Neue Zürcher Zeitung - 22.08.2019

(Greg DeLong) #1

14 SCHWEIZ Samstag, 24. August 2019


Der Homo


alpinus helveticus


feiert sich selbst


Am Schwing- und Älplerfest in Zug inszeniert sich die


Schweiz als heile Welt der Bauern und Sennen.Von


Helmut Stalder (Text) und Annick Ramp (Bilder)


Etwas verloren sitzt er auf derFestbank
zwischen Hunderten Gästen, die ans
Eidgenössische Schwing- und Älpler-
fest nach Zug gekommen sind. Der Se-
nior mit dem Zwirbelbart deutet auf die
Plaketten auf seinem nach alterTr adi-
tion gestickten Sennenhemd.Kein Eid-
genössisches habe er ausgelassen seit
den1960erJahren, sagtWalter aus Gla-
rus. Er ist eines jener Originale, einer
der echten Älpler und Schwingbegeis-
terten, die heute fast untergehen imTr u-
bel des Massenevents. «Das Urchige, ja,
das ist schon noch da», sagt er mehr be-
schwörend als überzeugt.Aber eben,
wie früher sei es nicht mehr. 350 000
Besucher strömen voraussichtlich inner-
halb der dreiFesttage nach Zug, wo
auf der einzigen ausreichend grossen
Wiese in Stadtnähe das mit 56 000 Plät-
zen grösste temporäre Stadion derWelt

aufgebaut wurde. Zwischen den moder-
nen Wohnblöcken und Bürogebäu-
den internationaler Unternehmen wird
das ländlicheFest inszeniert, das mit
einem Budget von 37 MillionenFran-
ken jedes bisherige Mass sprengt. «Rie-
sig, extrem ist das», findet auch Oswald
aus Unterägeri, der ebenfalls seitJah-
ren an Schwingfeste geht. Aber das sei
derLauf der Zeit. Mankönne ja nichts
dagegen haben, dass sich so viele Leute
fürs Schwingen interessierten.
Das Fest ist ein grossesTheater, an
dem sich dieTr aditionsschweiz als heile
Welt der Sennen und Hirten darstellt.
Alles haben die Organisatoren aufge-
boten, um den modernenFest-Event
mitTr aditionellem zu drapieren. Es ist,
als gelte es, dem Publikum einen Mega-
Event zu bieten und gleichzeitig zu be-
weisen, dass in der modernen, schnel-

len, urbanen und globalisiertenWelt
noch eine Heimat existiert, eine über-
sichtliche, vertraute, heimelige, ländliche
Schweiz, wie sie ursprünglich war.
Beim Corso der Zünfte undVereine
zum Stadion fährt dieFolklore auf und
sorgt für einen Zusammenprall vonTr a-
dition und Moderne. Die kräftigen Bur-
schen derTr eichelgruppe Unterägeri trei-
cheln im schweren Älplerschritt auf dem
Asphalt, was das Zeug hält. Die Alp-
hörnler aus der Zentralschweiz tragen
ihre Instrumente hoch aufgerichtet auf
den Schultern zwischen den Häusern hin-
durch und spielen auf dem in wenigenTa -
gen ausgerollten englischenRasen beim
Stadion eine alte, sehnsüchtigeWeise.
EchteBauern treiben eine echte Herde
echtes Braunvieh durch die Stadt.«Wenn
z’Alp gasch, mueschFründ debi ha», steht
auf einer Glocke. Ein gigantischesRoss

Zuschauerinnen und Zuschauer rüstensichfür das Eidgenössische Schwing- und Älplerfest, das amFreitag in Zug mitFestumzug, Fahnenempfang,Attraktionen und der offiziellen Eröffnung desFestgeländes begann.


«Geniessen Sie ein StückZuger Kirschtorte!»,heisst esam Standder lokalen Spezialität. «Das Brauchtum gehört einfachzueinem Schwingfest!»,hört man im Publikum.


Ein asiatischerTourist fotografiert in der Stadt der internationalen Firmen und zahlreichen Expats am Zugersee echteKühe.Über dasWochenendewerden 350 000 Besucher erwartet.

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