Neue Zürcher Zeitung - 22.08.2019

(Greg DeLong) #1

Samstag, 24. August 2019 SCHWEIZ 13


Am Schwing- und Älplerfest in Zug inszeniert sich die


Schweiz als heile Welt der Bauern und Sennen SEITE 14, 15


Der Expertenbericht zur Zuk unft der


Schweizer Bodentruppen muss überarbeitet werden SEITE 16


«Es gibt Klubs,
die lieber wegschauen
und sich nicht klar
und unmissverständlich
abgrenzen.»

«Es braucht härtere Strafen für Hooligan s»


Urs Hofmann, Präsident der kant onalen Polizeidirektoren, kritisiert im Gespräch mit Daniel Gerny Klubs für den Umgang mit Fan-Gewalt


Herr Hofmann, fast jedesWochenende
kommt es zu Gewalt durch Fussballfans


- ohne dass sich wirklich etwas ändert.
Weshalb wird das einfach hingenom­
men?

Wir nehmen das nicht hin!Ausschrei-
tungen und Gewaltakte sind einePer-
vertierung von Sportveranstaltungen.
Ein Ziel des Sportes ist es ja gerade,
Aggressionen, die in jeder Gesellschaft
vorhanden sind, kanalisiert abzubauen.
Man muss gegenFan-Gewalt deshalb
entschlossenvorgehen – auch wenn das
nicht immer einfach ist.Fan-Gewalt ist
auch für mich alsPolizeidirektor und
FC-Aarau-Fan ein grosses Ärgernis und
nicht tolerierbar.


Weshalb bekommen Sie das Problem
nicht in den Griff?

Die Ursachen für solche Gewaltakte
sind sehr unterschiedlich: Es gibt An-
hänger,die einfach aus Enttäuschung
ausflippen und dreinschlagen. Es gibt
solche, die gezieltFussballspiele suchen,
um zurandalieren. Es gibt Hooligans,
die sich für gemeinsame Schlägereien
imWald treffen. Und es gibt ideologisch
aufgeladene Gewaltauch im Umfeld
vonFussballspielen. DieVielschichtig-
keit des Phänomens macht die Bekämp-
fungschwierig. Es gibt nicht einfach das
Patentrezept.


Braucht es mehrPolizei?
DiePolizei ist bei Risikospielen bereits
heute sehr präsent. Es wäre eine Illusion
zu glauben, alleine mit rigoroserPolizei-
präsenz sei das Problem zu lösen.Wir
könnenAuswüchse nicht einfach nie-
derknüppeln. ImAusland hat sich ge-
zeigt, dass sich die Gewaltrasch in die
unteren Ligen verlagert, wenn man sie
in der obersten Liga unterbunden hat.
Selbstverständlich braucht es jedoch ge-


nügendPolizei und Staatsanwaltschaf-
ten, diekonsequent vorgehen und alles
daransetzen, Straftäter zu identifizieren
und der Bestrafung zuzuführen. Aber
das alleinereicht nicht. Ebenso wichtig
ist, dass die Klubs die Gewalt unterkei-
nen Umständen akzeptieren – und dies
auch deutlich machen.Wer gewalttätig
wird, darf nicht mehr dazugehören.


Tun dieVereine zuwenig?
Ja, es gibtVereine, die zu wenigkonse-
quent gegengewalttätigeFansvorgehen.
Es hat sich zwar in den letztenJahren
einiges getan. Es gibt Klubleitungen, die
klar sagen, dass sie Gewalt nicht tole-
rieren. DieseVereine sorgen zusammen
mit denFan-Verantwortlichen auch da-
für, dass die Drahtzieher zurRechen-
schaft gezogen werden. Aber es gibt
eben auch Klubs, die lieber wegschauen
und sich nicht klar und unmissverständ-
lich abgrenzen.Auch die Bereitschaft,
derPolizeiVideoaufnahmen vonAus-
schreitungen im Stadion umgehend
auszuhändigen, ist nicht bei allen Klubs
gleich gross.


Wäre es nicht am einfachsten,wenn man
die Klubs für Schäden im Umfeld von
Fussballspielen haftbar machen würde?

Daswürde letztlich bedeuten, dass die
Klubs auch für Schäden haften, für die
siekeinerleiVerschulden tragen – unge-
achtet dessen, was sie gegen die Gewalt
unternehmen.Das hielte ich für falsch.
In vielenFällen ist es schlicht unmöglich,


nachzuweisen, wer und was für dieAus-
schreitungen verantwortlich ist. Schon
nur dieFrage, welcher von zwei Klubs
haftbar ist, wenneszuAusschreitungen
zwischen rivalisierendenFanskommt,
lässt sich kaum beantworten. So wurde
der Kanton Luzern bei einem Gesetz,
das bei Demonstrationen eine verschul-
densunabhängige Gefährdungshaftung
einführen wollte,vom Bundesgericht zu-
rückgepfiffen.

Weshalbwerden randalierende Fans
nicht härter angepackt?Der Mann,der
in Zürich einenFamilienvater nieder­
geschlagen hat,war kurze Zeit später
wieder frei.
Diekonkreten Umständekenne ich
ni cht. Es gelten jedoch die Grund-
sätze der Strafprozessordnung.Wenn
keine Verdunkelungs- oder Flucht-
gefahr besteht,können Sie jemanden
nicht wochenlang festhalten. Und die
Strafe selbst wird erst im Strafverfahren
festgelegt. ImerwähntenFall handelt
es sich beim Täter offenbar um einen
Minderjährigen, so dass zusätzlich die
Vorgaben desJugendstrafrechts zu be-
achten sind.

Sind die Strafen zu mild?
Ja, dieser Meinung bin ich:Wenn je-
mand erwiesenermassen Gewalt aus-
übt, braucht es härtereStrafen.Wer sich
in einer gewalttätigen Szene bewegt,
weiss, dass er sichrasch einmal strafbar
verhält. Bei Gewalttaten müssen auch
Freiheitsstrafen ausgesprochen werden,
insbesonderebei Wiederholungstätern.
Dazu muss aber das Gesetz nicht ver-
schärft werden, der nötige Strafrahmen
ist schon heute vorhanden.

Vor einigenJahren ruhten alle Hoff­
nungen auf dem Hooligan­Konkordat.
Inzwischen herrscht Ernüchterung.
DieKonferenz der kantonalenJustiz-
undPolizeidirektorinnen und -direk-
toren (KKJPD) lässt derzeit evaluie-
ren, wie dasKonkordat in den einzel-
nen Kantonen angewendet wird und
ob es angepasst werdenmuss. Mein
Eindruck ist, dass vor allem die soge-
nannte Meldeauflage zu zurückhaltend
angewendet wird.Personen, von denen
eine Gefahr ausgeht,können verpflich-
tetwerden, sich zu bestimmten Zeiten
auf demPolizeiposten zu melden.Da-

mit kann man verhindern, dassRädels-
führer, die ein Stadionverbot haben, mit
der Szene den ganzenTag verbringen
und die Stimmung schon auf der An-
reise aufheizen.

Handlungsbedarf besteht bei der Zu­
sammenarbeit zwischen den Kantonen
bei derFahndung und bei derVerbre­
chensbekämpfung. Die polizeilichen
Datenbanken sind nicht verknüpft.Was
unternehmen die Kantone?
Hier bestehen tatsächlich Lücken. Die
KKJPD ist zusammen mit der Bundes-
anwaltschaft undFedpol intensiv daran,
Vorschläge für den künftigenAustausch
vonDaten aus denpolizeilichen Infor-
mationssystemen zu erarbeiten. Die Be-
dürfnisse der Kantone sind allerdings
sehr unterschiedlich. Dies und dieallge-
meine Skepsis in den Kantonen gegen-
überKonkordaten machen die Sache
eher schwierig. Das hat sich beispiels-
weise auch beimKonkordat über pri-
vate Sicherheitsdienste gezeigt.

Wie wichtig ist es,diese Datenbanken zu
verknüpfen?
Gegenfrage:Wer käme heute auf die
Idee, für ein Gebiet von der Grösse
der Schweiz 26 verschiedene, nicht ver-
knüpfte Datenbanken einzurichten?
Baden-Württemberg hat eine Bevölke-
rung vonrund11 Millionen, aber selbst-
verständlich eine einheitlicheDaten-
bank.Solche historisch gewachsenen
Strukturen wirken sich heute negativ
aus:Wenn diePolizei im Kanton Aar-
gau im Zuge einerKontrolle wissen will,
obeinePerson bereits in einem anderen
Kanton als gewalttätigregistriert wurde,
muss sie bei den anderen Kantonen tele-
fonisch nachfragen.Dabei grenzt zum
Beispiel die Stadt Aarau direkt an den
Kanton Solothurn.

Weshalb kommt die Sache nicht voran?
Siekommt voran: So haben die fünf
Kantone der Nordwestschweiz eine
Vereinbarung getroffen, um dieDaten-
banken zumindest im Bereich der seriel-
len Kriminalität verknüpfen zukönnen.
In derWestschweiz gibt es ebenfalls
gegenseitige Zugriffsrechte. Das ist je-
doch blossein erster Schritt.Wir sind
überzeugt, dass esrasch eine gesamt-
schweizerische Lösung braucht.Wie ge-
sagt, arbeiten wir daran.

AproposKooperation:Wie sieht die
Zusammenarbeit der Kantone mit
Bundesanwalt Michael Lauber aus?
Die Kantone machen mitLauber sehr
gute Erfahrungen. Er bringt sich stark
ein,baut aberkeine Mauern auf. Das
war nicht immer so:DasVerhältnis
zwischen der Bundesanwaltschaft und
den Kantonen war lange Zeit immer
wieder von Spannungen geprägt. Mein
Eindruck ist, dass sich die Situation mit
Lauber beruhigt hat und die Zusam-
menarbeit heute vertrauensvoll und er-
giebig ist.

Lauber wird aber vorgeworfen, er
könne zuwenig Erfolge vorweisen.
Die Bundesanwaltschaft sei zuwenig
effizient.
Ich kann mich ankeinen Bundesanwalt
erinnern, der nicht mit solchenVorwür-
fenkonfrontiert war. Damit müssen
Staatsanwälte wohleinfach leben, übri-
gens auch in den Kantonen.Komplexe
Strafverfahren dauern immer länger, als
man es gerne hätte – ich erinnere nur

an denFall Swissair. Es braucht in die-
sem Bereich teilweise auch Anpassun-
gen im Strafprozessrecht, um dieVer-
fahren zu beschleunigen. Ich habe aber
nicht den Eindruck, dass sich die Bun-
desanwaltschaft in einer grundsätzlich
anderenLage befindet als diekantona-
len Staatsanwaltschaften.

Ein Grund für dieVerzögerungen sind
die drei nicht dokumentiertenTreffen
Laubers mit Fifa­Präsident Infantino.
Wie beurteilen Sie diesenVorgang?
Ichkenne diese Geschichte nur aus den
Medien und kann mich deshalb nicht
im Detail äussern. Natürlich fragt man
sich, weshalb sichLauber so verhal-
ten hat. Es ist deshalb richtig, dass man
dies untersucht. Eine andereFrage ist,
ob ein solchesVerhalten ausreicht, um
den Bundesanwalt de facto abzusetzen.
Für einen solchen Schritt müssen gravie-
rende Gründe vorliegen, die eineWei-
terbeschäftigung als unzumutbar er-

scheinen lassen. Ich bezweifle,dass dies
hier derFall ist.Wie gesagt: Die Kan-
tone arbeiten mitLauber äusserst gut
zusammen.

Was würde eine Nichtwiederwahl aus
Ihrer Sicht bedeuten?
Man muss sich schon fragen, wer denn
diesen Job überhaupt noch machen
will, wenn imVoraus schon klar ist,
dass man als Bundesanwalt früher oder
später politisch attackiert wird und auf
dem Schleudersitz landet. Alle Bun-
desanwälte der letztenJahrzehnte ge-
rieten unter Beschuss.Man muss ein-
fach sehen,dasses Kreise gibt,dieein
Interesse daran haben, Staatsanwälte
sturmreif zu schiessen.Das ist beim
Bund nicht anders als in den Kantonen.
DiePolitik sollte deshalb nicht ausser
acht lassen, was eine solcheAuseinan-
dersetzung für die Institution bedeutet:
Eine lendenlahme Bundesanwaltschaft
nützt letztlich vor allem Kriminellen.

Polizeipräsenz allein könne das Problem der Gewalt im Fussball nicht lösen, sagt Urs Hofmann. ALESSANDRO DELLAVALLE / KEYSTONE

Mit Internetbildern gegenHooligans


kru.·Am 28. Oktober 20 18 raste-
ten FCZ-Hooligans aus, nachdem der
FC Zürich sein Gastspiel in St. Gallen
verloren hatte. BeimBahnhof St. Gal-
len-Winkeln bewarfensie diePolizei
mit Schottersteinen, Handlichtfackeln
und Knallkörpern.FünfPolizisten wur-
den verletzt. Es kam zu Sachbeschädi-
gungen in Höhe von über 100000 Fran-
ken, derBahnbetrieb musste für zwei
Stunden unterbrochen werden.
Nun sucht die Staatsanwaltschaft
öffentlich nach fünf Beteiligten. Ihnen
wird Landfriedensbruch, einfache
Körperverletzung,Sachbeschädigung,
Gewalt und Drohung gegen Beamte
sowie Störung von Betrieben, die der
Allgemeinheit dienen, vorgeworfen.
Bis Dienstagkönnen sich die Gesuch-
ten bei der Kantonspolizei St. Gallen
stellen. Diese nimmt auch Hinweise
zu den Gesuchten entgegen. Noch hat
sich niemand gemeldet. Ab Dienstag
werden dann verpixelte Bilder der Ge-
suchten veröffentlicht, eineWoche spä-
ter, falls sie sich nicht melden, unver-
pixelte Bilder.

DieseMethode hat schon in frühe-
ren Fällen Erfolg gezeitigt. Erstmals
angewendet wurde sie 2007 in Luzern,
danach 2008 im Gefolge des im Chaos
endenden Barragespiels zwischen
St. Gallen und Bellinzona. Damals
war die heutigeJustizministerin Karin
Keller-Sutter noch Regierungsrätin
in St. Gallen und als Sicherheits- und
Justizdirektorin massgeblich für eine
scharfe Gangart des nationalen Hoo-
ligan-Konkordats zuständig.Die aktu-
elleFahndung nach fünf Zürcher Hoo-
ligans ist allein in St. Gallen die sechste
Aktion dieser Art, die erste nach einem
Spielgegen den FC Zürich.
Mehrfach wurde die Öffentlichkeits-
fahndung auch in weiteren Kantonen
angewendet. Ineinemweiteren aktu-
ellenFall hat die Kantonspolizei Bern
am vergangenen Mittwoch zehn mut-
massliche Anhänger desFCZürich
unverpixelt veröffentlicht. Diese wer-
den verdächtigt, imAugust 20 17 einen
Extrazug in Herzogenbuchsee gestürmt
undFans der BernerYoung Boys tätlich
angegriffen zu haben.

Urs Hofmann
Regierungsrat Aargau,
Leiter Departement
Volkswirtschaft und
KEYSTONE Inneres
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