Handelsblatt - 02.09.2019

(lu) #1

Georg Weishaupt Düsseldorf


D


ie Botschaft ist klar:
„Nicht mehr suchen,
einfach finden: sozial
und ökologisch nach-
haltig produzierte Klei-
dung.“ So wirbt Bundesentwicklungs-
minister Gerd Müller (CSU) in Schau-
fenstern seines Ministeriums in Berlin
für das neue Textilsiegel „Grüner
Knopf “.
Am 9. September will Müller das
Siegel einführen, das den Verbrau-
chern erstmals zeigen soll, welche
Kleidung umweltfreundlich und zu-
gleich fair produziert wird. Der Grüne
Knopf soll den Käufern mehr Klarheit
für nachhaltig korrekte Kleidung bie-
ten – ein Metasiegel statt der vielen
einzelnen bestehenden Ökosiegel. Un-
ternehmen wie Tchibo, Otto und der
Outdoor-Spezialist Vaude werden zum
Start dabei sein.
Was so einfach klingt, ist äußerst
kompliziert und sorgt für reichlich
Konfliktstoff. Denn viele Unterneh-
men halten nichts von dem neuen Su-
persiegel. Oder sie wollen erst mal ab-
warten, ob es im Markt ankommt. An-
dere kritisieren, dass sie gerne gleich
beim Start dabei sein wollen, aber
nicht dürfen – wie der Discounter Kik.
Kik-Chef Patrick Zahn ist verärgert,
weil Kik erst einen Prüftermin für das
neue Siegel im Oktober erhalten hat.
Daraus folgert Zahn, dass „das Minis-
terium beim Start auf eine kleine
Gruppe an auf Nachhaltigkeit fokus-
sierten Anbietern setzt anstatt auf die
große Käuferschicht im Massen-
markt“, wie er gegenüber dem Han-
delsblatt kritisierte. Spürbare Verän-
derungen würden sich aber nur erge-
ben, „wenn auch die Kundinnen und
Kunden im Massenmarkt den Grünen
Knopf als Kaufanreiz erkennen“.
Der Discounter wird deshalb wie ei-
nige andere Unternehmen „frühes-
tens im nächsten Jahr die ersten Texti-
lien mit dem Grünen Knopf verkau-
fen“, wie eine Sprecherin sagte. Bei
anderen Unternehmen ist es noch of-
fen, ob sie zum Start im September
dabei sein werden.
„Lidl Deutschland durchläuft aktu-
ell das Prüfverfahren zum Grünen
Knopf “, sagte ein Sprecher des Dis-
counters „Auf Basis der Ergebnisse
werden wir final über die Teilnahme
entscheiden.“
Die Probleme mit den verspäteten
Prüfterminen kritisiert Stefan Genth,
Hauptgeschäftsführer des Handelsver-
bands Deutschland (HDE). „Es droht
Wettbewerbsverzerrung, wenn nicht
für alle Marktteilnehmer die gleichen
Spielregeln gelten“, sagte Genth dem
Handelsblatt. „Umso mehr, als die
Einführung des Siegels mit hohen
Kosten und Anpassungen der Liefer-
kette verbunden sind“, bemerkte der
HDE-Hauptgeschäftsführer.

Keine Kompromisse


Minister Müller will lieber im Septem-
ber mit weniger Unternehmen star-
ten, als die Premiere noch um ein
paar Monate zu verschieben. Den
Engpass begründet er damit, dass die
Prüfstellen wie Tüv und Dekra „sorg-
fältig von der Deutschen Akkreditie-
rungsstelle ausgewählt“ werden. „Wir
haben daher nur eine begrenzte An-
zahl an autorisierten Prüfern“, erklärt
Müller. Deshalb würden „einige Unter-

nehmen erst in den kommenden Wo-
chen geprüft“.
Außerdem will er bei den Prüfun-
gen keine Kompromisse machen. Er
versucht mit dem neuen Siegel, erst-
mals alle Kriterien für eine nachhalti-
ge Textilproduktion zu berücksichti-
gen. Heutige Siegel wie Ökotex und
Fairtrade umfassen nur einzelne The-
men wie schadstoffarme Produkte
und eine solche Produktion sowie fai-
re Arbeitsbedingungen.

„Um das Zertifikat zu erhalten, müs-
sen 26 soziale und ökologische Krite-
rien für das Produkt erfüllt werden“,
wirbt Müller für den Grünen Knopf.
Das reicht von Abwassergrenzwerten
bis zum Zwangsarbeitsverbot.
Außerdem muss „das Unterneh-
men als Ganzes seine Sorgfaltspflich-
ten anhand von 20 Kriterien nachwei-
sen“, erklärt der Minister. Dazu zählt
er, ob ein Unternehmen zum Beispiel
effektive Beschwerdemechanismen in
den Produktionsstätten installiert hat
und ob es entdeckte Missstände tat-
sächlich abschafft.
Unabhängige Prüforganisationen
wie der Tüv kontrollieren, ob die Un-
ternehmen die Kriterien einhalten. In
der Startphase geht es erst einmal da-
rum, ob die Textilfirmen in den Pro-
duktionsstufen Zuschneiden und Nä-
hen sowie Bleichen und Färben die
Kriterien einhalten. Später soll der
Forderungskatalog erweitert werden.
Nichtregierungsinitiativen wie die
Kampagne für Saubere Kleidung, ein
Netzwerk deutscher Nichtregierungs-
organisationen, kritisieren, dass der
Grüne Knopf nur die gesetzlichen
Mindestlöhne in den jeweiligen Pro-
duktionsländern voraussetze. Es sei
aber notwendig, die Bezahlung der
Beschäftigten in den Werken der Tex-
tilindustrie in Asien auf das Niveau
existenzsichernder Löhne zu erhö-
hen. Dieses Kriterium will Minister
Müller jedoch erst in den nächsten
Jahren aufnehmen.
Dem Minister ist es wichtiger, jetzt
mit dem neuen Siegel zu starten, als
gleich alle Maximalforderungen zu er-
füllen. Deshalb erkennt er bei der Zer-
tifizierung von Produkten auch Siegel
wie den Global Organic Textile Stan-
dard (GOTS) an, um Doppelaufwand
für die Unternehmen zu vermeiden.
GOTS steht für umwelttechnische An-
forderungen entlang der gesamten
textilen Produktionskette und gleich-
zeitig für einzuhaltende Sozialkrite-
rien.

Textilsiegel


Ärger um den


„Grünen Knopf “


Das staatliche Textilsiegel soll Anfang September endlich


starten. Doch es gibt zu wenig Prüfkapazitäten.


Nähstuben der Welt
Bekleidungsimporte 2018
nach Deutschland in Mrd. Euro

8,1 Mrd. €


5,


3,


1,


1,


1,


1,


1,


China


Bangladesch


Türkei


Italien


Indien


Kambodscha


Vietnam


Pakistan


Baumwoll fabrik in Indien:
Der Grüne Knopf soll die Arbeits-
und Umweltbedingungen entlang
der weltweiten Lieferkette der
Textilindustrie verbessern.

© Atlantide Phototravel/Corbis

Die Vereinigung entstand im
Jahr 2014 auf Initiative von
Bundesentwicklungsminister
Gerd Müller nach dem Einsturz
der Textilfabrik Rana
Plaza in Bangladesch.
Das Ziel: die Verbesse-
rung der Arbeits- und
Umweltbedingungen
entlang der Lieferkette
der Textilindustrie.

72 Mitglieder zählt das Bünd-
nis derzeit. Sie vereinbaren
jährlich eine Roadmap. Die
darin festgehaltenen Verbes-

serungen werden jeweils im
Folgejahr überprüft. Maßnah-
men, die darauf abzielen, dass
Arbeitern und Arbeiterinnen
existenzsichernde Löhne
gezahlt werden können,
müssen die Bündnismit-
glieder in diesem Jahr
erstmals verbindlich
ergreifen.

Das Ergebnis für 2018
zeigt, dass die Mitglieder des
Bündnisses rund 80 Prozent
ihrer Ziele erreicht haben. Von
der gesamten verarbeiteten

Baumwolle stammen inzwi-
schen rund zehn Prozent aus
Bioanbau sowie 22 Prozent
aus anderen nachhaltigen
Quellen. Bis zum nächsten
Jahr wollen die Mitglieder, die
für 50 Prozent des deutschen
Textilmarktes stehen, diesen
Anteil auf insgesamt mindes-
tens 35 Prozent steigern.

Ziel ist, dass so viele Mitglie-
der für das Bündnis gewonnen
werden, dass 75 Prozent des
deutschen Textilhandels abge-
deckt sind.

Deutsches Textilbündnis


Unternehmen & Märkte
MONTAG, 2. SEPTEMBER 2019, NR. 168

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