Handelsblatt - 22.08.2019

(ff) #1
„Ich finde, dass die Gesellschaft, in der wir
leben, unverändert eine ist, in der Frauen
nicht so behandelt werden, wie das sein sollte.
Da sind starke Frauen in der Führung
der SPD sehr wichtig.“
Olaf Scholz, Bundesfinanzminister, über seine gemeinsame
Kandidatur mit Klara Geywitz für die SPD-Spitze

Worte des Tages


US-Außenpolitik


Schluss mit


lustig


A


n dieser Stelle werden nor-
malerweise die wirklich
wichtigen News kommen-
tiert: Konjunkturaussichten, Jahres-
bilanzen, Arbeitsmarktzahlen. Auf
keinen Fall die durchgeknallten Ide-
en von verhaltensauffälligen Herren
im Rentenalter. Das galt jedenfalls,
bis Donald Trump kam.
Aber sogar bei ihm konnte man
das Gerücht, er wolle Grönland kau-
fen, anfangs nur für einen Scherz
halten. Er fand die Idee offenbar
selbst lustig, denn er postete auf
Twitter zunächst die Fotomontage
eines klotzigen Trump-Towers zwi-
schen nordischen Strandbutzen, ver-
sehen mit der Bemerkung: „Ich ver-
spreche, dass ich das nicht mit Grön-
land machen werde.“ Damit war
dann aber auch Schluss mit lustig.
Nachdem die für das autonome
Grönland zuständige dänische Pre-
mierministerin Mette Frederiksen ih-
rer Hoffnung Ausdruck verlieh, dass
Trumps Kaufidee „nicht ernst ge-
meint ist“, zeigte sich der Amerika-
ner nun schwerstens beleidigt. Wenn
sie nicht über Grönland sprechen
wolle, brauche er auch nicht – wie ei-
gentlich geplant – zum Staatsbesuch
nach Kopenhagen zu kommen.
Auf diesem Niveau wird norma-
lerweise in Krabbelgruppen um
sich geschlagen. Und wenn es noch
eines Beweises bedurfte, dass die
US-Außenpolitik mittlerweile selbst
die Konfliktlösungsmechanismen
von Kitas in sozialen Brennpunkt-
vierteln unterbietet, wäre er mit
dem Grönland-Streit erbracht.
Andererseits will man sich nicht
vorstellen, was als Nächstes droht:
Schickt Trump seine Navy an die
Küste der Insel? Fängt er einen
Handelskrieg mit ihren 56 000 Be-
wohnern an? Und wozu überhaupt?
Vielleicht wollte er Grönland in ein
Profi-Golf-Resort verwandeln. Oder
er hatte vor, das Weltklima so weit
aufzuheizen, dass die nordischen
Gletscher noch schneller schmelzen
und ihre bislang verborgenen Roh-
stoffe freigeben. Selbst das will man
ja mittlerweile nicht mehr aus-
schließen, wenn man Volten und
Wahnsinn dieses US-Präsidenten
verfolgt.
Was soll da noch kommen? Eines
mit Sicherheit: der nächste Tweet.


Trump sagt einen Staatsbesuch ab,
weil Dänemark ihm Grönland nicht
verkaufen will. Wie viel Wahnsinn
noch?, fragt sich Thomas Tuma.

Der Autor ist stellvertretender
Chefredakteur.
Sie erreichen ihn unter:
[email protected]


M


it der Abschaffung des Solidaritäts-
zuschlags hat es die Große Koalition
sehr eilig. Nicht was den Wegfall
der Sonderabgabe selbst angeht,
der ist weiterhin erst ab dem Jahr
2021 geplant. Aber dem Gesetz von Finanzminister
Olaf Scholz (SPD) hat das Kabinett am Mittwoch
schon zugestimmt, noch im Herbst soll es im Bun-
destag verabschiedet werden, auch wenn es dann
erst ein gutes Jahr später in Kraft treten wird.
Union und SPD wollten mit dem Kabinettsbe-
schluss noch mal ein Zeichen setzen vor den Land-
tagswahlen in Brandenburg und Sachsen, vor denen
beide Parteien zittern müssen. Und auch bei der
Halbzeitbilanz, die Union und SPD Mitte Oktober zie-
hen wollen, soll die Maßnahme einzahlen: „Seht her,
wir liefern und entlasten die Bürger.“
Tatsächlich aber ist das Soli-Gesetz von Scholz
denkbar schlecht geeignet als GroKo-Eigenwerbung.
Es ist komplett vermurkst. Mehr noch: Es ist unklar,
ob eine teilweise Abschaffung für 90 Prozent der
Steuerzahler und damit die Beibehaltung für die
Spitzenverdiener auf unbestimmte Zeit überhaupt
verfassungsgemäß ist. Daran zweifeln nicht nur eini-
ge Juristen, sondern auch Wirtschaftsminister Peter
Altmaier (CDU). Und Bayerns Ministerpräsident Mar-
kus Söder (CSU) erklärte, nach Meinung seiner Ex-
perten sei „die Wahrscheinlichkeit, dass der Soli als
verfassungswidrig eingestuft und ganz abgeschafft
wird, als sehr, sehr hoch einzuschätzen“. Doch trotz
dieser Bedenken trägt die Union das Konzept von
Scholz jetzt mit.
In der Vergangenheit hatte das Bundesverfas-
sungsgericht immer wieder Steuergesetze bemän-
gelt, ob Erbschaftsteuer, Grundsteuer oder Brenn-
elementesteuer. Doch dass ein Koalitionspartner
noch vor Kabinettsbeschluss schon selbst große
Zweifel verkündet und sehenden Auges ein Gesetz
verabschiedet, von dessen Verfassungsmäßigkeit er
nicht überzeugt ist, ist noch mal eine besondere De-
monstration eigener Unfähigkeit. Man setzt von
vornherein darauf, dass Karlsruhe schon als Repara-
turbetrieb einspringen wird.
Zu den rechtlichen Problemen kommt der Scha-
den für die politische Glaubwürdigkeit. Die Politik
hat zugesagt, die Sonderabgabe zur Finanzierung
der deutschen Einheit wieder abzuschaffen. Bis spä-
testens Ende 1999 sei der Soli endgültig weg, ver-
sprach einst Kanzler Helmut Kohl. Mit Auslaufen des
Solidarpakts wäre es nun an der Zeit, dieses Verspre-
chen einzulösen.
Dass sich ein sozialdemokratischer Finanzminister
damit schwertut, ist nachvollziehbar, denn eine

komplette Streichung der Sonderabgabe würde
schwerpunktmäßig Bezieher sehr hoher Einkommen
entlasten. Schließlich hatten Union wie SPD in ihren
Wahlprogrammen vor allem eine Entlastung unterer
und mittlerer Einkommen versprochen. Doch die
Beibehaltung des Solis als eine verkappte Reichen-
steuer ist der falsche Weg. Union und SPD hätten
sich zu einer großen Steuerreform durchringen müs-
sen, welche die Soli-Abschaffung mit einer Neufas-
sung des Steuertarifs kombiniert, sodass die Entlas-
tungswirkung bei der Mittelschicht konzentriert
wird. Dazu fehlte den Koalitionspartnern aber die
Kraft. Sie konnten sich nur zu dem schlechten Kom-
promiss einer Teilabschaffung des Solis für 90 Pro-
zent der Steuerzahler durchringen.
Die Union trägt für den Soli-Murks nicht weniger
Verantwortung als die SPD. Sie spielt beim Soli ein
merkwürdiges Spiel. Bei den Jamaika-Verhandlungen
wehrte sich die CDU noch vehement gegen die FDP-
Forderung nach einem kompletten Soli-Aus, auch
der damalige Interimsfinanzminister Peter Altmaier.
Kaum war die Große Koalition in Regierungsverant-
wortung, forderte die CDU die vollständige Abschaf-
fung. An die Spitze der Bewegung setzte sich Altmai-
er, der noch vergangenen Freitag ein eigenes Kon-
zept vorlegte. Das hat durchaus Vorzüge, so will
Altmaier einen Freibetrag statt einer Freigrenze. Das
würde dafür sorgen, dass alle Steuerzahler profitie-
ren. Und es würde im Gegensatz zu Scholz’ Freigren-
ze einen sprunghaften Belastungsanstieg im Steuer-
tarif vermeiden. Da hat der Wirtschaftsminister die
meisten Ökonomen auf seiner Seite. Die Wirtschafts-
verbände lobten sein Konzept sowieso.
Doch Altmaiers Miniaufstand gegen das Scholz-Ge-
setz dauerte nur wenige Tage. Nach dem Koalitions-
ausschuss am Sonntagabend war klar, dass Scholz’
Modell am Mittwoch das Kabinett passieren würde.
Altmaier fand auch in seiner Union keine Unterstüt-
zung und steht nun wieder als ein Wirtschaftsminis-
ter da, der viel ankündigt und wenig durchsetzt. Die
Union ist derzeit bemüht, die verunsicherte und
kopflose SPD zu stützen. Dem Fortbestand der Koali-
tion muss sich da vieles unterordnen.
Und so hat das Kabinett ein Gesetz auf den Weg
gebracht, an dem es juristische Zweifel gibt und das
zumindest viele in der Union, inklusive des Wirt-
schaftsministers, schon jetzt für stark verbesserungs-
bedürftig halten. Besser kann man die Unzulänglich-
keit eigener Maßnahmen nicht zur Schau stellen.

Leitartikel


Demonstration der


Unzulänglichkeit


Das Kabinett
bringt das Gesetz
zum Abbau des
Solis auf den
Weg, obwohl die
Koalition selbst
nicht überzeugt
ist, sieht
Jan Hildebrand.

Die Union


trägt für den


Soli-Murks


nicht weniger


Verant -


wortung als


die SPD.


Sie spielt beim


Soli ein


merkwürdiges


Spiel.


Der Autor ist stv. Leiter des Hauptstadtbüros.
Sie erreichen ihn unter:
[email protected]

Meinung

& Analyse

DONNERSTAG, 22. AUGUST 2019, NR. 161
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