Handelsblatt - 02.09.2019

(lu) #1

„Kanzlerin Merkel hat


Millionen Frauen weltweit


beeinflusst. Ich kann das


bezeugen, ich bin eine von ihnen.“


Christine Lagarde, designierte EZB-Präsidentin bei
der Verleihung der Ehrendoktorwürde an Angela
Merkel in Leipzig

„Es ist an der Zeit, die


Abhängigkeit von


fossilen Brennstoffen


aufzugeben.“


Papst Franziskus, zu Beginn
mehrwöchiger Gebete von Christen, mit
denen sie Umweltverschmutzung ins
Bewusstsein der Politik rücken wollen

Stimmen weltweit


Am 1. September 1939 überfielen deutsche
Soldaten Polen. Die spanische Zeitung „El
Mundo“ nimmt dies zum Anlass, Gedanken über
Nationalismus zu äußern, den sie als Ursache
von Kriegen sieht und den sie heute wieder am
Werk sieht:

D


ie Wahrheit ist, dass das Grauen der Na-
tionalsozialisten nicht begann, als die
Stiefel der Wehrmacht zur Ausführung
des Blitzkriegs in Richtung Warschau marschier-
ten. Da war es zu spät. Jeder Krieg beginnt im-
mer viel früher und auf einer subtileren Ebene:
nämlich auf der von Ideen.
Die EU wurde als Mittel gegen den Nationalis-
mus geboren, weil Nationalismus Krieg ist, wie es
François Mitterrand ausdrückte. Es sollte nicht
vergessen werden, dass der Nationalpopulismus
auf beiden Seiten des Atlantiks wütet, die Gesell-
schaften spaltet, die Briten isoliert und die Ver-
flechtungen der Brüderlichkeit bedroht, die in
diesen 80 Jahren entstanden sind.
Der Frieden überlebt nur durch ewige Wach-
samkeit. Hoffentlich nährt dieses Jubiläum die
Erinnerung der Europäer und spornt die Verant-
wortung ihrer Anführer an.

Großbritanniens Premierminister arbeitet auf
einen No-Deal-Brexit, einen ungeregelten
Austritt aus der Europäischen Union hin. Der
Londoner „Independent“ sieht darin einen leicht
aufzudeckenden Bluff, mit dem Boris Johnson
die EU zu Verhandlungen zwingen will:

E


in No-Deal-Brexit wäre ein Ergebnis, das so-
gar in der Theorie und als reiner Schachzug
von der großen Mehrheit der Bevölkerung,
dem Unterhaus und sogar von konservativen Abge-
ordneten abgelehnt wird. Er wäre einfach zu ris-
kant. Kaum jemand außer Nigel Farage mit seinen
Anhängern und der als „Spartaner“ bezeichneten
Tory-Gruppierung tritt aktiv für einen No-Deal-Bre-
xit – oder auch „clean break“ (glatter Bruch) – ein.
So kann der mit der Abstimmung von 2016 zum
Ausdruck gebrachte Wille des Volkes beim besten
Willen nicht interpretiert werden. Jeder in Brüssel,
in Berlin, in Dublin und in Paris versteht das. Sie
wissen, dass ein No-Deal-Brexit eine leere Drohung
ist. Der Bluff funktioniert nicht, wenn jeder Betei-
dpa (2), AFPligte weiß, dass es ein Bluff ist.

In den USA entsteht eine neue Sektion der
Streitkräfte. Sie soll die USA vor Angriffen aus
dem Weltall schützen, indem sie diesen Raum
militärisch dominiert. Der Londoner „Observer“
warnt vor einem amerikanischen „Rocket Man“:

D


ie Vorstellung von einem Donald Trump
als oberstem Weltall-Kommandeur, der
durch die Milchstraße flitzt, außerirdische
Invasoren abknallt und neue Welten erobert, ist
ebenso komisch wie beängstigend. Bevor sie be-
gannen, sich Liebesbriefe zu schreiben, hat der
US-Präsident seinen nordkoreanischen Amtskolle-
gen Kim Jong Un als „kleinen Raketenmann“ ver-
spottet. Mit dem Neustart des US-Weltraumkom-
mandos (Space Command) hat der terrestrische
Trump sich diesen Titel angeeignet. Während dies
für den Mann im Weißen Haus ein großer Schritt
sein mag, ist es für die Menschheit ein giganti-
scher Sprung zurück. Trump hat zu viele Wieder-
holungen von „Independence Day“ gesehen. Das
Universum ist nicht Eigentum Amerikas.

C


DU und SPD hatten gehofft, bei den Landtags-
wahlen mit einem doppelten blauen Auge davon-
zukommen. Bei den guten Ergebnissen der AfD

blieb einigen in den Parteizentralen aber trotzdem die


Luft weg. In den letzten Tagen vor der Wahl wurden al-


le Kräfte mobilisiert, um die Rechtspopulisten kleinzu-


halten. Ein anderes Wahlkampfthema gab es nicht


mehr. Offensichtlich hat kein Rezept funktioniert.


CDU und SPD freuen sich trotz massiver Verluste,


dass sie ihre Hochburgen halten konnten. In Potsdam


dürfte wahrscheinlich ein SPD-Ministerpräsident wei-


terregieren, in Dresden einer von der CDU. Es ist ein


Phänomen, das schon bei anderen Landtagswahlen zu


sehen war: Wähler, die Stabilität wollen, wählen die


Partei des Amtsinhabers. Aber für die bestehenden Re-


gierungsbündnisse reicht es nicht mehr. Es werden


komplizierte Koalitionsverhandlungen, um die AfD


draußen zu halten.


In Berlin war man kurz nach Bekanntgabe der Ergeb-


nisse in der Großen Koalition bemüht, sofort wieder auf


Alltagsbetrieb umzustellen. Wie aber die Basis von CDU


und SPD in den nächsten Tagen reagieren wird, ist
noch nicht abzusehen. Das gilt vor allem für die SPD,
bei der das Grummeln am Wahlabend am lautesten zu
hören war. Immerhin, die Kernschmelze in Sachsen ist
nicht eingetreten: Die Fünfprozenthürde wurde über-
sprungen. Aber berauschend ist das Ergebnis nicht.
Bei den Landtagswahlen gibt es große, mittlere und
kleine Wahlgewinner. Die AfD wächst im Osten zu einer
Volkspartei, die es den demokratischen Parteien
schwermacht, stabile Regierungen zu bilden. Es ist be-
drückend, dass sie sich quasi als neue deutsche Ost -
partei fühlen kann. Die Wahlbeteiligung in Sachsen ist
enorm gestiegen. Die etablierten Parteien konnten da-
von nicht profitieren.
Die Grünen sind Gewinner der mittleren Kategorie.
Ihr Höhenflug aus dem Frühsommer dauerte zwar
nicht an. In Brandenburg hätten sie zu diesem Zeit-
punkt die Ministerpräsidentin stellen können. Aber
auch wenn sie dieses Niveau nicht halten konnten, ha-
ben sie mit fast zweistelligen Ergebnissen Aussichten
auf Regierungsbeteiligungen. Die Frage ist, wie die Öko-
partei den Spagat zwischen einem Linksbündnis und ei-
ner schwarz-grünen Koalition hinbekommen will.
Wie nervös die Lage in der Berliner Koalition ist, zeigt
auch der Terminplan der GroKo. Bereits am heutigen
Montag haben sich Union und SPD zu einem Koalitions-
ausschuss verabredet. Offensichtlich muss man sich
versichern, dass man gemeinsam noch weitermachen
will. Die Erosion der Volksparteien seit dem Herbst
2015 geht weiter. Ein Ende scheint nicht in Sicht zu
sein.

Landtagswahlen


Blaues Auge


Die Volksparteien hatten auf diesen
glimpflichen Ausgang der Wahlen gehofft.
Doch der Höhenflug der AfD muss sie
endlich aufwecken, meint Thomas
Sigmund.

Der Autor ist Ressortchef Politik.
Sie erreichen ihn unter:
[email protected]

Wirtschaft & Politik


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MONTAG, 2. SEPTEMBER 2019, NR. 168


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