„Ich bitte um Vergebung für Deutschlands
historische Schuld. Ich bekenne mich zu
unserer bleibenden Verantwortung.“
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, am Sonntag in
Warschau bei der Gedenkveranstaltung zum 80. Jahrestag des
Beginns des Zweiten Weltkriegs
Worte des Tages
Mittelstand
Vetominister
Altmaier
S
o angriffslustig hat man Peter
Altmaier lange nicht erlebt.
Auf seiner Sommerreise
durch die Mittelstandsrepublik
Deutschland zog der Bundeswirt-
schaftsminister mit donnernder
Stimme über die Steuer- und Um-
verteilungspläne der SPD her. Eine
„Diskussion aus der Rumpelkam-
mer“ sieht der CDU-Mann darin, ei-
ne „Verhöhnung des Mittelstands“ –
und die Chance, sich als Ordnungs-
politiker zu rehabilitieren.
Allerdings weckt Altmaier bei Un-
ternehmern Erwartungen, die er
nicht erfüllen kann. Zentrale Ele-
mente seiner Mittelstandsstrategie
sind in der jetzigen Regierung nicht
umsetzbar. Altmaiers Vorschlag zur
weiteren Beitragssenkung der Ar-
beitslosenversicherung? Sofort ab-
geschmettert von seinem sozialde-
mokratischen Kabinettskollegen
Hubertus Heil. Altmaiers Beharren
auf eine vollständige Abschaffung
des Solidaritätszuschlags? Selbst
seine Parteifreundin Angela Merkel
hat dafür nur noch ein müdes Lä-
cheln übrig.
Die SPD sieht eine Gerechtigkeits-
lücke, Umverteilung soll sie schlie-
ßen, eine Prise Klassenkampf die
erloschene Leidenschaft ihrer An-
hänger neu entfachen. Von Exis-
tenzängsten gepackt, rücken die So-
zialdemokratie nach links; als Partei
der sozialen Gerechtigkeit hofft die
SPD, ihre Dauerkrise zu überstehen,
irgendwie. Die CDU dagegen will mit
Wirtschaftskompetenz sich im Ab-
schwung als Stimme der Vernunft
anbieten. Ob das gelingt, lässt sich
schwer sagen. Sicher ist zumindest:
Die wirtschaftspolitischen Schnitt-
mengen der GroKo schwinden.
Eine Zumutung nach der anderen
präsentierte die SPD der Wirtschaft
zuletzt, von der Vermögensteuer
bis zum Firmenstrafrecht. Altmaier
kann für die Unternehmer eigent-
lich nur eins tun: das Schlimmste
verhindern. Statt als Mittelstands-
stratege aufzutrumpfen, wird er
sich mit der Rolle des Vetoministers
begnügen müssen. Altmaier ahnt
das. Dass er die Vorstellung seiner
Mittelstandsstrategie zur Koalitions-
partnerschelte nutzt, zeigt, wie ge-
ring er die Realisierungschancen
seiner Ideen einschätzt.
Der Wirtschaftsminister
kann in der Großen Koalition nur
noch das Schlimmste verhindern,
meint Moritz Koch.
Der Autor ist Senior
Correspondent.
Sie erreichen ihn unter:
S
chulden haben ihren Preis verloren. Selbst
mit 30-jährigen Staatsanleihen kann
Deutschland mittlerweile Geld verdienen.
Anlagenotstand, Spekulation und der ex-
zellente Ruf Deutschlands als Schuldner
führen dazu, dass Anleger Geld bezahlen, wenn sich
der deutsche Staat bei ihnen verschuldet. Negative
Zinsen sind die neue Normalität.
In Deutschland gilt die Einhaltung der Schulden-
bremse als Beleg für eine solide und kluge Finanzpoli-
tik. In letzter Konsequenz bedeutet ein über den Kon-
junkturzyklus hinweg annähernd ausgeglichener
Staatshaushalt jedoch, dass nur eine vorübergehende
Kreditaufnahme akzeptabel ist. Dies kann etwa der Fall
sein, wenn die automatischen Stabilisatoren des öffent-
lichen Haushalts zur Glättung von Konjunkturschwan-
kungen wirken oder wenn mit dem aufgenommenen
Geld ein Konjunkturprogramm finanziert wird und die-
se Kredite in konjunkturell guten Zeiten getilgt werden.
Wird die Schuldenbremse dauerhaft eingehalten,
steigt der Schuldenstand allenfalls sehr langsam.
Schließlich darf sich nur der Bund jährlich in Höhe
von bis zu 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts
(BIP) neu verschulden. Da aber das nominale BIP im
Trend deutlich stärker steigt, sinkt die Schuldenquo-
te, das Verhältnis von Staatsschuld und BIP, stetig.
Für eine Stabilisierung des Schuldenstands werden
mehrere Gründe genannt: Mit Staatsschulden würden
Lasten in die Zukunft und damit auf unbeteiligte Drit-
te verlagert, die als künftige Steuerzahler zur Finanzie-
rung des Schuldendienstes gezwungen werden. Wach-
sende Schulden führten zu einer steigenden Zins-Steu-
er-Quote und schränkten damit den budgetären
Gestaltungsspielraum ein. Zudem seien Staaten mit
geringen Schulden widerstandsfähiger gegen Schocks
wie Rezessionen oder spekulative Währungsattacken.
Diese Argumente sind nachvollziehbar. Allerdings
basieren sie auf der Annahme, dass der Zins für
Staatsschulden allenfalls kurzfristig unter der nomi-
nalen Wachstumsrate liege, in der Regel aber höher
sei. Dies mag zwar in der Vergangenheit oft zutref-
fend gewesen sein. Blickt man aber auf die auslau-
fende Dekade zurück, so ist die deutsche Volkswirt-
schaft zumindest bis 2018 sehr ordentlich gewach-
sen. Gleichzeitig rutschten die Zinsen auf null.
Die wichtigste Ursache für den Zinsverfall ist nicht
die Notenbankpolitik, sondern das Zusammenspiel
zweier globaler Entwicklungen: der Bevölkerungsal-
terung und der Digitalisierung. Die mit einer Zunah-
me der Lebenserwartung verbundene Alterung in
den Industrie- und Schwellenländern führt dazu,
dass global mehr fürs Alter gespart wird. Gleichzeitig
sinkt die Kapitalintensität des technischen Fort-
schritts. Neue Computer sind eben billiger als neue
Walzstraßen. Steigt nun die globale Ersparnis bei
nachlassender Investitionsgüternachtfrage, sinkt der
Gleichgewichtszins. Die Nullzinsphase dürfte daher
wohl länger anhalten als gemeinhin erwartet.
Nun sind klare Regeln für die staatliche Kreditauf-
nahme richtig und wichtig. Die Verlockung für die
Politik ist zu groß, ihre Wiederwahl mit Geschenken
zu sichern, die die eigene Wählerklientel begünsti-
gen. Angesichts der Zinsentwicklung sollten Budget-
regeln aber nicht am Defizit oder der Schuldenquote
anknüpfen, sondern an den langfristigen Etatbelas-
tungen als Folge des Schuldendienstes. Anstatt sich
jedoch an höchst diskussionsbedürftige Regeln wie
die Schuldenbremse oder gar die schwarze Null zu
klammern, wäre es wachstumspolitisch klüger, mit
zinslosen Krediten das Eisenbahnnetz zu modernisie-
ren, die Energiewende zu beschleunigen, öffentliche
Gebäude energetisch zu sanieren, Straßenschäden
zu beheben, die Krankenhausversorgung zu optimie-
ren und den öffentlichen Wohnungsbau zu revitali-
sieren. Kurz: Der Staat sollte mehr investieren.
Sicher, unter dem Eindruck der Finanzkrise war
die Einführung der Schuldenbremse 2009 verständ-
lich. Das heißt freilich nicht, dass diese Vorschrift in
Stein gemeißelt sein muss. Zwar kann niemand die
optimale Verschuldung bestimmen. Dennoch ist
klar: Der in der Schuldenbremse oder gar der
schwarzen Null angelegte dauerhafte Rückgang der
Schuldenquote kann nicht effizient sein.
Vermutlich wird die Politik dennoch nicht den Mut
aufbringen, die bei großen Wählerschichten populä-
re Schuldenbremse bereits nach zehn Jahren wieder
abzuschaffen. Daher sollten in einem ersten Schritt
zumindest die bestehenden Spielräume voll ausge-
nutzt werden. Schließlich erlaubt die Regel dem
Bund in konjunkturell normalen Zeiten ein Defizit
von zwölf Milliarden Euro – tatsächlich machte der
Staat im ersten Halbjahr 2019 aber einen stattlichen
Überschuss von 45 Milliarden Euro.
In einem zweiten Schritt sollte die Schuldenbrem-
se weiterentwickelt werden. So könnte eine spezielle
Investitionsagentur die Kredite aufnehmen und Pro-
jekte finanzieren. Dann fiele es auch der Politik
schwerer, einfach nur Wahlgeschenke zu verteilen.
An die Stelle einer törichten Fesselung träte eine
elastischere Bindung, sodass der Staat die Präsente,
die ihm die Finanzmärkte offerieren, auch anneh-
men könnte. Denn nur ein Narr lehnt Geschenke ab.
Leitartikel
Nur ein Narr lehnt
Geschenke ab
Die Schulden -
bremse muss
reformiert
werden, meint
Bert Rürup.
Der in der
Schuldenbremse
angelegte
dauerhafte
Rückgang der
Schulden-
quote kann
nicht effizient
sein.
Der Autor ist Chefvolkswirt des Handelsblatts und
Präsident des Handelsblatt Research Institute. Sie
erreichen ihn unter: [email protected]
Meinung
& Analyse
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MONTAG, 2. SEPTEMBER 2019, NR. 168
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