Interessanter ist eine andere Frage, nämlich ob
Privatiers nicht vielleicht sogar Arbeitsplätze schaf-
fen: „Führen sie ein Luxusleben und sichern Jobs
für die, die teure Autos bauen, Boutiquen betrei-
ben, Wohnungen putzen?“, fragt Bonin. „Investie-
ren sie in Immobilien und sorgen so für Arbeits-
plätze in der Baubranche?“ Privatier Henning sieht
sich in solch einer Rolle: „Ich tue das, was der Staat
nicht hinbekommt – ich biete Wohnraum an.“ Dass
Leute wie er nun als „böse Vermieter“ hingestellt
würden, findet Henning ungerecht. Er gehe
schließlich finanzielle Risiken ein, und das Miet-
recht sei auch nicht gerade schwach ausgeprägt.
Leistung muss sich auch lohnen
Auch die Debatte um die Vermögensteuer hält
Henning für fehlgeleitet. Sein Opa sei Gewerkschaf-
ter gewesen, sein Vater Beamter. Beide hätten ihm
auf seinen Lebensweg mitgegeben, die Ärmel
hochzukrempeln und etwas zu erschaffen. „Das
habe ich getan, und meine Ersparnisse wurde ja
auch schon alle versteuert.“ Durch eine Vermögen-
steuer würden sie dann doppelt besteuert. „Leis-
tung muss sich auch lohnen“, findet Henning.
Die SPD dagegen glaubt, nur wenige in Deutsch-
land hätten sich wie Henning ihr Vermögen aus ei-
gener Kraft aufgebaut. Ein Großteil sei vielmehr
vererbt – und damit „leistungsloses Einkommen“,
wie SPD-Interimschef Schäfer-Gümbel sagt. Auch
DIW-Arbeitsmarktexperte Karl Brenke glaubt, dass
die steigende Zahl der Privatiers stark mit Erbschaf-
ten zusammenhängt. „Dass Erben das Geld ihrer
Vorfahren verwenden, um sich in frühen Jahren ei-
nen Ruhestand zu gönnen, dürfte ein gewichtiger
Grund für den Anstieg der Privatiers sein.“
Aus den Daten des Statistischen Bundesamts ist
nicht ersichtlich, wie die steigende Zahl der Priva-
tiers zustande kommt. So könnten Erträge aus Ver-
mögen wie Dividenden oder Mieteinnahmen tat-
sächlich trotz der niedrigen Zinsen stark gewach-
sen sein. Es ist aber auch möglich, dass aufgebaute
Vermögen einfach aufgezehrt werden.
Es ist das alte Problem. Während die Lebenssi-
tuation armer Bürger sehr gut erforscht ist, gibt es
zum Leben der Vermögenden kaum verlässliche
Daten. Die Bundesregierung hat in ihrem jüngsten
Armuts- und Reichtumsbericht von 2017 versucht,
zumindest etwas mehr Licht ins Dunkel zu bringen
und hat Hochvermögende mit mindestens einer
Million Euro frei verfügbarem Geldvermögen nach
ihrer Tätigkeit befragt. 42 Prozent gaben an, Unter-
nehmer zu sein. Weitere 37 Prozent befanden sich
im Ruhestand, wovon zwölf Prozent angaben, Pri-
vatiers zu sein und somit hauptsächlich von ihrem
Vermögen zu leben. Ein Fünftel der Befragten war
abhängig erwerbstätig.
Auch Henning zählt neuerdings wieder zur
Gruppe der Unternehmer, zumindest so halb. Nur
Privatier sei ihm auf Dauer doch zu langweilig ge-
wesen, sagt er. Deshalb habe er mit drei Partnern
kürzlich ein Hotel gekauft. „Neben Privatier bin ich
jetzt auch Hotelier.“
Geld schafft Geld
Zahl der Privatiers in Deutschland
627 000
372 000
4 15 000
HANDELSBLATT
2000 2010 2018
Quelle: Destatis
Definition
Überwiegender
Lebensunterhalt aus
eigenem Vermögen,
Ersparnissen, Zinsen,
Vermietung,
Verpachtung,
Altenteil
Sozialer Arbeitsmarkt
Hilfen für die Abgehängten
Rund 30 000 Langzeitarbeits -
lose werden acht Monate nach
Programmstart gefördert. Ein
„Beitrag zum Zusammenhalt“,
sagt BA-Chef Scheele.
Frank Specht Berlin
H
underttausende Menschen
in Deutschland haben ge-
nug Ersparnisse oder Ver-
mögen, um nicht mehr arbeiten zu
müssen. Deutlich mehr würden ger-
ne arbeiten, schaffen es aber nicht.
Im August zählte die Bundesagentur
für Arbeit (BA) 724 000 Menschen,
die seit mindestens einem Jahr ar-
beitslos gemeldet sind. Zwar ist die
Zahl deutlich gesunken; vor vier
Jahren waren es noch mehr als eine
Million. Doch der verfestigte Kern
der Langzeitarbeitslosigkeit hält
sich hartnäckig, während auf der
anderen Seite die Zahl der Priva-
tiers wächst. Ein Ausdruck der Spal-
tung im Land.
Nicht umsonst hat BA-Chef Detlef
Scheele deshalb vergangene Woche
- kurz vor den Wahlen in Branden-
burg und Sachsen – eine erste Bi-
lanz des zum Jahresbeginn gestarte-
ten Sozialen Arbeitsmarktes gezo-
gen, mit dem die Bundesregierung
Langzeitarbeitslosigkeit bekämpfen
will. „Hier wird niemand zurückge-
lassen“, so Scheele. Rund 30 000
Menschen würden mittlerweile ge-
fördert – ein „wirklicher Beitrag
zum Zusammenhalt“.
Ein neues Instrument
55 Prozent der Langzeitarbeitslosen
sind schon länger als zwei Jahre oh-
ne Arbeit, jeder vierte sogar min-
destens vier Jahre. Die schwarz-rote
Koalition hatte deshalb anstelle bis-
heriger Förderprogramme, die be-
fristet und mäßig erfolgreich waren,
den Sozialen Arbeitsmarkt als neues
Regelinstrument für die Jobcenter
ins Leben gerufen.
Das eine Programm nennt sich
„Teilhabe am Arbeitsmarkt“. Seine
Zielgruppe sind Arbeitslose, die in-
nerhalb der letzten sieben Jahre
sechs Jahre lang Hartz IV bezogen
haben und in der Zeit allenfalls
kurzzeitig beschäftigt waren. Arbeit-
geber, die ihnen eine Chance geben,
bekommen in den ersten zwei Jah-
ren die Lohnkosten komplett erstat-
tet. Ab dem dritten Jahr sinkt der
Zuschuss um jeweils zehn Prozent-
punkte, die Höchstdauer beträgt
fünf Jahre. Laut BA haben mittler-
weile 24 800 Langzeitarbeitslose
über diesen Weg eine sozialversi-
cherungspflichtige Beschäftigung
gefunden.
Das andere Programm heißt „Ein-
gliederung von Langzeitarbeitslo-
sen“. Arbeitslose, die seit mindes-
tens zwei Jahren ohne Job sind, kön-
nen darüber zwei Jahre lang speziell
gefördert werden. Für sie gibt es im
ersten Jahr 75 Prozent Lohnkosten-
zuschuss und im zweiten Jahr 50
Prozent. Hier sind derzeit 5 100 Teil-
nehmer registriert.
Beide Instrumente sehen ein be-
schäftigungsbegleitendes Coaching
vor, weil viele Langzeitarbeitslose
sich erst wieder an einen struktu-
rierten Tagesablauf gewöhnen müs-
sen und oft zusätzlich gesundheitli-
che Probleme oder Schulden haben.
Nicht nur Beschäftigungsgesell-
schaften und Kommunen engagie-
ren sich auf dem Sozialen Arbeits-
markt, sondern auch private Arbeit-
geber, lobte der BA-Chef. Einer
davon ist die Audio-Optimum
GmbH, eine Manufaktur von High-
End-Lautsprechersystemen mit
zehn Beschäftigten in Recklinghau-
sen. Chefin Alexandra Mittelbach
hat einen Langzeitarbeitslosen ein-
gestellt, der sich seit 2013 von Maß-
nahme zu Maßnahme gehangelt
hatte. Er arbeitet in der Produktion
bei der Kabelkonfektionierung, hilft
aber auch in der Lackiererei oder
Schreinerei.
Sie könne den Sozialen Arbeits-
markt nur empfehlen, „weil die Mit-
arbeiter unheimlich engagiert
sind“, sagt die Chefin. Es gebe ande-
re Bewerber, die kämen oft zu spät
zur Arbeit oder nach der Probezeit
gar nicht mehr. Das sei hier anders –
auch dank des Coachings, bei dem
Probleme direkt angesprochen wer-
den können.
Früher hätten Jobcenter Langzeit-
arbeitslose zuweilen fünfmal zum
Bewerbertraining geschickt, einfach
weil es zu wenige langfristige För-
dermöglichkeiten gab, sagte Schee-
le. Diese stünden nun bereit. Aller-
dings sei es nach wie vor herausfor-
dernd, Betroffene zu gewinnen:
„Wir müssen zehn Menschen an-
sprechen, um einen Arbeitsplatz zu
besetzen.“
Das Jobcenter Kreis Recklinghau-
sen hat bisher 475 Menschen, die
sechs Jahre oder länger Hartz IV be-
zogen, einen Job verschafft. 150
sind allerdings Übergänge aus dem
mit EU-Mitteln geförderten Vorläu-
ferprogramm Soziale Teilhabe. 600
Geförderte sollen es in diesem Jahr
noch werden, danach wird es mit
den Mitteln knapp, sagt der Leiter
des Jobcenters, Dominik Schad. 13
Millionen Euro hat er für dieses Jahr
zusätzlich für Eingliederungsmaß-
nahmen bekommen, insgesamt ste-
hen für den Sozialen Arbeitsmarkt
bundesweit vier Milliarden Euro bis
2024 bereit.
„Die Rahmenbedingungen sind
heute viel besser als bei den bisheri-
gen befristeten Programmen, die
oft mit großem Verwaltungsauf-
wand verbunden waren“, sagt
Schad. Sehr positiv sei, dass die
Langzeitarbeitslosen als normale
Kollegen in den Betrieb integriert
würden, unterstützt durch ihren
Coach. Dass der sich abzeichnende
wirtschaftliche Abschwung die an-
fänglichen Erfolge schnell wieder
zunichtemachen könnte, erwartet
der Jobcenter-Chef nicht: „Ich sehe
den Sozialen Arbeitsmarkt weitge-
hend abgekoppelt von der konjunk-
turellen Entwicklung.“
Tatsächlich findet das Gros der
Langzeitarbeitslosen eine Beschäf-
tigung in eher konjunkturunab-
hängigen Wirtschaftszweigen wie
dem Gesundheits- und Sozialwe-
sen, bei Dienstleistern oder in der
öffentlichen Verwaltung. Laut BA-
Chef Scheele kommt ein gutes Drit-
tel der Arbeitgeber aus der Privat-
wirtschaft.
Nicht immer gelingt es auf An-
hieb, Arbeitgeber für das Projekt zu
begeistern – etwa in Bremen mit ei-
ner vergleichsweise hohen Arbeits-
losenquote. „Für das Jobcenter ist
es schwierig, Arbeitsplätze für das
Programm zur Eingliederung von
Langzeitarbeitslosen zu finden“,
sagt eine Jobcenter-Sprecherin.
Dennoch ist es gelungen, Jobs
für 55 Menschen zu finden, die seit
mindestens zwei Jahren arbeitslos
waren und nun zwei Jahre lang mit
Lohnkostenzuschüssen gefördert
werden. „Die Motivation, sich zwei
Jahre lang zu bewähren, ist viel
größer, wenn die Langzeitarbeits-
losen wissen, dass sie mit ihren Fä-
higkeiten im neuen Betrieb an-
kommen können“, heißt es vom
Jobcenter. Allerdings muss sich
zeigen, ob der Job auch Bestand
hat, wenn die staatliche Förderung
ausläuft. Denn eine Nachbeschäfti-
gungspflicht gibt es für die Arbeit-
geber nicht.
Jobcenter: Eine Milliarde Euro pro Jahr für den Sozialen Arbeitsmarkt.
plainpicture/Andreas Süss
Hier wird niemand
zurückgelassen.
Detlef Scheele
Vorstandsvorsitzender der
Bundesagentur für Arbeit (BA)
Privatiers in Deutschland
MONTAG, 2. SEPTEMBER 2019, NR. 168
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