Süddeutsche Zeitung - 02.09.2019

(John Hannent) #1
Ergebnisse mindestens verdoppeln, in
mehreren Städten Direktmandate holen –
und dann regieren, irgendwie. So etwa sah
der Plan aus, mit dem die Grünen am Sonn-
tag in die Landtagswahlen in Brandenburg
und Sachsen gezogen waren. Lange vor
den ersten Hochrechnungen stand für vie-
le in der Partei schon fest: Es sollte ein er-
folgreicher Abend werden. Nach Jahren im
politischen Abseits sahen die Grünen gute
Chancen, in Potsdam und Dresden mitzu-
regieren. Nach Thüringen und Sachsen-An-
halt säßen sie damit bereits in der vierten
ostdeutschen Landesregierung.
Als bei der grünen Wahlparty in Pots-
dam die ersten Hochrechnung bekannt
werden, gibt es denn auch entschlossenen
Applaus und ein paar Juchzer, später aber
auch einige nachdenkliche Gesichter. Bei
etwa zehn Prozent liegen die Grünen in
Brandenburg am Abend. 2014 waren sie
auf 6,2 Prozent gekommen. Damit gehört
die Partei zu den Wahlsiegern des Abends.
Der Erfolg aber ist deutlich kleiner ausge-
fallen als von Wahlforschern bis zuletzt an-
gekündigt. Und in Sachsen, wo die Grünen
2014 gerade mal auf 5,7 Prozent gekom-
men waren, sacken sie im Lauf des Wahl-
abends auf gut acht Prozent, es bleibt bei ei-
nem einstelligen Ergebnis.
„Das ist ein Riesenwahlerfolg für uns al-
le“, sagt die Parteivorsitzende Annalena Ba-
erbock am Abend in Potsdam. Ihr fällt nun
die Aufgabe zu, ein eher mittelprächtiges
Ergebnis als tolles Resultat zu loben. „Wir
haben die Stimmung gedreht. Die Wahlbe-
teiligung ist deutlich angestiegen. Die Leu-

te sagen, das ist unser Land“, ruft Baer-
bock. Mit Blick auf Sachsen räumt Partei-
chef Robert Habeck später ein, es sei „of-
fensichtlich, dass zur CDU auch Grünen-
wähler gegangen“ seien, um dieser in Sach-
sen den ersten Platz vor der AfD zu sichern.
Mit der Wahlbrandenburgerin Annale-
na Baerbock und ihrem Kompagnon Ro-
bert Habeck waren zwar zwei starke Bun-
desvorsitzende durch den Wahlkampf ge-
tourt. Eins zu eins aber lässt der Bundes-
trend der Grünen sich auf Ostdeutschland
nicht übertragen. Immerhin, nach Jahren,
in denen die Grünen dort gegen den Ruf ei-
ner spinnerten Westpartei kämpften, war
der Ton bei Wahlveranstaltungen diesmal

geradezu höflich. In Potsdam, Dresden
oder Leipzig sahen die Grünen neue Allian-
zen aus Engagierten gegen rechts und Um-
weltfreunden wachsen. In Potsdam konn-
te die Kommunalpolitikerin Marie Schäf-
fer sogar das Direktmandat erobern – das
einzige für die Grünen in Brandenburg. In
Leipzig und Dresden gelang das den Grü-
nen Christin Melcher und Thomas Löser.
Kniffligste Aufgabe der Partei dürfte
das Erwartungsmanagement werden.
Denn was auf Sachsen und Brandenburgs
Grüne zukommt, könnte nicht nur ambitio-
nierten Neumitgliedern, sondern auch den
Bundesgrünen vor Augen führen, wie hart
Realpolitik sein kann. Insbesondere in
Sachsen, wo ein guter Teil der CDU der AfD
nahesteht, dürften die Grünen Not haben,
mit einem einstelligen Wahlergebnis ihre
Ideen durchzusetzen. Hier zeichnete sich
am Abend eine stabile Mehrheit nur für ei-
ne Kenia-Koalition aus CDU, SPD und Grü-
nen ab.
In Brandenburg reichte es zunächst
ganz knapp für ein rot-rot-grünes Bünd-
nis. Ob es dazu kommt, ist ungewiss. „Nur
eine Laufzeitverlängerung für Rot-rot
wird es mit uns nicht geben“, kündigte
Brandenburgs grüne Spitzenkandidatin
Ursula Nonnemacher an. Das zielte auf die
müde wirkende Landesregierung aus SPD
und Linken. Letztere gehört zu den Verlie-
rern des Abends. Eine breitere Mehrheit
hätte in Brandenburg ohnehin eine Koaliti-
on aus SPD, CDU und Grünen. Die Sondie-
rungen dürften haarig werden.
constanze von bullion

Wie seltsam abseits die Bundespartei in
diesenschwierigen Stunden wirkt: In Bran-
denburg hat es Spitzenkandidat Dietmar
Woidke zwar noch einmal geschafft, die
AfD abzuhängen. Aber die Rechtspopulis-
ten sind stark geworden mit deutlich mehr
als 20 Prozent. In Sachsen? Da bleibt nicht
viel übrig von der SPD. Sie ist nun einstel-
lig im Ergebnis. Thorsten Schäfer-Güm-
bel, einer von drei kommissarischen SPD-
Chefs sagt, dieser Abend löse „gemischte
Gefühle“ in ihm aus. Was soll er auch sa-
gen? Ein Sieg, über den man sich nicht rich-
tig freuen kann. Eine Niederlage, die Angst
macht.
Die SPD im Bund steht quasi unter Not-
verwaltung mit ihren drei kommissari-
schen Vorsitzenden, den Vizes Thorsten
Schäfer-Gümbel, Malu Dreyer und Manue-
la Schwesig. Sie simulieren trotzdem Nor-
malität. Die Chefs gehen zu den Treffen
der Koalitionsspitzen. Sie bereiten Be-
schlusspapiere vor. Sie erklären Ergebnis-
se bei Landtagswahlen wie diese – zu dritt.
Schäfer-Gümbel sagt: Woidke und sei-
ne Leute hätten gezeigt, dass es sich lohnt,
„bis zum Schluss zu kämpfen“. Der Vor-
sprung zur AfD – ein Erfolg. Sie hätten
„Haltung gezeigt“. Dreyer meint, die The-
men hätten gestimmt, die Idee zur Vermö-
gensbesteuerung, der Soli-Abbau. So müs-
se es weitergehen. Schwesig, Regierungs-
chefin in Mecklenburg-Vorpommern,
sagt, ostdeutsche Interessen müssten stär-
ker wahrgenommen werden. Auf AfD-Wäh-
ler müsse die SPD zugehen. Mit der Partei
werde es keine Zusammenarbeit geben.


Die Spitzenkandidaten Woidke in Bran-
denburg und Martin Dulig in Sachsen be-
kommen jetzt jede Menge Zuspruch. Aber
sie waren am Ende auch ganz auf sich al-
lein gestellt. Obwohl der Übergangsfüh-
rung im Willy-Brandt-Haus klar war, wel-
ches Risiko sie mit Blick auf die Landtags-
wahlen im Osten eingeht, entschied sie
sich für ein monatelanges Verfahren zur
Kandidatensuche. Allein die Bewerbungs-
frist lief bis zum Wahltag am Sonntag. Vol-
le zwei Monate, ohne dass klarer wurde,
wo die Partei hinsteuert. Die Mitglieder sol-
len demnächst befragt werden. In solchen
Zeiten als Wahlkämpfer eine Antwort auf
die Frage zu geben, wozu es die Sozialde-

mokratie noch brauche, falle schwer, be-
richtet einer aus Sachsen, der sich Tag für
Tag den Bürgern stellen musste.
Die kommissarische Spitze muss sich al-
lenfalls das verkorkste Verfahren vorwer-
fen lassen. Gut möglich, dass Schäfer-
Gümbel, Dreyer und Schwesig in den
nächsten Tagen dafür noch mal Kritik aus
der Partei zu hören bekommen. Als Über-
gangschefs tragen sie aber nicht die Ge-
samtverantwortung für den beklagenswer-
ten Zustand der Partei. Und ohne den Er-
folg von Woidke in Brandenburg wäre die-
ser Tag noch viel bitterer. Im Willy-Brandt-
Haus lässt sich diesmal niemand so leicht
zum Sündenbock machen. Aber die Verlus-
te legen offen, vor welch gewaltigen Aufga-
ben die Neuen an der Spitze stehen wer-
den. In Sachsen etwa hat sich gezeigt, wie
verkümmert die Parteistrukturen dort
mittlerweile sind.
Im anstehenden Wahlkampf um den
Parteivorsitz dürften die Ergebnisse vom
Wahlsonntag vor allem Olaf Scholz zu
schaffen machen. Der Vizekanzler und Fi-
nanzminister tritt – nachdem er erst nicht
wollte – doch an. Mit der brandenburgi-
schen Landespolitikerin Klara Geywitz will
er die SPD führen. Scholz steht für die gro-
ße Koalition. Er will die Arbeit im Bündnis
ordentlich zu Ende führen. Er vertritt das
Groko-Lager. Aber die Widerstände gegen
das Bündnis sind gewachsen. Und dieser
Wahlsonntag dürfte die Kritiker in ihrer
Ansicht bestärken, dass jeder weitere Tag,
jede weitere Woche als Teil der Groko der
SPD nur schadet. mike szymanski

Raus aus der Abseitsfalle


Nach jahrelangen Misserfolgen gewinnen die Grünen wieder in Ostdeutschland


von jens schneider

D


ie Bismarckhöhe liegt in der Klein-
stadt Werder vor den Toren Pots-
dams an einem der höchsten Punk-
te des Ortes. Es ist ein stattliches Ausflugs-
lokal mit einem Ballsaal und einer mehr
als hundertjährigen Geschichte. Unten
breitet sich die Havel aus. Manchmal ist im
Ballsaal richtig was los, im Frühjahr feierte
die Stadt hier ihren Blütenball, mit dem rei-
fen Schlagersänger Howard Carpendale
als Stargast. An diesem Sonntagnachmit-
tag demonstrieren Bürger an der Zufahrts-
straße. „Nazis raus“-Rufe begleiten Gäste,
die sich auf den Weg in den Saal machen.
Dort feiert die AfD einen Erfolg, der sich so
lange abzeichnete, dass die Euphorie ohne
das Gefühl der Überraschung auskommen
muss. Dennoch herrscht gewaltiger Lärm,
als das Ergebnis bekannt wird.
Auf der Bühne steht um 18 Uhr neben
dem Brandenburger Spitzenkandidaten
Andreas Kalbitz überraschend Björn Hö-
cke vom äußerst rechten „Flügel“, der Thü-
ringer Landesvorsitzende. Er gehört nicht
der Bundesspitze an, aber wird an diesem
Abend viele Interviews geben. So zeigt der
„Flügel“ Präsenz. Erst mal skandieren die
Anhänger „Kalbitz, Kalbitz“. Der Branden-
burger Landeschef nimmt das Mikrofon.
Es zeige sich, so sagt er: „Die AfD ist gekom-
men, um zu bleiben.“ Gewiss, er habe „auf
das Sahnehäubchen gehofft“, die AfD woll-
te stärkste Partei werden. Aber das Ergeb-
nis übertreffe seine Erwartungen, „und
jetzt geht es erst richtig los“.
Andere verbergen weniger, dass dies ein
Triumph ist, bei dem die AfD doch hinter
den Erwartungen geblieben ist, die zuletzt
intern immer weiter gewachsen waren.
Alexander Gauland, der Fraktionschef im
Bundestag, bedauert später bei einer kur-
zen Ansprache im Ballsaal, dass man nicht
vorn liegt: „Ja, ich gebe zu, wenn wir Num-
mer eins geworden wären, das wäre noch
schöner.“ Es ist ein gewaltiger Zuwachs,

mit dem die in Brandenburg besonders
rechte AfD zum zweiten Mal in den Land-
tag zu Potsdam einzieht. Noch besser steht
sie in Sachsen da. Nicht erfüllt haben sich
die Träume jener, die ihre Partei auf dem
Weg an die Regierungsmacht sehen und
glauben, bald so stark zu sein, dass an der
AfD vorbei nicht regiert werden könnte.
Die Spitzenkandidaten Kalbitz, ein Münch-
ner an der Brandenburger AfD-Spitze, und
der Sachse Jörg Urban wurden im Wahl-
kampf als nächste Ministerpräsidenten an-
gepriesen. Dabei will sich keine andere Par-
tei ein Bündnis mit ihnen vorstellen. Die
beiden haben keine Machtoptionen.
„Uns kriegt man aus der deutschen Poli-
tik nicht mehr weg“, sagt Gauland. Aber
was werden sie bewegen? Nach dem Erfolg
wird auch in der AfD-Parteispitze den
meisten bewusst sein, dass sich für sie in
diesen Ländern politisch erst mal wenig
verändern wird. Dagegen dürfte das Ergeb-
nis für das instabile Gefüge der AfD von
großer Bedeutung sein. Die Partei ist zerris-
sen zwischen dem „Flügel“ und ihren et-
was pragmatischeren Kräften. Nach dem
„Kyffhäuser-Treffen“ des „Flügels“ eska-

lierten im Sommer die Spannungen. Die
rechte Galionsfigur Höcke hatte sich dort
mit einer Fahnenzeremonie als Führerfi-
gur inszenieren lassen, inklusive einer
Kampfansage an den Bundesvorstand. In
der Parteiführung reagierte sogar Alexan-
der Gauland, der Höcke stets geschützt hat-
te, irritiert. Mehrere Landesvorsitzende
veröffentlichten einen gegen Höcke gerich-
teten Appell, er solle sich auf seine Aufga-
ben in Thüringen konzentrieren.
Viel mehr noch als Höckes Kampfansa-
ge beunruhigte das Chaos in wichtigen Lan-
desverbänden die Parteiführung. In Nord-
rhein-Westfalen und Bayern blockierten
sich die Höcke-Anhänger und deren Geg-
ner so sehr, dass die Partei kaum noch ar-
beiten könne, erzählt ein führendes Mit-
glied des Bundesvorstands.

Wie Hohn empfanden Höckes Widersa-
cher dessen Appell, man müsse zusam-
menhalten. Es seien doch seine Leute, die
jegliche Zusammenarbeit unmöglich
machten. Als Strippenzieher gilt der Höcke-
Freund Kalbitz, also der Brandenburger
Spitzenkandidat. Der Rechtsaußen habe in
der Bundestagsfraktion und der AfD-Ju-
gendorganisation Junge Alternative an
wichtigen Stellen Vertraute platziert, sa-
gen parteiinterne Gegner. Sein Netzwerk
reiche auch in andere Bundesländer.
Im Wahlkampf herrschte Burgfrieden.
Die Ruhe soll auch in den nächsten Wo-
chen noch andauern, bis zur Landtagswahl
in Thüringen Ende Oktober. Aber die Lager
bereiten sich auf die Machtkämpfe danach
vor. Zum Jahresende muss ein Parteitag ei-
nen neuen Bundesvorstand wählen. Gegen
den Flügel von Höcke und Kalbitz dürfte es
jeder Kandidat schwer haben. Anderer-
seits gilt es als wenig wahrscheinlich, dass
einer der beiden für den Spitzenposten
kandidiert. Höcke ist als Zauderer be-
kannt, Kalbitz kalkuliert Risiken genau.
Die Widersacher von Höcke und Kalbitz
fürchten einen Rechtsruck. Niemand in
der Partei scheint die Autorität zu haben,
die Kontrahenten auf Linie zu bringen. An
diesem Abend in Werder sagt Gauland, er
bitte alle, im Siegestaumel vernünftig zu
bleiben: „Es gibt nur eine AfD.“
Wie begrenzt die Macht der Parteispitze
ist, zeigt aktuell der Konflikt um die Lan-
desvorsitzende von Schleswig-Holstein,
Doris von Sayn-Wittgenstein, dessen Ab-
surdität damit beginnt, dass niemand
weiß, ob die 64-Jährige noch Landeschefin
ist. Nein, findet der Bundesvorstand. Nach
einem monatelangen Verfahren hat das
Bundesschiedsgericht letztinstanzlich ent-
schieden, dass sie aus der Partei ausge-
schlossen wird. Sayn-Wittgenstein, die
dem „Flügel“ nahesteht, wird parteischädi-
gendes Verhalten vorgeworfen.
Mit dem Parteiausschluss verband sich
für die Bundesspitze die logische Folge,
dass sie nicht mehr Landesvorsitzende sei.
Nicht nur Sayn-Wittgenstein sieht das an-
ders, auch der Landesvorstand an der Küs-
te. Der Bundesvorstand droht mit Ord-
nungsmaßnahmen. Es ist nicht der einzige
schwierige Landesverband, so könnte die
Feierstimmung bald neuen Meldungen
über den Kampf AfD gegen AfD weichen.

von robert roßmann

A


uf der Homepage der CDU gibt es ein
Foto, das Annegret Kramp-Karren-
bauer Arm in Arm mit Nico Lange
zeigt, ihrem engsten politischen Vertrau-
ten. Die Aufnahme ist nach der Wahl
Kramp-Karrenbauers zur Parteichefin ent-
standen und ziemlich verwackelt – die Bot-
schaft aber eindeutig. „Überglücklich und
happy: AKK und ihr ‚zweitwichtigster
Mann‘“ steht über dem Foto. Doch seit die-
sem Sonntag gilt das nicht mehr. Eigent-
lich müsste die CDU das Foto sofort zu
Gunsten eines Bildes mit Michael Kretsch-
mer austauschen. Denn der sächsische Mi-
nisterpräsident hat mit seinem unermüdli-
chen Einsatz und einem klug angelegten
Wahlkampf noch stärkere Verluste der
CDU verhindert – und Kramp-Karrenbau-
er damit vor einer Debatte um ihre Füh-
rungskünste bewahrt. Der zweitwichtigste
Mann nach Helmut Karrenbauer ist jetzt
eindeutig Michael Kretschmer.
Bei der Bundestagswahl war die CDU in
Sachsen hinter der AfD gelandet, genauso
wie bei der Europawahl im Mai. Und in den
Umfragen zur Landtagswahl hatten sich
CDU und AfD lange ein Kopf-an-Kopf-Ren-
nen geliefert. Im Juni lagen die Christde-
mokraten noch bei 24 Prozent. Gemessen
daran ist das CDU-Ergebnis vom Sonntag
ein großer Erfolg. Kretschmer ist es gelun-
gen, die Union wieder auf den ersten Platz
zu schieben. Und er wird Ministerpräsi-
dent bleiben. Entsprechend groß war am
Abend die Erleichterung in der Bundes-
CDU. Dass die Union in Brandenburg ein
schlechtes Ergebnis einfuhr, trübte diese
Erleichterung zwar – Generalsekretär Paul
Ziemiak sprach offen von einer „Enttäu-
schung“. Anders als in Sachsen hat die CDU
in Brandenburg aber noch nie sonderlich
gut abgeschnitten.
Außerhalb der Parteizentrale gab es in
der CDU allerdings auch einige, die darauf
verwiesen, dass das Sachsen-Ergebnis
doch ebenfalls schlecht sei – nicht nur ver-
glichen mit den Resultaten der Ära von
Kurt Biedenkopf. Noch bei der Landtags-
wahl 2014 sei die CDU auf 39,4 Prozent ge-
kommen. Aber das war vor dem Flücht-
lingsherbst 2015. Und es war vor der Wie-
derauflage der großen Koalition in Berlin,
die wie eine bleischwere Last auf den Wahl-
kämpfern im Osten lastete.


Mike Mohring, der Spitzenkandidat der
CDU in Thüringen, hat das in den vergange-
nen Wochen immer wieder und erstaun-
lich deutlich moniert. „Den Leuten fehlt
das Vertrauen in die Arbeit der Groko“,
klagte er. Die Bürger würden „denken, die
Politik ist nur mit sich selbst beschäftigt“.
Und manchmal könne man ihnen da gar
nicht widersprechen. Dass es der Bundesre-
gierung immer noch nicht gelungen ist, die
Grundrente zu beschließen, die Union und
SPD in ihrem Koalitionsvertrag verspro-
chen haben, hält er für einen großen Feh-
ler. „Man gewinnt mit der Grundrente kei-
ne Wahlen“, weiß auch Mohring. Aber
durch nicht eingelöste Versprechen könne
man Wahlen verlieren. Auch Kretschmer
hat den Umgang der großen Koalition mit


der Grundrente als unverantwortlich ver-
urteilt.
Mohring und Kretschmer sitzen im
CDU-Präsidium, dem engsten Führungs-
zirkel der Partei. Im August haben sie dort
ihrem Unmut Luft gemacht – aber ohne Er-
folg. Das gilt auch für den Umgang der
CDU mit der Klimapolitik. Dass die Bundes-
partei ausgerechnet vor den Wahlen im Os-
ten, wo sich viele eher um die Kumpel in
der Lausitz sorgen, die Klimapolitik an die
oberste Stelle gerückt hat, halten die bei-
den für einen Fehler. Auch weil sie den Ein-
druck hatten, dass einige in der CDU dabei
eher Vorstellungen der Grünen hinterher-
laufen, statt eigene Konzepte zu präsentie-
ren. Dass CSU-Chef Markus Söder dann
auch noch einen schnelleren Ausstieg aus
der Kohle anmahnte, als ihn die Kohlekom-
mission vereinbart hat, verärgerte die
Wahlkämpfer im Osten erst recht. Kretsch-
mer, Mohring und der Brandenburger
CDU-Spitzenkandidat Ingo Senftleben
mussten sich vorkommen wie Radfahrer
beim Anstieg nach L’Alpe d’Huez, denen
vom eigenen Mannschaftswagen aus et-
was in die Speichen gesteckt wird.

Das gilt erst recht für Kramp-Karren-
bauers Umgang mit Hans-Georg Maaßen.
Dass die CDU-Chefin sich ausgerechnet
kurz vor den Wahlen im Osten vom ehema-
ligen Verfassungsschutzpräsidenten dis-
tanziert hat, fanden viele taktisch unge-
schickt, aber wenigstens noch inhaltlich
verständlich. Dass Kramp-Karrenbauer da-
bei indes erst nach Protesten einen Partei-
ausschluss von Maaßen ausgeschlossen
hat, wurde unisono als gewaltiger Fehler
der Parteichefin gesehen. Kramp-Karren-
bauer habe damit ohne Not eine Debatte
ausgelöst, in der die CDU angesichts der Be-
liebtheit Maaßens in Teilen der Partei nur
verlieren könne, hieß es. Auch deshalb
muss Kramp-Karrenbauer jetzt Kretsch-
mer dankbar sein. Wäre die CDU in Sach-
sen hinter die AfD zurückgefallen, hätte
sich vor allem Kramp-Karrenbauer dafür
verantworten müssen.
Die CDU-Chefin wird es allerdings auch
so nicht einfach haben. Durch den Einsatz
von Kretschmer wurde zwar das Schlimms-
te verhindert. Aber wenn die erste Freude
darüber im Adenauer-Haus verflogen ist,
wird man sich eingestehen, dass die Wahl-
ergebnisse vom Sonntag tatsächlich nur ge-
messen an den niedrigen Erwartungen er-
träglich sind. Sowohl in Sachsen als auch in
Brandenburg hat die Partei verglichen mit
den Landtagswahlen zuvor erheblich verlo-
ren. Und in Thüringen könnte es schon im
Oktober den nächsten politischen Nacken-
schlag für die CDU geben.
An diesem Montag wird sich Kramp-
Karrenbauer zusammen mit Kretschmer
und Senftleben im Foyer der CDU-Zentrale
den Fragen der Journalisten stellen. Vor-
her bekommen die Spitzenkandidaten tra-
ditionell einen Blumenstrauß. Bei diesen
Strauß-Übergaben werde von der Partei-
spitze gerne der Eindruck erweckt, schlech-
te Ergebnisse hätten nichts mit der Bundes-
partei und der Bundespolitik zu tun, hat
Mohring vor Wochen gespöttelt. Diesmal
werde das aber nicht mehr funktionieren.

Gemischte Gefühle


Ein Sieg,ein Flop – warum sich die SPD nicht so richtig freuen kann


2 HMG (^) THEMA DES TAGES Montag,2. September 2019, Nr. 202 DEFGH
Triumphieren
im Ballsaal
DieAfD verbucht zwei weitere Wahlerfolge, doch dürfte
ausgerechnet das den internen Machtkampf nur verstärken
CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer durfte
am Wahlabend zumindest aufatmen. Richtig freuen konnte sich
der Spitzenkandidat der AfD in Brandenburg, Andreas Kalbitz.
FOTOS: ANDERSEN/AFP, SCHMIDT/REUTERS
Ein absurder Disput
in Schleswig-Holstein
ist symptomatisch
Kramp-Karrenbauers
zweitwichtigster Mann
In Sachsen hat die CDU besser abgeschnitten als erwartet.
Mit der Parteichefin indes hat das weniger zu tun
„Haltung gezeigt“: Die SPD-Vizes Manue-
la Schwesig, Thorsten Schäfer-Gümbel,
Malu Dreyer (von links). BENSCH/REUTERS
Die Fehde Kramp-Karrenbauers
mit Hans-GeorgMaaßen wird
von vielen als Fehler gesehen
„Den Leuten fehlt
das Vertrauen in
die Arbeit der Groko“
„Ein Riesenwahlerfolg“: die grüne Partei-
chefin Annalena Baerbock nach den ers-
ten Hochrechnungen. FOTO: PLEUL/DPA
Der rechte „Flügel“
fordert weiterhin die
Parteispitze heraus
Die Rechte wird stärkerIm Ostenhaben die Wähler den bisherigen Volksparteien abermals eine herbe Niederlage bereitet.
Dennoch wird in Sachsen die CDU, in Brandenburg die SPD weiter regieren können. Allerdings müssen sie
sich wohl nach neuen Koalitionspartnern umschauen. Auftrumpfen kann nur die Alternative für Deutschland – in der Opposition

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