Der Spiegel - 24.08.2019

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gen, selbst aber fleißig Wohltaten an ihre
Bürger verteilen.
Altmaier: Deutschland hat gezeigt: Je
mehr man konsolidiert, desto mehr kann
man sich leisten. In Zeiten hoher Defizite
hatten wir oft auch nur geringes Wachs-
tum. In den letzten zehn Jahren dagegen
haben wir die Staatsverschuldung zurück-
geführt und konnten dennoch mehr inves-
tieren. Der Wirtschaft ging es gut, und die
Spielräume für höhere Löhne und Sozial-
ausgaben sind größer geworden.
SPIEGEL: Dass der Staat seine Schulden
abbauen könnte, liegt an den niedrigen Zin-
sen, was die finanziellen Spielräume für
den Staat noch einmal vergrößert hat.
Wenn die Regierung jetzt einen Kredit
über 100 Euro aufnimmt, muss sie nur
97 Euro zurückzahlen. Kann es da nicht
vernünftig sein, mehr Schulden zu machen,
um einem Abschwung vorzubeugen?
Altmaier: Würden wir, weil die Zinsen für
Staatsanleihen so günstig sind, wieder
Schulden machen, würde das Vertrauen
in den Standort Deutschland leiden. Die
Deutschen wollen keine neuen Schulden.
Diese Auffassung wird bis weit in die An-
hängerschaft der Grünen und auch der
SPD geteilt. Deutschland ist in ganz
Europa ein Vorbild für finanzielle Solidität
und Verlässlichkeit. Es wäre töricht, das
aufs Spiel zu setzen.
SPIEGEL: Diese Überzeugung hat die
Union aber nicht gehindert, den Sozialde-
mokraten beim Geldausgeben weit entge-
genzukommen.


Altmaier: Wir setzen um, was im Koali -
tionsvertrag steht. Das ist ein Geben und
Nehmen, das zu ausgewogenen Ergebnis-
sen auf beiden Seiten führt. Die Senkung
des Soli um rund zehn Milliarden Euro
von 2021 an war unsere Forderung, auch
wenn wir uns gewünscht hätten, dass der
Soli komplett gestrichen wird. Umgekehrt
gibt es Zusagen, die wir der SPD im Koali-
tionsvertrag gemacht haben. Ich halte es
für eine Selbstverständlichkeit, dass man
diese Absprachen auch umsetzt.
SPIEGEL: Sie meinen die Grundrente, die
nach dem Willen der Sozialdemokraten
möglichst noch vor den Landtagswahlen
in Sachsen und Brandenburg eingeführt
werden soll.
Altmaier:Bei der Grundrente gibt es für
die Union klare Kriterien: Erstens werden
wir an einer Bedürftigkeitsprüfung festhal-
ten, wie sie im Koalitionsvertrag steht. Und
zweitens darf die Grundrente nicht dazu
führen, dass der Anteil der Sozialausgaben
an den Bruttolöhnen über 40 Prozent steigt.
Weder jetzt noch mittelfristig.
SPIEGEL: Das wird aber schwierig. Schließ-
lich wird das Vorhaben je nach Ausgestal-
tung bis zu fünf Milliarden Euro kosten.
Altmaier: Genau. Und gerade deshalb le-
gen wir Wert darauf, dass die Leistung
nicht aus der Rentenkasse, sondern aus all-
gemeinen Haushaltsmitteln finanziert wer-
den muss.
SPIEGEL: Einige in Ihrer Partei können
sich Zugeständnisse bei der Grundrente
vorstellen, wenn im Gegenzug der Solida-

ritätszuschlag weiter abgesenkt wird. Was
halten Sie davon?
Altmaier: Ich bin generell gegen Kuhhan-
del. Die Grundrente richtet sich vornehm-
lich an Menschen, die ohne Schuld längere
Zeit ihres Lebens arbeitslos waren. Das
gilt unter anderem für viele Beschäftigte
in Ostdeutschland, wo es in manchen Re-
gionen nach der Wiedervereinigung Ar-
beitslosenquoten von 30 Prozent und
mehr gegeben hat. Andererseits dürfen
nicht Menschen in den Genuss der Grund-
rente kommen, die überhaupt nicht be-
dürftig sind. Das wäre schlicht nicht ge-
recht gegenüber den Steuerzahlern, die
für diese Belastungen aufkommen müssen.
SPIEGEL: Können Sie als Wirtschaftsmi-
nister verstehen, dass Unternehmer sagen:
Wo bleiben wir?
Altmaier: Ja. Ich halte es für unverzichtbar,
dass wir die Unternehmen entlasten. Wir
brauchen Entlastungen bei der Körper-
schaftsteuer, und wir müssen auch Perso-
nengesellschaften und damit konkret den
Mittelstand gezielt entlasten, zum Beispiel,
wenn es um reinvestierte Gewinne geht.
Aber das muss alles im Konsens mit der
SPD geschehen. Ich bin zuversichtlich,
dass sich die Genossen in dieser Frage be-
wegen und ein Umdenkprozess stattfindet.
Zugleich müssen wir darauf achten, dass
die Regierung von Union und SPD zusam-
menbleibt. Denn die Große Koalition sorgt
für Stabilität und Verlässlichkeit.
Interview: Michael Sauga, Gerald Traufetter

DER SPIEGEL Nr. 35 / 24. 8. 2019 65


PETER RIGAUD / DER SPIEGEL
CDU-Politiker Altmaier: »Der Koalitionspartner blockiert«
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