Süddeutsche Zeitung - 22.08.2019

(ff) #1


O


bsietatsächlicheinmalentdeckt
werdenwird,dieEierlegendeWoll-
milchsau?Undfallsja:Wiewürde
diesesWunderwesenwohlaussehen,dem
zugetrautwird,aufeinenSchlagjedeMen-
gedrängenderProblemezulösen?Wieim-
mermansicheinesolcheAlleskönner-Kre-
aturvorstellt–wohldiewenigstenMen-
schenwürdenbeidemGedankendaranan
Madendenken:anpralle,gutzweiZentime-
terlange,bräunlicheMaden.
UnddochhabenesebensolcheTierein
letzterZeitgeschafft,jedeMengeHoff-
nungundvielAufmerksamkeitaufsichzu
ziehen.DieLarvenderSoldatenfliegekönn-
tenhelfen,denenormenFleischhungerei-
nerstetigwachsendenWeltbevölkerung
zubefriedigen–undzwarsowohlökolo-
gischwieauchökonomischverträglicher,
alsdiesbishermöglichist.Dabeigehtes
nichteinmaldarum,dassdieSoldatenflie-
gedirektaufdemmenschlichenSpeise-
planlandet.Dasempfehlennureinpaar
ganzHartgesottene.SelbstinjenenTeilen
derWelt,indenenregelmäßigInsektenge-
gessenwerden,kommendieseMadennur
sehrseltenaufdenTisch.

Alsnahezuunübertreffbarpreisenihre
FansdieFliegenlarvendagegenalsNah-
rungsgrundlagefürRind,Schwein,Geflü-
gelundFisch.DieseTierebenötigenviel
hochwertigesProteinimFutter.Bisherlie-
fernvorallemSoja,MaisundFischmehl
dasnötigeEiweiß.Dochriesige,alsMono-
kulturbewirtschaftetePlantagenverursa-
chenebensowieAquakulturenökologi-
scheProbleme.EinAuswegkönntedieSol-
datenfliegesein.DieMadenliefernvielEi-
weiß.Sielassensichleichthaltenundver-
mehren,benötigennichtvielPlatzund
sindsehrflexibel,wasihreneigenenSpei-
seplanbetrifft.SogarvonKüchenabfällen,
MistundGüllekönnensieleben.Esklingt
perfekt:IndemdieSoldatenfliegeAbfall
vernichtet,ohneselbstgroßeForderungen
zustellen,machtsieandereNutztieregroß
undstark.
Möglich,dassdieSoldatenfliegeeinen
TeilihresRufesalsProblemlöservorallem
demgeschicktenMarketingeinigerStart-
upsverdankt.Bisherverhindernzumin-
destinderEuropäischenUnionSorgenum
dieFuttermittelsicherheitdieNutzungder
Larven,undExpertenwarnenvorzuho-

henErwartungen.DennochhaltenauchYu-
ShiangWangundMatanShelomivonder
NationalTaiwanUniversitydieSoldaten-
fliegealsFuttermittelfür„dasInsektder
Wahl“,wiesieineinerÜbersichtsarbeitim
FachmagazinFoodschreiben.
WissenschaftlichunterdemNamenHer-
metiaillucensbekannt,stammtdasInsekt
ursprünglichausdensubtropischenund
tropischenLagenAmerikas.Inden1920er-
JahrentauchtedieSoldatenfliegeerstmals
inEuropaauf,2010auchinDeutschland.
DieadultenTieresindeinbiszweiZentime-
tergroßundzeichnensichvorallemda-
durchaus,wassieallesnichthabenund
tun:keinenMund,keineBeiß-oderStech-
werkzeuge–alsoauchkeineMöglichkeit,
Krankheitenzuübertragen.Ausgewachse-
neSoldatenfliegenlebennurwenigeTage,
indenensiesichpaarenundindenenein
Weibchenbiszu500Eieraufeinmallegt.
DieetwavierTagespätergeschlüpftenLar-
venkennenfürdienächstenzweiWochen
nureineinzigesZiel:fressen.ProTagneh-
mendieMadenbiszumDoppeltenihresei-
genenGewichtszusich.
DerunersättlicheAppetitderSoldaten-
fliegenlarvenkannfürdenMenschenüber-
ausnützlichsein–zumBeispiel,wenndie
MadensichanGülle,MistoderGemüseres-
tensattfressen.Nichtnurreduzierendie
TieresodenAbfall,sondernsiemachen
ihnauchwenigerattraktivfürandereFlie-
genundvermindernseinenPhosphat-
undStickstoffgehalt.DaskommtderUm-
weltzugute,wennLandwirtemitderGülle
düngen.
DasgrößtePotenzialderTierezeigt
sich,wenndievollgefressenenLarven
kurzvorderVerpuppungstehen.Dannlas-
sensiesichleichtaufsammeln,trocknen,
mahlenundsozuTierfutterverarbeiten.
42ProzentProtein,29ProzentFett,dazu
reichlichKalzium,vieleMineralstoffeund
VitaminemachendieSoldatenfliegezur
idealeNahrungsgrundlagefürNutztiere.
ZumalInsektenzumindestfürHühneroh-
nehinzumnatürlichenSpeiseplangehö-
ren.StudienmitSchweinen,Hühnernund
Garnelenhabengezeigt,dasssichverarbei-
teteSoldatenfliegenlarveneinwandfreials
Soja-,Mais-oderFischmehlersatzimFut-
tereignen.
HinzukommtdieungewöhnlicheEffizi-
enzderMaden,dievielenBerechnungen
zufolgeüberderandererInsektenliegt.
ManbenötigtetwaeineinhalbKiloFutter,
umeinKiloFliegenlarven-Trockenmasse
zuproduzieren.FüreinRinddagegenfällt
dasVerhältnismitzehnzueinsbesonders
ungünstigaus.Darüberhinaussprichtfür
dieSoldatenfliege,dasssiesichleichtund

aufwenigFlächehaltenlässt,keineTreib-
hausgasemissionenverursachtundalles
anderealswählerischist,wasihreigenes
Futterangeht.SogarvonSchlachtabfällen
kannsieleben.Sowundertesnicht,dass
weltweiteinigeUnternehmenbereitsauf
HermetiaillucensalsFuttermittelsetzen.
GroßeZuchtanlagengibtesvorallemin
SüdafrikaundKanada.Auchinmehreren
europäischenLändernwachsendieLarven
ineinigenFirmenheran,inDeutschlandet-
wainSachsen,BrandenburgundNord-
rhein-Westfalen.
UnddochstehtdemDurchbruchderSol-
datenfliegealsViehfutterinderEuropäi-
schenUnionnocheinigesimWeg.Bislang
nämlichdürfendieverarbeitetenLarvenle-
diglichanHaustiereundFischeinAquakul-
turenverfüttertwerden,nichtjedochan
Rinder,SchweineundGeflügel.DasVerbot
beruhtaufdenBSE-Fälleninden1990er-

Jahren.Damalszeigtesich,wieriskantes
seinkann,NutztieremittierischemProte-
inzuernähren.DerzeitprüftdieEUzwar,
obverarbeiteteSoldatenfliegenlarven
künftigauchinSchweinetrögenundHüh-
nerställenlandendürfen;dieGesetzesän-
derunggiltalswahrscheinlich.
Dochselbstdannwürdensichkeines-
wegsalleandieSoldatenfliegegeknüpften
HoffnungenaufeinenSchlagerfüllen,son-
dernvielmehrneueFragenaufkommen.
WenndieverarbeitetenInsektenalsregulä-
resFuttermittelgelten,fallendielebenden
LarvenoffiziellindieKategorieNutztiere.
DamitunterliegensiestrengenBestim-
mungen.UnteranderemistesinderEU
verboten,NutztieremitKüchen-,Speisen-
undSchlachtabfällenoderGüllezufüt-
tern.SinnvollerscheintdieseRegelung
zumBeispielangesichtsderbislangoffe-
nenFrage,obvondenverarbeitetenMa-

deneineInfektionsgefahrausgehenkann,
wennsieverseuchtesFuttergefressenha-
ben.Sobräuchteesvermutlichdochei-
genshergestelltesInsektenfutter,wollte
manLarvenimgroßenStilverfüttern.Da-
zukommenethischeundveterinärmedizi-
nischeBedenken:LeidenauchMadenun-
terMassentierhaltung?Empfindensie
Schmerzen?SindTierärztefürmögliche
SeuchenineinerLarvenfarmgewappnet?
WilhelmWindischvomLehrstuhlfür
TierernährungderTechnischenUniversi-
tätMünchenwürdennochmehrsolcher
ungeklärterPunkteeinfallen.Dabeihälter
dieSoldatenfliegedurchausfüreinemögli-
cheBereicherungaufdemFuttermittel-
markt.Als„gamechanger“,derzumBei-
spielSojaimTierfutterverdrängenkönn-
te,siehterdieMadenjedochnicht.„Der-
zeitherrschteinHypeumdieSoldatenflie-
ge.DieVorstellung,dassmanAbfällean

dieLarvenverfüttertunddiesedannindie
Lebensmittelketteeinschleust,istabsurd.“
Demstehedas–zuRecht–sehrstrenge
Futtermittelgesetzentgegen.Auchder
DeutscheVerbandTiernahrungstimmt
nichtuneingeschränkteinindasLoblied
aufdieSoldatenfliege.„Ichglaubeschon,
dasssieihreNischefindenwird.Aberich
binvorsichtigmitderPrognose,obsiesoei-
negroßeBedeutunghabenwird“,sagt
SprecherinBrittaNoras.Derzeitlassesich
zurmöglichenMarktbedeutungdieserLar-
vennichtssagen,heißtesineineraktuel-
lenStellungnahmedesBranchenver-
bands.Auchmittelfristigwürdendurch
dasInsekt„vermutlichdietraditionellen
pflanzlichenProteinquelleninderTierer-
nährungnichtabgelöst“.SobleibtalsFa-
zit:DieSoldatenfliegeisteinbeeindrucken-
desInsekt–abereherkeineEierlegende
Wollmilchsau.

SiebefestigtenPfeilspitzendamitam
Schaft,flicktenzerbrocheneKeramikwie-
derzusammenunddichtetenHolzgefäße
ab:FürSteinzeitmenschenwiedenNean-
dertalerwarBirkenpecheineArtAllzweck-
kleber.Archäologenwiederumgaltdietee-
rigeSubstanzlangeZeitalsBelegfürdie
ausgesprocheneIntelligenzderausgestor-
benenMenschenart.ImmerhinistdieHer-
stellungvonBirkenpechtechnischsehran-
spruchsvoll.Oderetwasnicht?
WieeinForscherteamderUniversität
TübingeninderaktuellenAusgabedes
WissenschaftsmagazinsProceedingsofthe
NationalAcademyofSciencesberichtet,
gibtesverschiedeneMethoden,umBirken-
pechmitsteinzeitlichemEquipmentherzu-
stellen–undeinedavonisterstaunlich
simpel.BisherwarenWissenschaftlerda-
vonausgegangen,dassderHerstellung
vonBirkenpecheinkomplizierterphysika-

lischerProzesszugrundeliegt.Demnach
mussdieBaumrindezwingendunterLuft-
abschlusserhitztwerdenunddieTempera-
turetwa350GradCelsiusbetragen.Nur
dann,sohießes,verbrenntdieRindenicht
vollständig,sondernverschweltlediglich,
wodurchzunächstBirkenteerundnachei-
nigenStundendanndasklebrigeBirken-
pechentstehe.DazuhättendieNeanderta-
lerdieBirkenrindejedochinHöhlen,Gru-
benoderabgedecktvonKeramikbehäl-
ternverbrennenundzugleichdieTempera-
turrelativkonstanthaltenmüssen.Einsol-
chesVerfahrenhättetatsächlicheinbe-
achtlichesphysikalischesKnow-howerfor-
dert.AlsoschriebmandenMenschender
SteinzeithohekognitiveFähigkeitenzu.
ErsteRissehattedieseTheoriealler-
dingsschon2016bekommen:Archäolo-
genderniederländischenUniversitätLei-
denkonntendamalszeigen,dassdieVer-

brennungstemperaturkeineswegsexakt
350Gradbetragenmuss,sondernledig-
lichzwischen200und500GradCelsiuslie-
gensollte.InderaktuellenStudiewiderle-
genPatrickSchmidtundClaudioTennie
nunauchnochdieAnsicht,dasPechmüs-
seohneZufuhrvonLufterhitztwerden.
InihrenExperimenten,fürdiesieaus-
schließlichsteinzeitlicheMaterialienver-
wendeten,konntendieArchäologenbele-
gen:Esreichtbereits,dieRindeinderNä-
hevonaufrechtstehendenKieselsteinen
mitglatterOberflächezuverbrennen.
NacheinigenStundensammeltsichklebri-
gesBirkenpechaufderOberflächederStei-
neundkannganzeinfachabgeschabtwer-
den.WiedieForscherebenfallszeigen
konnten,reichtdieKlebkraftdiesesSelf-
made-Birkenpechstatsächlichaus,um
SteinklingenanHolzschäftezuheften.Ih-
reAnalysenergabensogar,dassdassim-

pelhergestellteBirkenpechbesserklebt
alssolches,dasunterSauerstoffabschluss
entstandenist.
IhreneuentdeckteMethodeseisoein-
fach,dassdieNeandertalersieauchzufäl-
ligwährendihrerAlltagsaktivitätenent-
deckthabenkönnten,schreibendieWis-
senschaftler.Damitwäreauchdenkbar,
dassdieSteinzeitmenschenihrWissen
nichtweitergaben,sonderndieklebende
EigenschaftdesBirkenpechsmehrmalsun-
abhängigvoneinanderentdeckten.Mitih-
rerStudieentziehensiederinderWissen-
schaftlaufendenDebattezudengeistigen
FähigkeitenderNeandertalerwomöglich
einwichtigesArgument,sagtSchmidtinei-
nerMitteilungderUniversität.Doch
SchmidtsporntdieKollegenauchan:Dass
Neandertalergeistigbereitshochentwi-
ckeltwaren,müssemannunebenaufande-
reWeisebelegen. 

EinenRingherstellen,dernurausKohlen-
stoffatomenbesteht:DieseAufgabe,an
derChemikerseitJahrzehntenscheitern,
hateinTeamumKatharinaKaiservom
IBM-ForschungszentruminZürichnunge-
löst.WiedieWissenschaftlerimFachmaga-
zinScienceberichten,gelangesihnen,aus
18KohlenstoffatomeneinestabileRing-
strukturzuerzeugen,einsogenanntesCy-
clocarbon.DieChemikersynthetisierten
zunächsteinechemischeVerbindungaus
24Kohlenstoff-(C)undsechsSauerstoff-
atomen(O).DurchelektrischeStimulation
entferntensieanschließendsechsKohlen-
monoxidverbindungen(CO).Übrigblieb
einCyclocarbonmit18C-Atomen.
DabeiklärtendieForscherauch,wiedie
Kohlenstoffatomemiteinanderverbun-
densind.ImCyclocarbonwechselnsich
zwischendenAtomendemnachsogenann-
teEinfach-undDreifachbindungenab.Zu-

demscheintderKohlenstoffringextrem
reaktionsfreudigzusein.Sokonntendie
ForschernurdurchAnlegeneinerleichten
SpannungzweibenachbarteCyclocarbone
fusionieren.
InRingformistdas18-atomigeKohlen-
stoffmolekületwasvollkommenNeues.
DasersteMolekül,dasnurausKohlenstoff-
atomenbesteht,istesabernicht.Sobe-
stehtetwaGraphenausnureinerSchicht
Kohlenstoffatomen,waseszudemdünns-
tenmöglichenMaterialmacht.Anwen-
dungfindetGraphenetwabeiderHerstel-
lungvonKohlenstoffnanoröhren,genannt
Nanotubes.DasdemGraphenstrukturell
ähnlicheGraphitistseitLangemimAlltag
präsent,esfindetsichzumBeispielinder
MineeinesBleistifts.DassreineKohlen-
stoffverbindungenäußerststabilseinkön-
nen,beweistderberühmtesteVertreterdie-
serFamilie:derDiamant. 

Madenals


Futter


SiefressenMüllundenthaltenEiweiß.DieLarven


derSoldatenfliegekönntenvieleMenschenernähren


ZufallstattMethode


BelegtdieVerwendungvonBirkenpech,dassNeandertalersehrintelligentwaren?


Ringschluss


ChemikererzeugenKreisausreinemKohlenstoff


InDeutschlandgibtes
bereitsZuchtanlagen
fürdieInsekten

SoldatenfliegenhabenkeinenMundundkeinenStachelundkönnendeshalbauchkeineKrankheitenübertragen. FOTO:PATRICK PLEUL / PICTURE ALLIANCE / DPA

(^14) WISSEN Donnerstag,22.August2019,Nr.193 DEFGH
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