Süddeutsche Zeitung - 02.09.2019

(John Hannent) #1
London– „Fragen Sie Michael Gove“, sag-
teKeir Starmer, Schatten-Brexitminister
der Labour-Partei, ein ums andere Mal, als
er am Sonntagmorgen in der populären
BBC-Talkshow von Andy Marr saß. „Fra-
gen Sie Gove, ob die Regierung das Gesetz,
das wir am Dienstag einbringen wollen,
auch umsetzen wird. Fragen Sie ihn, ob die
Regierung es hinnehmen wird, wenn das
Parlament No Deal stoppt.“
Michael Gove, offiziell mit dem elegan-
ten Titel „Kanzler des Herzogtums von Lan-
caster“ ausgestattet, de facto unter Boris
Johnson jener Minister, der für die Umset-
zung des Brexits sorgen soll, war in der Sen-
dung nach Starmer an der Reihe. Marr frag-
te ihn, was die Regierung tun werde, wenn
die Opposition, gestützt durch eine Hand-
voll Tory-Rebellen, tatsächlich in dieser

Woche in Windeseile schaffen würde, was
sie angekündigt hat: den Tagesplan des Un-
terhauses mit Hilfe des Parlamentsspre-
chers zu kapern; eine Notfall-Debatte zu er-
zwingen, in dieser ein Gesetz einzubrin-
gen, das der Regierung faktisch No Deal
verbietet; dies dann auch im Unterhaus-
wie Oberhaus bis Donnerstagabend zu ver-
handeln – und mit Mehrheit zu beschlie-
ßen. Würde Johnson sich dieser Mehrheit
und diesem Beschluss beugen?
Andrew Marr, ein erfahrener Journalist,
fragte vier Mal nach. Er bekam keine Ant-
wort. Man warte ab, so Gove, was die Oppo-
sition da vorlege und aufführe. Marr, sicht-
lich irritiert, fragte weiter: Aber die Regie-
rung werde doch sicherlich nicht das Ge-
setz brechen, wenn ein Gesetz vom Parla-
ment beschlossen werde, das ihr nicht pas-
se? Minister Gove lächelte wissend und ver-
weigerte die Antwort.
Downing Street hat, angeführt von John-
sons kampagnenerfahrenem und macht-
bewusstem Berater Dominic Cummings,
dessen Handschrift das radikale Vorgehen
der Regierung trägt, einen Fahrplan für die
kommenden Wochen vorbereitet, in dem
Abweichungen von den Spielregeln in
Westminster nicht nur eingepreist, son-
dern eingeplant sind. Johnson will den Bre-
xit, er will damit in die Geschichte einge-
hen, er will ihn gegen große Teile des Parla-
ments, gegen Widerstand in Teilen seiner
Partei und gegen den Protest auf der Stra-
ße erzwingen.
Deshalb werden derzeit zahlreiche Maß-
nahmen durchgespielt, die zu einer weite-
ren Eskalation der Lage beitragen dürften.
Dazu gehört, dass Johnson jene Tory-Abge-
ordneten, die gegen ihn und mit der Oppo-

sition stimmen wollen, offenbar bestrafen
will. Ihnen wurde gedroht, dass sie entwe-
der nicht wieder aufgestellt oder sogar aus
der Partei hinausgeworfen würden.
Hat die Opposition das No-Deal-Verhin-
derungsgesetz erst eingebracht, überlegt
das Team um Cummings dem Vernehmen
nach, das Votum durch taktische Maßnah-
men aufzuhalten; dazu könnte das Filibus-
tern im Oberhaus gehören. Denn wenn das
Gesetz nicht bis zum Beginn derProrogati-
on, der für kommende Woche angesetzten
Zwangsschließung des Parlaments, durch
alle Lesungen gegangen und beschlossen
ist, ist es nichtig – so sind die Regeln. Mög-
lich ist offenbar auch, dass Johnson, sollte
ihm das Unterhaus eine Verschiebung des
Brexitdatums aufzwingen, in Brüssel
selbst dagegen stimmen und diesen Auf-
schub so verhindern würde. Alternativ, be-
richtet dieTimes, könne Johnson einen Mit-
telsmann, etwa Ungarns Ministerpräsiden-
ten Viktor Orbán, um sein Nein bitten.
Sollte das Parteienbündnis, dem La-
bour, Liberaldemokraten, Grüne, schotti-
sche Nationalpartei und Plaid Cymru ange-
hören, erfolgreich sein, wird in Downing
Street aber auch überlegt, die Queen nicht
um ihre „royale Zustimmung“ zu bitten.
Damit könnte das Gesetz nicht in Kraft tre-
ten. Alternativ könnte Johnson im Falle ei-
ner Abstimmungsniederlage Neuwahlen
ausrufen und diese so terminieren, dass

sie knapp vor oder nach dem 31. Oktober
stattfinden – und der harte Brexit nicht
mehr aufzuhalten wäre. Labour-Politiker
Keir Starmer deutete allerdings an, dass
man eventuell genau deshalb gegen vorge-
zogene Neuwahlen stimmen würde.
Im Vorfeld des Kräftemessens hatten
am Wochenende beide Seiten noch einmal
massiv medial vorgelegt. Johnson selbst
gab derSunday Timesein Interview, in
dem er behauptete, jeder, der sich gegen
seinen Kurs stelle, wolle in Wahrheit „das
Referendum von 2016 verwerfen, den de-
mokratischen Willen des Volkes ignorie-
ren und das Land ins Chaos stürzen“. Einen
Deal mit Brüssel könne er nur aushandeln,
wenn nicht die Gefahr drohe, dass West-
minster den „Brexit blockiere“. Der Premi-
er beharrt darauf, dass es gute Chancen für
diesen Deal gebe.
Michael Gove beharrte am Sonntag dar-
auf, dass die Gespräche in Berlin und Paris
ein Beweis für die Aufweichung der Ver-
handlungsposition in der EU gewesen sei-
en. Dem widersprach allerdings, mittel-
bar, imTelegraphEU-Unterhändler Michel
Barnier. In einem Meinungsstück erläuter-
te er sehr deutlich, dass der Backstop, die
Auffanglösung für Nordirland, nicht ver-
handelbar sei. Brüssel werde nur mit Lon-
don über alternativen Lösungen verhan-
deln, nachdem das Austrittsabkommen un-
terschrieben sei. cathrin kahlweit

Hongkong– Nach schweren Zusammen-
stößen mit der Polizei in der Nacht haben
sich in Hongkong am Sonntag Hunderte
pro-demokratische Demonstranten vor
dem Flughafen versammelt. Züge zum
Flughafen wurden ausgesetzt. An der Hal-
testelle des Flughafenexpresses im Zen-
trum Hongkongs wurden noch am Abend
Passagiere abgewiesen, die zum Flughafen
fahren wollten. Zwischenzeitlich konnte
der Flughafen nur noch mit dem Auto er-
reicht werden. Busse hielten weit vor dem
Flughafengebäude, Passagiere mussten
mit ihrem Gepäck zu Fuß bis zu den Termi-
nals laufen. Polizeikräfte sicherten den Zu-
gang in das Gebäude des Flughafens, der
mit zu den größten in Asien zählt. Ledig-
lich Passagiere mit gültigem Flugticket
konnten das Gebäude betreten. Zwischen-
zeitlich schafften es auch einige Protestie-
rende in den Flughafen, bevor die Polizei
diese wieder aus dem Gebäude trieb.
Durch die Demonstrationen verzögerten
sich die Starts einiger Maschinen.
Die Gewalt in der chinesischen Sonder-
verwaltungszone erreichte am Wochenen-
de ein neues Ausmaß. Am Freitag hatte der
Konflikt erneut an Schärfe gewonnen,
nachdem die Behörden mehrere Aktivis-
ten und Abgeordnete des pro-demokrati-
schen Lagers festnehmen ließ. Darunter
war auch der bekannte Aktivist Joshua
Wong, der inzwischen wieder auf Kaution
entlassen wurde.

Am Samstag hatten sich zunächst Zehn-
tausende Menschen trotz eines Demonstra-
tionsverbots in der Innenstadt für einen
Protestmarsch versammelt. Erst am Nach-
mittag schlugen die Demonstrationen in
Gewalt um. Polizisten gingen mit Tränen-
gas und Wasserwerfer gegen Teilnehmer
einer Kundgebung vor dem Regierungs-
sitz vor. Nachdem die Polizei die Protestie-
renden im Zentrum zurückgedrängt hatte,
zogen diese in andere Stadtviertel weiter,
wo es ebenfalls zu gewaltsamen Zusam-
menstößen kam. Einige der Demonstran-
ten bewarfen die Polizisten mit Molotow-
cocktails und Steinen, die sie aus den Bür-
gersteigen brachen. Mindestens 41 Perso-
nen wurden verletzt, darunter fünf Män-
ner schwer. Mehr als 60 Personen wurden
festgenommen. Im Victoria Park gab die
Polizei zwei Warnschüsse ab.
Am Sonntag blieben drei U-Bahn-Statio-
nen wegen Schäden geschlossen. Am Tag
zuvor war der Verkehr von fünf U-Bahn-Li-
nien zum ersten Mal in der Geschichte der
Stadt komplett eingestellt worden. Die De-

batte am Sonntag drehte sich aber vor al-
lem um das Vorgehen der Polizei während
der chaotischen Stunden. Aufnahmen zeig-
ten Beamte beim Stürmen einer U-Bahn-
Station. In den Videos ist zu erkennen, wie
maskierte Polizisten Passagiere verprü-
geln und Tränengas in Waggons sprühen.

Darin saßen viele Passagiere, die keine
schwarzen T-Shirts trugen, wie normaler-
weise bei den Demonstrationen in den ver-
gangenen Wochen üblich. Viele Passanten
trugen im Gegensatz zu den Protestteilneh-
mern auf der Straße auch weder einen
Mundschutz noch Gasmasken. Mehrere
Passagiere wurden verletzt. Videos aus der
Station und den Waggons wurden in den so-
zialen Medien tausendfach geteilt. Die De-
monstranten fordern seit Wochen eine un-
abhängige Untersuchung der Polizeige-
walt.
Um die internationale Aufmerksamkeit
auf die Protestbewegung zu lenken, hatten
die Demonstranten bereits wiederholt ver-
sucht, den Flugbetrieb zu stören. Vergange-
nes Wochenende hatten die Behörden ei-
nen Gerichtsbeschluss erwirkt, der Protes-
te am Flughafen untersagte. Zuvor hatte
der Flughafen wegen der Belagerung des
Hauptterminals durch Demonstranten
zeitweise den Betrieb einstellen müssen.
In den vergangenen Wochen waren immer
wieder mehrere Hunderttausend Men-
schen den Aufrufen zu den Protestmär-
schen gefolgt. Auslöser der Massenprotes-
te vor über drei Monaten war ein umstritte-
nes Auslieferungsgesetz mit China. Das
hat die Hongkonger Regierungschefin Car-
rie Lam zwar auf Eis gelegt, den Demons-
tranten geht das aber nicht weit genug. Sie
wollen eine komplette Rücknahme des Ge-
setzes sowie mehr demokratische Mitbe-
stimmung in der Stadt.
Für Unruhe sorgten auch die Berichte
der chinesischen Staatsmedien darüber,
dass das Militär neue paramilitärische
Kräfte nach Shenzhen an die Grenze zu
Hongkong verlegt habe. In Videoaufnah-
men, die von Bürgern stammen sollen, wa-
ren Militärwagen zu sehen, die am Sams-
tagmorgen in der Grenzstadt einrollten.
Details über Stärke und Zweck der Trup-
penverlegung wurden nicht genannt. Nach
Angaben der chinesischen Staatszeitung
Global Timessoll es sich um Spezialkräfte
und Personal der paramilitärischen Elite-
polizei aus China handeln. Am Sonntag be-
richtete dieVolkszeitungvon Übungen der
Truppen. Die Überschrift des Video laute-
te: „Bereit für den Kampf!“ lea deuber

von viktoria großmann

München– Esdarf nicht fotografiert wer-
den in dem Saal, in dem in der slowaki-
schen Stadt Pezinok die Pressekonferenz
stattfindet. Die Gesichter der beiden
Staatsanwälte, die neue Ermittlungsergeb-
nisse im Mordfall Ján Kuciak vorstellten,
müssen unerkannt bleiben. Eine Sicher-
heitsmaßnahme. Es geht nicht mehr nur
um den Doppelmord an dem damals
27-jährigen Journalisten und seiner gleich-
altrigen Verlobten am 21. Februar 2018. Es
geht nun um zwei weitere verübte und drei
geplante Morde – an zwei Staatsanwälten
und einem ehemaligen Innenminister. Vor
allem geht es um das weit gespannte Netz
des Geschäftsmannes Marián Kočner.
Dem 56-Jährigen wird vorgeworfen,
den Mord an Kuciak in Auftrag gegeben zu

haben, seit März sitzt er in Untersuchungs-
haft. Ein Verdächtiger hat inzwischen ge-
standen, die Schüsse auf das junge Paar in
dessen Haus in Vel’ká Mača abgegeben zu
haben. Der ehemalige Soldat soll bereits
früher zwei weitere Morde verübt haben.
Doch nicht die Morde allein erschüttern
die Slowakei. Es ist das System Kočner, das
in höchste Regierungskreise reicht. Er
selbst studierte Journalismus, hatte Antei-
le am TV-Sender Markíza und baute sich
seit den Neunzigern seinen Reichtum mit
Immobiliengeschäften und Finanzdeals
auf. Ermittlungen wegen Steuerhinterzie-
hung oder Geldwäsche gegen ihn verliefen
stets im Sand. Nun wird offenbar, dass
Kočner sein Imperium deshalb so unge-
stört aufbauen konnte, weil er Informatio-
nen direkt von der Polizei, aus Gerichten
und von Politikern erhielt, die ihn deckten,

Ermittlungen verschleppten oder gefällige
Urteile sprachen. Kočner wusste, wie wich-
tig die sozialdemokratische Regierungs-
partei Smer-SD für seinen Schutz ist. Als er
befürchten musste, dass die Regierungsko-
alition nach dem Mord an Kuciak und den
Protesten der Bevölkerung ins Wanken ge-
rät, versuchte er, sich abzusichern und die
Regierung an der Macht zu halten.
Daniel Lipšic ist einer, der Kočner bei sei-
nem Tun störte. Der 46-jährige Rechtsan-
walt vertritt die Nebenklage der Familie
Kuciak. In seiner Zeit als Innenminister
von 2010 bis 2012 wollte Lipšic Untersu-
chungen in Fällen von Wirtschaftskrimina-
lität gegen Kočner aufnehmen – und wur-
de von der Generalstaatsanwaltschaft dar-
an gehindert. „Wie tief Kočners Einfluss
reicht, ist mir schon lange klar“, sagt
Lipšic. „Doch dass er auch Morde in Auf-

trag gibt, hat mich schockiert.“ Lipšic
stand selbst auf der Liste. Nachdem Kuci-
ak und seine Verlobte erschossen worden
waren, wurden die Morde an ihm und zwei
Staatsanwälten in Auftrag gegeben. „Er
muss mich richtig gehasst haben“, sagt
Lipšic über Kočner. Heute fühle er sich
nicht mehr unsicher. „Kuciaks Familie
und ich haben großes Vertrauen in die Ar-
beit der Ermittler und Staatsanwälte.“ Er
erwarte einen Prozess, der das Land verän-
dern wird. Im Oktober sollen Kočner und
vier weitere Beschuldigte vor Gericht ge-
stellt werden.
Fast täglich berichten Medien nun über
neue Ermittlungsergebnisse der Polizei.
Die slowakische Polizei hat mehr als
600 Kurznachrichten ausgewertet, die
Kočner über den Messenger-Dienst Three-
ma versendet hat. Threema gilt als extrem

sicher. Die schweizerische Firma teilt mit,
dass die Polizei wohl eine mit schwachem
Passwort versehene, exportierte Datei aus-
gelesen habe. Andere Wege gebe es nicht,
an Absender und Empfänger zu gelangen.
Aus den Textnachrichten werden nicht
nur Kočners Verbindungen deutlich. Sie ge-
ben auch tiefen Einblick in die Haltung des
schwerreichen Mannes. In Mitteilungen an
seine Vertraute Alena Zsuzsová, die eben-
falls angeklagt werden soll, verhöhnte er
die Getöteten. Der Mord hatte im Frühjahr
2018 heftige Proteste gegen die Regierung
ausgelöst. Zwei Minister und Premier Ro-
bert Fico traten zurück, allerdings blieb Fi-
co Parteivorsitzender der Smer-SD. Wäh-
rend der Proteste schrieb Kočner an Zsuzso-
vá: „Gute Idee. Ich gründe eine Stiftung Hei-
liger Ján Kuciak – Patron der Journalisten.
Wer wäre ein besserer Patron als jener, der
eine Patrone im Körper hat?“ Als seinen
wichtigsten Mann sah Kočner ganz klar
den früheren Premier Robert Fico an. In
einem Luxus-Apartmentkomplex in Brati-
slava lebte er mit ihm Tür an Tür. „Wenn
die Regierung abtritt, hilft es dir nicht ein-
mal, dich am Nordpol zu verstecken“, soll
Zsuzsová an Kočner geschrieben haben.

Derzeit müssen sich die Vorsitzenden
der Koalitionsparteien gegen Vorwürfe ver-
teidigen, sich mit Kočner verabredet zu ha-
ben, um die Regierung zu erhalten. Fest
steht, dass sie trotz Kritik an der Smer-SD
den Koalitionsbruch nicht gewagt haben.
Für den Fall, dass dieser dennoch kommt,
soll Kočner Pläne gehabt haben, die Sozial-
demokraten mithilfe der rechtsextremen
Volkspartei Unsere Slowakei L’SNS an der
Macht zu halten. Gegen die Partei lief ein
Verbotsverfahren wegen faschistischer
Umtriebe. Kočner soll versucht haben, auf
das Gericht so Einfluss zu nehmen, dass es
die Partei nicht verbietet. Das zuständige
Gericht weist Verbindungen zurück.
Daniel Lipšic erfüllen die Ermittlungser-
gebnisse auch mit Hoffnung. Der Anwalt
glaubt, dass noch viel mehr ans Licht kom-
men werde. „Die Slowakei ist bereit für ei-
nen Neustart“, sagt er. Einen großen
Schritt zur Veränderung hat das Land mit
der Wahl der neuen Präsidentin Zuzana
Čaputová in diesem Jahr bereits getan. Sie
steht nicht auf Kočners Telefonliste. Ex-
Premier Robert Fico dagegen geht in der
für ihn typischen Art auf die Presse los: Die
Threema-Nachrichten zu veröffentlichen
sei ein „Dschihad“ der Medien gegen seine
Partei. Die Präsidentin hingegen bestärkt
die Medien ausdrücklich. In einer offiziel-
len Rede erklärte sie: „Justiz war in der Slo-
wakei eine Ware, die sich einige Menschen
kaufen konnten.“ Nun stehe das Land an ei-
nem Scheideweg. Es werde sich jetzt ent-
scheiden, „in welchem Land unsere Kinder
leben werden“. Im Februar 2020 wählen
die Slowaken ein neues Parlament.

Singapur– Zumindest protokollarisch lag
der Gast aus Manila nicht ganz auf Linie.
Während Chinas Staatschef Xi Jinping
zum Treffen mit dem philippinischen Prä-
sidenten schwarzen Anzug mit blauer Kra-
watte trug, ließ es Rodrigo Duterte deut-
lich lockerer angehen. Er kam im grauen
Anzug mit offenem Hemd, den Schlips ließ
er weg. Womöglich war das ein rebelli-
sches Signal an die Philippiner zu Hause
und sollte die Botschaft übermitteln: Du-
terte traut sich eben doch was, wenn er in
Peking weilt.
Vermutlich hat es Duterte geärgert,
dass ihn Landsleute schon als Feigling ver-
höhnten, nachdem er die Kollision eines
philippinischen Fischerbootes mit einem
chinesischen Trawler vor einigen Wochen
zu einem „kleinen maritimen Vorfall“ her-
untergespielt hatte.
Der Konflikt um kollidierende Interes-
sen im Südchinesischen Meer galt als der
heikelste Punkt des viertägigen Duterte-
Besuchs. Aber der Gast schien mit seiner
Ankündigung, Tacheles in Peking zu spre-
chen, dann doch nicht sehr weit gekom-
men zu sein. Zwar brachte er nach eigenen
Angaben den Schiedsspruch des Haager
Gerichtshofs zur Sprache, wonach Chinas
Ansprüche im Südchinesischen Meer einer
rechtlichen Grundlage entbehrten. Doch
ob und wie lange Xi und Duterte tatsäch-
lich über dieses brisante Thema diskutier-
ten, blieb zunächst unklar. Von chinesi-
scher Seite jedenfalls verlautete dazu offizi-
ell nichts. Im Ergebnis gibt es keinerlei er-
kennbare Bewegung Chinas zu den um-
strittenen Gebietsansprüchen, angesichts
des Machtgefälles zwischen Peking und
Manila war das auch kaum zu erwarten.
Nach der Rückkehr von Duterte nach
Manila erklärte dessen Sprecher, beide Sei-
ten hätten sich immerhin gegenseitig zuge-
sichert, auf See künftig „provokative und
aggressive Aktionen zu unterlassen“, so
dass Feindseligkeiten vermieden werden
könnten. Auch dazu gab es von chinesi-
scher Seite zunächst keine entsprechende
Bestätigung.


Zwar können die Philippinen seit 2016
für sich reklamieren, das internationale
Recht auf ihrer Seite zu haben. Aber auch
nach dem fünften Besuch Dutertes bleibt
im Südchinesischen Meer alles, wie es ist.
Peking hat durch das Aufschütten künstli-
cher Inseln und eine rasche Militarisie-
rung des Seegebiets Fakten geschaffen,
Manila kann sie mit diplomatischen Mit-
teln nicht verrücken. Und Krieg gegen Chi-
na zu führen, das sei „Selbstmord“, predigt
Duterte seinen Landsleuten immer wie-
der. Die können diesem Gedanken zwar fol-
gen, aber Frust bleibt, wie ihn auch ein Ko-
lumnist imPhilippine Inquirerbeschreibt:
„Das Regime Dutertes glaubt, wir hätten
mehr zu gewinnen, wenn wir uns den Wün-
schen Chinas beugen anstatt auf unsere
Rechte als souveräner Staat zu pochen.
Aber Unterwürfigkeit gegenüber einem an-
deren Land sieht niemals gut aus.“
Mit ganz leeren Händen aber kehrte Du-
terte dann auch nicht heim, eine Reihe von
wirtschaftlichen Vereinbarungen wurde
getroffen. So gewährt China einen Großkre-
dit für den Bau einer Eisenbahn, es soll Er-
leichterungen in der Zollabwicklung ge-
ben, außerdem wurden Abkommen für ei-
ne engere Zusammenarbeit im Bildungs-
und Technologiesektor vereinbart.
Am bedeutsamsten dürfte die Grün-
dung eines Lenkungsausschusses sein,
der eine gemeinsame Ausbeutung von Res-
sourcen im Südchinesischen Meer vorbe-
reiten soll. Duterte hält dies offenbar für ei-
nen gesichtswahrenden Schritt, der sicher-
stellen könnte, dass die Philippinen nicht
ganz aus den Rohstoffgeschäften im Süd-
chinesischen Meer verdrängt werden und
daran mitverdienen. Die Philippinen brau-
chen dringend Zugang zu neuen Gasvor-
kommen. Dutertes Kritiker allerdings se-
hen die Gefahr, dass Manila seine Schätze
im Meer zu leichtfertig preisgeben könnte.
Ob die Vorbereitungen in ein Abkom-
men münden, ist offen. Peking drängt dar-
auf, ein gelungenes Joint Venture mit Mani-
la könnte Signalwirkung haben und ähnli-
che Abkommen mit anderen Nachbarn er-
leichtern. Ob das Kalkül aufgeht? Noch ist
das nicht sicher.
Vietnam zum Beispiel treibt die Erkun-
dung von Gas- und Ölvorkommen nahe
der Spratly-Inseln voran, ohne China einzu-
binden, der Staat pocht auf internationales
Recht, wonach Länder innerhalb einer
200-Meilen-Zone ein exklusives Recht auf
Ausbeutung der Bodenschätze besitzen.
Das steht im Widerspruch sich zu den An-
sprüchen Chinas, das historische Rechte
bemüht, um das Südchinesische Meer für
sich zu reklamieren. arne perras


Königreich der Taktiker


In London wappnen sich Regierung und Opposition für jede Variante im Brexit-Konflikt


Knüppel für Hongkong


Peking schickt offenbar paramilitärische Polizei an die Grenze


System Mord


In der Slowakei wird immer klarer: Der Geschäftsmann, der den Killer des Investigativjournalisten
Ján Kuciak beauftragte, wirkte auf höchste Politik- und Justizkreise ein und wollte noch andere töten lassen

In den Videos ist zu erkennen,
wie maskierte Polizisten
Passagiere verprügeln

Demonstranten wollen den
Flugbetrieb stören, um auf den
Protest aufmerksam zu machen

Boris Johnson nimmt nicht nur
in Kauf, von demokratischen
Regeln abzuweichen. Er plant es

DEFGH Nr. 202, Montag, 2. September 2019 (^) POLITIK HMG 7
Rodrigo Duterte (links) und Chinas Pre-
mier Li Keqiang in Peking. FOTO: REUTERS
Eine Gedenkstätte in Bratislava für den 2018 getöteten Journalisten Ján Kuciak und seine Freundin Martina Kušnírová. FOTO:VLADIMIR SIMICEK/AFP
Noch hat der Protest auch ein heiteres Gesicht: Demonstrantinnen gegen die Brexit-
Pläne des Premiers am Samstag in London. FOTO: LUKE MACGREGOR / BLOOMBERG
Chancenlos im
Kampf ums Meer
Fünfmal war der philippinische
Präsident in China – ohne Erfolg
Der frühere Premier geht auf die
Presse los: Diese führe einen
„Dschihad“ gegen seine Partei

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