Handelsblatt - 02.09.2019

(lu) #1

Brandenburg


Veränderung zur letzten Wahl in Prozentpunkten

Landtagswahlen 2019
Hochrechnung der Wahlergebnisse 20:00 Uhr1 Hochrechnung der Wahlergebnisse 20:00 Uhr

15,7 %



  • 7,3 PP


HANDELSBLATT • 1) Sonstige = 5,5 % (-3,0 PP); 2) Sonstige = 3,8 % (-0,1 PP) Quelle: Infratest dimap/ARD

Union


26,1 %


-5,8 PP

SPD


10,6 %


+4,4 PP

Grüne


10,7 %



  • 7,9 PP


Linke


23,7 %


+11,5 PP

AfD


4,4 %


+1,7 PP +2,9 PP

FW FDP


Sachsen


32,5 %


-6,9 PP

Union


7,8 %


-4,6 PP

SPD


8,4 %


+2,7 PP

Grüne


10,1 %


-8,8 PP

Linke


27,8 %


+18,1 PP

AfD


4,6 %
3,3 %

+0,8 PP

FDP


+2,3 PP

BVB/FW


5,0 %


J. Hildebrand, T. Sigmund, F. Specht Berlin


W


enn am Montag im Kanzleramt
die Spitzenvertreter der Großen
Koalition zusammenkommen,
dann werden sie trotz ihrer
Wahlniederlagen erleichtert
sein. Zwar haben die SPD in Brandenburg und die
CDU in Sachsen ihr jeweils schlechtestes Ergebnis
eingefahren. Und trotzdem fühlten sie sich am
Sonntagabend wie Sieger. Die AfD ist nicht an CDU
und SPD vorbeigezogen. Die Ministerpräsidenten
von Brandenburg und Sachsen, Dietmar Woidke
(SPD) und Michael Kretschmer (CDU), können vo-
raussichtlich weiterregieren.
Das war alles andere als sicher. In den Umfragen
lag die SPD in Brandenburg vor drei Monaten noch
auf dem vierten Platz, die CDU lag in Sachsen hinter
der AfD. Ein Albtraum für beide Volksparteien.
Auch deshalb hatten sich Union und SPD frühzeitig
für Montagabend zum Koalitionsausschuss verabre-
det. Offiziell geht es um Klimaschutz. Aber man
wollte das Treffen auch nutzen, um nach einem
möglichen Wahlbeben beraten zu können und die
Fliehkräfte der Großen Koalition zu kontrollieren.
Es ist schlimm, aber es hätte alles auch noch
schlimmer kommen können – dieses Gefühl domi-
niert nun in den Parteizentralen von CDU und SPD.
Die AfD kommt laut Hochrechnungen von Sonntag-
abend in Sachsen auf 27,8 Prozent – ihr stärkstes
Ergebnis. In Brandenburg erreichen die Rechtspo-
pulisten 23,7 Prozent. Damit hat die AfD ihr Ergeb-
nis gegenüber der letzten Landtagswahl in Sachsen
fast verdreifacht, in Brandenburg verdoppelt. Das
starke Abschneiden der AfD fand auch in interna-
tionalen Medien breite Beachtung. Es sieht so aus,
als etabliere sich die AfD als neue Volkspartei in
Ostdeutschland. In Sachsen wird sich das Ergebnis
der AfD nur bedingt in Zugewinnen bei den Land-
tagssitzen auswirken: Wegen eines Fehlers bei der
Listenaufstellung wird sie nur 30 Mandate wahr-
nehmen können.
Der Abstieg der bisherigen Volksparteien setzt
sich fort. In Sachsen kam die SPD laut Hochrech-
nungen nur noch auf 7,8 Prozent – das schwächste
Ergebnis, das die Sozialdemokraten jemals bei einer
Landtagswahl eingefahren haben. Und die CDU ist
in Brandenburg mit 15,7 Prozent auf dem dritten
Platz, die Linken und Grünen im Nacken. Dass man
in Berlin über diesen Schock erleichtert ist, liegt an
den beiden Ministerpräsidenten, die in den vergan-
genen Wochen eine Aufholjagd hinlegten. So schnei-
det Kretschmer in Sachsen mit 32,5 Prozent besser
ab als befürchtet. CDU-Generalsekretär Paul Ziemi-
ak sprach von einem „ganz persönlichen Erfolg“.
In der SPD-Zentrale freute man sich mit und für
Woidke. Er und die Sozialdemokraten kommen laut
Hochrechnungen in Brandenburg auf 26,1 Prozent.
„Ich freu mich unheimlich für die sozialdemokrati-
sche Partei: Wir können Wahlen gewinnen, das ist
doch die Botschaft, die von heute ausgeht, und da-
rum muss es auch in den nächsten Jahren immer
wieder gehen“, sagte Vizekanzler Olaf Scholz (SPD).
Und das, obwohl die SPD gegenüber der letzten
Landtagswahl verloren hat. Aber vergleichen mit
der Bundesebene ist das Abschneiden in Branden-
burg halt noch immer stark.
Die Parteioberen nutzen die gefühlten Wahlsiege
von Kretschmer und Woidke, um die Unruhe in
den eigenen Reihen zu dämpfen und für einen
Fortbestand der Großen Koalition zu werben. Die
Ergebnisse in Brandenburg und Sachsen seien „He-
rausforderung und Ansporn zugleich, die vor uns
liegenden Aufgaben auch in Deutschland, auch in
der Bundespolitik mit voller Entschlossenheit an-
zugehen“, sagte CDU-Generalsekretär Ziemiak. Bei
der SPD wurde man am Sonntagabend nicht mü-
de, darauf hinzuweisen, dass sich Woidke im Wahl-
kampf für die Fortsetzung der Großen Koalition
ausgesprochen hatte.
In Berlin ist man auch deshalb so bemüht, die
Stimmenverluste in Siege umzudeuten, weil beide
Koalitionspartner ohnehin angeschlagen sind. Die
SPD ist kopflos, sie sucht eine neue Parteiführung.
Die CDU hat zwar mit Annegret Kramp-Karrenbau-
er schon eine neue Führung, ist aber mittlerweile
mit ihr nicht mehr zufrieden angesichts ihrer Pan-

Große Verluste


für CDU und SPD


Während die AfD in Brandenburg und Sachsen hinzugewinnt,


fahren die Volksparteien historisch schwache Ergebnisse ein.


Einziger Trost: Es ist nicht so schlimm gekommen wie befürchtet.


Sachsens Ministerpräsident
Michael Kretschmer (CDU)
mit Lebensgefährtin Annett
Hofmann: Für eine Koalition mit
der SPD reicht es nicht mehr.

dpa

Wirtschaft


& Politik


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MONTAG, 2. SEPTEMBER 2019, NR. 168


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