Die Welt Kompakt - 27.08.2019

(Nora) #1

DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT DIENSTAG,27.AUGUST2019 FORUM 15


D


ie Flugscham grassiert,
Fleischkonsum wird
verteufelt, und wer sich
noch schwere Autos und
großzügige Wohnungen
leistet, steht am Pranger. Der Zeit-
geist fordert im Namen der Klimaret-
tung einen totalen Wandel der Kon-
sumgewohnheiten. Verzicht bis hin
zur Askese, lautet das Motto.
Schrumpfung und Rückbau sollen die
Welt retten. Immer lauter wird in der
Klimadebatte die Systemfrage ge-
stellt. Die wachstumsorientierte
Marktwirtschaft zerstöre unweiger-
lich den Planeten, so heißt es. Des-
halb sei der radikale Wandel der ein-
zig mögliche Weg zu einem nach-
haltigen Wirtschaftssystem.
Was für ein Irrtum! Wer Ökologie


haltigen Wirtschaftssystem.
Was für ein Irrtum! Wer Ökologie


haltigen Wirtschaftssystem.


und Ökonomie als natürliche Feinde
betrachtet, hat ein völlig falsches
Verständnis von Wachstum. Und er
unterschätzt die Anpassungsfähigkeit
der Marktwirtschaft an neue politi-
sche Ziele und veränderte Verhält-
nisse. So wenig wie der Sozialismus in
der Praxis jemals eine bessere Gesell-
schaft hervorgebracht hat, so wenig
kann eine Ökodiktatur den Umwelt-
schutz voranbringen. Denn die Öko-
logie ist viel zu komplex, um sie staat-
licher Lenkung zu überlassen. Die
Politik kann die (erreichbaren) Ziele
vorgeben und Rahmenbedingungen
setzen. Doch es braucht die Fantasie,
den Erfindungsgeist und den Unter-
nehmergeist vieler Millionen Men-
schen, um dann die richtigen Wege
und Techniken zu finden. Wachstum
ist dafür unverzichtbar. Denn jeder
Einzelne, jedes Unternehmen und
jeder Staat strebt in aller Regel nach
wirtschaftlicher Verbesserung – und
genau das bedeutet Wachstum.
Die erbitterten Kapitalismuskritiker
haben noch gar nicht begriffen, dass
sich der Kapitalismus schon längst
grün zu färben beginnt. Die Hersteller
von Windkraft und Solaranlagen sind
schließlich ebenso Unternehmen wie
die Betreiber von herkömmlichen
Kohle- oder Atomkraftwerken – und
ihre Lobby ist hierzulande mittlerwei-
le mindestens ebenso stark. Anbieter
von Mietfahrrädern sind genauso Ge-
schäftsmacher wie die Autohersteller.
Und Biobauern kämpfen wie traditio-
nelle Landwirte um Marktanteile.
„Öko“ birgt enorme Geschäftschancen



  • und damit Wachstumspotenzial.
    Denn anders als viele Grünbewegte
    glauben, beschränkt sich wirtschaftli-


che Dynamik eben nicht darauf, dass
die Menschen immer mehr Autos,
Kleider und Fernreisen konsumieren.
Auch wenn wir künftig lieber weniger
und dafür nachhaltig – also teurer –
produziertes Fleisch oder T-Shirts
einkaufen und unter dem Strich mehr
Geld dafür ausgeben, ist das, öko-
nomisch betrachtet, Wachstum. Und
das Gleiche gilt, wenn wir in den
Städten für bislang kostenlose Park-
plätze Gebühren zahlen. In wohl-
standsgesättigten Gesellschaften wie
der deutschen verlagert sich zudem
der Konsum immer mehr in Richtung
Dienstleistungen, ein Prozess, der
infolge des demografischen Wandels
noch enorm an Tempo gewinnen
wird. Der Anteil der Wirtschafts-
leistung, die für Gesundheitsdienste
oder Pflege, aber auch für Kinder-
betreuung und Bildung aufzuwenden
ist, steigt. Auch das sind Wachstums-
bereiche, die vergleichsweise umwelt-
verträglich sind und noch riesiges
Potenzial für Qualitätsverbesserun-
gen beinhalten und damit auch wieder
Wachstumschancen.
WWWer dagegen die wirtschaftlicheer dagegen die wirtschaftliche
Schrumpfkur als einzig möglichen
WWWeg in eine bessere Zukunft predigt,eg in eine bessere Zukunft predigt,
sollte ehrlich sagen, welche schmerz-
haften Folgen damit verbunden wä-
ren. Denn dann geht es schon bald
um ganz andere Fragen als den Ver-
zicht auf neue Kleider oder die
nächste Fernreise. Wenn Deutsch-
land wirtschaftlich nicht mehr in der
ersten Liga spielt, dann führt das
zwangsläufig auch zu Kürzungen im
Sozialsystem. Zumal das Gros der

Grüner


Kapitalismus


In der Klimadebatte wird der Ruf nach einem


radikalen Systemwechsel lauter. Doch wer


Ökologie und Ökonomie als natürliche Feinde


betrachtet, hat ein völlig falsches Verständnis


von Wachstum


DOROTHEA SIEMS

LEITARTIKEL


„Öko“ birgt enorme


Geschäftschancen –


und damit


Wachstumspotenzial


anderen Länder uns auf diesem ma-
sochistischen Trip kaum folgen wird.
In einer dynamischen Welt bedeutet
wirtschaftlicher Stillstand auto-
matisch Abstieg. Denn im Vergleich
zu den anderen Regionen werden wir
sukzessive immer ärmer. Und das
hat dann Auswirkungen, die weit
über den alltäglichen Konsum hi-
nausgehen. Ob medizinischer Fort-
schritt oder neueste Technik: Die
Deutschen werden lediglich zuschau-
en können, wie in anderen Ländern
die Entwicklung weiter voranschrei-
tet. Wie in den 50er-Jahren des ver-
gangenen Jahrhunderts fliegen die
WWWohlhabenden dann womöglichohlhabenden dann womöglich
wieder in die USA, wenn sie eine
lebensrettende Operation benötigen,
fffür die hierzulande die Geräte feh-ür die hierzulande die Geräte feh-
len. Während die Westdeutschen
dank des Wirtschaftswunders solche
medizinischen Reisen damals bald
nicht mehr nötig hatten, blieb in der
DDR bis zur Wiedervereinigung die
Lebenserwartung deutlich hinter
dem Westen zurück. Wachstum hat
eben viele Dimensionen.
In einer alternden Gesellschaft
wird die künftige Finanzierung der
Sozialversicherungen ohnehin eine
große Herausforderung. Nur mit wei-
ter steigendem Wohlstand wird die
junge Generation überhaupt in der
Lage sein, die stark steigende Zahl an
Älteren zu alimentieren. Wer sich
nach der angeblich heilen Welt der
vorindustriellen Zeit zurücksehnt,
sollte sich klarmachen, dass es damals
für den Großteil der Bevölkerung
keinerlei soziale Absicherung gab.
Ausbeutung prägte auch noch den
frühen Kapitalismus. Doch vor allem
in Europa ist es gelungen, Wachstum
mit einem sozialen Ausgleich zu ver-
binden, was die Gegner der Markt-
wirtschaft nie für möglich gehalten
hatten. Und es spricht vieles dafür,
dass der Kapitalismus auch in der
Lage ist, ökologische Parameter in
sein System einzubauen. Die Unter-
nehmer können sich auf staatlich
gesetzte Rahmenbedingungen wie
Umweltschutzstandards oder CO 2 -
Bepreisung einstellen. Allerdings
brauchen sie Berechenbarkeit statt
immer neuer Knüppel, die ihnen von
der Politik zwischen die Beine gewor-
fen werden.
Die radikalen Wachstumsskeptiker
hadern nicht nur mit dem techni-
schen Fortschritt, der Industrie oder
der Mobilität. Auch die Globalisierung
ist ihnen ein Gräuel. Was man
braucht, soll regional hergestellt wer-
den. Zumal nur diese Produktion
unter vollständiger Ökokontrolle
laufen kann. Der Verzicht auf die
internationale Arbeitsteilung hätte
einen gigantischen Wohlstandsverlust
zur Folge. Und zwar keineswegs nur
im Inland. Gerade auch die ärmeren
Regionen der Welt wären um ihre
einzige Chance auf eine bessere Zu-
kunft gebracht.
Wenn Deutschland überzeugende
Konzepte zum Umweltschutz präsen-
tiert, kann es international Vorreiter
werden. Gelingen aber wird die Kli-
marettung nur, wenn die Weltgemein-
schaft zur Zusammenarbeit findet.
Wohlstandsfeindliche Ökospinnerei
ist hierfür kontraproduktiv.
[email protected]

ǑǑ


KOMMENTAR


ULF POSCHARDT

Letztes Mucken


der SPD


D


ieSPD geht zu Ende. Die
Verdienste der Partei um den
demokratischen Segen dieses
Landes sind einzig. Nun aber siecht
die Partei führungs- und konzeptlos
durch die Gegenwart und hat sich bis
zu den Realos um Olaf Scholz einem
Linkspopulismus ergeben, dessen
Umverteilungsneigung jede Woche
weiter eskaliert. Die Partei ignoriert
den Aufstiegswillen der unteren Mit-
telschicht und entmutigt und frus-
triert jene, die dieses Land voran-
gebracht haben: vom fleißigen Fach-
arbeiter in Weissach und Ingolstadt
über den sparsamen Immobilienren-
tier bis hin zu jenen Familienunter-
nehmern, die Zigtausende von Jobs
geschaffen haben und garantieren.
Letztere müssen sich nun in SPD-
Karikaturen als Schmarotzer denun-
zieren lassen. Und das mit einer sat-
ten Rezession vor der Tür.
Dazu passt, dass die neue SPD-Spit-
ze ein peinliches Intermezzo bei jener
Demonstration in Dresden gab, die
„unteilbar“ sein wollte und mit ihrem
VVVerbot von Deutschlandfahnen underbot von Deutschlandfahnen und
dem Geleitschutz für Linksradikale die
Teilung im Osten verschärft hat. Au-
ßenpolitisch abgemeldet, innenpoli-
tisch irrlichternd, ordnungspolitisch
regrediert, ist die SPD außer für die
Stammtische, an denen Moralin ser-
viert wird, und jenes ambitionsarme,
kaum steuerzahlende Milieu verlo-
ckend, wenn nicht – selbst dort – ge-
aaahnt wird, wie unernst diese aktuellehnt wird, wie unernst diese aktuelle
programmatische Schrägstellung ist.
Wer ist die SPD, und was will sie?
Keiner ahnt es. Und keiner der Kan-
didaten, die nun Chef werden wollen,
hat das Format und das Standing, die
Partei zurück in eine Realität zu brin-
gen, die mehr als die Transferklientel
abbildet. Gewählt wird die SPD nur,
wenn sie das Ganze sieht und denkt.
Dies ist ihr weder intellektuell noch
charakterlich möglich. Sie geht den
Weg des geringsten Widerstands und
mobilisiert die Erfolgsarmen gegen
die Erfolgreichen.
In Sachsen rutscht die SPD Rich-
tung fünf Prozent. Sie ist längst Ju-
niorpartner der Grünen – wenn sie
Glück hat. Deren Schweigen zum
aktuellen Steuerirrsinn der SPD ist
laut. In Italien und Frankreich sind
die Sozialdemokraten fast verschwun-
den. Auch diese SPD wird kaum je-
mand vermissen. Sie hat ihren Kom-
pass über Bord geworfen. In Berlin
koaliert sie mit einer radikalisierten
Spießer-Linken, die wohnungspoli-
tisch längst den Boden der sozialen
Marktwirtschaft verlassen hat und
eine autoritäre Staatswirtschaft kon-
zipiert, mit weitreichender Ent-
eignung und Demotivation jener, die
erwirtschaften. Von den globalen
Herausforderungen der Ökonomie
(AI, Digitalisierung, Klima) ganz zu
schweigen. Die SPD ist blank. Sie hat
sich verloren.
[email protected]
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