Die Welt Kompakt - 27.08.2019

(Nora) #1

2 THEMA DES TAGES DIE WELIE WELIE WELT KOMPAKTT KOMPAKT DIENSTAG, 27. AUGUST 2019


A


us Wirtschaft und Poli-
tik hagelt es Kritik am
ersten Entwurf für ei-
nen Mietendeckel in
Berlin. Manche Akteure sprechen
von „Enteignungsfantasien“ im
Berliner Senat für Stadtentwick-
lung und Wohnen.

VON MICHAEL FABRICIUS
UND CHRISTIAN HUNZIKER

Andere erwarten, dass Haus-
eigentümer ihre Immobilien in
der Hauptstadt künftig „verkom-
men“ lassen würden.

Selbst unter Genossenschaf-
ten, die regelmäßig nur in klei-
nen Schritten ihre Mieten anhe-
ben, ist man verunsichert.
Eine zunehmende Berlin-Al-
lergie macht sich offenbar auch
unter den Aktionären der großen
börsennotierten Wohnungsge-
sellschaften breit. Vonovia-An-
teilsscheine verloren am Montag
bei ansonsten guter Börsenstim-
mung rund 1,5 Prozent. Deutli-
cher abwärts ging es für die Deut-
sche Wohnen SE, die mit rund
110.000 Einheiten einen Großteil
ihrer Bestände in Berlin betreibt:
Zwischenzeitlich betrug das Mi-
nus knapp fünf Prozent. Seit dem
ersten Mietendeckel-Beschluss

der Berliner Koalition im Juni ha-
ben die Papiere des in der Haupt-
stadt viel kritisierten Unterneh-
mens rund 33 Prozent an Wert
verloren.
„Der Gesetzentwurf ist voll-
kommen kontraproduktiv, er wird
den Berliner Wohnungsmarkt mit-
nichten entspannen. Ohne Rück-
sicht auf Lage, Ausstattung oder
Einkommen der Mieter würden
durch den Staat willkürlich Mieten
fffestgelegt“, hieß es am Montag beiestgelegt“, hieß es am Montag bei
der Deutsche Wohnen.
Am Wochenende war ein Ar-
beitspapier bekannt geworden,

„das nicht für die Öffentlichkeit
bestimmt“ war, wie es im Senat
für Stadtentwicklung heißt. Da-
rin standen Details für einen ab-
soluten Mietendeckel – der erste
Versuch einer Umsetzung des
Beschlusses vom Juni, als sich die
Koalitionspartner SPD, Grüne
und Linke auf einen Preisdeckel
geeinigt hatten.
Demnach sollen Mieter, die in
einem Gebäude wohnen, das vor
2014 errichtet wurde, künftig
nicht mehr als 7,97 Euro Miete je
Quadratmeter und Monat zah-
len. In älteren Gebäuden liegt
der Deckel noch niedriger, für
Altbauten aus der Gründerzeit
bei 6,03 Euro. Neubauten ab 2014

sind ausgenommen. Das Ganze
soll rückwirkend zum Stichtag 18.
Juni gelten.
„Eine solche Ausprägung eines
Berliner Mietendeckels würde
völlig über das Ziel hinaus schie-
ßen und damit vor allem diejeni-
gen treffen, die dauerhaft und
verantwortlich in den Woh-
nungsmarkt investieren“, sagte
Axel Gedaschko, Präsident des
Spitzenverbandes der Woh-
nungswirtschaft GdW.
Belohnt würden von einer sol-
chen Regelung zudem solche
Vermieter, die in der Vergangen-

heit kaum Geld in ihre Wohnun-
gen und das Wohnumfeld ge-
steckt hätten und dennoch Mie-
ten am oberen Rand nehmen.
„Die Vermieter, die mit Augen-
maß investiert haben und den-
noch bezahlbare Mieten stellen,
haben die schlechtesten Karten“,
meint der Verbandschef, der
auch kommunale und genossen-
schaftliche Unternehmen ver-
tritt.
Bei Deutschlands größtem
Wohnungskonzern Vonovia hat
man die Folgen eines Mietende-
ckels schon einmal grob durchge-
rechnet. Eine Mietobergrenze
würde die Mieteinnahmen in
Berlin im kommenden Jahr um

20 bis 25 Millionen Euro reduzie-
ren, hieß es aus Bochum. Das wä-
ren zehn Prozent der Mietein-
nahmen in Berlin und rund ein
Prozent der Gesamtmieten von
Vonovia.
„Sollte der vom Berliner Senat
geplante Mietendeckel kommen,
würden wir die ursprünglich für
Berlin vorgesehenen Investiti-
onsmittel weitestgehend oder
vollständig in andere Regionen
umleiten, sodass unser Gesamt-
investitionsprogramm für den
Klimaschutz und den altersge-
rechten Umbau von Wohnungen

wie geplant umgesetzt wird“,
teilte Vonovia gegenüber WELT
mit.
Ob man das Portfolio neu be-
werten müsse, konnte der Kon-
zern noch nicht sagen. Die Deut-
sche Wohnen wollte sich auf An-
frage nicht aktuell äußern. Man
gehe davon aus, dass das Gesetz
ohnehin nicht in dieser Form
umgesetzt werden könne.
„Die Berliner Wohnungsbau-
politik ist ein Musterbeispiel da-
für, wie seit Jahren durch eine
verfehlte Landespolitik sowie ei-
ne Verhinderungsbürokratie der
notwendige Neubau von Woh-
nungen abgebremst wird“, ließ
der CDU-Wirtschaftsrat mittei-

Ein Schock


für die


Investoren


Aus der Immobilienwirtschaft kommt


heftige Kritik am konkreten Entwurf


zum Mietendeckel. Unsicherheit bei


Wohnungsbau-Genossenschaften


So soll der Berliner Mietendeckel aussehen

*mit Sammelheizung und Bad**in Westberlin***in Ostberlin Quelle: Eigene Recherchen

bis
1949*

1950
-1955*

1956
-1964*

Nach Baualtersklassen, Angaben in Euro Berliner Mietspiegel
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1965





1991





1973
-1983**

1984
-1990**

1973
-1990***

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Die stärksten Mietanstiege

Quelle: F+B

Durchschnittliche Angebotsmieten jeweils im zweiten Quartal in Euro pro m
± in %

Hamburg

Frankfurt/M.

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Entwicklung von ortsüblichen Vergleichsmieten

Quelle: Eigene Recherchen

Durchschnittliche monatliche Nettokaltmiete in Euro pro m�

Erhebung des Mietspiegels

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Berlin

München

HamburgHamburgHamburg

D


ie Berliner Stadtent-
wicklungssenatorin Ka-
trin Lompscher (Linke)
hat einen Entwurf für den ge-
planten Mietendeckel in der
Hauptstadt vorgelegt. Er
kommt einem politischen Ka-
mikaze gleich. Denn die Details,
die nun bekannt werden, sind
politisch, wirtschaftlich und ju-
ristisch derart unrealistisch, ei-
gentlich irrsinnig, dass eine
Bruchlandung als gesichert gel-
ten kann. Laut denbekannt ge-
wordenen Vorschlägen sollen
Berliner Mieten generell auf
maximal 7,97 pro Quadratmeter
im Monat gedeckelt werden.
Bei einem solchen Wert würden
die politischen Akteure mit Si-
cherheit eines ihrer Ziele errei-
chen: Die Mietrenditen großer
Unternehmen wären auf einen
Schlag vernichtet.
Selbst wenn es nur bei der
Renditevernichtung bliebe, wä-
ren die weiteren Folgen unab-
sehbar. Große Investitionen in
Wohnungsportfolios würden
wohl erst einmal ausbleiben,
Berlin würde innerhalb weniger
Wochen vom derzeitigen ersten
Platz der Top-Investitionsziele
in Europa abrutschen. Schlim-
mer noch wäre die Verunsiche-
rung der Entwickler und Bau-
träger, die den Großteil der
Mietwohnungsneubauten auf
den Markt bringen. Sie würden
wohl viele Projekte abblasen
oder mindestens verschieben.
Für den knappen Berliner
Wohnungsmarkt wäre das ver-
heerend. Geradezu absurd ist
jedoch, dass Lompscher ausge-
rechnet jene Marktteilnehmer
trifft, die sich meist fair und
ausgleichend verhalten: Genos-
senschaften, kommunale Un-
ternehmen und private Vermie-
ter. Sie sind darauf angewiesen,
in gewissen Abständen die Mie-
ten im gesetzlichen Rahmen
anzuheben, um die steigenden
Bau- und Instandhaltungskos-
ten zu tragen. Bei dem für Alt-
bauten vorgesehenen Höchst-
wert von 6,03 Euro pro Qua-
dratmeter wären sie aber ge-
zwungen, jede Investition ein-
zustellen.
WWWas die Berliner Senatorinas die Berliner Senatorin
Lompscher hier betreibt,
sprengt den Rahmen jeglicher
sachorientierten Politik. Sie
wird scheitern, wahrschein-
lich schon am Widerstand der
eigenen Koalitionspartner in
Berlin. Hinterher wird sie sich
als Märtyrerin darstellen kön-
nen. Damit kann man politisch
vielleicht bei der eigenen
Klientel gewinnen. Verlieren
aber werden Hunderttausende
Mieter und Eigentümer in der
Hauptstadt.
[email protected]


KOMMENTAR


MICHAEL FABRICIUS

Kamikaze


in Berlin


In deutschen Metropolen
entsteht mehr neuer Wohn-
raum.Besonders viele Kräne
drehen sich in Hamburg. Je
1 0.000 Einwohner wurden
dort im vergangenen Jahr
5 8 Wohnungen fertig. Das
ist der höchste Wert unter
den sieben Städten mit
mehr als 600.000 Einwoh-
nern, wie ein Vergleich von
Statistiken durch die Deut-
sche Presse-Agentur ergab.
Es folgten München (53),
Frankfurt (47) und Berlin
(46). Köln lag mit 36 neuen
Wohnungen je 10.000 Ein-
wohnern knapp über dem

Durchschnitt von 35 Ein-
heiten. Düsseldorf (32) und
Stuttgart (30) blieben da-
runter. Düsseldorf, Ham-
burg und Frankfurt seien in
der Lage, ihren Bedarf nach
und nach zu decken, sagte
Michael Voigtländer vom
Institut der deutschen Wirt-
schaft Köln. Dort dürfte sich
der Wohnungsmarkt lang-
fristig entspannen. Köln
habe Probleme verschlafen.
Berlin habe die Baufertig-
stellungen zwar in zehn
Jahren verdreifacht – aber
von einem niedrigen Niveau
aus und bei starkem Zuzug.

Hamburg baut am meisten
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