Die Welt Kompakt - 27.08.2019

(Nora) #1

8 POLITIK DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT DIENSTAG,27.AUGUST


E


ine Anklageschrift, die
von einem Tag zum
nächsten vollkommen
verändert wird, zeigt in vielen
Ländern, mit welch absurden
Mitteln manches Regime kriti-
sche Journalisten verfolgt. So
auch in Aserbaidschan: Am
17.Februar 2017 verhaftete die
Polizei in der Stadt Seki den
Journalisten Elchin Ismayilli,


Gründer und Redakteur der
Online-Nachrichtenseite
„Kend“. Der hatte sich oft mit
Korruptionsfällen und Men-
schenrechtsverletzungen in sei-
ner Provinz beschäftigt.
Ismayilli arbeitete außerdem
fffür Radio Free Europe/Radio Li-ür Radio Free Europe/Radio Li-
berty und die unabhängige Zei-
tung „Azadliq“ – bis er unter
dem Vorwurf des „Bedrohens
eines Beamten der lokalen Re-
gierung“ verhaftet wurde.
Schon am Tag darauf änderte
man diese Anklage in „versuch-
te Erpressung, Bestechung und
Amtsmissbrauch“. Die Polizei
erklärte, Ismayilli habe einen
Beamten der staatlichen Touris-
musagentur erpresst und damit
gedroht, kompromittierendes
Material über die Tourismus-
branche zu veröffentlichen. Am
1 8. September verurteilte ein
Gericht Ismayilli zu neun Jah-
ren Haft, doch das Berufungsge-
richt reduzierte die Strafe auf
sieben Jahre. Laut Auskunft sei-
nes Anwalts befindet sich Is-
mayilli in einem Arbeitslager in
der Nähe von Baku.


YOUTUBE/ KEND.INFO

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Elchin Ismayilli


In Italien gibt es nun doch wie-
der die Aussicht auf ein Regie-
rungsbündnis der bislang oppo-
sitionellen Sozialdemokraten
(PD) mit der 5-Sterne-Bewegung.
Die PD deutete an, sie könnte ihr
VVVeto dagegen aufgeben, dass dereto dagegen aufgeben, dass der
bisherige Ministerpräsident Giu-
seppe Conte auch der neuen Ko-
alitionsregierung vorstehen
könnte. Knackpunkt war bisher
vor allem die Frage, wer die neue
Regierung anführen soll. Die 5
Sterne wollten, dass der bisheri-
ge, parteilose Regierungschef
Conte solle auch der künftige
sein. PD-Chef Nicola Zingaretti
erklärte, jede neue Regierung,
die mit der Vergangenheit bre-
chen wolle, müsse sich beim Per-
sonal neu aufstellen.


Neue Chance für


eine Regierung


in Rom


Wie aber will dieser Regional-
politiker mächtigster Mann der
Welt werden? Abramson ist auf
diese Frage vorbereitet. Der erste
Schritt ist für ihn die Nominie-
rung durch die Libertäre Partei,
gegründet 1971 und nach eigenen
Angaben rund eine halbe Million
Mitglieder stark (zum Vergleich:
die Republikanische Partei hat
knapp 33 Millionen, die Demo-
kratische mehr als 44 Millionen
Mitglieder). Im Mai 2020 werden
rund 1000 Delegierte aus den
ganzen USA für einen Parteitag
ins texanische Austin reisen.
Dort will sich Abramson gegen
seine konkurrierenden Partei-
freunde – bisher etwa ein Dut-
zend – durchsetzen. Als härtester
Mitbewerber könnte sich Justin
Amash erweisen, Abgeordneter
im US-Repräsentantenhaus in
Washington, seit Juli als Unab-
hängiger, zuvor als Republikaner.
Abramson kontert, er kenne etli-
che Delegierte, seit 20 Jahren be-
suche er Parteitage auf nationa-
ler und bundesstaatlicher Ebene.
Stolz präsentiert er seinen Mit-
gliedsausweis der Libertären Par-
tei, der er seit 2000 angehört.
Seine Botschaft: Ich bin veran-
kert und vernetzt.
Die Libertären haben bei den
vergangenen Präsidentschafts-
wahlen stets einen Kandidaten
nominiert. Im November 2016
holte der Libertäre Gary Johnson
gut drei Prozent der Stimmen,
rund 4,5 Millionen Amerikaner
votierten für ihn. Im Electoral
College aber, dem Wahlmänner-
gremium, das letztlich den Präsi-
denten wählt, stellten die Liber-
tären keinen einzigen Sitz. Alle
Erfahrung spricht dafür, dass das
auch im nächsten Jahr so sein

W


as er am ersten
Tag im Weißen
Haus tun würde,
als neuer ameri-
kanischer Präsident im Januar
2021, davon hat Max Abramson
schon eine recht konkrete Vor-
stellung. „Als Präsident werde
ich unsere Soldaten aus dem Na-
hen Osten zurückholen. Dieser
Befehl wäre meine erste politi-
sche Entscheidung“, sagt Abram-
son. Bereits nach ein paar Mona-
ten wäre der Abzug abgeschlos-
sen, ist er überzeugt.

VON DANIEL FRIEDRICH STURM
AUS SEABROOK/NEW HAMPSHIRE

Albert „Max“ Abramson, 43, al-
leinstehend, Softwareentwickler
aus der Kleinstadt Seabrook in
New Hampshire, möchte John F.
Kennedy und Ronald Reagan, Ba-
rack Obama und Donald Trump
beerben: Das Mitglied der Liber-
tären Partei will nächster ameri-
kanischer Präsident werden. Als
wir Abramson treffen, überreicht
er uns sogleich seine Visitenkarte.
Sie führt all seine Software-Skills
auf samt diverser Zertifikate.
Abramsom trägt Anzug. An
seinem Revers prangt ein Button,
der zu seinem Programm passt.
„Besteuerung ist Diebstahl“ ist
darauf zu lesen. Außerdem ein
Namensschild und das alte Siegel
von New Hampshire. Seit 2014
sitzt Abramson im Repräsentan-
tenhaus dieses 1,3 Million-Ein-
wohner-Bundesstaates, zeitweise
auf dem Ticket der Republikaner,
nun als Libertärer. Libertär nen-
ne man sich, sagt Abramson, weil
in die USA die Demokraten das
liberale Label tragen.
Ziemlich genau kennt er die
Lage der FDP, der AfD, er er-
wähnt die Namen Christian
Lindner und Philipp Rösler. Jah-
relang fuhr Abramson auf Han-
delsschiffen durch die Welt, hör-
te jeweils dort die Nachrichten,
lernte dabei allerhand über die
Mehr-Parteien-Systeme, etwa in
Asien und Europa, auch in
Deutschland. Parlamente mit
sechs, acht, zehn Parteien sind
ganz nach seinem Geschmack,
Koalitionen sowieso.
Bei einem Treffen des Steuer-
zahlerbundes von New Hamp-
shire Anfang Juli verkündete Ab-
ramson seine Bewerbung für die
Präsidentschaftskandidatur der
Libertären. In der anschließenden
Rede listete er sein politisches
Programm auf: Steuersenkungen,
Truppenabzüge, freie Schulwahl.
Der Tenor stets: weniger Staat.
„Wir müssen unsere Verfassung
wieder ernst nehmen und zu der
begrenzten Regierung zurückkeh-
ren, die wir 200 Jahre lang hat-
ten“, sagt Abramson bei einem ge-
eisten Caffè Latte im „Starbucks“
seiner Heimatstadt. Seit den
1960er-Jahren baue die Regierung
den Staatsapparat stetig aus, kri-
tisiert Abramson. Er sieht im
amerikanischen Staat eine Krake,
die die Bürger um ihren Wohl-
stand bringt. Immer stärker wer-
de die Mittelschicht geschröpft.
Sein Rezept dagegen? „Der
Staat muss deutlich weniger
Geld ausgeben. Die Mittelschicht

soll gar keine Steuern zahlen
müssen.“ Als Präsident würde er
Einkommen bis 100.000 Dollar
(etwa 90.000 Euro) komplett
steuerfrei stellen: „Niemand bis
zu dieser Einkommensklasse
müsste eine Steuererklärung aus-
füllen.“ Wer mehr verdient, soll
zehn Prozent Steuern zahlen, an-
steigend bis zu 25 Prozent.
AAAbramson liefert einen klas-bramson liefert einen klas-
sisch libertären Politikansatz. An-
stelle des Staates, so sagt er, sollen
sich Gemeinden, Kirchen, Schu-
len, Wohltätigkeitsorganisationen
um Arme, sozial Schwache, Süch-
tige, Obdachlose kümmern. Eltern
sollen das Recht erhalten, ihre
Kinder auf die Schule ihrer Wahl
zu schicken, und zwar ohne, dass
sie dafür eine Genehmigung der
Schulaufsichtsbehörde benötigen.
Trumps „Krieg gegen Drogen“ will
er beenden, Drogensüchtige the-
rapieren statt inhaftieren, und
„„„weniger Gefängnisse“. Generellweniger Gefängnisse“. Generell
fffordert Abramson mehr Subsidia-ordert Abramson mehr Subsidia-
rität, sprich: mehr Seabrook, we-
niger Washington.
In der Außenpolitik verlangt
Abramson praktisch den Rück-
zug von der internationalen Büh-
ne. „Die anderen Länder sollten
ihre Politik so betreiben, wie sie
es für richtig halten“, sagt er.
„Wir Libertäre sind dagegen,
weltweit militärisch präsent zu
sein.“ Aus Syrien, Afghanistan
und dem Irak will er binnen we-
niger Monate alle Truppen zu-
rückholen. Wollen Sie sogar alle
amerikanischen Soldaten aus
Südkorea abziehen? Abramson
denkt kurz nach, antwortet dann,
wegen der Bedrohung Südkoreas
durch Nordkorea sollten die USA
dort schon noch präsent bleiben.
Dass Präsident Trump die jüngs-

ten Raketentests Nordkoreas
ignoriere, passt Abramson gar
nicht, erst recht nicht die liebes-
dienerischen Worte Trumps ge-
genüber Diktator Kim Jong-un.
„Trust, but verify“, also etwa
„Vertrauen ist gut, Kontrolle ist
besser“, zitiert er Ronald Reagan,
das hält er für ein kluges außen-
politisches Motto.

Von der


Provinz ins


Weiße Haus


Der Libertäre


Max Abramson ist


Abgeordneter in


New Hampshire.


Sein Ziel:


US-Präsident


werden mit einem


Programm


radikaler


Staatsferne. Der


amerikanische


Traum eines


Außenseiters


Albert „Max” Abramson,
Mitglied der Libertären
Partei der USA

DANIEL FRIEDRICH STURM
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