Handelsblatt - 02.09.2019

(lu) #1

Absatzeinbruch


Indiens Autofabriken stehen still


Die indische Autoindustrie


steckt in einer Krise.


Hersteller und Zulieferer


reagieren mit temporären


Produktionsstopps.


Mathias Peer Bangkok


D


en Beschäftigten in Indiens
Autofabriken geht die Arbeit
aus. In seinen Werken für An-

triebstechnik will der Zulieferer


Bosch im September an bis zu zehn


Tagen die Produktion vollständig


stoppen. Wie am Freitag bekannt


wurde, schlossen auch der japanische


Hersteller Toyota und Hyundai aus


Südkorea im August für mehrere Ta-


ge ihre Fabriken auf dem Subkonti-


nent. Zuvor hatten bereits lokale Au-


tobauer wie Tata Motors und Mahin-


dra & Mahindra tagelang die Arbeit


gestoppt.


Die Unternehmen reagieren mit


den Produktionskürzungen auf die


seit Jahren schwerste Krise der indi-


schen Automobilindustrie. Die galt


noch vor Kurzem als Hoffnungsträger


der indischen Wirtschaft. Noch vor ei-


nem Jahr ging das Beratungsunter-


nehmen McKinsey davon aus, dass


Indien beim Autoabsatz bis 2021 Ja-


pan überholen könnte – und damit


zum drittgrößten Automarkt der Welt


hinter den USA und China aufsteigen


könnte.


Doch statt ihr rasantes Wachstum


fortzusetzen, ging es mit der Branche


steil bergab: Im Vergleich zum Vor-


jahr sanken die Autoverkäufe im Juli


um 31 Prozent. Einen so starken


Rückgang hat die Branche in Indien


seit 18 Jahren nicht mehr erlebt. Ver-


bände warnen vor dem Verlust von


einer Million Arbeitsplätzen. „Die


Aussichten sind eine extreme Heraus-


forderung“, sagte Bosch-Indien-Chef
Soumitra Bhattacharya. Einen Stellen-
abbau hält er für unvermeidlich.
Die Branche leidet unter zwei Pro-
blemen. Zum einen sind die sinken-
den Verkaufszahlen Folge des kon-
junkturellen Abschwungs: Die Wachs-
tumsrate von Asiens drittgrößter
Volkswirtschaft sank im jüngsten
Quartal auf fünf Prozent im Vergleich
zum Vorjahr, wie die Statistikbehörde
am Freitag mitteilte. Das ist der nied-
rigste Wert seit sechs Jahren.
Zum anderen lastet die Krise von
Indiens Schattenbanken auf dem Au-
tomarkt. Sie finanzierten in den ver-
gangenen Jahren mehr als die Hälfte
der Nutzfahrzeuge und rund ein Drit-
tel der Pkw. Doch nach dem Zusam-
menbruch des Konzerns IL&FS – eine
der größten Schattenbanken des Sub-
kontinents – kamen auch die verblie-
benen Finanzierungsgesellschaften
nur noch schwer an neue Gelder. Als
Resultat gingen die Autofinanzierun-
gen massiv zurück.
Am stärksten betroffen ist das in-
disch-japanische Gemeinschaftsunter-
nehmen Maruti Suzuki, das bei Pkw
Marktführer ist. Die Verkäufe gingen
zuletzt um 37 Prozent zurück. Bei Tata
Motor lag der Rückgang bei 31 Pro-
zent. Toyota verkaufte rund ein Viertel
weniger Fahrzeuge. Deutsche Premi-
umhersteller kommen vergleichsweise
glimpflich davon: Daimler meldete für
das erste Halbjahr ein Minus von 15
Prozent, BMW von vier Prozent.
Die indische Finanzministerin Nir-
mala Sitharaman versucht nun ge-

genzulenken. Sie kündigte Ende Au-
gust Schritte an, um die Liquidität
der Schattenbanken zu verbessern.
Zudem sollen die Behörden des Lan-
des Neuwagen kaufen, um der Auto-
industrie zu helfen. Auch veränderte
Abschreibungsregeln sollen Kunden
zum Neukauf bewegen. Beobachter
zeigen sich aber skeptisch: „Zu wenig
und zu spät“, lautete das Fazit, das
die Ratingagentur Fitch mit Blick auf
die Regierungsentscheidungen zog.
Die Analysten schrieben, dass Steuer-
senkungen und die Einführung einer
Abwrackprämie nötig wären, um die
Autobranche wieder in Fahrt zu brin-
gen.
Mercedes-Indien-Chef Martin
Schwenk zeigt sich hingegen optimis-
tisch, dass die jüngsten Beschlüsse
das Wachstum wieder anschieben
könnten: „Die Ankündigungen der Fi-
nanzministerin werden sicher helfen,
die Stimmung ein wenig zu drehen.
Wir sind dankbar, dass die Regierung
etwas unternimmt.“

Indischer Automarkt stagniert


Pkw-Verkaufszahlen in Millionen


2, 06
1,83 1,

2,
Millionen
2,

2,


2,


HANDELSBLATT


2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019


Quelle: Scotiabank

Prognose

Jaguar XE: Die indische Automobilindustrie – Jaguar gehört zu Tata Motors – steckt in der Krise.


Hindustan Times

Automarkt Indien


31


PROZENT


weniger Autos wurden im Juli in


Indien verkauft. Die Branche steckt
in der schwersten Krise seit 19 Jah-


ren.


Quelle: Automobilverband Siam


 



   


    


   
    


 
  
    


   
   


      


       






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MONTAG, 2. SEPTEMBER 2019, NR. 168


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