Die Welt Kompakt - 27.08.2019

(Nora) #1

DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT DIENSTAG,27.AUGUST2019 MAGAZIN 25


Prächtig: Samarkand bei Nacht,
hier der berühmte Platz Registan
zogenen Vollstreckungsbeschei-
den erhalten, sollten auf jeden
Fall Widerspruch einlegen.

Kann man auf Deutsch Wider-
spruch einlegen?
Nein, bei einem Widerspruch
muss man sich der Sprache des
Landes bedienen, aus dem die
Zahlungsaufforderung kommt.
Doch wer kann schon Kroatisch
oder Ungarisch? Deshalb ist es
besser, selbst einen Anwalt vor
Ort einzuschalten. Übrigens, wer
einen europäischen Mahnbe-
scheid aus dem Ausland erhält,
braucht sofort einen Rechtsbei-
stand, denn EU-Mahnbescheide
werden von Gerichten ausge-
stellt und deshalb von deutschen
Gerichtsvollziehern vollstreckt.

Das heißt, es kostet so oder so –
entweder kommt man der Zah-
lungsaufforderung nach, auch
wenn sie überhöht ist, oder
man zahlt für einen Anwalt.
Was passiert, wenn man solche
Schreiben ignoriert?
Wie gesagt, europäische Mahn-
bescheide zu ignorieren wäre
grundfalsch, denn diese werden
sonst vollstreckt. Was notarielle
Vollstreckungsbescheide aus
dem Ausland angeht, könnte man
diese – dem EuGH-Urteil sei
Dank – tatsächlich einfach in den
Papierkorb werfen. Das Gleiche
gilt für Schreiben von deutschen
Inkassofirmen; diese können
zwar drohen, aber keinen Ge-
richtsvollzieher schicken und
auch keinen Schufa-Eintrag in
Deutschland erwirken.

Warum sprechen Sie im Kon-
junktiv?
Weil auch das nur die halbe
Wahrheit ist. So können Inkasso-
firmen durchaus Druck machen,
wenn sie im Auftrag ausländi-
scher Amtsträger – etwa der Ver-
kehrspolizei oder im Namen lo-
kaler Behörden – auftreten.

Worum handelt es sich bei den
Forderungen der kroatischen
Parkraumbewirtschafter?
Das sind zivilrechtliche Mahnun-
gen.

Sind zivilrechtlicheForderun-
gen immer erkennbar?
Leider nein. In Italien, Kroatien,
Ungarn und Großbritannien sind
Maut- oder Parkgebührenforde-
rungen zivilrechtlicher Natur.
Ob es sich um eine zivilrechtli-
che Forderung oder um ein öf-
fentlich-rechtliches Bußgeld han-
delt, richtet sich nach dem Recht
des jeweiligen EU-Mitgliedstaa-
tes, die Grenzen sind oft flie-
ßend.

Warum ist das europäische Ver-
kehrsrecht noch immer so un-
einheitlich, die Gemeinschaft
besteht doch seit Jahrzehnten?
Der EuGH tritt erst in Aktion,
wenn ihm Problemfälle vorlie-
gen. Und so merkwürdige „Ge-
schäftsmodelle“ wie das kroati-
sche gelangten bislang nicht vor
den EuGH.

so lange seine Quittungen auf?
Zudem wird es deutschen Park-
sündern vor Ort in Kroatien oft
schwer gemacht, die Schuld so-
fort zu begleichen, indem etwa
der Strafzettel nicht an der Wind-
schutzscheibe klebt, sondern so-
fort an eine Anwaltskanzlei geht.
Das hat schon alles ein starkes
Geschmäckle.

Warum geht der ADAC dagegen
nicht vor?
Das stimmt so nicht, wir führen
im Namen unserer Mitglieder
schon seit Jahren Musterverfah-
ren vor kroatischen Gerichten
und vor dem Europäischen Ge-
richtshof. Mit Erfolg. So ent-
schied der EuGH 2017, dass kroa-
tische Notare die überhöhten
Parkforderungen nicht selbst per
Vollstreckungsbescheid in
Deutschland eintreiben dürfen.

Doch noch immer werden genau
solche Vollstreckungsbescheide
verschickt. Ein betroffener Le-
ser schrieb uns, er habe vor Kur-
zem einen notariellen Bescheid
aus Kroatien erhalten und die-
sen an seine Rechtschutzversi-
cherung weitergeleitet. Zu sei-
ner Überraschung habe die Ver-

cherung weitergeleitet. Zu sei-
ner Überraschung habe die Ver-

cherung weitergeleitet. Zu sei-

sicherung dann „aus Kulanz“
die Forderung beglichen – und
das trotz des positiven EuGH-
Urteils. Verstehen Sie das?
Ich vermute, die deutsche Versi-
cherung wollte kein Risiko einge-
hen. Das europäische Recht hat
viele Hintertüren, und vielleicht
wäre der juristische Streit ja wei-
tergegangen. Also begleicht man
lieber die 400 Euro.

Was raten Sie jenen, die keine
kulante Rechtsschutzversiche-
rung haben?
Deutsche Autofahrer, die Post
aus dem Ausland mit völlig über-

E


igentlich haben Bundes-
bürger bei Reisen in ande-
re EU-Staaten nichts zu
befürchten. Die europäischen
Rechtsstandards bieten einen ho-
hen Schutz vor Abzocke und Be-
trug. Theoretisch. Doch wie soll
man auf notarielle Vollstre-
ckungsbeschlüsse und europäi-
sche Mahnbescheide reagieren,
die überraschend mehrere Mona-
te nach dem Auslandsurlaub im
Briefkasten stecken? Wir spra-
chen mit Michael Nissen, Ver-
kehrsrechtsexperte beim ADAC.

VON BETTINA SEIPP

WELT:WWWer sich vor Reisean-er sich vor Reisean-
tritt auf der ADAC-Website
über Verkehrsvorschriften im
Ausland informiert, ist schnell
geneigt, das Auto stehen zu las-
sen und den Flieger zu nehmen.
Vor allem Autofahrten nach
Kroatien scheinen ja mitUn-
wägbarkeiten behaftet zu sein.
MICHAEL NISSEN:Grundsätzlich
gilt: Wer sich an die jeweiligen
VVVorschriften hält, hat nichts zu be-orschriften hält, hat nichts zu be-
fffürchten, auch nicht in Kroatien.ürchten, auch nicht in Kroatien.
AAAllerdings sollte man unsere Tippsllerdings sollte man unsere Tipps
beherzigen und beim Parken be-
sondere Vorsicht walten lässt.

Auf dem Deutschen Verkehrs-
gerichtstag im Januar 2018 war
von 415.000 Fällen die Rede, in
denen deutsche Autofahrer
nach ihrem Urlaub Briefe von
Inkassofirmen wegen eines
Verkehrsverstoßes bekamen,
und auf den Absendern standen
nicht nur kroatische Behörden,
sondern auch italienische, un-
garische und britische Ämter.
Diese hohe Fallzahl hat mich sehr
überrascht. Zu dem Zeitpunkt
war mir lediglich bekannt, dass
derzeit rund 45.000 Deutsche
wegen angeblich nicht bezahlter
Parkgebühren mit kroatischen
Anwälten im Clinch liegen.

Sie sprechen von „angeblich
nicht bezahlten Gebühren“.
WWWissen Sie denn genau, dass dieissen Sie denn genau, dass die
AAAngeschriebenen keine Park-ngeschriebenen keine Park-
sünder sind?
Wer gegen Parkregeln verstößt
und ein Knöllchen kassiert, muss
zahlen, ob in Deutschland oder im
Ausland. Darum geht es bei den
Streitfällen aber gar nicht. Was
beispielsweise die 45.000 in Kroa-
tien anhängigen Verfahren an-
geht, existieren diese nur deshalb,
weil kroatische Anwälte ein ganz
besonderes Geschäftsmodell er-
sonnen haben. So fordern sie von
deutschen Autofahrern Geldbe-
träge, die 20-fach und mehr über
den Parktarifen vor Ort liegen.
Ein Parkticket in Kroatien kostet
zehn bis 20 Euro am Tag; ein
Knöllchen maximal 40 Euro. Die
deutschen Parksünder sollen je-
doch zusammen mit den anfallen-
den Anwalt- und Mahngebühren
bis zu 500 Euro bezahlen. Und
das ist noch nicht alles: So werden
die völlig überhöhten Forderun-
gen mitunter erst mehrere Mona-
te oder gar Jahre nach dem „Ver-
gehen“ erhoben, wer hebt schon KKKroatien ist streng beim Parken roatien ist streng beim Parken

BLOOMBERG

/ SIMON DAWSON

komfortabel. Noch gibt es die
hässlichen Hotelplattenbauten
aus der Sowjetzeit. Doch immer
mehr dieser Häuser werden
durch hübsche, landestypische
Gästehäuser und Boutique-Ho-
tels ersetzt. Das Preis-Leistungs-
Verhältnis ist dank des günstigen
Wechselkurses für Touristen aus
Euroländern auch in den mittler-
weile vorzeigbaren usbekischen
Restaurants sehr gut – und trotz-
dem zählt das Land bisher nur
rund 300.000 ausländische Besu-
cher pro Jahr, lediglich 18.000 da-
von kommen aus Deutschland.
Staatspräsident Shavkat Mir-
ziyoyev, seit 2016 im Amt, will
das ändern. Viele seiner Lands-
leute setzen große Erwartungen
seinen Reformwillen.
Sie hoffen auf mehr bürgerli-
che Freiheiten, eine unabhängige
Justiz und Presse. Usbekistan, so
versichern fast alle Gesprächs-
partner in der Hauptstadt Tasch-
kent, mache Fortschritte auf dem
Weg zur Demokratie. Doch am
Ziel sei es noch nicht. Die in 27
Jahren gewachsenen Macht-
strukturen des autoritären Dau-
erherrschers Islom Karimows
sind nicht leicht aufzubrechen,
Eigentumsrechte an Grund und
Boden ungeklärt. Monokulturen
und Wassermangel machen dem
Agrarsektor zu schaffen, die von
der Karimow-Familie ausgebeu-
tete Wirtschaft kommt nur lang-
sam auf die Beine. Vom noch be-
scheidenen Wachstum von In-
dustrie, Bauwirtschaft und


Dienstleistungssektor schnappen
sich alte Politkader und neurei-
che Wendegewinner derzeit die
größten Happen, beim Volk
kommt nicht viel an.
Ein wichtiges Standbein der
Wirtschaft soll der Tourismus
werden. Anfang des Jahres hat er
die Visapflicht für EU-Bürger ab-
geschafft und großzügige Steuer-
erleichterungen für Investitio-
nen in die touristische Infra-
struktur verkündet. Die Besu-
cherzahlen gehen deutlich nach
oben. Ury Steinweg, Chef des
deutschen Reiseveranstalters
Gebeco, erwartet für den usbeki-
schen Reisemarkt je 20 Prozent
Wachstum in diesem und im
nächsten Jahr. Die Konkurrenz-
unternehmen Studiosus und
Marco Polo Reisen sehen Usbe-
kistan „zweistellig im Plus“.
Und natürlich ist Usbekistan
auch beim Projekt neue Seiden-
straße dabei. Mit chinesischem
Geld werden Straßen gebaut und
Kulturstätten restauriert. Ob es
das Land reicher macht und den
dauerhaft Arbeitsmarkt stärkt,
ist fraglich. Noch kommen die
meisten Arbeiter, Lastwagen und
Baumaterialien nicht aus Usbe-
kistan, sondern aus China.

TDie Teilnahme an der Reise
wurde unterstützt von Gebeco.
Unsere Standards der Trans-
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Unabhängigkeit finden Sie unter
http://www.axelspringer. de/unabha-
engigkeit

„Das hat ein starkes Geschmäckle“


Wer mit dem Pkw
nach Kroatien
fährt, muss mit
„Wegelagerern“

rechnen. Auch in
Italien, Ungarn
und Großbritannien
lauern Gefahren
für den Geldbeutel,

warnt ein
ADAC-Experte
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