Die Welt Kompakt - 27.08.2019

(Nora) #1

12 WIRTSCHAFT DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT DIENSTAG,27.AUGUST


D


a ist sie wieder: die
1996 zum bislang
letzten Mal in
Deutschland erho-
bene Vermögensteuer. Geht es
nach dem Präsidium der SPD
und dem Interimsvorsitzenden
der Partei Thorsten Schäfer-
Gümbel sollen möglichst bald
„besonders reiche Teile der Be-
völkerung“ ein Prozent Steuern
auf Vermögenswerte wie
Grundstücke, Immobilien, Un-
ternehmensanteile und Bargeld
zahlen. Bei besonders hohen
Summen seien auch 1,5 Prozent
denkbar, so Schäfer-Gümbel.
Jährlich sollen auf diese Weise
rund zehn Milliarden Euro in
die Haushalte der Bundeslän-
der fließen, es handelt sich um
eine Ländersteuer.

VON KARSTEN SEIBEL

Damit wärmt die SPD kurz
vor den Landtagswahlen in
Sachsen und Brandenburg ein
Thema wieder auf, dass seit
Jahrzehnten regelmäßig den
Wählern präsentiert wird. „Wir
wollen Verteilungs- und Ge-
rechtigkeitsfragen wieder stär-
ker in den Mittelpunkt stellen“,
sagte Schäfer-Gümbel. Doch
wie gerecht ist eine Vermögen-
steuer? Zahlen vermögende Pri-
vatpersonen und Unternehmen
in Deutschland tatsächlich zu
wenig Steuern?
Um den Eindruck zu vermei-
den, mit den Plänen nur Neid
gegenüber vermögenden Bür-
gern und Unternehmen schü-
ren zu wollen, hat die SPD die
Schweiz als Vorbild auserko-
ren. Im Nachbarland, das
wahrlich nicht den Ruf hat, be-
sonders kritisch gegenüber
wohlhabenden Menschen zu
sein, gibt es tatsächlich noch
eine Vermögensteuer. Wobei
der Satz in den meisten Kanto-
ne weit unter dem einen Pro-
zent liegt, das die SPD in die
politische Diskussion schickt.
Wer beispielsweise 400.
Franken, umgerechnet
370.000 Euro Vermögen hat,
muss nicht einmal 0,5 Prozent
an den Fiskus abführen.
Die Sätze sind in der Schweiz
niedriger, dafür soll die Steuer
hierzulande erst bei sehr viel
höheren Beträgen greifen. Von
üppigen Freibeträgen ist die
Rede, auf genaue Summen wol-
le sich die SPD erst festlegen,
wenn die Delegierten des SPD-
Parteitags im Dezember grund-
sätzlich einer Rückkehr zur
Vermögensteuer zugestimmt
haben. „Wir sprechen von Mul-
timillionären, also geht es min-
destens um zwei Millionen Eu-
ro“, sagte Schäfer-Gümbel le-
diglich. Die zwei Millionen Eu-
ro Freibetrag sind genau die
Zahl, die von einigen SPD-ge-
führten Bundesländern bereits
im Jahr 2012 in einem Entwurf
eingebracht wurde.
Der Verweis der SPD auf die
Schweiz ändert nichts daran,
dass eine Vermögensteuer in
den vergangenen Jahren in den
meisten Ländern verschwun-
den ist. Laut OECD hatten 2017

von rund 35 verhältnismäßigen
wohlhabenden Staaten nur
noch vier eine allgemeine Ver-
mögensteuer – neben der
Schweiz gehörten dazu Spa-
nien, Norwegen und Frank-
reich. Wobei Frankreich im ver-
gangenen Jahr auch noch die
Gruppe verließ.
Ein direkter Vergleich mit
anderen Ländern ist deshalb
schwierig geworden. Die Orga-
nisation für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwick-
lung (OECD) behilft sich da-
mit, dass sie alle vermögensbe-
zogenen Steuern, etwa Grund-
steuer, Erbschaftsteuer und
Steuer auf Kapitalgewinne, zu-
sammenfasst. In dieser Statis-
tik lag die Belastung 2017 in
Deutschland bei 1,0 Prozent.
Womit das Land nicht nur un-
ter dem OECD-Schnitt der 36
Mitgliedsländer von 1,9 Pro-
zent liegt, sondern auch weit
hinter Luxemburg (3,7 Pro-
zent) oder eben der Schweiz
(2,0 Prozent) liegt.
Das zeigt, dass Vermögen in
Deutschland in der Tat ver-
gleichsweise niedrig besteuert
werden. In den genannten Ver-
gleichsländern ist allerdings

die Einkommensteuer deutlich
niedriger. Bei dieser Steuer
langt Deutschland deutlich
stärker zu.
Die Vermögensteuer wird
von der SPD mit dem Gerech-
tigkeitsargument begründet. In
der Tat sind die Vermögen in
Deutschland – genauso wie in
vielen anderen Ländern – un-
gleicher als die Einkommen
verteilt. Die SPD verweist dabei
auf Zahlen des Deutschen Insti-
tuts für Wirtschaftsforschung
(DIW), nach denen die 45 ver-
mögendsten Haushalte so viel
besitzen wie die ärmere Hälfte
der Bevölkerung.
Allerdings wiesen die DIW-
Forscher im Vorjahr auch da-
rauf hin, dass die Auswirkungen
dieser Ungleichheit in Deutsch-
land weniger negativ sind als in
anderen Ländern. Denn zu den
Superreichen gehören hierzu-
lande viele Unternehmerfamili-
en, die typischen Vertreter des
deutschen Mittelstands. Sie
würden hohe Investitionen aus
eigenem Kapital stemmen und
Arbeitsplätze schaffen – so
komme das Vermögen schluss-
endlich durchaus der Allge-
meinheit zugute.

Gegen eine Vermögensteuer
wenden Kritiker zudem ein,
dass gerade die Wohlhabenden
dieses Landes sie leicht durch
Verlagerung der Vermögens-
werte umgehen könnten. „Auf-
grund der sehr geringen Ver-
breitung von Vermögensteu-
ern im internationalen Ver-
gleich bestehen zahlreiche Ge-
staltungsmöglichkeiten zur
Reduzierung einer Vermögens-
besteuerung in Deutschland“,
schrieb der wissenschaftliche
Beirat des Bundesfinanzminis-
teriums bereits vor sechs Jah-
ren in einer finanzwis-
senschaftlichen Analyse. Sie
könnten beispielsweise Vermö-
gen ins Ausland verlagern. Dies
gelte vor allem für große Ver-
mögen, wodurch das „mit der
Vermögensteuer verfolgte Um-
verteilungsziel“ infrage ge-
stellt werde.
Und dann ist da noch die Sa-
che mit der Bewertung. Das
Barvermögen zu beziffern ist
leicht, auch die Verkehrswerte
von Immobilien lassen sich er-
mitteln, doch schwieriger wird
dies etwa bei Kunstsammlun-
gen. Die Kosten der Erhebung
seien verschiedenen Untersu-
chungen zufolge die höchsten
unter allen Einzelsteuern,
stellte der wissenschaftliche
Beirat fest.
Schäfer-Gümbel wies die
Kritik zurück, wonach die Steu-
er zu bürokratisch sei und die
Wirtschaft zu stark belaste.
Der bürokratische Aufwand sei
„beherrschbar“, sagte er. Zu
rechnen sei mit einem Verwal-
tungsaufwand von fünf bis acht
Prozent des Steueraufkom-
mens. Zur Seite springt dem
Interimschef der SPD dabei die
Deutsche Steuergewerkschaft.
„Bis zu zehn Prozent Verwal-
tungskosten sind tolerabel“,
sagte Gewerkschaftschef Tho-
mas Eigenthaler.
Die meisten Vermögenswer-
te ließen sich leicht ermitteln,
bei Kunstgegenständen können
man beispielweise den Versi-
cherungswert zugrunde legen.
Zudem komme es darauf an, in
welchen Intervallen die Vermö-
gen bewertet würden. Bis 1996
sei dies in Deutschland alle drei
Jahre vorgeschrieben gewesen,
er könne sich auch alle fünf Jah-
re vorstellen – es sei denn, es
komme zu „gravierenden Wert-
sprüngen“ nach oben oder un-
ten. Auch einen anderen Kritik-
punkt der Wirtschaft will die
SPD entkräften – dass die Be-
steuerung von Unternehmens-
vermögen die heimische Wirt-
schaft schwäche.
Wettbewerbsfähigkeit und
Arbeitsplätze würden „über-
haupt nicht“ gefährdet, so
Schäfer-Gümbel. Es soll Ver-
schonungsregeln geben. Kein
Unternehmen soll durch die
Vermögensteuer in wirtschaft-
liche Probleme kommen. Das
richtige Maß ist aber schwierig
zu finden: Denn die Regeln dür-
fen nicht zu streng, aber auch
nicht zu lax sein, sonst kommt
kein Geld rein – und der Staat
kann die Steuer gleich lassen.

Wird Reichtum


geschont?


Die SPD sieht in einer Vermögensteuer


einen Beitrag zu mehr Gerechtigkeit.


Doch eine isolierte Betrachtung hilft


bei dem Thema nicht weiter


USA
Luxemburg
Schweiz
Dänemark
Chile
Deutschland
Schweden
Tschechien
Estland

,
,
,
,
,
,
,
,
,

Vermögensbezogene Steuern in ausgewählten Staaten

* ���� Quelle: OECD, ����

Anteil am Bruttoinlandsprodukt ����, in Prozent

OECD-Durchschnitt �,��*

Dänemark
Schweden
USA
Deutschland
Luxemburg
Schweiz
Estland
Tschechien
Chile

,
,
,
,
,
,
,
,
,

Einkommenssteuer in ausgewählten Staaten

* ���� Quelle: OECD, ����

Anteil am Bruttoinlandsprodukt ����, in Prozent

OECD-Durchschnitt �,��*

S


ämtliche Verkehrsmittel
in Deutschland haben
2017 einer Studie zufolge
Kosten von 149 Milliarden Euro
für die Allgemeinheit verur-
sacht. „Diese Kosten werden
nicht von den Verursachern be-
zahlt, sondern von uns allen“,
sagte der Chef des Vereins Alli-
anz pro Schiene, Dirk Flege.
„Zu den externen Kosten zäh-
len alle negativen Auswirkun-
gen der Mobilität, für die nicht
die Verkehrsteilnehmer selbst
bezahlen“, sagte Flege. Für den
Großteil ist demnach der Auto-
verkehr verantwortlich, der mit
rund 141 Milliarden Euro knapp
95 Prozent aller Folgekosten
verursache. Das liege zum ei-
nen am hohen Anteil von Autos
am Gesamtverkehr sowie an
den vielen Unfällen. Für Schä-
den oder Produktionsausfälle
kämen Versicherungen nur
zum Teil auf, sagte Studienau-
tor Cuno Bieler.
An zweiter Stelle steht der
Schienenverkehr, der für 3,
Prozent der Folgekosten ver-
antwortlich sei und damit für
knapp sechs Milliarden Euro.
Kostentreiber sind hierbei
demnach vor allem Schäden
durch Treibhausgas-Emissio-
nen, die bei der Produktion,
dem Betrieb und dem Entsor-
gen von Fahrzeugen entstehen.
Sie stehen für rund die Hälfte
der Eisenbahn-Folgekosten.
Der Anteil des Luftverkehrs
ist vergleichsweise niedrig, laut
Studie steht er gerade mal für
knapp einen Prozent der Folge-
kosten. Allerdings wurden hier-
bei – aus methodischen Grün-
den, wie es hieß – nur inländi-
sche Flüge berücksichtigt, kei-
ne grenzüberschreitenden. Wä-
ren hingegen alle Flüge von und
nach Deutschland berücksich-
tigt worden, hätte der Anteil
höher gelegen, sagte Bieler.
Das zeigt sich auch mit Blick
auf die durchschnittlichen Fol-
gekosten, die jeder Verkehrsträ-
ger pro Kilometer verursacht:
12,8 Cent pro Personenkilome-
ter etwa kostet der Luftverkehr
demnach die Allgemeinheit, be-
dingt vor allem durch die Kli-
maschäden, die das Fliegen ver-
ursacht. Beim Autoverkehr sind
es knapp elf Cent pro Kilome-
ter. Bei der Schiene wird unter
anderem nach Fernverkehr
(rund zwei Cent pro Personen-
kilometer) und dem Nahver-
kehr (vier Cent) unterschieden.
Für die Kostensätze griffen
die Studienautoren auf Daten
des Umweltbundesamts sowie
der Europäischen Kommission
zurück. Sie ermittelten die ex-
ternen Kosten, die etwa durch
Lärm, Natur- und Landschafts-
schäden, Klimafolgen sowie
Unfälle entstehen.dpa


Verkehrskosten


in Höhe von 149


Milliarden Euro


Hoher Folgeaufwand
vor allem durch Autos
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