Handelsblatt - 02.09.2019

(lu) #1

Franz Hubik München


E


s ist vollbracht. Freude-
strahlend blicken Christi-
an Müller und Martin
Lange in die Kamera. Mit
einem kräftigen Hände-
druck besiegeln der Opel-Entwick-
lungschef und der Deutschlandstatt-
halter von Segula ihre strategische
Partnerschaft. Zwölf Monate nach
der Ankündigung, dass der hessische
Autobauer 2 000 von 6 500 Ingenieu-
ren in seinem Entwicklungszentrum
ITEZ am Stammsitz in Rüsselsheim
an den französischen Dienstleister
auslagern will, können die beiden
Manager nun Vollzug vermelden.
„Wir haben Wort gehalten“, froh-
lockt Lange. „Mit der strategischen
Partnerschaft stellen wir unsere Ent-
wicklungsaktivitäten in der Region
nachhaltig wettbewerbsfähig auf “,
assistiert Müller. Man habe eine „ver-
antwortungsvolle Lösung“ für die
Überkapazitäten bei Opel gefunden.
Was die beiden nicht sagen: Die
Zusammenarbeit fällt nicht einmal
halb so groß aus wie ursprünglich ge-
plant. Mehr als 1 300 Opel-Mitarbei-
ter zogen Abfindung und Vorruhe-
stand einem Job bei Segula vor. Le-
diglich 700 Mitarbeiter wechseln zu

den Franzosen. 27 Fachkräfte haben
statt neuer Perspektiven nun sogar
die Kündigung erhalten. Das bestätig-
te ein Opel-Sprecher.
Der Grund: Alle Opel-Mitarbeiter,
die gegen ihre geplante Versetzung
zu Segula persönlich Widerspruch
eingelegt haben, sind von ihrer Ar-
beitspflicht mit sofortiger Wirkung
entbunden worden. „Leider sehen
wir uns veranlasst, Sie ab Freitag,
30.08.2019 unter Fortzahlung Ihrer
Bezüge und unter Anrechnung etwai-
gen Zwischenverdienstes von Ihrer
Verpflichtung zur Arbeitsleistung frei-
zustellen“, heißt es in einem Schrei-
ben von Opel-Personalchef Ralph
Wangemann an Betroffene, das dem
Handelsblatt vorliegt.
Bis zum 31.12.2019 erfolgt die Frei-
stellung „unwiderruflich“, danach
„widerruflich“, erläutert Wangemann


  • mit „freundlichen Grüßen“. Einige
    der betroffenen Mitarbeiter hätten ih-
    re endgültige Kündigung sogar schon
    am vergangenen Freitag zugestellt
    bekommen, bestätigten dem Han-
    delsblatt mehrere mit den Vorgängen
    vertraute Personen den Vorgang.
    Zwar sind die Beschäftigten des
    Autobauers eigentlich bis 2023 vor


betriebsbedingten Kündigungen ge-
schützt. Dieser Schutz erlischt aller-
dings für all jene, die dem Betriebs-
übergang zu Segula explizit wider-
sprochen haben. So sehe es eine
Einigung zwischen Geschäftsführung
und Arbeitnehmervertretern vom
März 2019 vor, betont Opel. „Dieser
Prozess und die Konsequenzen eines
Widerspruchs wurden den Beschäf-
tigten in den vergangenen Monaten
mehrfach detailliert erläutert“, teilt
der Konzern auf Anfrage mit und be-
stätigt: „Die Anzahl der Widersprü-
che liegt im niedrigen zweistelligen
Bereich.“
Dennoch sind betriebsbedingte
Kündigungen ein Affront. „Es ist ein
einschneidender historischer Vor-
gang bei Opel, da seit Jahrzehnten
trotz aller Krisen bei Opel niemand
betriebsbedingt gekündigt wurde“,
kritisiert der Betriebsrat in einem
Flugblatt, das dem Handelsblatt vor-
liegt. Während sich das Management
für die Besiegelung der strategischen
Partnerschaft mit Segula feiere, sei
dies ein „trauriger Tag“ für die Be-
schäftigten.
Die Arbeitnehmervertreter beto-
nen ihre Solidarität mit den Wech-

selnden und Gekündigten. „Wir ver-
stehen den Unmut, dass euch von
der Geschäftsleitung nicht für eure
Arbeit bei und für Opel gedankt wur-
de.“ Dem Betriebsrat missfällt zudem
aus eigenem Bekunden, nicht zu den
Kündigungen angehört worden zu
sein: „Auch das ist ein einmaliger
Vorgang“, heißt es in dem Flugblatt.
Die Opel-Geschäftsführung vertritt ei-
ne andere Rechtsauffassung: „Eine
Anhörung war in diesem Fall nicht
erforderlich“, erklärte ein Sprecher.
Bereits zuvor hatten die Arbeitneh-
mervertreter in einem anderen
Rundschreiben den von der Ge-
schäftsführung „überhastet eingelei-
teten Betriebsübergang“ scharf kriti-
siert. „Um Ordnung in das Chaos zu
bringen, die Arbeitsfähigkeit sicher-
zustellen und die Projektanläufe
nicht zu gefährden“, hatten sie vorge-
schlagen, dass alle Beschäftigten, die
„gegen ihren Willen in den Teilbe-
trieb versetzt wurden“, bei Opel ver-
bleiben und stattdessen an Segula
verliehen werden. „Die Umsetzung
würde zur Befriedung beitragen, die
Arbeitsfähigkeit beider betroffenen
Unternehmen sicherstellen, Konflikte
mit den Beschäftigten vermeiden
und gegebenenfalls langwierige Ge-
richtsverfahren erledigen.“
Sogenannte Arbeitnehmerüberlas-
sungen an Segula lehnt die Geschäfts-
führung um Opel-Chef Michael Loh-
scheller allerdings entschieden ab.
Stattdessen werden etwa 150 Opel-
Mitarbeiter für grob ein halbes Jahr
bestimmte Dienstleistungen für Segu-
la erbringen, um eine reibungslose
Übergabe von 120 Motoren- und Rol-
lenprüfständen, 20 Gebäuden und
dazugehöriger Aufträge zu gewähr-
leisten. „Wir bestätigen, dass es in
der Startphase der Partnerschaft mit
Segula sogenannte Transitional Ser-
vice Agreements (TSA) geben wird“,
erklärte ein Opel-Sprecher.

Viel Geld für Segula


Zudem erhält Segula von Opel eine
Anschubfinanzierung von insgesamt
190 Millionen Euro, die in mehreren
Tranchen ausgezahlt wird. Das geht
aus einem Betriebsübergangsvertrag
hervor, der dem Handelsblatt vor-
liegt. Demnach sind bereits zehn Mil-
lionen Euro an Segula geflossen. Mit
dem nun erfolgten Abschluss der
strategischen Partnerschaft wandern
weitere 80 Millionen Euro auf das
Konto der Franzosen. In 13 Monaten
sollen erneut 37 Millionen fließen, in
25 Monaten 33 Millionen und in 37
Monaten 30 Millionen Euro.
Während Opel viel Geld dafür be-
reitstellt, seine Kooperation mit Segu-
la ins Laufen zu bringen, knausert die
Marke mit dem Blitz laut der Gewerk-
schaft IG Metall andernorts in sträfli-
chem Ausmaß. „Im Zukunftstarifver-
trag wurde festgeschrieben, dass sich
das Unternehmen zu Investitionen
zur Bestandserhaltung und Beschäfti-
gungssicherung verpflichtet. Diese
Verpflichtung wird aus Sicht der IG
Metall verletzt“, kritisiert Rudolf Luz,
der im Vorstand der IG Metall die Be-
triebspolitik verantwortet.
Der hochrangige Gewerkschafter
warnt: „Damit verlieren die Opel-Be-
schäftigten das Vertrauen in die Zu-
kunft des Unternehmens.“ Tatsäch-
lich haben bereits 6 000 Mitarbeiter
die Traditionsmarke in den vergange-
nen zwei Jahren verlassen.

Kommentar Seite 28


Unruhe in Rüsselsheim


Opel kündigt


Mitarbeitern


Mehr als zwei Dutzend Fachkräfte weigern sich, zum Dienstleister


Segula zu wechseln. Jetzt erhalten sie die Kündigung.


Die Opel-Be -


schäftigten


verlieren das


Vertrauen in


die Zukunft


des Unter -


nehmens.


Rudolf Luz
Vorstand IG Metall

Konzeptauto von Se-
gula: Viele Opel-Mit-
arbeiter tun sich mit
der Firma schwer.

AP

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MONTAG, 2. SEPTEMBER 2019, NR. 168

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