Der Spiegel - 24.08.2019

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angepasste und Unterdrückte wie Cornelia
Schleime. Und es wird ebenso klar, dass
sich die Geschichte der ostdeutschen Kunst
nicht auf die Spannung zwischen erwünsch-
ter und unerwünschter Kunst reduzieren
lässt, zwischen Angepassten und Mutigen –
weil alles noch viel komplizierter war.
Das veranschaulichen die Beispiele der
Maler und frühen Hochschullehrer Wil-
helm Lachnit und Elisabeth Voigt, er un-
terrichtete von 1947 an in Dresden, sie
dozierte vom selben Jahr an in Leipzig. Sie
bauten die neue Bilderwelt mit auf, schul-
ten die nächste Generation, doch ihre
eigenen Fundamente oder Vorgeschichten
waren höchst unterschiedlich. Lachnits
Werk hatte wenige Jahre zuvor unter den
Nazis als »entartet« gegolten, Voigts hin-
gegen höchste Anerkennung erhalten (bald
nach dem Krieg nannte sie ein Selbstpor-
trät »Verlorene Illusionen«). Beide wieder-
um wurden von den Einflussreichen der
DDR nicht immer nur wohlwollend behan-
delt. Doch selbst die Karrieren der ge-
nehmsten Maler erhielten schließlich
Dämpfer, das gehörte zur Strategie der to-
talitären Künstlererziehung. Wie also heu-
te umgehen mit Bildern, über die es im
Düsseldorfer Katalog heißt, dass sie ihre


konkrete politische Funk tion mit dem
Ende der DDR verloren hätten?
Das mag stimmen, aber die großen, bun-
ten, betont gegenständlichen Werke eines
Tübke, eines Bernhard Heisig oder eines
Wolfgang Mattheuer erinnern unfreiwillig
daran, wie unfrei die Szene der freien Kunst
sein kann. Wer nicht malte wie sie, hatte
keine Chance auf Anerkennung, erhielt viel-
leicht Ausstellungsverbot. Im Katalog wird
dagegen hervorgehoben, die Kunst des Os-
tens sei durch »Vielfalt und Heterogenität«
geprägt gewesen, und dies sei sicher für vie-
le überraschend, »gerade im Westen«.
Vieles ist noch nicht verwunden, ein sol-
ches Projekt bleibt also riskant. Gerade
das Bildererbe der DDR hat immer wieder
heftige Debatten ausgelöst. Zwei Weimarer
Ausstellungen, veranstaltet 1999 und 2012,
waren höchst umstritten. Die erste setzte
die offizielle DDR-Kunst im Grunde mit
Nazikunst gleich, die zweite verklärte die-
selbe Ostkunst, sie habe mit ihrem melan-
cholischen Grundton doch das System erst
ausgehöhlt.

* Cornelia Schleime: »o. T.«, 1986; Willi Sitte: »Nach
der Schicht im Salzbergwerk«, 1982; Bernhard Heisig:
»Brigadier II«, 1968 bis 1979.

Vor ein paar Wochen hat das Museum
der bildenden Künste in Leipzig eine
Ausstellung zur Kunst aus der späten
DDR eröffnet. Die Kuratoren themati -
sieren den Blick der ostdeutschen Künst-
ler auf die Wendejahre, sie nehmen eine
Neubewertung vor allem der oppositio-
nellen Kunst vor. Die kritischen Künstler
hätten Freiräume geschaffen, hätten durch
die »Ermöglichung sozialer Gegenwelten«
in ihrer Kunst überhaupt die Grundlagen
für ein Umdenken in der Gesellschaft
geschaffen – hätten also die Wende vor-
bereitet.
In den Feuilletons wurde die Leipziger
Veranstaltung gelobt, die Vielzahl an Au-
ßenseiterpositionen hervorgehoben. Auch
in Leipzig kommen die Sittes und Heisigs
vor, die ja auch mit der Wende umgehen
mussten, aber sie sind wenige unter vielen,
unter mehr als hundert Künstlern.
Einer der vielen ist Via Lewandowsky,
geboren 1963 in Dresden, in den Acht -
zigerjahren war er mutiger Performance-
künstler, heute gehört er zu den bekannten
deutschen Künstlern seiner Generation.
Lewandowsky sagt, Künstler wie Sitte
seien Mitglieder eines Machtapparats ge-
wesen, Vollstrecker einer Ideologie, in der
Kunst und darüber hinaus.
Die Bilder selbst seien statutenkonform
entstanden, quasi auf Kommando. Schon
der Stil sei ein Bekenntnis zu der von der
Partei geforderten Ästhetik. Man könne
diese Kunst also nicht einfach ohne ihre
»politische Mitgift« betrachten. Vor 1989
durchdrang sie alle Bereiche des Lebens,
wurde gefeiert, in Schulbüchern und auf
Briefmarken abgebildet.
Der Westen, sagt Lewandowsky, habe
nur unzureichend Kenntnisse über den Os-
ten, über das Leben in der DDR, die sei
ein subtiler Täterstaat gewesen. Das ah-
nungslose Publikum heute genieße auch
noch den leichten Gruselschauer, der von
den Bildern ausgehe.
Der Düsseldorfer Kurator Krautzig wie-
derum sagt, dass die Ausstellung dort doch
idealerweise nur ein Anfang einer noch
umfassenderen Beschäftigung sein sollte.
Einem jüngeren Publikum vor allem im
Westen sei diese Kunst völlig unbekannt.
Doch auch die Forschung sei trotz vieler
wissenschaftlicher Projekte lückenhaft,
über manche Künstler ostdeutscher Her-
kunft wisse man quasi gar nichts.
Vielleicht ist das die Antwort auf die
Frage, ob man bei der Betrachtung den
Kontext ausblenden dürfe oder gar sollte.
Vorurteilsfrei heißt nicht kenntnislos. Un-
wissen hilft nie weiter. Ulrike Knöfel

DER SPIEGEL Nr. 35 / 24. 8. 2019 119


AKG-IMAGES

Bilder der Schau »Utopie und Untergang«*
Die einen wurden protegiert,
die anderen drangsaliert
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