Die Welt Kompakt - 27.08.2019

(Nora) #1

Frau Gebauer, hatten Sie bei Ih-
ren Gesprächen mit den jungen
Leuten den Eindruck, dass sie
über wirtschaftliche Zusam-
menhänge informiert sind?
GEBAUER:Ja, durchaus. Worü-
ber sie sich aber keine Gedanken
gemacht haben, ist sich zu über-
legen, wann ihr Ziel erreicht ist.
Wie lange wollen Sie demons-
trieren, ohne konstruktiv und im
Konsens mit anderen Akteuren
auf Lösungen hinzuwirken? Ma-
ximalpositionen können in einer
Demokratie nie umgesetzt wer-
den, sondern es zählt der Aus-
gleich, der Kompromiss zwi-
schen vielen berechtigten Inte-
ressen. Das ursprüngliche Ziel
der Schülerdemonstrationen
war, Aufmerksamkeit zu erregen.
Das ist seit Monaten erreicht. Be-
wusste Schulpflichtverletzungen
braucht es dazu nicht mehr. Eine
Protestbewegung, die zu wenig
auf Diskussion und Lösungssu-
che ausgerichtet ist, verliert auf
absehbare Zeit auch an gesell-
schaftlicher Akzeptanz. Das habe
ich den jungen Menschen als
Denkanstoß mitgegeben.


Dass Sie in NRW nun ein Schul-
fach Wirtschaft einführen, hat
nichts mit der Klimabewegung
zu tun?
GEBAUER: Nein, die Idee ist
schon bedeutend älter und eine


politische Forderung der FDP
seit vielen Jahren, der sich mitt-
lerweile viele angeschlossen ha-
ben. Sie stand auch in unserem
Wahlprogramm. Es gab in NRW
bereits zuvor einen Modellver-
such mit 70 Realschulen über
drei Jahre. Schüler, Eltern und
Lehrer fanden mehr ökonomi-
sche Kompetenzen im Unter-
richt gut. Deshalb wollte die FDP
damals mit den Ergebnissen und
Erkenntnissen aus dem Modell-
versuch in die Fläche gehen, die
rot-grüne Vorgängerregierung
hat das aber blockiert. Jetzt wird
das Fach Wirtschaft-Politik zum
kommenden Schuljahr in NRW
Realität, und ich freue mich sehr
darüber.

Sie sind in den 70er-Jahren in
Berlin zur Schule gegangen,
Herr Buchholz. Haben Sie da
etwas über Wirtschaft gelernt?
BUCHHOLZ: Es gab politische
Welt- und Sozialkunde. Wirt-
schaft hat auch eine Rolle ge-
spielt, aber sicher nicht in dem
Maße, wie man es hätte tun kön-
nen. Was Wirtschaft in Gänze
ausmacht, bekommt man an der
Schule nur begrenzt vermittelt.
Hinzu kommt, dass mittlerweile
ein Bild vom Unternehmertum
entstanden ist, das uns daran
hindert, junge Leute in Unter-
nehmen, Start-ups und Grün-

dungen zu bringen. Im medial
verbreiteten Bild steht der Un-
ternehmer schlecht da. Im Krimi
etwa spielt er entweder den
Schurken oder die weinerliche
Geisel. Eine andere Rolle – etwa
der coole, smarte Typ, der Ar-
beitsplätze schafft – findet in der
Regel nicht statt. Zu meiner Zeit
war das tatsächlich etwas anders.
Ich will mich darüber nicht be-
schweren. Aber für das, was Un-
ternehmer leisten, ist ihr Bild
einfach zu schlecht.

Nicht nur in Krimis, auch in
Lehrbüchern kommen Unter-
nehmer und Wirtschaft oft
nicht gut weg. Es wimmele von
„monoperspektivischen, ste-
reotypen Bildern“, hat Ihr
Staatssekretär in der „Wirt-
schaftswoche“ gesagt. Ist das
so, Frau Gebauer?
GEBAUER: Das ist leider viel zu
oft so, ja. Es gibt Schulbücher, die
nicht ausgewogen sind. Da er-
kennt man schon, wie teils ein-
seitig dargestellt und abgebildet
wird, auch beim Thema Wirt-
schaft, Energieerzeugung, Mobi-
lität oder Klimaschutz. Da gibt es
viel Schwarzmalerei. Die not-
wendigen neuen Kernlehrpläne
durch die Umstellung der Gym-
nasien auf G9 bieten jetzt die Ge-
legenheit für die Schulbuchverla-
ge, neue, ausgewogenere Lern-

mittel zu erarbeiten. Das erhof-
fen wir uns.

Wie kommen die Verlage zu ih-
rer Darstellung?
GEBAUER:Die Schulbücher fol-
gen natürlich den Kernlehrplä-
nen, und da gab es zum Beispiel
das Schulfach Wirtschaft bisher
nicht. In NRW gab es sieben Jah-
re lang eine rot-grüne Regierung,
die andere Schwerpunkte in den
Lehrplänen gesetzt hat als
Schwarz-Gelb heute. Das sieht
man dann eben auch an den vor-
handenen Schulbüchern.

Heinz-Peter Meidinger, Chef
des Deutschen Philologenver-
bandes, plädiert für eine partei-
übergreifende Lösung. Ist in
NRW Konsens möglich?
GEBAUER: Ich habe immer ge-
sagt: Schulpolitik muss ideolo-
giefrei im Sinne der Schülerin-
nen und Schüler gestaltet wer-
den. Das habe ich bei Rot-Grün
immer kritisiert, und das ist auch
jetzt mein Anspruch, den ich in
NRW so umsetze.

Herr Buchholz, Sie sind auch
ohne ein Schulfach Wirtschaft
erst Vorstandsvorsitzender von
Gruner & Jahr geworden, dann
Wirtschaftsminister. Denkt
Schleswig-Holstein trotzdem
über eine Einführung nach?

BUCHHOLZ: Das steht nicht im
aaaktuellen Koalitionsvertrag, alsoktuellen Koalitionsvertrag, also
wird es in dieser Legislaturperi-
ode nicht so sein. Aber das ist
durchaus ein sinnvolles Thema,
auch für Schleswig-Holstein. Da
geht es auch um Berufsvorberei-
tung. Das halte ich für sinnvoll.
Mit Jamaika werden wir das wohl
nicht realisieren. Aber als eine li-
berale Forderung kann man das si-
cher für die Zukunft mitnehmen.

Woher sollen dafür in NRW ei-
gentlich die Lehrer kommen,
Frau Gebauer?
GEBAUER:Momentan wird die-
ses Fach vor allem von Lehrkräf-
ten für das Fach Sozialwissen-
schaften unterrichtet, denn eine
konkret auf das neue Schulfach
ausgerichtete Lehrerausbildung
gibt es in NRW noch nicht. Ab
dem neuen Schuljahr arbeiten
wir erstmals mit Zertifikatskur-
sen zur Qualifizierung vorhande-
ner Lehrkräfte. Zudem bereiten
wir in Abstimmung mit dem Wis-
senschaftsministerium und inte-
ressierten Hochschulen die Leh-
rerausbildung für das Schulfach
Wirtschaft vor. Hätten wir zuerst
die Lehrerausbildung umgestellt,
wären noch einmal sieben Jahre
ins Land gegangen ohne aus-
kömmliche ökonomische Kennt-
nisse für unsere Schülerinnen
und Schüler.

DIE WELIE WELIE WELT KOMPAKTT KOMPAKT DIENSTAG, 27. AUGUST 2019 INTERVIEW 19


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