Neue Zürcher Zeitung - 22.08.2019

(Greg DeLong) #1

Samstag, 24. August 2019 INTERNATIONAL 3


Weltretter trifft auf Störenfried


Der G-7-Gipfel in Bia rritz droh t zu einem Kräftemessen zwischen Gastgeber Macron und Donald Trump zu werden


NINA BELZ, BIARRITZ UND HENDAYE


Es ist schon dunkel, als sich die drei Män-
ner an der Glace-Bude zu schaffen ma-
chen. Sie drehen Schraube um Schraube
aus dem kleinen Holzverschlag derFami-
lie Lopez, die am südlichen Ende der
Grande Plage von Biarritz in der drit-
ten GenerationTag fürTag Glace und
Sorbets verkauft.Jetzt muss er weg für
vierTage, denn er steht in Sichtweite des
Hôtel duPalais. Dortwird der franzö-
sische Präsident am Samstagabend die
Staats- undRegierungschefs der G-7-Län-
der begrüssen. Den Glace-Stand einfach
zu schliessen, war den Behörden nicht «si-
cher» genug. Sie ordneten den Abbau an.
DiePolitiker und ihre Entourage sollen
ungestört entlang des grossenStrandes
von Biarritz promenierenkönnen, wie es
einst der europäischeAdel zu tun pflegte.
Bis heute zeugen in Biarritz eine
Reihe von Gebäuden von der glamourö-
senVergangenheit, unter anderem auch
das Hôtel duPalais, das Napoleon III. für
seineFrau bauen liess. Kaiserin Eugénie
verbrachte ab Mitte des 19.Jahrhun-
derts ihre Sommerfrische an der Atlan-
tikküste. Sie galt damals alsTr endsette-
rin.VieleAdlige folgten ihrer Einladung,
die Anziehungskraft hielt sich bis weit
ins20.Jahrhundert hinein. Heute sind
die Feriengäste bodenständiger und
haben oft ein Surfbrett unter dem Arm.


Ein gerechtererKapitalismus


DieVorzeichen des G-7-Treffens passen
allerdings wenig zum Geist der sommer-
lichen Entspannung. Emmanuel Macron
erwartet Gäste, die entweder innenpoli-
tisch geschwächt sind oder eine ganz
eigeneAgenda verfolgen.Durchdie G-7,
den selbsternannten Klub der führenden
Industriestaaten, verlaufen zudem eine
Vielzahl von Bruchlinien, etwa was die
Krise imPersischen Golf, den Umgang
mitRussland oder mit dem Brexit angeht.
Macron muss damitrechnen, dass die
in neunVortreffen auf Ministerebenevor-
bereitete Agenda von brennenderen The-
men überlagert oder von einzelnenTeil-
nehmern torpediert wird.«Kapitalismus
gerechtermachen» lautet das offizielle
Motto, unter dasFrankreich seine G-7-
Präsidentschaft gestellt hat.Auf dem Pro-
gramm des letztenTr effens, das am Sams-
tagabend beginnt und bis Montagnach-
mittag dauert, stehenThemen, die sich
dem Kampf gegen die Ungleichheit wid-
men: zwischenWeltgegenden, zwischen
den Geschlechtern oder zwischen Steuer-
systemen. Zudem soll sich die G-7 um die
Rahmenbedingungen einer gerechteren
Welt bemühen und daher Klimawandel
undTerrorismus bekämpfen sowie die
demokratischenWerte verteidigen.


Der französische Präsident hat sich
zum Ziel gesetzt, in «einerPeriode, in
der die Demokratien einesehr tiefe
Krise durchleben», die grossen Zeiten
der französischen Diplomatie wieder-
aufleben zu lassen.Dabei will er alles
auf einmal. Ein neuesFormat zum Bei-
spiel, in dem er acht weitereRegie-
rungschefs «mitregionalem Einfluss»


  • ausAustralien, Chile, Indien,Süd-
    afrika, Rwanda, Senegal, BurkinaFaso
    und Ägypten – zu derRunde lädt.Am
    Freitag hat er kurz vor seiner Abreise
    noch den iranischenAussenminister
    getroffen, in der Hoffnung, Bewegung
    in das Iran-Dossier zu bringen. Einer
    Gruppe von 34 multinationalen Unter-
    nehmenhat er eine Milliarde Eurofür
    Projekte abgerungen, die faire Gehälter,
    guteAusbildung und nichtdiskriminie-
    rende Arbeitsplätzefördernsollen. Und
    die Brände im Amazonasgebiet waren
    ihm Anlass,dasThema als «Notfall» auf
    dieTagesordnung zu setzen und mit der
    Drohung zu verbinden,dasFreihandels-
    abkommen mit den Mercosur-Staaten
    (Brasilien,Argentinien, Uruguay und
    Paraguay) nicht länger zu unterstützen.
    Macrons Agendaist in ihrem altruis-
    tischen Anspruch allerdings unüberseh-


bar von französischen Interessen geprägt.
Der Kampf gegen die Ungleichheitkon-
zentriertsich auf Afrika, woFrankreich
immer noch um ein besseresVerhältnis
zu seinen ehemaligenKolonien kämpft.
Speziell wird die Sahelzone erwähnt, wo
Paris das grössteKontingent ausländi-
scher Soldaten im Kampf gegen islamisti-
sche Extremisten stellt.Auch die Steuer-
initiativekommt nicht von ungefähr.Der
Kampfgegen Steuerflucht ist inFrank-
reich Staatsräson. Mit ihrem Alleingang
bei der Digitalsteuer haben dieFranzo-
sen einen Streit mit den USA provoziert,
auf dessen Beilegung so schnellkeine
Hoffnung besteht – im Gegenteil.

Kaum Support zu erwarten


Der G-7-Gipfel droht auf ein Kräfte-
messen zwischenTr ump und Macron
hinauszulaufen. Unterstützung kann
sich derFranzose nur bedingt erhoffen.
Die deutsche Kanzlerin sucht denKon-
flikt mitTr ump nicht so offensiv, Boris
Johnson hofft gar aufTr umps Unterstüt-
zung für die Zeit nach demBrexit. Der
italienischeRegierungschef ist von sei-
nem Amt zurückgetreten, dem Kana-
dier sitzt wenigeWochen vor derWahl

einKorruptionsskandal im Nacken. Und
der japanischeMinisterpräsident scheint
von vielen der Streitthemen unberührt.
Die amerikanischen Störmanöver
kündigten sich bereits imVorfeld an.
Das Weisse Haus hat vor der Abreise
Tr umps mitgeteilt, der Präsident werde
sich bei demTr effen für die Stimulie-
rung der schwächelndenWeltwirtschaft
einsetzen: mit Initiativen zur Deregulie-
rung, mitSteuersenkungen und besseren
(bilateralen) Handelsabkommen.Das
Thema sei aufWunsch des Präsidenten
gleich für Sonntag früh auf die Agenda
gesetzt worden.Tr ump will zudem of-
fenbar dieWiederaufnahmeRusslands
in die Gruppe forcieren.Auch damit
fährt er Macron in dieParade, der nach
seinemTr effen mit Wladimir Putin am
Montag dasThema vorerst vomTisch
glaubte. Im dessen Beisein hatte Macron
bekräftigt, dass eineRückkehrRuss-
lands ausgeschlossen sei,solange sich
die Situation der Krim nicht ändere.
Wohl in Erinnerung an den Eklat im
vergangenenJahr, alsTr ump kurz nach
dem Ende des G-7-Gipfels in Quebec
seine Unterschrift von der Abschluss-
erklärung zurückzog, hat man inFrank-
reich beschlossen,kein gemeinsames

Dokument zu veröffentlichen. Die Inter-
pretation der Ergebnisse des Gipfels wird
jederTeilnehmer für sich vornehmen.
Rund 20 Kilometer südlich von Biar-
ritz, in einem Ferienheim, das einst
Nestlé gehörte, gibt sich allerdings schon
vor dem Gipfelkeiner der Illusion hin,
dass die G-7 dieWelt wirklich gerechter
mache. DieTeilnehmer des Gegengipfels
G-7 Ez (G-7 nein) haben ausserhalb von
Urrugne ihr Zeltlager eingerichtet, mit
Werkstatt, eigenemRadiosender und
Gemeinschaftsküchen. Siekommen so-
wohl aus der Umgebung – viele sprechen
baskisch – als auch aus demAusland.
ZweiTage vor Beginn des Gipfels sind
viele mit demBasteln vonTr ansparen-
ten beschäftigt. Sie fordern das Ende von
Sexismus und Diskriminierung, vonRas-
sismus, Kapitalismus und Imperialismus.
Eine Delegation von Gelbwesten hat ein
«village jaune» eingerichtet, mit eigener
Bar und Diskussionsveranstaltungen. Sie
bereiteten unter anderem dieRückkehr
im Herbst vor, erzählt einer von ihnen.
Was sich im Zeltlager an den ver-
schiedenenTr ansparentenund Flugblät-
tern zeigt, wird auch imKongresszentrum
in Irun deutlich: Einig sind sich die Gip-
felgegnervor allemin ihrer Ablehnung
gegenüber dem «System». Zusammen mit
der französischen Grenzstadt Hendaye
ist IrunVeranstaltungsort des offiziellen
Teils von G-7 Ez. Mehr als 100 Nicht-
regierungsorganisationen haben die drei
Tage dauerndeKonferenz organisiert,
fast die Hälfte von ihnen stammt aus dem
Baskenland.Auf einem derPanels pro-
ben die Chefs der französischen Gewerk-
schaft CGT und von GreenpeaceFrank-
reich dieKonvergenz des Kampfs, also
die Zusammenführung von sozialer Ge-
rechtigkeit und Umweltschutz.

Einwohner nehmenReissaus


Einfacher gelingt das auf der Strasse.
Für Samstag ist in Hendaye eine grosse
Demonstration angekündigt – und be-
willigt worden. DajeglicheVersammlun-
gen in Biarritz verboten sind und 13 200
Sicherheitskräfte die Stadt schützen,
fürchten umliegende Gemeinden wie
Hendaye, Urrugne,Anglet undBayonne
unbewilligteKundgebungen undAus-
schreitungen. In Biarritz haben sich an-
gesichts der grossräumigenSperrzonen
und der omnipräsentenPersonenkon-
trollen viele der rund 25 000 Einwoh-
ner entschieden, die Stadt zu verlassen.
MancheLaden- undRestaurantbesitzer
sind vomRathaus allerdings angewie-
sen worden, ihre Betriebe offenzuhal-
ten.Falls sich Mitglieder der Delegatio-
nen doch aus dem Hotel wagen,sollen
sie aufkeinenFall den Eindruck gewin-
nen, Biarritz sei eine Geisterstadt.

Ein französischer Protestkünstlerzeichne tdie Konterfeis der G-7-Leaderind en Sand am Strand von Biarritz. JULIEN DE ROSA / EPA

Israel bringt die Amerikaner im Irak in Schwieri gkeiten


Der Angriff auf ein ira nisches Waffenlager provoziert schiitische Milizionäre, die jetzt den US-Truppen droh en


INGAROGG


In den letzten vierWochen sind im Irak
mindestens dreiWaffenlager von pro-
iranischen schiitischen Milizionären
explodiert. In mindestens einemFall ist
dafür Israel verantwortlich, wie ameri-
kanischeVertreter amFreitag bestätig-
ten. Demnach bombardierte die israeli-
sche Luftwaffe imJuli dasWaffendepot
von Milizionären im Zentralirak.Dabei
seien zwei iranischeKommandanten ge-
tötet worden, zitierte die Nachrichten-
agentur AP zweinichtgenannte ameri-
kanischeVertreter.
Der Angriff auf den Stützpunkt bei
Amerli, einer mehrheitlich schiitisch-turk-
menischen Stadt südlich von Kirkuk, löste
eine schwere Explosion und ein grosses
Feuer aus.Angeblich hatte Iran kurz vor
dem Luftangriffam19.Juli ballistische
Raketen, die auch Israel hätten treffen
können, in den Irak geschafft und auf dem
Stützpunkt gelagert. EineWoche danach
kames nordöstlich vonBagdad auf einer
Basis der mächtigenBadr-Organisation,


die einst in Iran gegründet worden war, zu
einer schweren Detonation.Vergangene
Woche ging einWaffenlager in einerBasis
im Süden vonBagdad in die Luft,diege-
meinsam von Milizionären undderBun-
despolizei genutzt wird.Durch die herum-
fliegenden Artilleriegeschosse wurde
mindestens einePerson getötet und wur-
den fast 30Personen verletzt. DieFeuer-
wehr brauchte fast fünf Stunden, um den
Grossbrand nahe dem dicht bewohnten
Stadtviertel zulöschen. DerjüngsteVor-
fall ereignete sich am Dienstag auf einem
Milizenstützpunkt inBalad nördlich von
Bagdad. In unmittelbarerNachbarschaft
befindet sich eine der grössten irakischen
Militärbasen desLandes, auf der auch
amerikanische und andere ausländische
Soldatenstationiert sind.

Netanyahu bestätigt indirekt


Bereits unmittelbar nach derExplosion
desWaffendepots in Amerli machten
schiitische Milizionäre, die engeVerbin-
dungen mitTeheran unterhalten, Israel

für den Angriff verantwortlich.Von ira-
kischer Seite hiess es zunächst aber, die
falscheLagerung oder Handhabung der
Waffen sei der Grund für die Detonation.
Nach demVorfall im Süden vonBagdad
signalisierte indesauch dieRegierung,
dass es sich um eine SerievonAngriffen
handelnkönnte, hinter der eine auslän-
dische Macht steckt.Jedenfalls ordnete
MinisterpräsidentAdel Abdul-Mahdi an,
dass die Amerikaner und ihreVerbünde-
ten ihreMilitärflüge imVorfeld von ihm
bewilligen lassen müssen. Mächtige Mili-
zenchefshaben seitdem Israel für sämt-
liche Angriffeverantwortlich gemacht.
Die «NewYorkTimes» zitierte amFrei-
tag zwei amerikanischeVertreter, die
sagten, Israel habe in den letztenTagen
mehrereWaffenlagerbombardiert.
Israel hat sich bisher offiziell nicht zu
denVorwürfen geäussert, indirekt schien
sie Ministerpräsident Benjamin Netan-
yahu vor wenigenTagen jedoch zu be-
stätigen.Auf eine entsprechendeFrage
einesJournalisten amRande seines Be-
suchs in der Ukraine sagte er: «Iran hat

keine Immunität, nirgendwo.»Wann
immer es nötigsei, gehe Israel gegen die
Iraner vor. Israel bombardiert seitJah-
ren mutmassliche Stellungender Iraner
inSyrien.Aus israelischer Sicht versucht
Teheran deshalb inzwischen verstärkt, im
Irak ballistischeRaketen zu stationieren.
Grundsätzlich verfolgen dieIsraeli
und Amerikaner in derRegion ein ge-
meinsames Ziel, nämlich Iran und seine
Stellvertreter zu schwächen. Im Irak ist
dieLage für die Amerikaner freilichkom-
plizierter. Dort haben die Hashd al-Shabi,
wie sich derVerbund der schiitischen
Milizionäre nennt, eine wichtigeRolle im
Kampf gegen den Islamischen Staat (IS)
gespielt. DieRegierung versucht sie heute
in die offiziellen Sicherheitsstrukturen zu
integrieren,was allerdings nur zögerlich
vorankommt. EineKonfrontation kann
und will sich die Regierung nicht leisten,
und sie wäreauch nicht im Interesse der
Amerikaner, da sie unweigerlich zu einer
neuerlichen Destabilisierung des kriegs-
geschädigtenLandes führen würde. Das
machte amFreitag der ehemalige Minis-

terpräsident Nuri al-Maliki deutlich. Soll-
ten sich die Berichte über die israelischen
Angriffe bestätigen, werde es eine starke
Reaktion geben, sagte Maliki, ein treuer
VerbündeterTeherans.

Militär will dieWogen glätten


Unter denproiranischen Fraktionen
stärktdas israelische Eingreifen dieRufe
nach einem Abzug der rund 50 00 ame-
rikanischen Soldaten im Irak. Die Hizb-
ullah-Brigadenmachten die Amerikaner
direkt verantwortlich. In einer Erklärung
drohten sie, falls es zu einerKonfrontation
komme, werde diese erst enden, wenn die
amerikanischenTr uppen «ein für alle Mal
aus dergesamtenRegion verschwinden».
Dass die Amerikaner Informationen
über Operationen ihres israelischenVer-
bündeten durchsickern lassen,dürfte ein
Versuch sein, dieWogen zu glätten.Das
Militär betonte dieseWoche, seine Mis-
sion sei die Unterstützung der Iraker im
Kampf gegen denIS.Dabei hielten sich
die US-Tr uppenan irakische Gesetze.
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