Die Welt - 27.08.2019

(Michael S) #1
Küsschen, Küsschen:
Die First Lady der
USA, Melania Trump,
begrüßt Kanadas
Premier Justin Tru-
deau (l.) beim Treffen
zum Gruppenfoto
(oben). Ihr Ehemann
Donald Trump schaut
nicht hin

REUTERS

/ CARLOS BARRIA; REUTERS/ PHILIPPE WOJAZER

G


anz am Ende war Angela
Merkel wieder in ihrem
Element: „Uns stehen ar-
beitsreiche Wochen ins
Haus“, verabschiedete
Merkel die Presse, nachdem sie zuvor
aufgezählt hatte, woran sie vorher gear-
beitet hatte: eine libysche Friedenskon-
ferenz unter Führung der Vereinten
Nationen, eine gemeinsame Haltung
der G7 gegenüber dem Iran, koordi-
nierte Hilfe für den brennenden Regen-
wald im Amazonas, ein baldiges Treffen
im Normandie-Format, um im Ukraine-
Konflikt weiterzukommen, und – übri-
gens – dem US-Präsidenten habe sie
vorgeschlagen, einmal eine Wirt-
schaftskonferenz für kleine und mittle-
re Unternehmen in Deutschland auszu-
richten. Die Weltpolitik als Ansamm-
lung von Tausenden von Schräubchen,
an denen man mit viel Fleiß und großer
Vorsicht immer wieder drehen muss.

VON ROBIN ALEXANDER
AUS BIARRITZ

Deutschland hat sich an die Methode
Merkel gewöhnt. Aber auf diesem
G-7-Gipfel fiel so deutlich wie lange
nicht mehr auf, dass Weltpolitik anders-
wo anders geht: mit großen Gesten,
überraschenden Einladungen, mit Risi-
ko und Pathos. Davon gab es beim
Gipfel im französischen Biarritz reich-
lich: Der Gastgeber, Emmanuel Macron,
und sein schwierigster Gast, Donald
Trump, führten einen dreitägigen Paar-
tanz auf, indem sie von Nähe zu Distanz
und wieder zu Nähe wechselten, nicht
ohne einander ständig der gegenseiti-
gen Begeisterung zu vergewissern.
Eine ganz große Show, in der für die
deutsche Kanzlerin nur eine Nebenrolle
vorgesehen war: Merkel interpretierte sie
als amüsierte Zuschauerin, die fast spöt-
tisch den Tanz der großen Egos zu verfol-
gen schien. Bis Trump sie am Montagmor-
gen doch noch hineinzog. Ein „Bilateral“ –
also ein Gespräch zwischen zwei Ländern
am Rande des Gipfels – war angekündigt,
wwwurde einmal verschoben und fand dannurde einmal verschoben und fand dann
gegen elf Uhr doch noch statt. Das Beson-
dere: Die eigentlich nur für Auftaktbilder
und als Zeuge weniger Begrüßungsworte
dazugebetene Begleitpresse blieb mehr
als 20 Minuten im Raum und erlebte ei-
nen sehr redseligen US-Präsidenten.
„Wir werden den Handel ausbauen“,
schwärmte Trump. „Wir haben über
Militär und Verteidigung gesprochen.
Über viele Dinge. Eine Menge wunder-
voller Dinge haben wir abgeschlossen.“
Augenscheinlich erstaunt, versuchte
Merkel eine freundliche Antwort, die
dennoch den Eindruck völliger Über-
einstimmung relativierte: „Wir hatten
sehr produktive Gespräche. Angesichts
der guten Beziehungen unserer beiden
Länder können wir auch schwierige
Themen gut miteinander besprechen.“
Doch Trump blieb im Charme-Modus,
nannte Merkel „brillant“ und „großar-
tig“ und baute mehrere Witzchen in
seine Antwort ein: „Wenn du auch eine
Pressekonferenz machst, komme ich.
Nur zum Zuschauen!“, sagte er zur
Kanzlerin. Als diese etwas später
deutsch sprach, wartete Trump die
Übersetzung nicht ab, sondern scherz-
te über die schwere Sprache: „Oh, das
hört sich gar nicht gut an!“
AAAber auch der freundlich aufgelegteber auch der freundlich aufgelegte
Trump verletzte die Regeln der Diploma-
tie. Mehrfach antwortete er auf Fragen,
die explizit an die Kanzlerin gerichtet wa-

ren, etwa als es darum ging, ob Deutsch-
land von den Amerikanern gefangene IS-
Kämpfer zurücknehmen müsse, die aus
Deutschland stammen oder schon einmal
dort gelebt haben. Auch versuchte er
Merkel für seine Chinapolitik zu verein-
nahmen: „Ich glaube, Präsident Xi ist ein
großer Führer. Du glaubst das auch,
oder?“ Da konnte Merkel nur nicken,
denn Trump redete weiter.
Auf die Frage, ob die Kanzlerin Druck
auf ihn ausgeübt habe, den Handels-
krieg mit China zu deeskalieren, sagte
Trump: „Nein. Sie möchte, dass es
funktioniert. Denn es wäre gut für alle
Leute.“ Hier setzte Merkel wieder be-
müht freundlich einen anderen Akzent:
„Wir sind alle miteinander verbunden,
ich habe schon oft gesagt, dass ich mich
freuen würde, wenn es zu einem guten
Abkommen zwischen den USA und
China kommt.“
Starr geradeaus schaute Merkel, als
Trump zu einer kleinen Tirade über
seine politischen Gegner ansetzte. Er
schimpfte auf Barack Obama und
weitere frühere US-Präsidenten und
bezeichnete seinen möglichen demo-
kratischen Gegenkandidaten Joe Biden
mit dem Schimpfnamen „Sleepy Joe“,
der verschlafene Joe. Als das Treffen
immer mehr den Charakter einer
Trump-Soloshow annahm, versuchte
sich Merkel Gehör zu verschaffen: „If I
may ...“, was Trump aber nicht daran
hinderte, wortreiche Überlegungen zu

may ...“, was Trump aber nicht daran
hinderte, wortreiche Überlegungen zu

may ...“, was Trump aber nicht daran


äußern, wie sehr eines seiner Golfres-
sorts in Florida als Austragungsort des
nächsten G-7-Gipfels geeignet wäre.
Am Ende kündigte Trump auch noch ei-
nen Besuch in Berlin an: „Vielleicht
bald. Ich habe Deutsches im Blut. Wir
werden sehr bald in Deutschland sein.“
Tatsächlich hat der Präsident auf meh-
rere Einladungen Merkels noch nicht
reagiert.
Doch mit dem bemerkenswerten Auf-
tritt mit Merkel lief sich Trump nur
warm: Sein ebenbürtiger Partner war der
französische Gastgeber Macron. Die
Kanzlerin war schon auf dem Rückflug,
als die beiden zu ihrer großen Abschluss-
show vor die Presse traten. Vor dem all-
jährlichen Treffen der Führer der westli-
chen Welt ist viel spekuliert worden, was
aus dem erkennbar überkommenen G-7-
Format werden würde. Trump hätte am
liebsten wieder G8 daraus gemacht und
den seit einigen Jahren nicht mehr er-
wünschten russischen Präsidenten Wla-
dimir Putin hinzugebeten. Der gegentei-
lige Vorschlag, auch Trump nicht mehr
einzuladen, und so aus G7 eine G6 zu
machen, war nur auf der Arbeitsebene
einmal angedacht, aber von den Chefs
sofort verworfen worden. Es würde auf
eine G5 gegen zwei hinauslaufen, hatten
angelsächsische Medien spekuliert:
Denn der neue britische Premierminis-
ter Boris Johnson würde sich auf die Sei-
te Trumps schlagen.
Es kam ganz anders: Putin blieb fern.
Trump blieb da. Und Johnson blieb in
außen- und sicherheitspolitischen Fra-
gen ganz auf der europäischen Linie.
Stattdessen riss Macron die Initiative
an sich. Mit einer sehr selbstbewussten
Interpretation der G-7-Präsidentschaft
umgarnte und provozierte er Trump
gleichermaßen und schwang sich zu
dessen weltpolitischem Sparringspart-
ner auf. Die gemeinsame Pressekonfe-
renz dokumentierte nur, was in Biarritz
geschehen war: Aus G7 war G2 gewor-
den – ein französisch-amerikanischer
Paartanz mit fünf Zuschauern.

Beim Macron-Trump-Tanz führte
eindeutig der Franzose: Er gab nicht
nur den Takt vor, sondern ging auch ab-
wechselnd einen Schritt auf den Ameri-
kaner zu, um sich kurz darauf wieder
von ihm zu entfernen und dann doch
wieder zurück in die Nähe zu wechseln.
Schon am Samstagnachmittag – Merkel
war noch gar nicht an der Atlantikküste
eingetroffen – umgarnte Macron
Trump mit einem langen, eigentlich im
Gipfelablauf nicht vorgesehenen Mit-
tagessen. Es erntete schöne Bilder und
Lob des Amerikaners.
Dann am Sonntag folgte der entschei-
dende Ausfallschritt: Macron ließ nicht
nur für alle Beobachter völlig überra-
schend den iranischen Außenminister
Mohammed Dschawad Sarif einfliegen.
AAAlso den höchsten Diplomaten des Lan-lso den höchsten Diplomaten des Lan-
des, das Trump mit Sanktionen über-
zieht, um es zum Ablassen von dessen
AAAtomstrategie und Israel-Feindschaft zutomstrategie und Israel-Feindschaft zu
bewegen. Biarritz hielt den Atem an – war
Trump vorab informiert? Würde er den
Gipfel vielleicht sogar im Zorn verlassen
und damit G7 endgültig begraben?
Er blieb. So sehr hatte Macron ihn
mit Freundlichkeiten eingesponnen,
dass er ihm das diplomatische Husaren-
stück verzieh. Zumal der Iraner den
entscheidenden Schritt nicht machen
durfte: Er war zwar in Biarritz, nicht
aber auf dem Gipfel. Tatsächlich trafen
sich Macron und Sarif im Hôtel de Ville
des Badeortes, dem Rathaus also: Das
liegt exakt gegenüber der roten Zone,
also dem Kernbereich des Gipfels.
Trump behauptete später, Macron habe
ihn schon am Samstagmittag in den Be-
such Sarifs eingeweiht. Dies dürfte
kaum den Tatsachen entsprechen. Die
deutsche Kanzlerin jedenfalls stellte es
plausibel so dar, als sei die Entschei-
dung, den Iraner nach Biarritz zu bit-
ten, erst nach dem ersten Arbeitsessen
der G7 am Samstagabend von Macron
getroffen worden. Sie selbst wurde erst
am Sonntag informiert, als Sarif schon
im Anflug war.
Gegen Trumps Behauptung, er sei ein-
geweiht gewesen, sprechen auch die ers-
ten Reaktionen von Vertrauten. So twit-
terte Trumps ehemalige Botschafterin bei
den Vereinten Nationen, Nikki Haley:
„Das ist komplett respektlos gegenüber
Donald Trump und den anderen Führern
aaauf dem G7. Manipulativ von Macron, dasuf dem G7. Manipulativ von Macron, das
zu tun, und sehr unaufrichtig!“ Kein Ame-
rikaner war zugegen, als Macrons außen-
politischer Chefberater nach dem Treffen
mit Sarif den außenpolitischen Chefbera-
ter der Kanzlerin, Jan Hecker, und seinen
britischen Kollegen über den Verlauf des
Gesprächs informierte. Vieles spricht da-
fffür, dass Trump einfach entschied, guteür, dass Trump einfach entschied, gute
Miene zu Macrons Spiel zu machen.
Und dann gab es noch eine Überra-
schung bei der Pressekonferenz der
beiden: Frankreichs Staatschef kündig-
te an, der US-Präsident werde sich in
den kommenden Wochen mit Irans
Präsident Hassan Ruhani treffen. „Wir
haben die Bedingungen geschaffen für
eine Zusammenkunft“, so Macron.
„Wenn die Umstände stimmen, wäre
ich sicherlich bereit“, sagte Trump. So
konnte der Franzose einen Sieg errin-
gen, der ihm wichtig war: Mit dem Iran
wird wieder geredet. Und die Amerika-
ner sind sogar dafür. Ein Krieg im Na-
hen und Mittleren Osten ist mit diesem
Gipfel sicher nicht abgewendet, aber
doch etwas weniger wahrscheinlich ge-
worden. Kein Erfolg der Methode Mer-
kel, sondern der Methode Macron.

Merkel zu Gast bei der


Macron-&-Trump-Show


Drei Tage lang führen der französische und der amerikanische Präsident


auf dem G-7-Gipfel einen ungewöhnlichen Paartanz auf. Die Kanzlerin


entscheidet sich für die Rolle einer amüsierten Zuschauerin: Doch dann


zieht Trump sie doch hinein


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27.08.19 Dienstag, 27. August 2019DWBE-HP



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6 POLITIK *DIE WELT DIENSTAG,27.AUGUST


lien haben das Potenzial, einen notwen-
digen internationalen Kurswechsel in
der Amazonas-Politik anzustoßen. Erst-
mals nimmt die Weltgemeinschaft
wahr, was auf dem Spiel steht. Millio-
nen Menschen realisieren, dass an den
jahrelangen Warnungen der Umwelt-
schützer etwas dran ist, wonach der Re-
genwald nicht nur eine regionale Ange-
legenheit ist, sondern als CO 2 -Speicher
eine enorme Bedeutung für das Weltkli-
ma hat. Die Katastrophe könnte sich als
eine Riesenchance für den Regenwald
entwickeln – wenn die entsprechenden
Weichen gestellt werden.
In einer ersten Reaktion haben die
G-7-Staaten rund 20 Millionen Euro an
Soforthilfen zugesagt, allein elf Millio-
nen davon stellt Großbritannien zur
Verfügung. Damit sollten vor allem
Löschflugzeuge finanziert werden, sag-
te Macron am Montag beim Gipfeltref-
fen im Seebad Biarritz. Zudem einigten
sich die Länder auf einen Wiederauf-
forstungsplan. Über den solle bei der
UN-Vollversammlung Ende September
weiter beraten werden. Dafür sei aber
die Zustimmung aus Brasilia nötig.
„Als nächsten Schritt brauchen wir
ein weitergehendes G-7-Rettungspro-

F


rankreichs Präsident Emmanuel
Macron spricht von einem globa-
len Fonds für den Amazonas, Ko-
lumbiens Staatschef Iván Duque bringt
einen Regenwaldpakt unter Führung
der Vereinten Nationen ins Spiel. Und
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU)
will die Länder in Südamerika, die von
den Bränden im Amazonas-Regenwald
betroffen sind, bei der Wiederauffors-
tung unterstützen. „Es folgt ein langes
Engagement“, versprach Merkel beim
G-7-Gipfel im französischen Biarritz.
„Die Lunge unserer gesamten Erde ist
betroffen, und deshalb müssen wir hier
auch gemeinsame Lösungen finden.“

VON TOBIAS KÄUFER

Das alles sind neue Töne, wenn es um
die Zukunft des Amazonas-Regenwal-
des geht. Bislang erschöpfte sich das In-
teresse der westlichen Industrienatio-
nen bei Besuchen in Brasilien auf einen
kurzen Besuch irgendeines symboli-
schen Umweltprojekts in Manaus, den
Rest der Zeit widmeten die Politiker der
Wirtschaftsmetropole in São Paulo und
Gesprächen in der Hauptstadt Brasília.
Doch die verheerenden Feuer in Brasi-

gramm für die Regenwälder weltweit.
Denn alle vier Sekunden wird die Fläche
eines Fußballfelds abgeholzt – vor allem
für riesige Soja- und Palmölplantagen.
Elf Prozent der weltweiten CO 2 -Emis-
sionen gehen auf die Waldzerstörung
zurück“, heißt es in einer Erklärung von
Entwicklungshilfeminister Gerd Müller
(CSU) vom Sonntag. Er hängt die Mess-
latte hoch: „Die G-7-Staaten müssen bis
zum UN-Klimagipfel im September die
Zusage verbindlich einlösen, ab 2020
jährlich 100 Milliarden Dollar für Klima-
schutzprogramme in den hauptbetrof-
fenen Ländern zu investieren.“
Dass die Katastrophe das weltweite
Umweltgewissen aufrüttelt, ist eine Sa-
che. Eine andere ist, dass die Feuers-
brünste die Versäumnisse der regiona-
len Politik schonungslos aufdecken. Es
brennt in Brasilien, Paraguay, Bolivien,
Peru und Kolumbien – aber es gibt in
der Amazonas-Region keine zentrale
Leitstelle für den Katastrophenschutz,
keine Einsatzzentrale, von der aus das
Feuer gezielt bekämpft werden könnte.
Boliviens Präsident Evo Morales
musste in den USA bei einer Spezialfir-
ma nachfragen, um eine Boing 747 zur
Brandbekämpfung ins Land zu holen.

Die Ankunft des sogenannten Supertan-
kers verfolgten die Menschen fasziniert
via Liveticker. Eigentlich wäre es klug
gewesen, hätten sich die Amazonas-An-
rainerstaaten in den vergangenen Jah-
ren zusammengetan und angesichts der
jährlich wiederkehrenden Brände in ei-
nen überregionalen Brandschutz inves-
tiert. Doch ernsthafte Initiativen gab es
nicht. Eine Konsequenz der tiefen ideo-
logischen Gräben zwischen dem linken
und dem rechten Lager in Lateinameri-
ka, die unter anderem in der Haltung
zum brutalen Regime in Venezuela völ-
lig zerstritten ist.
Die brasilianische Umweltaktivistin
Marina Silva, die 2008 aus Protest ge-
gen die verheerende Umweltpolitik des
damaligen Präsidenten Luiz Inácio Lula
da Silva von ihrem Posten als Umwelt-
ministerin zurücktrat, sieht im Desinte-
resse der brasilianischen Parteien am
Umweltschutz ein generelles Problem:
„Weder die Linke noch die Rechte res-
pektiert den Amazonas“, sagte Silva der
Tageszeitung „El Espectador“.
Die wohl prominenteste Umweltpoli-
tikerin des Landes hat erst im Oktober
vergangenen Jahres am eigenen Leib er-
fahren, welcher Stellenwert eine ökolo-

gisch ausgerichtete Politik in Brasilien
hat. Als Spitzenkandidatin der Umwelt-
partei Rede kam sie im ersten Durch-
gang der Präsidentschaftswahl gerade
mal auf 1,0 Prozent der Stimmen. Silva,
die es bei vorangegangen Wahlen fast in
die Stichwahl geschafft hatte, setzte
auch diesmal auf eine ökologische Poli-
tik, war am Ende aber chancenlos.
In die Stichwahl gingen der rechtspo-
pulistische Klimawandel-Leugner und
spätere Sieger Jair Bolsonaro und Fernan-

do Haddad von der linksgerichteten PT,
die in Jahrzehnten zuvor für eine umwelt-
fffeindliche Politik stand. Umweltschutzeindliche Politik stand. Umweltschutz
und Klimapolitik standen für die Brasilia-
ner noch vor ein paar Monaten ganz un-
ten auf der Prioritätenliste. Die Mehrheit
wollte Jobs, Sicherheit und einen Politik-
wechsel. Auch das erklärt, warum es in
Brasilien bislang nur kleinere Demonstra-
tionen für den Amazonas gibt.
Derzeit versucht Brasilien mit inter-
nationaler Hilfe, die Feuer zu bekämp-
fen. Bolsonaro teilte mit, er habe mit
dem israelischen Ministerpräsidenten
Benjamin Netanjahu telefoniert, Israel
will nun ein Spezialflugzeug schicken.
Insgesamt setzt Brasilien rund 44.
Soldaten zur Brandbekämpfung ein. Ge-
rade hat die brasilianische Überwa-
chungsbehörde erneut Alarm geschla-
gen: Sie hat seit Jahresbeginn per Satel-
lit mehr als 41.000 Brände im Amazo-
nas-Gebiet gezählt. Mehr als die Hälfte
davon sei im August entstanden. Lokale
Medien berichteten über einen „Tag des
Feuers“, bei dem Bauern und Landar-
beiter in einer konzertierten Aktion die
Brände gelegt haben sollen, um durch il-
legale Brandrodung zu neuen Ackerflä-
chen zu kommen.

Die Brandkatastrophe als große Chance für die Amazonasregion


Reaktion der internationalen Gemeinschaft: G 7 geben Soforthilfe und wollen bei UN-Vollversammlung über Wiederaufforstung beraten. Israel schickt Unterstützung


ALLE VIER


SEKUNDEN WIRD


DIE FLÄCHE EINES


FUSSBALLFELDS


ABGEHOLZT


GERD MÜLLER (CSU),
Entwicklungshilfeminister

,,


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