Der Tagesspiegel - 31.08.2019

(Sean Pound) #1
Das Auto ist Teil des Wirtschaftswunders,
ein Stück Freiheit, der größte Arbeitgeber
und somit Steuerzahler in Deutschland. Las-
sen wir uns das wegnehmen? Nein, auf kei-
nen Fall. Juergen F.

Autos stehen durchschnittlich 23 Stunden
am Tag. Und wo stehen sie: auf Bürgerstei-
gen, Grünstreifen, Radfahrspuren, in zweiter
Reihe, in Haltestellenbereichen, in Kreu-
zungsbereichen und natürlich auch an allen
Ecken und Seiten, wo das Parken nicht aus-
drücklich verboten ist. Das allein wäre schon
Grund genug, die Verschandelung unserer
Umwelt durch diese Blechmonster zu been-
den. Wieso kann ich als Käufer eines Autos
selbstverständlich davon ausgehen, dass ich
dieses im öffentlichen gemeinschaftlichen
Raum kostenlos abstellen darf?
Eckhard Schwarzenberger

Meine Eltern wohnen am anderen Ende
der Stadt und benötigen zunehmend meine
Unterstützung. Komme ich da schnell und
problemlos hin? Nein, hier benötige ich die
doppelte Zeit mit den öffentlichen Verkehrs-
mitteln im Vergleich zum Auto. Mit dem
Fahrrad meine Eltern unterstützen? Auch da
ist die Strecke zu weit, und das Fahrrad kann
nun mal keine älteren Menschen mitneh-
men. Was würde mir helfen, meine Meinung
zu überdenken? Vorhandensein von schnell
verfügbaren Transportmitteln, schnell ver-
fügbare öffentliche Verkehrsmittel und zwar
auch in Außenbezirken und einfach verfüg-
bare Mietwagen, die ggfs. das eigene Auto
für Bedarfssituationen ersetzen könnten.
A. Krüger

Es braucht Lösungen. Wir Pendler brau-
chen guten ÖPNV, Stellplätze für unsere Au-
tos, Räder usw. Gern sogar Mietparkhäuser
an der S-Bahnstation. Ich bin bereit für den
Tagesparkplatz zu zahlen! Ich würde gern
umsteigen, aber nicht bei einem 60-Minu-
ten-Takt und einer Linie, die 300 km durch
Brandenburg und Mecklenburg-Vorpom-
mern gondelt und dabei entsprechend oft ge-
stört ist, und wo man nie einen Sitzplatz fin-
det. In dieser Debatte werden reißerische
Fragen gestellt, und so wird ein Keil zwi-
schen alle und jeden getrieben. Da wird auch
wieder der Pendler hingestellt als sei er das
personifizierte Böse. Sind wir nicht. Wir ge-
hen nur arbeiten. Annekatrin Westphal

Es sind Kindheitserinnerungen an kalte,
dunkle Nächte, in denen ich zu Fuß nach
Hause laufen musste, an lange Schulwege auf
dem Land, an beschwerliche Einkäufe zu ei-

ner Zeit, als ich noch kein Auto hatte, die
mich daran erinnern, wie gut es mir mit dem
Auto geht. Ich lebe im Außenbezirk. Hier
gibt es so gut wie keine Alternative zum
Auto. Wer es abschaffen will, sollte erst mal
dafürsorgen, dasses überall eingutes, attrak-
tives, sauberesundbequemes Angebot imöf-
fentlichen Nahverkehr gibt. Ulrike Sommer

Auf jeder popeligen Messe gibt es Park &
Ride Parkplätze, warum nicht in den Städ-

ten? In Amsterdam lässt man sein Auto vor
der Stadt stehen und fährt mit der S-Bahn in
die City, weil die Wenigsten 80 Euro für ein
Parkticket ausgeben möchten, und auf dem
Pendlerparkplatz steht man kostenlos. Ich
verstehe nicht, warum so was in Deutsch-
land nicht möglich ist. Stefan Mandler

Fahrrad gegen Auto- das ist doch hier nicht
die Frage! Das Auto ist auf dem Land völlig
unverzichtbar,so gern dasdieStädter verges-
sen. Aber in den Städten gibt es auf fast allen
Straßen zwei Park- und zwei Fahrspuren für
Autos: Warum? Muss das so bleiben? Eine
von den vier Spuren könnte für den Radver-
kehr umgewidmet werden, dann wird Park-
platzsuche zum Wahnsinn und Umsteigen
leichter :-) Thomas Kramer

Mir kommt es mittlerweile zu den Ohren
raus: Autos sind der Teufel, und nur auf dem
Fahrradsoll derStadtmensch seinDasein ver-
wirklichen können. Himmel, dann zieht
doch aufs Dorf. Eine Stadt lebt davon, dass
Menschen und Warenmobil sind. Individual-
verkehr hat unschlagbare Vorteile: wetterun-
abhängig, zielgenau, ungemein komfortabel.
Warum setzenwir nichtverstärkt darauf, die-
ses Konzept so umweltfreundlich wie mög-
lich zu machen durch Investitionen in For-
schung und Technik? Warum nicht Abgase
reduzieren durch intelligente Verkehrsfüh-
rung und eine Stadtplanung, die kurze Wege
ermöglicht statt einsame Siedlungen auf
grüne Wiesen zu setzen? Nadine M. Helmer

Es gab eine Zeit da war Rauchen nicht
schädlich, Schnaps am Sonntagmorgen kein
Zeichen einer beginnenden Alkoholkrank-
heit und Autofahren die irrige, aber weit ver-
breitete Auffassung von persönlicher Frei-
heit. Wer heute dafür plädiert, diese Freiheit
weiter ausleben zu wollen, ist in meine Au-
gen entweder zu blöde oder zu egoistisch,
um zu erkennen, dass jeder eine Verantwor-
tung hat für den Planeten. (...) Aber was will
man erwarten von jemanden, dessen bester
Freund ein Haufen Blech ist? Stephan Sack

Die Diskussion für oder gegen den Autover-
kehr leidet unter der konsequenten Vermi-
schung objektiv-sachlicher versus emotio-
nal-subjektiver Argumente. Liv Lisa Fries
möchte Autos zu Schrittgeschwindigkeit
zwingen, umungestört dasFahrradfahrenge-
nießen zu können. Herr Osterhus besteht auf
seine 45000 km im Jahr, weil er meint, da-
rauf ein Anrecht als moralische Belohnung
für seine erfolg- und segensreiche Biografie
zu haben. Georg Sollböhmer

MonBERLIN
B

erlins rot-rot-grüne Koalition
ist besser als ihr Ruf. Diesen
Eindruck gewinnt, wer nach
einer Woche voller Streit und De-
batten den nun vorgelegten Ent-
wurf zum Mietendeckel durch-
sieht. Boten erste Überlegungen
aus dem Haus der Senatorin für
Stadtentwicklung und Bauen Ka-
trin Lompscher (Linke) noch große
Angriffsflächen für die ohnehin
kommenden juristischen Schlach-
ten, ist der neue Entwurf jedenfalls
kein Dokument des Klassenkampfs
mehr. Die gedeckelten Mieten sind
vielhöher. DerStaat greift nichtsys-
tematisch in vereinbarte (Miet-)
Verträge ein. Allenfalls im Notfall
senkt er bestehende Mieten, wenn
ein Haushalt fast nur noch arbeitet,
umsichdasWohnenleisten zukön-
nen. Und auch hier bleiben die Ver-
mieter im Blick: Gerät einer des-
halb in wirtschaftliche Not, zahlt
der Staat die Differenz. Man wird
abwarten müssen, wie die Genos-
senschaften reagieren und die lan-
deseigenen Unternehmen. Beide
bieten heute schon Wohnraum zu
fairen Mieten teilsweitunterMarkt-
preisen an – am Montag bekommen
sie den Gesetzentwurf und werden
vorrechnen, was es kostet. Klar ist:
Erstmals versucht ein Land, den
„Mietenwahnsinn“ zu stoppen.
Richtig so,denn wie sagten die Ver-
fassungsrichter: Es gibt kein Recht
auf maximale Rendite. Und: Die
Stadt sollte für alle Menschen be-
zahlbar bleiben. ball

— Seiten 1 und 8

A


chtung, Witz: Das Rennen
um die SPD-Chefposten ist
wieder völlig offen. Ach-
tung, Ernst: Jan Böhmermann hat
angekündigt, dass er kandidieren
werde. Böhmermann ist Satiriker.
Was er nicht ist: SPD-Mitglied. Da
die Bewerbungsliste für die Vor-
standswahlen amSonntaggeschlos-
sen wird, könnte man Böhmer-
manns Vorhaben, das seinem Kla-
maukfaktor geschuldet sein dürfte,
als unbedeutende Albernheit igno-
rieren. Als Öffentlichkeit – und als
SPD erst recht. Stattdessen wird
auf dem Schnellnachrichtenkanal
Twitter eilends reagiert von jenen
Sozialdemokraten, die dort gernun-
terwegs sind – und zwar in witziger
Absicht. Dass es meist schiefgeht,
wenn Laien so witzig sein wollen
wie Berufssatiriker, hat sich in der
Harald-Schmidt-Show ungezählte
peinlicheMalebewiesen, und esbe-
weist sich auch in diesem Fall. Sie
hätten besser geschwiegen und Böh-
mermann seine Eigen-PR selbst
überlassen. Davon abgesehen ist
sein Vorhaben auch nicht witzig. Es
ist feige, weil er nichts riskiert, und
blöd, weil es eine Partei lächerlich
macht in einem Moment, in dem es
um etwas geht. Und das Schlimme
ist, dass man nicht ausschließen
kann, dass die SPD in der irrigen
Annahme, von dem Quatsch profi-
tieren zu können, Hebel in Bewe-
gung setzt, um die Kandidatur zu
ermöglichen. ari

— Seite 27

E


s dürfe nicht so sein, „dass man am Straßenpflaster merkt,
wo man im ehemals geteilten Berlin ist“. So sprach der frü-
here Bürgermeister von Berlin, Eberhard Diepgen, 1990.
Die Mauer, die Deutschland teilte, war gerade gefallen.
30 Jahre später rollt mein Auto über samtig glatten Asphalt.
Ich verbringe den Tag in Brandenburg an der Havel, streife auf
perfekt nivellierten Trottoirs durch die Stadt. Nicht ein Schlag-
loch, nicht eine Kerbe, die mich zum Stolpern bringen. Und
auch die Straßen mit Kopfsteinpflaster sind perfekt eingeebnet.
Man erkennt heute sehr wohl am Straßenpflaster, ob man sich
im Osten oder im Westen befindet. In Osten: makellos. Im Wes-
ten: ausbesserungsbedürftig. In Brandenburg an der Havel em-
pört man sich über Kaiserslautern: „Unglaublich, der Zustand
dieser Stadt. Marode! Grau! Eine einzige Ruine! Schrecklich.
Wie damals bei uns!“ Die Welt steht kopf. Eberhard Diepgens
Wunsch hat sich nicht erfüllt.
Hätte Helmut Kohl sein Versprechen über blühende Land-
schaften illustrieren wollen, er hätte sicherlich Brandenburg an
der Havel gewählt. Hier ist alles neu: die Straßen und Gehwege,
die Dächer und die Brücke über den Fluss, die pastellfarbenen
Fassaden und sogar die Straßenlaternen. Es gibt einen Barber-
shop (genau so, auf Englisch, steht es auf dem Ladenschild), tra-
ditionelle thailändische Massage, ein Anti-
aging-Kosmetikstudio, Sojamilch und Ba-
gels in den Cafés (zum Glück serviert man
im Schweinehäuschen noch immer „deftige
deutsche Küche“ – schmeckt schließlich
auch bei 33 Grad! –, sonst würde die Leit-
kultur völlig in den trüben Gewässern der
Globalisierung untergehen) und sogar ei-
nen Vermögensberater. Die Arbeitslosen-
quote ist einstellig, nicht ein Syrer ist mir
auf der Straße begegnet. Flüchtlinge ma-
chen hier, habe ich mir sagen lassen, einen
verschwindend geringen Teil der Bevölke-
rung aus. Man hat sie bei ihrer Ankunft in einer ehemaligen Ka-
serne untergebracht. Hier muss keiner unter der Brücke schla-
fen wie in Paris – „es sei denn, freiwillig“. Brandenburg an der
Havel hat es geschafft.
200 Milliarden Euro wurden in Wirtschaft und Infrastruktur
der neuen Länder investiert. Die Brandenburger, die am Sonn-
tag wählen, haben ein ordentliches Stück vom Kuchen abgekom-
men. Trotzdem ist die AfD bei den Europawahlen im Land Bran-
denburg stärkste Partei geworden. Wird sie am Sonntag womög-
lich abermals die SPD überholen? Bei den Kommunalwahlen,
die am gleichen Tag wie die Europawahlen stattfanden, errang
die AfD in Brandenburg an der Havel sieben Sitze in der Stadt-
verordnetenversammlung. Wahrscheinlich entgehen mir die
Feinheiten des Ost-West-Psychodramas, das sich seit drei Jahr-
zehnten abspielt – diese Mischung aus Bewunderung, Neid, Res-
sentiment, Konkurrenz, Verlustängsten, Bedürfnis nach Aner-
kennung und Arroganz. Ein spannendes Kapitel, das den Rah-
men dieser Glosse sprengen würde, doch kam ich nicht umhin,
mir bei meinem Streifzug durch Brandenburg an der Havel die
vielleicht naive Frage zu stellen: Warum wählen die Leute hier
AfD? Ich denke an Kaiserslautern und seine Schlaglöcher. Ich
denke an Paris und seine Obdachlosen. An die heruntergekom-
menen Klos der Berliner Schulen, die zugigen Fenster im Win-
ter. Ich denke an die Polen und Ungarn, die ganz alleine in der
Marktwirtschaft Fuß fassen mussten, ohne großen reichen Bru-
der an ihrer Seite. Ich denke an die Fotos von vor der Wende im
Stadtarchiv. Und ich verstehe es einfach nicht.


— Übersetzt aus dem Französischen von Odile Kennel.


Mietendeckel


Alles schön


hier und


geordnet,


warum wählt


hier jemand


die AfD?


Böhmermann


VonPascaleHugues

CDDEBATTE


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Witzlos


Besser so


Zehn Debatten in zehn Wochen.
Der Tagesspiegel, die Berliner Zeitung
und die Bundeszentrale
für politische Bildung feiern
30 Jahre Meinungsfreiheit.

Diese Woche ging es
um die Frage:
Kann das Auto weg?

„Autopapst“ Andreas Keßler
beantwortete am Montag die Frage mit
einem klaren „Nein“, dafür sei das
Auto viel zu erfolgreich. Schauspielerin
Liv Lisa Fries dagegen forderte am
Dienstag Vorfahrt fürs Fahrrad.
Stadtrandbewohner Karl Michael
Ortmann verlangte ein Ende der
Pendleranarchie, der Mobilitätsberater
Axel Quanz eine umweltgerechte Stadt
und der Pensionär Reinhold Osterhus
das Recht auf die Freiheit, die das Auto
bedeutet. Auch die Leserinnen und Le-
ser haben mitdiskutiert.
Hier eine Auswahl der Meinungen.

Ihre Argumente und Ideen an
[email protected]

Alle Texte unter
causa.tagesspiegel.de

Das unerklärliche


Ost-West-Drama


STUTTMANN D


6 DER TAGESSPIEGEL MEINUNG NR. 23 931 / SONNABEND, 31. AUGUST 2019


***

Dann zieht doch aufs Dorf!


Kann das Auto weg?, hieß die Frage der ersten Debattenwoche – hier Ihre Meinungen


Persönliche Beratung und Buchung:(030) 29 02 11 63 2 0 oderreisen.tagesspiegel.de/kurzreisen
Veranstalter im Sinne des Gesetzes ist HKR Hotel und Kurzreisen Vertriebsservice GmbH, Erich-Maria-Remarque-Ring 14, 49074 Osnabrück. Änderungen vorbehalten. Es gelten die AGB des Veranstalters. Die An- und Abreise erfolgt individuell.

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  • 2 Übernachtungen im 4* Best Western Ahorn Hotel Oberwiesenthal

  • täglich reichhaltiges Frühstücksbuffet

  • ein Abendessen vom Buffet am Anreisetag

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  • kostenfreie Teilnahme am Aktiv-Programm mit Morgengymnastik, Yoga & Pilates

  • Leih-Bademantel, Mineralwasser & Kaffee- und Tee-Station auf dem Zimmer


Reisezeitraum:
buchbar von September bis November 201 9
13 5 €pro Person im DZ (EZ-Zuschlag ab 35 €)

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Reiseleistungen:


  • 2 Übernachtungen im ACHAT Premium Dresden Hotel

  • 2x reichhaltiges Frühstücksbuffet

  • 2x Abendessen (2-Gänge-Menü)

  • eine Flasche Wasser auf dem Zimmer

  • Kostenfreier Parkplatz & WLAN

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buchbar von September 2019 bis März 2020
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AUSGEWÄHLTE KURZREISEN

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