Der Spiegel - 24.08.2019

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Bundespolizei

Millionenteure


Flugübung


 Mehr als eine Million Euro
verlangt die Bundespolizei von
einer Hubschrauberbesatzung,
die ihr Fluggerät mit dem fal-
schen Treibstoff betankt und
dadurch einen Turbinenscha-
den verursacht hat. Die tragi-
sche Geschichte nahm ihren
Anfang, als die Besatzung
eines EC 135-Helikopters in
der Nacht vom 25. auf den


  1. März 2018 aus Fuldatal zu
    einem Übungsflug aufbrach.
    Im Rahmen dieser Übung flo-
    gen die beiden Piloten und ein soge-
    nannter Flight-Operator zweimal den
    Flugplatz Stendal an, um aufzutanken.
    Dort gibt es zwei Sorten Treibstoff:
    Flugbenzin AvGas für Sportflugzeuge
    und Kerosinkraftstoff Jet A-1, mit dem
    der Hubschrauber betankt werden
    muss. Dummerweise bedienten sich die
    Polizisten an der falschen Zapfsäule.
    Den Turbinen tat das Flugbenzin gar
    nicht gut, sie seien quasi ausgeglüht, so
    das Ergebnis der Inspektion des Hub-
    schraubers. Die Bundespolizei ent-
    schied, die alten Turbinen gegen neue
    auszutauschen, und wählte damit die
    teuerste Lösung. Den Preis,
    1 072 293,49 Euro, stellte sie der Besat-
    zung in Rechnung. Nun streiten sich


das Bundesinnenministerium und die
Gewerkschaft der Polizei, die zwei
Besatzungsmitglieder vertritt, um die
Rechtmäßigkeit der Forderung. Die
Gewerkschaft bezieht sich unter ande-
rem auf ein Urteil des Bundesverwal-
tungsgerichts, nach dem es angemessen
sein kann, Schadensersatz selbst bei
grober Fahrlässigkeit nicht in voller
Höhe durchzusetzen, damit »die
Lebenshaltung und Dienstfreude des
Beamten nicht in unerträglicher Weise
beeinträchtigt werden«. Haftpflichtver-
sicherungsschutz bis zu 100 000 Euro
genießen zwei der drei Besatzungsmit-
glieder durch die Gewerkschaft. Die
Bundespolizei will sich zu dem Vorfall
nicht äußern. AUL

Ländliche Räume

»Heimat bedeutet nicht


allein Herkunft«


Reiner Klingholz, 65, Leiter des Berlin-
Instituts für Bevölkerung und Entwicklung
über die Bedeutung von Teilhabe

SPIEGEL:Herr Klingholz, Sie haben in
Ihrer jüngsten Studie »Teilhabeatlas
Deutschland« über »un gleichwertige
Lebensverhältnisse und wie die Menschen
sie wahrnehmen« ge forscht.
Da schwingt der subjektive
Blick schon im Titel mit.
Klingholz:Wir haben zu
den Lebensverhältnissen
in 401 Kreisen zunächst
objektive Fakten gesam-
melt, also Einkommen, Bil-
dungschancen, Nahverkehr
etc.; dann haben wir in
15 aus gewählten Kreisen
Menschen befragt, wie sie
mit den Verhältnissen umge-
hen. Ihre Wahrnehmung

war einerseits realistisch, andererseits
aber auch sehr unterschiedlich.
SPIEGEL:Zum Beispiel?
Klingholz:Nicht jeder will in Hamburg
oder München leben. Auch der weite
Blick auf einen ländlichen Horizont hat
seinen Wert. Und wer den schätzt, stuft
ihn höher ein als das Theater um die Ecke
oder die U-Bahn im Fünfminutentakt.
SPIEGEL:Auf dem Land schließen Arztpra-
xen, Läden, Schulen – das ist unbequem.
Klingholz:Aber die Leute wissen das.
Und sie nehmen es vielerorts hin, wenn
andererseits das Leben ruhi-
ger und preiswerter ist, der
Kontakt zu den Mitmenschen
enger und, ganz wichtig, sich
ein Gefühl der Selbstwirk-
samkeit einstellt. Wenn ich
mich mit anderen Menschen
um das gemeinsame Wohler-
gehen kümmern, mich enga-
gieren kann – und es im Ort
deshalb aufwärtsgeht.
SPIEGEL:Wirtschaftliche
Nachteile oder eine schwache
Infrastruktur können kom-

pensiert werden von einer funktionieren-
den Gemeinschaft?
Klingholz:Zumindest teilweise. In diesem
Zusammenhang ist uns häufig der Begriff
Heimat begegnet. Wenn man mit Leuten
Netzwerke gründen kann, stellt sich
ein Gefühl der Geborgenheit auch für
Zugezogene ein. Heimat bedeutet nicht
allein Herkunft, es kann auch Ankunft
bedeuten.
SPIEGEL:Unterscheiden sich da Ost- und
Westdeutschland?
Klingholz:Im Osten sind die Teilhabechan-
cen generell schlechter, weil er dünner
besiedelt ist, weil der Strukturwandel stär-
ker zugeschlagen hat. Dort gibt es Regio-
nen wie Mansfeld-Südharz, in denen das
Selbstwertgefühl vieler Menschen sehr
angeschlagen ist. Sie haben nicht das
Gefühl, selbst etwas verändern zu können,
erwarten aber umso mehr von der Politik.
SPIEGEL:Eigeninitiative fällt in abgehäng-
ten Regionen schwer?
Klingholz:Manche verstanden die Frage
nach eigenem Engagement gar nicht. Sie
fragten zurück: Sollen wir uns gelbe Wes-
ten anziehen oder was? WEI

MAURICE WEISS / OSTKREUZ
Klingholz

STARMEDIA / IMAGO IMAGES
EC 135 der Bundespolizei

Migration

Onlinedienst für


illegale Pässe


 Das Internet bietet Schleusern diskrete
Möglichkeiten, ihre Kunden rasch und ille-
gal mit Reisedokumenten zu versorgen.
Wie aus einer Europol-Analyse hervorgeht,
präsentieren Schleuser etwa im Messenger-
Dienst Telegram Tausende EU-Identitäts-
karten und andere Ausweise, die gestohlen,
gefälscht oder von Besitzern verloren wur-
den. Passende Papiere können dort für ein
paar Hundert Euro gekauft werden und
gelangen per Post zu den Kunden. Diese
Dokumente werden für Reisen innerhalb
der EU benutzt, etwa damit Neuankömm-
linge von Griechenland aus weiterreisen
können. Telegram bietet die Möglichkeit,
anonyme Benutzergruppen als Handels-
platz für solche Papiere einzurichten, die
von der Polizei kaum verfolgt werden kön-
nen. Aufgefallen war die »Digital Smugg-
ling« genannte Masche unlängst Europol-
Beamten in Griechenland, auch am Frank-
furter Flughafen sind bereits Mi granten mit
solchen Dokumenten aufgetaucht. Laut
Bundespolizei seien die Ermittlungen
schwierig, da sich die Täter mehrheitlich
im Ausland aufhielten und die Anonymität
des Internets zur Verschleierung ihrer Iden-
tität nutzten. Europol-Ermittler waren bei
Telegram auf mehr als 12 000 solcher
Dokumente gestoßen, überwiegend aus
Frankreich, Deutschland, Rumänien und
Italien. AUL, ROL
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