Die Welt Kompakt - 27.08.2019

(Nora) #1

DIE WELIE WELIE WELT KOMPAKTT KOMPAKT DIENSTAG, 27. AUGUST 2019 THEMA DES TAGES 3


len. „Um von diesem eigenen
Versagen abzulenken, überbieten
sich die Senatsparteien gegensei-
tig mit Enteignungs- und Decke-
lungs-Phantasien.“
Dabei übersieht der Wirt-
schaftsrat allerdings, dass die
Fertigstellung von Wohnungen
in Berlin deutlich zugenommen
hat, auf fast 17.000 Einheiten im
vergangenen Jahr – ein Zuwachs
um knapp 33 Prozent seit 2015.
Fraglich ist, ob das so bleibt.
Allein schon die Ankündigung
des Mietendeckels hat sich be-
reits auf die Strategie großer Im-
mobilieninvestoren ausgewirkt.
Das geht aus Aussagen hervor,
die Marktakteure im Gespräch
mit WELT bereits kurz vor Be-
kanntwerden der geplanten Ein-
zelheiten des Mietendeckels am
Wochenende tätigten. „Der Mie-
tendeckel hat in der professio-
nellen Immobilienwelt einge-
schlagen wie eine Atombombe“,
sagte beispielsweise Jakob Mäh-
ren, Chef des Berliner Bestands-
halters Mähren AG.
Eine grundsätzliche Strategie-
änderung kündigt Ralf Spann an,
Europa-Chef des schwedischen
Wohnungskonzerns Akelius.
„Wir werden zukünftig leere
Wohnungen nicht mehr sanie-
ren, weil sich das wirtschaftlich
nicht mehr lohnt“, sagte Spann.
Stattdessen werde das Unterneh-
men die Wohnungen im bisheri-
gen Zustand vermieten.
Akelius, Eigentümer von rund
14.000 Wohnungen in der Haupt-
stadt, verfolgte bisher den An-
satz, leer gewordene Wohnungen
aufwendig zu sanieren und an-
schließend zu enorm hohen Mie-
ten von teilweise deutlich über
20 Euro pro Quadratmeter zu
vermieten. Mit dem Mietende-
ckel wird nun diesem Geschäfts-
modell der Boden entzogen – was
allerdings genau das Ziel von
SPD, Grünen und Linken sein
dürfte.
Eine Verschlechterung der Ge-
bäudesubstanz befürchtete Jakob
Mähren, dessen Unternehmen in
Berlin rund 700 Wohnungen be-
sitzt. Am Ende würden die Woh-
nungen „verkommen“, weil die
Eigentümer nicht genügend in
die Instandhaltung investieren
würden. Beim Ankauf von Berli-
ner Wohnungen seien bereits
jetzt „alle großen professionellen
Marktteilnehmer auf die Bremse
getreten“, stellt Mähren weiter
fest.
Ganz so schlimm, wie es die
Akteure formulieren, scheint es
dann aber doch nicht zu sein.
Denn offenbar wollen sie trotz
allem weiterhin in der Haupt-
stadt aktiv bleiben, allen voran
Vonovia: „Grundsätzlich halten
wir den Berliner Wohnungs-
markt für langfristig attraktiv
und werden den Markt weiterhin
genau beobachten“, hieß es dort
am Montag. Akelius-Chef Spann
versicherte: „Trotz der politi-
schen Eingriffe bleiben wir in
Berlin. “ Langfristig wolle Akeli-
us den Bestand in der Hauptstadt
sogar ausbauen.
„Der Wohnimmobilienmarkt
Berlin ist nach wie vor attraktiv
für Investments“, lässt sich auch


Eitel Coridaß von der Deutsche
Investment KVG in einer Presse-
mitteilung zitieren. Die Deutsche
Investment hat gerade im Auf-
trag eines institutionellen Inves-
tors eine Wohnanlage in Berlin-
Neukölln erworben. Dieser In-
vestor sei „in erster Linie an
Werterhalt, kontinuierlichen Er-
trägen und einer langfristigen
Bestandshaltung interessiert,
und hier sind die Grundparame-
ter in Berlin nach wie vor posi-
tiv“, sagt Coridaß.
Klaus Mindrup äußerte Ver-
ständnis für die grundlegene
Idee eines Mietendeckels – kriti-
sierte aber die vorliegende Vari-
ante. Der SPD-Bundestagsabge-
ordnete ist Direktkandidat aus
Berlin-Pankow und beschäftigt
sich intensiv auch mit dem Woh-
nungsmarkt. „Die Ziele einer so-
zialen und gerechten Mietenpoli-
tik in Berlin könnten teilweise
durch einen ‚atmenden’ Mieten-
deckel erreicht werden“, sagte er
WELT. Dieser müsse berücksich-
tigen, „dass die Eigentümer stei-
gende Kosten – etwa für Personal
und Instandhaltung der Gebäude


  • weitergeben können.“
    Das sei beim Vorschlag der Se-
    natorin Lompscher aber nicht
    gegeben. Vor allem Wohnungs-
    baugenossenschaften, die auf ge-
    legentliche Mietenanhebungen
    angewiesen sind, könnten in
    Schwierigkeiten geraten. Viele
    Genossenschaften hätten schon
    ihre Einwände vorgebracht, doch
    die Senatorin habe diese „weitge-
    hend ignoriert“, so Mindrup, der
    selbst Mitglied der Wohnungs-
    baugenossenchschaft „Bremer
    Höhe“ in Berlin-Prenzlauer Berg.
    Jetzt würden Genossenschaf-
    ten „in einen Topf geworfen mit
    Spekulanten, die schnellstmög-
    lich die maximale Rendite aus er-
    worbenen Häuser ziehen möch-
    ten, oftmals verbunden mit dem
    Auswechseln der Bestandsmieter
    oder der Aufteilung der Miets-
    häuser und dem Verkauf als Ei-
    gentumswohnungen.“ Der Vor-
    schlag sei deshalb „völlig inak-
    zeptabel aus genossenschaftli-
    cher Sicht.“
    Die Senatorin für Stadtent-
    wicklung und Wohnen, Katrin
    Lompscher, sah sich am Montag
    dazu genötigt, auf die Veröffent-
    lichung ihres Arbeitspapiers zu
    reagieren: „Bei dem Papier han-
    delt es sich um eine Vorbereitung
    für den Referentenentwurf und
    nicht um den Gesetzentwurf
    zum Mietendeckel“, betonte die
    Linken-Politikerin.
    Man befinde sich in Abstim-
    mung mit den Koalitionspart-
    nern. „Die Lücke zwischen Ein-
    kommens- und Mietentwicklung
    klafft in den vergangenen Jahren
    immer weiter auseinander“. Das
    Land Berlin handele deshalb „in
    Notwehr für die Mieterinnen, die
    Angst haben, sich ihr Dach über
    dem Kopf künftig nicht mehr
    leisten zu können“.
    Bis zum Freitag soll es einen
    Referentenentwurf für den Mie-
    tendeckel geben, der dann an die
    Verbände zur Anhörung ge-
    schickt werde. Am Donnerstag
    gibt es zunächst noch eine aktuel-
    le Stunde im Abgeordnetenhaus.


Prenzlauer Berg, die derzeit
doppelt so viel Miete zahlen
wie in den Obergrenzen vorge-
sehen. Sozial gerecht ist das
nicht. Oder?
Der Deckel soll zuallererst Men-
schen mit niedrigem und mittle-
rem Einkommen helfen. Noch
sind die Paragrafen nicht endgül-
tig ausformuliert. Aber wenn
zum Beispiel eine Einkommens-
prüfung dazukommt, gäbe es die
von Ihnen beschriebenen Fälle
nicht.

Wenn man mit Immobilien
nichts mehr verdienen kann,
könnte der Wohnungsneubau
zum Erliegen kommen – zulas-
ten der Mieter. Schreckt Sie das
nicht?
Gerade die großen Immobilien-
firmen wie Vonovia und Deut-
sche Wohnen schaffen kaum
neuen Wohnraum, sondern kauf-
en nur bestehenden auf, um dann
die Mieten nach oben zu treiben.
Städtischer Grund und Boden
lässt sich nicht vermehren. Er ist
begrenzt. Wir sollten ihn deshalb
vorrangig für kommunalen, ge-
meinnützigen und sozialen Woh-
nungsbau nutzen anstatt für Lu-
xuswohnungen.

Der Mietendeckel wird zu einer
massiven Vermögensvernich-
tung führen, auch bei kleineren
Vermietern. Ein vertretbarer
Kollateralschaden?
Ich weiß, dass die Linke Berlin
diese Sorge von kleinen Vermie-
tern ernst nimmt. Deswegen ist
auch eine Härtefallregelung im
Gespräch.

Glauben Sie, die Rückende-
ckung der Stadtgesellschaft zu
haben?
Auf jeden Fall. Das habe ich auch
beim Sammeln der Unterschrif-
ten für das Volksbegehren „Ent-
eignet Deutsche Wohnen“ ge-
spürt. Wohnen ist die zentrale
soziale Frage unserer Zeit.

F


ür ihre Pläne für einen
Mietendeckel hat die Ber-
liner Bausenatorin Katrin
Lompscher (Linke) die volle Rü-
ckendeckung der Bundespartei:
Parteichefin Katja Kipping ver-
teidigt den Entwurf gegen die
heftige Kritik.

VON SABINE MENKENS

WELT: Frau Kipping, Ihre Par-
teifreundin Katrin Lompscher
ist vom Berliner Senat damit
beauftragt worden, einen Ge-
setzentwurf für einen Mieten-
deckel vorzulegen. Danach sol-
len Mieten nicht nur gedeckelt,
sondern auch auf feste Ober-
grenzen gesenkt werden kön-
nen. Faktisch ist das eine Ent-
eignung der Wohnungseigentü-
mer. Hat Frau Lompscher dafür
die Rückendeckung der Partei?
KATJA KIPPING: Selbstverständ-
lich, wir begrüßen den Vorstoß
sehr. Es ist die richtige Reaktion
auf die soziale Entwicklung und
auf das Marktversagen auf dem
Wohnungsmarkt. Die Mieten
sind derart rasant gestiegen, dass
weite Teile der Bevölkerung von
akutem Lohnraub betroffen sind.
Dieser Entwicklung müssen wir
etwas entgegensetzen. Dazu ge-
hört der Mietendeckel, dazu ge-
hört eine Reduzierung der Be-
standsmieten, und dazu gehören
Enteignungen von Immobilien-
fonds wie Deutsche Wohnen und
Co. Wir stehen an der Seite der
Mieter, nicht der
Immobilienhaie.

Die Opposition, die Wirtschaft,
auch Teile der SPD sprechen
von Sozialismus. Halten Sie es
wirklich für nötig, solche plan-
wirtschaftlichen Instrumente
einzuführen? Oder schießen
die Berliner hier über das Ziel
hinaus?
Ganz und gar nicht. Die Stadt
wird zunehmend sozial ent-
mischt. Wir erleben eine massive

Verdrängung von Geringverdie-
nern und Normalverdienern an
den Stadtrand. Wir wollen aber
keine nach Geldbeutel sortierten
Wohnquartiere und Innenstädte,
die nur noch den Reichen gehö-
ren. Wenn das Kind des Polizis-
ten nicht mehr mit dem Kind des
Bankers zusammen in die Kita
geht und sich die Lebensbereiche
völlig entmischen, hat das auch
massive Auswirkungen auf den
sozialen Zusammenhalt – und ist
letztlich eine Gefahr für die De-
mokratie.

Der Wohnungsmarkt ist in Tei-
len tatsächlich den gesunden
Marktmechanismen entzogen.
Aber was lässt Sie glauben, dass
der Staat es besser regeln kann?
Es ist schlichte Mathematik. Wer
Wohnungen aufkauft, möchte
Rendite machen, und diese Ren-
dite geht zulasten der Mieterin-
nen und Mieter. Bei kommunalen
oder gemeinnützigen Wohnun-
gen werden hingegen alle Gewin-
ne in den Wohnungsbestand
reinvestiert.

Ihr Koalitionspartner von der
SPD warnt bereits, wenn die
Marktwirtschaft beim Mieten-
deckel ausgeblendet werde, gä-
be es keine notwendigen Sanie-
rungen mehr, keinen Klima-
schutz und keinen Neubau be-
zahlbarer Wohnungen. Was sa-
gen Sie?
Die SPD muss sich jetzt gut über-
legen, ob sie auf der Seite der
Mieter steht oder auf der Seite
der Immobilienhaie. Wir haben
uns klar positioniert. Hinzu
kommt: Der Gesetzentwurf wird
ja gerade noch erarbeitet. Hier
kann sich die SPD produktiv ein-
bringen dahingehend, dass not-
wendige Investitionen auch wei-
terhin ermöglicht werden.

Freuen dürften sich vor allem
die solventen Mieter in den
schicken Altbauquartieren in

„SPD muss sich jetzt gut überlegen,


auf welcher Seite sie steht“


Linke-Chefin Katja Kipping verteidigt den umstrittenen Entwurf


ihrer Berliner Parteifreundin Katrin Lompscher


„Wohnen ist die zentrale soziale Frage unserer Zeit“, sagt Linken-Bundesvorsitzende Katja Kipping

PICTURE ALLIANCE/ DPA

/ BRITTA PEDERSEN
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