Die Welt Kompakt - 27.08.2019

(Nora) #1

DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT DIENSTAG,27.AUGUST2019 POLITIK 9


wird. Abramson aber lässt sich
nicht entmutigen. Er will kämp-
fen und die Außenseiter-Chance
nutzen, damit es 2020 ganz an-
ders laufen wird als bisher in der
Geschichte Amerikas.
Er will seinen Wahlkampf auf
bevölkerungsschwache Bundes-
staaten konzentrieren, auf Men-
schen ausrichten, die Republika-
ner wie Demokraten leid sind.
„New Hamsphire, Maine, Ver-
mont, Rhode Island, Wyoming“,
beginnt Abramson aufzulisten
und singt das hohe Lied auf takti-
sche Wähler. Sollten die Libertä-
ren in mehreren Staaten stärkste
Partei werden, könnten am Ende
im Electoral College weder De-
mokraten noch Republikaner ei-
ne Mehrheit haben. In einem sol-
chen Fall ist vorgesehen, dass das
Repräsentantenhaus den Präsi-
denten wählt. Genau dort setzt
Abramson auf all jene Abgeord-
neten beider Parteien, die die
Präsidentschaft für verzichtbar
halten, und stattdessen auf ihre
eigene Wiederwahl im Jahr 2022
setzen – „all sie könnten dann für
den Kandidaten einer dritten
Partei stimmen“. Soweit also Ab-
ramsons Szenario für die Erobe-
rung des Weißen Hauses.
Für den Kongress kandidiert
Abramson nicht. „Ein Senatssitz
kostet 150 Millionen Dollar, für
einen Sitz im Repräsentanten-
haus muss man zwei bis drei Mil-
lionen bezahlen“, sagt er. Das
will er sich im wahren Wortsinn
ersparen, und lieber in den Präsi-
dentschaftswahlkampf investie-
ren. Im Wahlkampf 2016 hätten
25.000 Bürger rund 41 Millionen
Dollar an die Libertären gespen-
det, mit einer solchen Summe
könne man schon allerhand


Wahlkampf machen. Bereits jetzt
spricht Abramson regelmäßig
persönlich und am Telefon mit
Mitstreitern, die unentgeltlich
für ihn werben wollen.
Das faktische Zwei-Parteien-
System Amerikas sei verantwort-
lich für die Spaltung des Landes,
sagt Abramson. Für Demokraten
und Republikaner hat Abramson
im Grunde nur Verachtung über.
„Trump steht für Handelskriege,
Protektionismus, Interventionen,
einen Krieg gegen Drogenkon-
sum, die Erosion bürgerlicher
Freiheiten“, sagt er. „Washington
kriminalisiert alles: Marihuana-
Raucher, Prostituierte. So etwas
gibt es in Europa nur in Weißruss-
land.“ Nicht eine libertäre Ent-
scheidung habe Trump getroffen.
Und die Steuerreform? „Die hat
der Mittelschicht nichts gebracht,
die hat sie eher etwas gekostet.“
Die Demokraten drifteten im-
mer mehr nach links, „sie wollen
den Sozialismus in den USA ein-
führen, alles verstaatlichen“. Ihr
Kandidat werde nicht in den Vor-
wahlen gekürt, sondern im Hin-
terzimmer, vom Establishment.
Beide Parteien eskalierten immer
mehr, programmatisch, politisch,
verbal. „Gut möglich, dass es
bald zu einem Bürgerkrieg in den
USA kommt“, sagt Abramson.
Und wie lautet Ihr Friedensplan,
Herr Abramson? „Unsere Bürger
werden Demokraten und Repu-
blikaner eine Botschaft senden,
die lautet: ,Wir wollen Eure Eska-
lation nicht mehr. Wir wollen
Euch nicht mehr.‘“

KKKraft der Provinz: Dieraft der Provinz: Die
KKKleinstadt Seabrook in Newleinstadt Seabrook in New
Hampshire, die Heimat von
Albert „Max“ Abramson, ist
sehr grün – und sehr ruhig

PICTURE-ALLIANCE/ NEWSCOM/

DPA/ ANDRE JENNY

barkeit“ gesorgt, wie er es im Ge-
spräch formuliert. Er nutzt seine
Bekanntheit, um vor den Verein-
ten Nationen, Regierungsvertre-
tern, auf Kongressen und selbst
mit dem Papst zu sprechen und
die Aufmerksamkeit der Weltöf-
fffentlichkeit auf ein Drama zu len-entlichkeit auf ein Drama zu len-
ken, das nicht nur den Kongo, son-
dern alle bewaffneten Konflikte
betrifft: die langfristige Vernich-
tung von Volksgruppen durch se-
xuelle Gewalt.
„Die Konsequenzen sind dra-
matisch, wenn eine Frau öffent-
lich vergewaltigt wird. Ihre Ehe-
männer verstoßen sie. Oft gehen
sie in große Städte, wo sie allein
nicht überleben können. Dadurch
werden Sozialstrukturen langfris-
tig zerstört, die Geburtenrate
bricht ein. Manche Frauen leiden
ein ganzes Leben lang an den Fol-
gen von Pilz- und Virusinfektio-
nen, die sie unfruchtbar oder ar-
beitsunfähig machen.“ Ein weite-
res Problem sind die Kinder, die
bei Vergewaltigungen gezeugt

werden. „Wahre Zeitbomben“,
nennt er sie, weil es Kinder ohne
AAAbstammung, ohne Identität sind,bstammung, ohne Identität sind,
„Schlangenkinder“ werden sie im
Kongo genannt. Auch die Jesidin-
nen, die von IS-Milizen als Sex-
sklavinnen gehalten wurde, ste-
hen vor diesem Problem.
WWWenn man Mukwege fragt, wieenn man Mukwege fragt, wie
Säuglinge vergewaltigt werden
können, wird seine Stimme noch
leiser. Stöcke, Waffen würden in
die Körper eingeführt, manchmal
auch Messer oder glühende Ge-
genstände. Dann erläutert er, wie
er die Verletzung kategorisiert:
von oberflächlichen Wunden über
die Zerstörung der Schließmuskel
bis hin zur Explosion des Douglas-
Raumes, der Genitalien und Ge-
därme trennt. „Ich habe mich oft
gefragt, wie ein menschliches We-
sen zu solcher Gewalt fähig ist“,
sagt Mukwege. Selbst Mediziner,
die vieles gesehen hätten, seien
vom Anblick der Verletzungen
traumatisiert und bräuchten psy-
chologische Betreuung.
AAAuf Mukwege, Vater von fünfuf Mukwege, Vater von fünf
Kindern, ist 2012 ein Mordan-
schlag verübt worden, den er nur
üüüberlebt hat, weil ein Sicherheits-berlebt hat, weil ein Sicherheits-
mann sich für ihn opferte. Wenn
man ihn fragt, wie er die Hoffnung
bewahrt, antwortet er: „Ich nehme
mir ein Beispiel an den Frauen, die
ich behandele.“ Viele kämen kör-
perlich zerstört in sein Kranken-
haus, aber ihr Lebenswille sei un-
gebrochen. Inzwischen hat er er-
reicht, dass der Internationale Ge-
richtshof für Menschenrechte Ver-
gewaltigung als Kriegsverbrechen
anerkennt. Noch nicht gelungen
ist ihm, dass die Täter, die weiter
vergewaltigen, verfolgt und zur
Rechenschaft gezogen werden.

A


ls sich Denis Mukwege
beim Friedensforum im
fffranzösischen Caen in die-ranzösischen Caen in die-
sem Sommer mit einer Handvoll
Journalisten an einen Runden
Tisch setzte, war seine Botschaft
unmissverständlich: „Vergewalti-
gggung ist eine der effizientestenung ist eine der effizientesten
Kriegswaffen. Sie richtet verhee-
rende Zerstörung an.“ Vergewalti-
gggung als Massenvernichtungswaf-ung als Massenvernichtungswaf-
fffe? „Ja“, sagt Mukwege trocken,e? „Ja“, sagt Mukwege trocken,
„sie zerstört die Opfer körperlich,
seelisch, und langfristig zerrüttet
sie soziale Strukturen.“

VON MARTINA MEISTER
AUS PARIS

Mukwege ist ein stattlicher
Mann von 64 Jahren, und wenn er
einen Raum betritt, dann ge-
schieht das nicht unbemerkt. Er
hat das, was man Charisma nennt.
Seine Stimme ist sanft, seine Bot-
schaft erschütternd. Der Grund
fffür seine Ausstrahlung mag dasür seine Ausstrahlung mag das
unerträgliche Maß menschlichen
Horrors sein, das er gesehen hat
und dem er ein Gefühl entgegen-
setzt, das heute nicht mehr bei
vielen auf der Agenda steht: Muk-
wege ist angetrieben von Nächs-
tenliebe.
Der Sohn eines evangelischen
Pastors der Pfingstbewegung
konnte als Kind nicht verstehen,
warum für ihn Medikamente ver-
fffügbar waren, während seineügbar waren, während seine
kranken Altersgenossen oft ster-
ben mussten, weil es für sie keine
gab. Damals beschloss er, Kinder-
arzt zu werden. Als er später be-
griff, wie hoch die Sterblichkeits-
rate von gebärenden Frauen ist,
sattelte er auf Gynäkologie und
Geburtshilfe um.
Damals wurde er erstmals mit
den Verletzungen vergewaltigter
Frauen konfrontiert und schickte
sich an, der Mann zu werden, „der
die Frauen repariert“, wie es im
Titel eines Dokumentarfilms über
ihn heißt. Heute gilt Mukwege als
bester Spezialist weltweit für ge-
nitale Verletzungen und Verstüm-
melungen. Im vergangenen Jahr
wwwurde ihm gemeinsam mit der Je-urde ihm gemeinsam mit der Je-
sidin Nadia Murad der Friedens-
nobelpreis verliehen.
Längst kümmert er sich nicht
nur um die körperliche Heilung
der Frauen, er kämpft auch für ih-
re soziale Wiedereingliederung
und eine andere Form der Wieder-
gggutmachung. Mukwege will Ge-utmachung. Mukwege will Ge-
rechtigkeit. „Nur die Justiz ver-
mag die verlorene Würde dieser
Frauen wiederherzustellen“, sagt
der Friedensnobelpreisträger im
Gespräch mit WELT.
In Bukavu, im Südosten der De-
mokratischen Republik Kongo, er-
öffnete Mukwege 1999 ein eigenes
Krankenhaus, die Panzi-Klinik.
Seither sind dort mehr als 50.
Frauen von ihm und seinem Ärz-
teteam operiert worden. Über die
Jahre sind die Täter immer bruta-
ler, die Opfer immer jünger ge-
worden, konstatiert Mukwege:
„Als ich angefangen habe, waren
sie zwischen 15 und 80 Jahre alt,
heute werden Säuglinge vergewal-
tigt und verstümmelt. Das jüngste
Baby, das ich operiert habe, war
sechs Monate alt. Die Gewalt ist
makaber und grenzenlos.“

Nach zwei Jahrzehnten im Ein-
satz als Chirurg weiß er, dass die
VVVergewaltigungen „vorsätzlich,ergewaltigungen „vorsätzlich,
systematisch, kollektiv und öf-
fffentlich inszeniert“ sind. Es seientlich inszeniert“ sind. Es sei
unmöglich, fügt er an, 300 Frauen
eines Dorfes zu vergewaltigen, oh-
ne „vorherige Planung“. Seit zwei
Jahrzehnten sorgen bewaffnete
Rebellengruppen für Chaos im
Kongo. Sexuelle Gewalt ist Teil ih-
rer Strategie, um Dörfer auszurot-
ten, Menschen zur Flucht zu
zzzwingen. „Es geht in diesem Kriegwingen. „Es geht in diesem Krieg
in Wahrheit nicht um ethnische
Konflikte, sondern um einen
Kampf um Territorien“, sagt Muk-
wege. Die Region im Südosten des
Landes ist reich an Bodenschät-
zen. Vor allem Coltan ist begehrt,
das man für Mobiltelefone und
Laptops braucht. In diesem ruch-
losen Verteilungskampf ist der
Körper der Frauen ein militäri-
sches Ziel geworden.
„Mein Land gehört zu den
reichsten weltweit und dennoch
gehört mein Volk zu den ärmsten

weit und breit“, sagte Mukwege
im Dezember in Oslo, als er den
Friedensnobelpreis entgegen-
nahm. Jeder möge Luxus, so Muk-
wege in seiner Dankesrede, aber
diese Objekte enthielten Rohstof-
fffe, die in seiner Heimat oft untere, die in seiner Heimat oft unter
unmenschlichen Bedingungen
von Kindern ausgegraben würden,
die Opfer sexueller Gewalt seien.
AAAuch seine Arbeit werde daranuch seine Arbeit werde daran
nichts grundsätzlich ändern. „Es
fffehlt bis heute der politische Willeehlt bis heute der politische Wille
der internationalen Gemein-
schaft, die Gewalt zu beenden. Die
AAAugen vor diesem Drama zu ver-ugen vor diesem Drama zu ver-
schließen, heißt, sich schuldig ma-
chen“, sagt Mukwege. Nach Anga-
ben von Unicef arbeiteten im Jahr
2 014 mehr als 40.000 Kinder in
den Minen im Süden des Landes.
Hilfsorganisationen schätzen die
Zahl vergewaltigter Frauen im
Land auf 200.000.
AAAls am 5. Oktober vergangenenls am 5. Oktober vergangenen
Jahres die Nachricht vom Frie-
densnobelpreis kam, war Mukwe-
ge im Operationssaal seines Kran-
kenhauses. Er unterbrach die
Operation nicht. Er hielt nur als
Zeichen der Freude den Daumen
hoch und widmete später seinen
Preis den „Frauen aller Länder,
die Opfer kriegerischer Konflikte
sind und täglich mit Gewalt kon-
fffrontiert werden“.rontiert werden“.
Mukwege hatte zu diesem Zeit-
punkt eine berechtigte Hoffnung.
„Mit diesem Preis zeigt die Welt,
dass sie ihre Augen nicht mehr
verschließt und die Gleichgültig-
keit verweigert“, sagte er in einer
öffentlichen Erklärung nach der
Bekanntgabe. Ein Dreivierteljahr
später ist der Chirurg sehr viel
skeptischer. Sicher, der Friedens-
nobelpreis habe für mehr „Sicht-

„Heute werden


Säuglinge vergewaltigt“


Friedensnobelpreisträger Denis Mukwege
prangert systematische Zerstörung der
Menschen im Kongo an
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