvoll verflochten. Prächtige ge-
stickte Drachen und Phönixe aus gespon-
nenem Gold werden auf Kleidern durch
höchste Meisterschaft zum Leben er-
weckt. Allein der Goldwert eines solchen
Gewandes kann bei 20000 Euro liegen.
Solche exzessive Handwerkskunst macht
sprachlos, wirkt aberdurch die mehrheit-
lich konventionellen Schnitte der Kleider
auch anachronistisch.
Dabei lautet der Titel der Ausstellung
„Eindrücke von derSeidenstraße –Zeitge-
nössische Mode aus China“. Li Dangqi,
ehemaliger Vorsitzender der „China Fa-
shion Association“, betont, dass bei der
Auswahl der Designer auch kommerziel-
ler Erfolg in China entscheidend war. Ein
inspiriertesBilddes Wandels zumKreativ-
standort entsteht durch die exklusiven
Einzelstücke nicht. Die Na-
tionalstolz-Initiative von
Präsident Xi Jinping und der
Handelskrieg mit den
USA bewegen eine
junge, kaufkräftige Ge-
neration, dieIndividua-
lität über Status stellt,
sich wieder auf ihre
Traditionen zu besin-
nen. Doch davon er-
zählendie „Eindrücke
von der Seiden-
straße“ wenig.
Ingolf Patz

— Chinesisches
Kulturzentrum Berlin,
Klingelhöferstr. 21,
Tiergarten,
bis Mi 11.9.,
Mo-Fr 9-18 Uhr,
So 11-18 Uhr.

Der älteste


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Iris Apfel ist die erste lebende Person,


der das Metropolitan Museum in New York


eine eigene Ausstellung widmete, obwohl


sie keine Modedesignerin ist. Am Donnerstag


feierte die Stilikone ihren 98. Geburtstag


Zehn Armreifen müssen es schon sein,
farblich aufeinander abgestimmt, dazu
die passenden Ringe an den Fingern, die
Bluse mit großem Kragen, darüber eine
Stola aus türkisfarbenem Lammfell. Ihr
Mund ist knallrot geschminkt, die riesi-
gen runden Brillengläser heben ihre Au-
gen mit den vielen Lachfältchen hervor.
Die Brille ist längst zum Markenzeichen
von Iris Apfel geworden. Ihre Fans geben
sichsoauf Instagram zuerkennen, darun-
ter viele, die 90 Jahre jünger sind als ihr
Idol. Iris Apfel ist ohne Zweifel mit ihren
98 Jahren die älteste Stilikone der Welt.
Die alte Dame aus New York sticht in
ihren mitviel Stilgefühl getragenen, papa-
geienfarbenen Kleidern sie so sehr aus
der Masse heraus, dass das Metropolitan
Museum of Art ihr 2005 als erster leben-
der Person, die keine Modedesignerin
ist, eine Ausstellung mit 80 Outfits wid-
mete.Zuvorließ Harold Koda,damals Ku-
rator des Costume Institute, mit einem
Lastwagen 300 Kleidungsstücke und


Hunderte Accessoires aus ihrer Woh-
nung abholen, wo er sich mehrere Tage
durch Apfels Kleiderschränke gearbeitet
hatte. Koda hatte nicht damit gerechnet,
bei ihr einen solchen Schatz zu heben, ei-
gentlich sollte es nur eine kleine Schau
mit ein paar Outfits werden.
Aber Iris Apfel ist eben nicht einfach
eine verrückte Alte, die sich nicht mit der
Tristessedes Alternsabfinden wollte und
deshalb beschloss, wilder zu sein als die
anderen 80-Jährigen. Sie hat ihr Leben
lang dafür gearbeitet, einmal mit ihrem
Stil berühmt zu werden. So steht es in ih-
rer vor Kurzem erschienenen Biografie.
Die ist aufgemacht wie ein Bilderbuch
mit vielen typisch amerikanischen Sprü-
chen wie: „Wenn du jung bleiben willst,
musst du jung denken.“ Und vor allem in
Bewegung bleiben.
Das tut Iris Apfel. Nach ihr wurde eine
Barbiepuppe gestaltet, sie hat eine Kos-
metiklinie mit einem extra roten Lippen-
stift, ist Gastprofessorin an der Universi-
tät Austin, Texas, sie verkauft Acces-
soires auf einem Shoppingkanal und fei-

ert ihren Geburtstag mit dem Designer
Tommy Hilfiger. 2015 drehte der Regis-
seur Albert Maysles eine Dokumentation
über ihr Leben.
Das war auch schon vor der Ausstel-
lung aufregend. Zusammen mit ihrem
MannCarl,mitdem sie 66Jahre verheira-
tet war, stattete Apfel mit ihrer Firma
„OldWorld Weavers“das Weiße Haus un-
ter den Regierungen von Harry S. Tru-
man bis Bill Clinton mit historisch nach-
gearbeiteten Stoffen aus.
Als Erweckungserlebnis beschreibt sie
ihre erste Shoppingtour im Alter von
zwölf. Das war 1933, ihre berufstätige
Mutter hatte keine Zeit, also gab sie ihrer
Tochter 25 Dollar und schickte sie nach
Manhattan ins Kaufhaus S. Klein. Dort
kaufte das Mädchen ein Kleid, das ihr auf
den ersten Blick gefiel, dazu Schuhe und
einen Hut. Die Auswahl hielt den harten
Kriterien ihrer immer makellos gekleide-
ten Mutter stand und Iris Apfel fühlte
sich ermutigt, es weiter zu versuchen.
Was ihr auch mit 98 Jahren nicht be-
hagt: anderen Ratschläge zu geben. Viel-

leicht, weil es bei ihr beim ersten Mal mit
dem Bauchgefühl so gut klappte. Sie ist
überzeugt, dass man Stil nicht lernen
kann: „Entweder man hat ihn oder nicht.“
Dass sie ihren so sehr verfeinerte, liegt
auch sicher an ihrem Aussehen, das in
den vierziger Jahren wohlmeinend mit
„apart“ umschrieben wurde. Sie kam nie
auchnurin dieNähe derklassischen ame-
rikanischen Schönheit. In der
Highschool beobachtete sie all die Mäd-
chen mit perfekten Haaren, die mit den
bestenSportlern ausgingenund zuBallkö-
niginnen gewählt wurden. „Sie verließen
sich auf ihr Aussehen, um an ihr Ziel zu
kommen. In anderer Hinsicht haben sie
sich nicht entwickelt – im Gegensatz zu
Mädchen, die aussahen wie ich, denn wir
mussten es auf anderem Wege zu etwas
bringen“, schreibt Apfel in ihrem Buch.
Sie studierte Kunstgeschichte und später
Kunst, wollte erst Journalistin werden,
stattete dann aber Häuser und Wohnun-
gen reicher New Yorker aus.
Einfach nur schlau zu sein, reichte ihr
nicht.Sie arbeite hart daran,für ihr Äuße-

res gelobtzu werden –nichtfür ihrAusse-
hen, sondern für ihre besonderen Out-
fits. Dafür wurde sie zu einem Trüffel-
schwein. Sie kaufte überall ein, auf Floh-
märkten, in Discountern, in Paris, wenn
die Haute-Couture-Häuser ihre Muster-
stücke verkauften, und immer und über-
all Accessoires und Schmuck.
Davon hat sie solche Mengen, dass sie
jetzt, wo ihr nicht mehr viel Zeit bleibt,
so viel wie möglich auf einmal tragen
will.Dabei lebte sie ihre Exzentrik immer
auf eine sehr altmodische Art aus. Am
liebsten würde sie Briefe mit Brieftauben
verschicken, E-Mails lehnt sie ab. Sie
wollte immer auffallen, aber niemanden
vor den Kopf stoßen. Dafür hatte sie ein
einfaches Motto: „Erst anpassen, dann
ausscheren.“

— Iris Apfel,
Stil ist keine Frage
des Alters.
Midas Verlag,
15 Euro.

der


Der Kaiserin


neue


Kleider


Eine Feier chinesischer


Haute Couture


We l t


Teenager

Fotos: Luis Montiero, Keith Major, Willy Soma, Alique

Iris Apfel hat ihre Garderobe
nach dem Motto: „More is more and
less is a bore“ zusammengestellt.
Die New Yorkerin, 1921 in Queens
geboren, trägt lieber einen
Armreifen, eine Kette und eine Farbe
mehr, als langweilig auszusehen. Vor
allem will sich damit selbst gefallen.
Deshalb hat sie auch alle ihre Kleider
aufgehoben. Aus langer Erfahrung
weiß sie: „Es kommt alles wieder.“

SONNABEND, 31. AUGUST 2019 / NR. 23 931 MODE & STIL DER TAGESSPIEGEL 23


Von Grit Thönnissen

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Wege des Barock. Die Nationalgalerien


Barberini Corsini in Rom


Museum Barberini – exklusive Führung außerhalb der Öffnungszeiten


Das Museum Barberini zeigt mit „Wege des Barock“ seine erste Ausstellung im Bereich der
Alten Meister. 54 Meisterwerke aus den Nationalgalerien Barberini Corsini in Rom sind zu Gast
in Potsdam, darunter eines der frühen Werke Caravaggios, sein 1597–1599 entstandenes Ge-
mälde Narziss. Die Schau zeichnet die von Caravaggio ausgehende Entstehung der römischen
Barockmalerei nach und folgt ihrer Ausstrahlung nach Europa und der Entwicklung nördlich der
Alpen ebenso wie in Neapel. Die Ausstellung schlägt den Bogen von den Barberini als Förderer
der Künste bis zur Italiensehnsucht der preußischen Könige.

Termin: 12.09.2019, 19 – 21 Uhr
Ort: Museum Barberini, Alter Markt, Humboldtstr. 5 – 6, 14467 Potsdam
Infos: http://www.museum-barberini.com

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katalog im Wert von 29,95 €

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