Neue Zürcher Zeitung - 22.08.2019

(Greg DeLong) #1

30 WIRTSCHAFT Samstag, 24. August 2019


Gespräche über Freihandelsabkommen stocken


Über 700000 Arbeitsplätz e hängen in den USA und in der Schweiz direkt vombilateralen Handel sowie den Direktinvestitionen ab


NICOLERÜTTI


Als US-Aussenminister MikePompeo
imJuni die Schweiz besuchte,war er vol-
ler Lob für sie. Sie sei für amerikanische
Unternehmen ein grossartiger Ort, um
Geschäfte zu tätigen, liess er beimTr ef-
fen mit Bundesrat Ignazio Cassis in Bel-
linzona verlauten. Die wirtschaftlichen
Interessen seien eng verknüpft. Gleich-
zeitig wiesPompeo darauf hin, dass Ge-
spräche über ein möglichesFreihandels-
abkommen sich zwar in der Anfangsphase
befänden. Doch er sei zuversichtlich, dass
man ein für beideLänder zufriedenstel-
lendesResultat erzielen werde. Grosse
Fortschritte sind ausgeblieben, auch
wenn hinter denKulissen weiterhin Son-
dierungsgespräche zwischen dem Staats-
sekretariat fürWirtschaft (Seco) und
dem Büro des US-Handelsbeauftrag-
ten (USTR) laufen. Grund für den sto-
ckendenVerlauf sind unter anderem die
sich weiter zuspitzenden Handelsstreitig-
keiten zwischen den USA und China, die
das USTR in Beschlag nehmen. Zeit, um
auf die Sonderwünsche eines Kleinstaa-
tes einzugehen, bleibt kaum.


EngeVerflechtung


DieVorteile einesFreihandelsabkom-
mens lägen jedoch auf der Hand. Da
die Zölle auf beiden Seitenrelativ nied-
rig sind, stünde der Abbau nichttarifärer
Handelshemmnisse imVordergrund. Be-
reits heute sind die beidenLänder eng
miteinander verflochten.Das Export-
volumen der Schweiz gegenüber ihrem
zweitwichtigsten Handelspartner ist
höher als dieAusfuhren nachFrank-
reich, Italien und Grossbritannien zusam-
men.Es hat sich in den letzten zehnJah-
renbeinahe verdoppelt auf 37,9 Mrd.Fr.,
was vor allem der hohen Nachfrage nach
hiesigen Pharmaprodukten zu verdanken
ist. Bemerkenswerterweise entfallen auf
Arzneimittel und chemische Zwischen-
produkte praktischkeine Zölle, was den
Warenverkehr markant beflügelt haben
dürfte.Sie profitieren nämlich seit 1995
von der Zero-for-zero-Initiative,auf die
sich Kanada, die EU-Staaten, Japan, Nor-
wegen, Macau (China) sowie die Schweiz
und die USA imRahmen der WTO-Uru-
guay-Runde geeinigt haben.
Auch bei den Dienstleistungen sind die
Länder eng verbunden.Laut einer Studie
des SchweizerThink-TanksAvenir Suisse
stammt rund einViertel der Dienstleis-
tungsimporte der Schweiz aus den USA.
Dabei handelt es sich um teilweise hoch-
spezialisierte Tätigkeiten wieForschung
und Entwicklung (F&E),Versicherungs-
dienste oder die Lizenzierung innovati-


ver Produkte. Interessanterweise ist der
Dienstleistungsverkehr zwischen beiden
Ländern – anders als beimWarenhandel,
wo die Schweiz deutlich mehr Güter in
den USA verkauft als umgekehrt – mit
27 Mrd.Fr. (2017) etwa ausgeglichen.Auf-
grund ihrer Grösse fällt die Schweiz für
die USAallerdings deutlich weniger stark
ins Gewicht. Sie ist für die Amerikaner
der zehntwichtigste Handelspartner.

Die USA profitierenmehr


Die hiesigeVolkswirtschaft erzielt zwar
imWarenverkehr mit den USA einen
Überschuss, doch die Bilanz ändert sich,
wenn man den Kapitalfluss hinzuzieht:
Mit 305 Mrd.Fr.investiert die hiesige
Volkswirtschaft nämlich deutlich mehr in
den USA als der amerikanischePartner
in der Schweiz (135 Mrd.Fr.). Die bila-
teralen Handelsbeziehungen (Waren,
Dienstleistungen sowie Investitionen)
sichern bereits heute über 70 0000 direkte
Arbeitsplätze, davon rund 260 000 in der
Schweiz und 450 000 in den USA.Wie
man beiAvenir Suisse festhält, profitie-
ren die USA somit punktoArbeitsplät-
zen mehr von der Schweiz als umgekehrt.

Mit Blick auf bisherigeFreihandels-
abkommen der Schweiz und der USA
lässt sich abschätzen, wie hoch der han-
delsschaffende Effekt eines Abkommens
ausfallen würde. Laut demThink-Tank
wäre fünfJahre nach Inkrafttreten eines
Freihandelsabkommens mit 13 500 zu-
sätzlichen Arbeitsplätzen in der Schweiz
zurechnen und mit 27 500 zusätzlichen
Stellen in den USA.In seiner Analyse ge-
langtPatrickDümmler vonAvenir Suisse
zum Schluss, dass derWarenhandel um
14 Mrd.Fr. gesteigert werdenkönnte.
Das wäre für die Schweiz ein merk-
licher wirtschaftlicher Impuls. Der Stel-
lenzuwachs entspricht ungefähr einer
Firma der GrössevonRoche oder Novar-
tis (im Inland).Anders sieht jedoch die Si-
tuation für die USA aus: Die Nachricht
von 28 000 zusätzlichen Stellen werde die
USA nicht vom Hockerreissen, urteilt
Martin Naville, CEO der Schweizerisch-
Amerikanischen Handelskammer. Tat-
sächlich dürfte die Zahl – in einemLand,
in dem in den zurückliegendenJa hren
200000 zusätzlicheJobs pro Monat ent-
standen sind – nicht gross ins Gewicht fal-
len. Berücksichtigt wurden in der Ana-
lyse vonAvenir Suisse allerdings nur die-

jenigen Stellen, die direkt dem intensi-
viertenWarenhandel zugerechnet werden
können. Gleichzeitig zeigt man sich bei
der Denkfabrik überzeugt, dass ein Han-
delsabkommen zu deutlich mehr Rechts-
sicherheit führen würde,was wiederum
die Direktinvestitionen ankurbeln und zu
einemweiteren Wachstum von Stellen für
hochqualifizierte Arbeitskräfte beitragen
würde.Auch Unsicherheiten wie plötz-
liche Zollerhöhungen oder Einschrän-
kungen beimgeistigen Eigentumkönnten
reduziert werden.Dümmler macht denn
auch ein gewisses positives Momentum
aus, das es zu nutzen gelte.
Ob die beidenLänder sich annähern
werden, bleibt gleichwohl ungewiss. Es
sind nicht nur die Handelsstreitigkeiten
mit China, die der Schweiz einen Strich
durch dieRechnung machenkönnten.
Auch dieVerhandlungen mit Grossbri-
tannien, die sich imFalle eines ungeregel-
ten Brexits rasch intensivieren würden,
könnten die Schweiz ins Abseits manö-
vrieren. Die meisten Beobachter gehen
davon aus, dass sich das Zeitfenster mit
dem beginnenden Präsidentschaftswahl-
kampf in den USA schliessen wird. Als
Stolperstein dürfte sich einmal mehr der

Widerstand der SchweizerLandwirt-
schaft gegenüber einer Öffnung erweisen.
Ohne Konzessionen bei Agrargütern sind
die Gespräche zum Scheiternverurteilt.
AvenirSuisse sieht mehrere Mög-
lichkeiten, um denKonflikt in derLand-
wirtschaft abzufedern: längereÜber-
gangsfristen für die Marktöffnung, das
Zugestehen eines begrenzten, zusätz-
lichenKontingents an die USA, das
zollfrei in die Schweiz importiert wer-
den kann sowie gezielte Zollsenkun-
gen für bestimmte Agrarprodukte, wo-
für im Gegenzug für die Schweiz heikle
ProduktevomFreihandel (vorerst) aus-
genommen würden. Interessanterweise
stuftAvenir Suisse das tatsächliche Pro-
blem zusätzlicher Rindfleischimporte als
gering ein. Denn bereits heute importiert
die Schweiz14% ihres jährlichen Bedarfs.
Es wäre möglich, den USA ein zollredu-
ziertesKontingent fürRindfleisch anzu-
bieten,ohne dass dies grosseAuswirkun-
gen auf SchweizerProduzenten hätte.So
weist man unter anderem auch bei der
Migros darauf hin, dass der Detailhandel
auf Importe angewiesen sei.

Probleme beimSchweinefleisch


Anders präsentiert sich die Situation im
Markt für Schweinefleisch, wo zusätzliche
Einfuhren aufgrund des hohen Inland-
anteils wohl zu spürbaren Marktanpas-
sungen führen würden.Längere Über-
gangsfristenkönnten dazu beitragen, den
möglichen Strukturwandel für die Züch-
ter sozialverträglicher zu gestalten.
Widerstand seitens derBauernlobby
ist aber programmiert–trotz frühzeitiger
Einbindung in die Gespräche. Zwar sei
man nicht grundsätzlich gegen solche Ab-
kommen, lässt man beimBauernverband
ausrichten. Klar sei aber, dass ein schlecht
verhandeltes Abkommen für dieLand-
wirtschaft grosse Probleme mit sich brin-
genkönne. DerVerband warnt denn auch
präventiv vor fehlenden gesetzlichenVor-
gabenin den USA, demPreisgefälle und
Produktionsmethoden, die in der Schweiz
verboten seien.
Von fehlenden gesetzlichenVorgaben
kann in den USA nichtdie Rede sein.Und
Konsumenten in der Schweiz sind mündig
genug zu entscheiden, ob sie für Schwei-
zer Produkte den (nicht unerheblichen)
Preisaufschlag für Lebensmittel zu berap-
pen bereit sind. Eine aus eigenem Antrieb
verbesserte Deklaration von Herkunft
und Produktionsmethoden böte dafür
eine wichtige Grundlage. Mit einem Ab-
schluss derVerhandlungen zwischen den
Efta-Staaten und den Mercosur-Ländern
könnte die Schweiz zeigen, dass sie zu
Konzessionen im Agrarbereich bereit ist.

DasVolumen des Handels der Schweiz mit den USA hat sich in den letztenzehn Jahren beinahe verdoppelt. Blick in die Prod uk-
tionshallender Firma K+D in St. Gallen, die Kartonverpackungen fürMedikamente herstellt und bedruckt. CHRISTOPH RUCKSTUHL / NZZ

Das Management von U-Blox behält die Nerven


Trotz einem Gewinneinbr uch hält der Thalwiler Chipdesigner an seinemforschungsintensiven Geschäftsmodell fest


GIORGIOV. MÜLLER


Die Technologiebranche ist an sich
schonvolatil.Besonders heftig fallen die
Schwankungen für Zuliefererfirmen wie
das Unternehmen U-Blox aus, das Chip-
sets und ganze Module für die drahtlose
KommunikationundPositionierung ent-
wickelt, dieKomponenten bei den gros-
senAuftragsfertigern in Asien einkauft
und seine Produkte an eineVielzahl inter-
nationaler Abnehmer verkauft.


Stimmung hat gedreht


Technologischkonzentriert sich dieFirma
mit Sitz inThalwil auf die beiden Mega-
trends Mobilität (mehr Elektronik in
Fahrzeugen, autonomesFahren) und die
zunehmende Anbindung von Geräten
ans Internet (Internet ofThings), was
derFirma vor allem im Industriebereich
lukrative Möglichkeiten eröffnet. So setzt
zum Beispiel Schindler auf U-Blox-Mo-
dule, welche dieKommunikation zwi-
schen SmartphoneundAufzügen in Ge-
bäudenermöglicht. DieseWachstums-
trendsseien alle nach wie vor intakt, auch


wenn derzeit eine starkeVerunsicherung
bei denKunden feststellbar sei, sagtKon-
zernchefThomas Seiler im Gespräch.
Dass die Zahlen in der erstenJahres-
hälfte so unerwartet schwach ausgefal-
len sind (vgl.Tabelle), lastet Seiler der
durch Handelsdispute ausgelösten Stim-
mung in der Branche an. Seit März habe
die Stimmung gedreht, weshalb die bis-
herigenVorgaben für das laufende Ge-
schäftsjahr nichtmehr erreichbar seien,
rechtfertigt die amFreitag publizierte
«Gewinnwarnung». Für 20 19 rechnet U-
Blox nun mit einem stagnierendenUm-
satz sowie einem nur noch halb so hohen
Betriebsgewinn wie imVorjahr, was auf
eine kümmerliche Ebit-Marge von rund
5% hinausläuft.
Das Unternehmen ist zweistellige Um-
satzsteigerungen und drei Mal höhere
Margen gewohnt. Entsprechend harsch
fiel dieReaktion an der Börse aus: Der
Kurs der U-Blox-Valoren notierte am
Freitag zeitweise um18% unter dem
Vortagesschluss. Seit dem Höchstkurs
im Sommer 20 16 hat sich der Unter-
nehmenswert fast geviertelt. Ungeach-
tet der derzeitigen Flaute und desKurs-

einbruchs hält das U-Blox-Management,
das inForm von Aktienoptionen direkt
am Unternehmenserfolg beteiligt ist,
an der stets stark forschungsintensiven
Strategie fest.Auch im ersten Semester
floss rund einFünftel der Einnahmen in
dieForschung und Entwicklung, in der
zwei Drittel der U-Blox-Mitarbeiter tä-
tig sind.«Das müssen wirdurchziehen.»
Sonst würde dieWettbewerbsfähigkeit
des Unternehmens darunter leiden, fügt
Seiler bei. «Forschung und Entwicklung
sind das Herz derFirma.» Allein am Sitz
inThalwil sind derzeit 15 Stellen unbe-
setzt.Das Geschäftsmodell sei so struktu-

riert, dass auch in einem schwachenJahr
wie 20 19 ein freier Cashflow erarbeitet
werdenkönne. Sogar von den ambitiö-
senMittelfristzielen (Umsatzverdoppe-
lung in fünfJahren, Ebit-Margen 12 bis
15%) will Seiler wegen des «zweijährigen
Durchhängers» nicht abweichen.
In der Berichtsperiode verkaufte U-
Blox rund 15 Mio. (–3,5%) Module und
26 Mio. Chipsets (–10%). Der Markt für
Positionierungschips für Mietvelos sei in
China zum Erliegen gekommen, stattdes-
sen profitiere U-Blox vom Elektroscoo-
ter-Boom in den westlichen Städten. Um
sich ein grösseres Stück derWertschöp-
fungskette zu sichern, forciert das Unter-
nehmen das Modulgeschäft, bei dem fer-
tigeKommunikationslösungen mit eige-
nen integrierten Schaltungen verkauft
werden. Offenbar gelingt dies, denn mitt-
lerweile werden mit Modulen dreiVier-
tel des Umsatzes bestritten.Das hilft auch
der Bruttomarge,die mit 45,2% stabil ge-
halten werdenkonnte.
Das Unternehmen rühmt sich, das ein-
zige zu sein, das solche Module miteige-
nen Chipsets anbietenkönne. Ein wei-
tereTrumpf sei die Lieferzuverlässigkeit;

98,6% der Bestellungen würdenrecht-
zeitig beimKunden eintreffen. Mit Blick
auf die schwierigeVerfügbarkeit gewisser
elektronischerKomponenten in den ver-
gangenen Monaten ist das ein guterWert,
erfordert aber auch eine gewisseLager-
haltung solcherTeile, was Kapital bindet.
Die verunsichertenKunden würden ihre
Bestände eher abbauen, sagtSeiler, was
die Nachfrageschwäche akzentuiere. Dies
sei mit ein Grund, weshalb U-Blox.

Breite Kundenbasis


Immerhin ist es dem Unternehmen gelun-
gen, dieKundenbasis zu verbreitern. In
den USA ist jüngst für7, 4 Mio. Fr. einTeil-
bereich von Rigado übernommen wor-
den, ein Bereich, der jährlich rund 10 Mio.
Fr. umsetzt. Obwohl mit diesem Schritt
nur sieben neue Mitarbeiter übernom-
men werden, sind auf einen Schlag 10 00
zusätzlicheKundenhinzugekommen. Der
Kundenstamm von U-Blox umfasst nun
6700 Adressen, weshalb die Abhängigkeit
von einzelnenKunden gering ist. Mit den
100 grössten werden über 80% der Ein-
nahmen generiert.

U-Bloxin Zahlen
Geldwerte in Mio. Fr. (IFRS)
Januar bis Juni 2018 2019 ± %
Umsatz 199,0 190,6 –4
Betriebsergebnis Ebit 28,5 14,9 –48
Ebit-Marge (%) 14,3 7,8 –
Konzernergebnis 25,1 9,7 –62
Cashflow aus Geschäftstätigkeit 13,7 33,1 142
Eigenkapitalquote (%) 62,0 60,5 –
Personalbestand (Vollzeit) 1020 1021 unv.
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