Handelsblatt - 22.08.2019

(ff) #1

Die aktuelle


Serie


politischer


Proteste in


der Region


Hongkong


nehmen wir im


Sinne der


Sicherheit


unserer


Mitarbeiter vor


Ort sehr ernst.


Aldi Süd

Konsulatsmitarbeiter

Festnahme


in China


D


ie anhaltenden Proteste in Hongkong be-
lasten auch die Beziehungen zwischen
Großbritannien und China. Jetzt hält die
Volksrepublik einen Mitarbeiter des britischen
Konsulats in Hongkong in Verwaltungshaft. Er sei
mit 15 Tagen Haft in der chinesischen Stadt
Shenzhen belegt worden, teilte Außenamtsspre-
cher Geng Shuang am Mittwoch mit. Als Grund
führte er an, der Mann habe gegen Richtlinien
zur öffentlichen Ordnung verstoßen.
Zuletzt hatte das britische Außenministerium
erklärt, sich Sorgen um seinen Mitarbeiter zu ma-
chen, den Lokalmedien als Simon Cheng Man Kit
identifizierten. Den Angaben zufolge nahm er an
einer Unternehmensveranstaltung in Shenzhen
am 8. August teil. Anschließend kehrte er aber
nicht ins benachbarte Hongkong zurück, obwohl
das für den gleichen Tag noch geplant war.
Großbritannien hatte – wie andere westliche
Länder auch – China zu Zurückhaltung im Um-
gang mit den seit Wochen anhaltenden Protes-
ten der Demokratiebewegung in Hongkong auf-
gefordert.
Die Demonstranten werfen der Hongkonger
Regierung eine zu große Nähe zu der Führung
in Peking vor und fürchten um die Freiheits-
rechte, die ihnen nach der Übergabe der ehe-
maligen britischen Kronkolonie an China 1997
zugestanden wurden.
Der chinesische Außenamtssprecher forderte
Großbritannien auf, sich nicht einzumischen.
„Der betroffene Arbeitnehmer ist ein Bewohner
Hongkongs, kein britischer Staatsbürger“, sagte
Sprecher Geng. „Mit anderen Worten: Er ist Chi-
nese. Das ist eine reine innere Angelegenheit
Chinas.“ Der Mann habe gegen Richtlinien der
öffentlichen Ordnung und der Sicherheitsver-
waltung verstoßen, sagte Geng ohne weitere De-
tails. Es handele sich nicht um einen diplomati-
schen Fall.
Auch deutsche Vertretungen im Ausland, seien
es Konsulate oder Botschaften, beschäftigen loka-
le Ortskräfte. Für die Arbeit der Diplomaten vor
Ort sind sie wichtige Mitarbeiter, die etwa bei
Übersetzungen helfen. Zwar genießen sie keinen
diplomatischen Schutz, eine Verhaftung dieser
Mitarbeiter ist dennoch ein ernster Vorgang. Das
Auswärtige Amt in Deutschland wollte sich auf
Anfrage des Handelsblatts nicht zu dem Fall äu-
ßern. Ob mit Blick auf chinesische Mitarbeiter
des deutschen Konsulats in Hongkong besondere
Sicherheitsmaßnahmen ergriffen werden, wollte
man nicht kommentieren.
Bei Störungen der öffentlichen Ordnung oder
der Sicherheit, wie es dem Mitarbeiter des briti-
schen Konsulats vorgeworfen wird, geht es in der
Regel um weniger schwerwiegende Vergehen,
beispielsweise eine Prügelei auf der Straße. Die
maximale Haftstrafe für ein solches Vergehen
sind 15 Tage.
„Rettet Simon jetzt!“, riefen Protestierende vor
dem britischen Konsulat in Hongkong. Sie forder-
ten London auf, sich für die Freilassung des Mit-
arbeiters einzusetzen, der im Konsulat für Han-
dels- und Investmentfragen zuständig ist.
Max Chung, ein Organisator der Demonstrati-
on und Bekannter von Cheng, sagte, dieser sei
mit einer Reiseerlaubnis speziell für Bewohner
Hongkongs und Macaus nach Shenzhen einge-
reist. Er besitze einen Pass für britische Übersee-
gebiete. Dieser wird vom Vereinigten Königreich
an dauerhafte Bewohner Hongkongs ausgestellt.
Chung und andere Freunde erklärten, ihrer
Überzeugung nach sei Cheng an einer Station des
Hochgeschwindigkeitszugs in West Kowloon fest-
genommen worden, das zu Hongkong gehört.
Vor deren Eröffnung der Station im vergangenen
September gab es einige Debatten darüber, weil
Passagiere im Innern an chinesischen Einwande-
rungs- und Zollkontrollen vorbei müssen. HB

tungszone vereinbarten „One country – two sys-
tems“-Prinzips gelten, sagt Volker Treier, Außen-
wirtschaftschef der DIHK. „Die Unternehmen
hoffen nun, dass sich die politische Lage
nicht noch weiter zuspitzt.“ Hongkong habe für
die deutsche Wirtschaft eine erhebliche Bedeu-
tung als Logistik- und Finanzplatz und als Brü-
ckenkopf in das wirtschaftlich starke Perlflussdel-
ta in China.
Ähnlich äußert sich Holger Bingmann, Präsi-
dent des Bundesverbands Groß- und Außenhan-
del (BGA), gegenüber dem Handelsblatt: Die Si-
tuation in Hongkong sei unübersichtlich und ge-
prägt von massiver Propaganda und
Gegenpropaganda, so Bingmann. „Eines ist aber
völlig klar: Gewalt geht gar nicht – weder von der
einen noch von der anderen Seite!“ Beide Seiten
müssten ihren Teil dazu beitragen, die Spannun-
gen abzubauen und endlich in einen „konstrukti-
ven Dialog“ zu treten. Der Deutsche Bankenver-
band mag sich auf Anfrage gar nicht äußern.
Dabei kämpfen die Protestierenden indirekt
auch für die Interessen der Unternehmen und ih-
rer Mitarbeiter vor Ort. Denn ursprünglich hatten
sich die Proteste an einem Gesetzesvorhaben ent-
zündet, dass es zugelassen hätte, Verdächtige ei-
ner Straftat nach China auszuliefern. Kritiker be-
fürchteten, dass China das Gesetz nutzen würde,
um Regierungskritiker auszuschalten.
Das Gesetz ist inzwischen auf Eis gelegt, die De-
monstrierenden fordern aber die formelle Rück-
nahme, den Rücktritt von Hongkongs Regierungs-
chefin Carrie Lam und freie Wahlen. Bislang hat
die Hongkonger Regierung nur wenige Zuge-
ständnisse gemacht. Stattdessen ließ Peking seine
Medien immer schärfer gegen die Protestieren-
den hetzen. Sie wurden als Kakerlaken darge-
stellt, einzelne Gewalttäter als repräsentativ für
die ganze Bewegung. Unverhohlen drohte Peking
auch mit einem Eingreifen.


Hongkong ist wichtiger Brückenkopf


Experten warnen eindringlich vor einer weiteren
Eskalation der Proteste. Die große Bedeutung
Hongkongs beruht auf Sonderrechten, die die
Sonderverwaltungszone seit ihrer Übergabe an
China genießt. Im Gegensatz zu Festland-China
gibt es dort freie Kapital- und Warenflüsse, ein
funktionierendes Rechtssystem und eine unab-
hängige Justiz. Wenn all das infrage steht, müssen
sich die ausländischen Unternehmen einen ande-
ren Standort außerhalb Chinas suchen.
Denn auch wenn China derzeit versucht, in
Shenzen so etwas wie ein zweites Hongkong ein-
zurichten – von den Freiheiten, die die Sonder-
verwaltungszone bietet, ist die Stadt noch mei-
lenweit entfernt. Vielen ausländischen Unterneh-
men würde nicht anders übrig bleiben, als ihren
Sitz nach Singapur zu verlegen, wenn Hongkong
als Firmenstandort ausfällt.
Dennoch sind die Unternehmen sehr zurück-
haltend, was Äußerungen zu den Protesten an-
geht. Lufthansa begründete die Zurückhaltung in
Bezug auf die Situation in Hongkong mit Verweis
auf das weltweit gültige Chicagoer Abkommen
vom 7. Dezember 1944. Danach sei eine Linien-
fluggesellschaft verpflichtet, sofern nicht schwer-
wiegende Gründe dagegen sprechen, die Verbin-
dung in ein Land aufrechtzuerhalten. Das sei
auch deshalb richtig und wichtig, um etwa huma-
nitäre Hilfe oder die Berichterstattung über die
Situation in einem Land zu ermöglichen, betont
ein Sprecher gegenüber dem Handelsblatt. Auch
würde dadurch gewährleistet, dass Menschen ein
Land verlassen könnten oder dass Verfolgte in Si-
cherheit gebracht werden könnten. Damit ver-
bunden sei allerdings eine neutrale Rolle der je-
weiligen Airline, heißt es bei der Lufthansa.
Ähnlich klingt es beim Handelsunternehmen
Aldi Süd, das ebenfalls in Hongkong vertreten ist:


„Die aktuelle Serie von politischen Protesten in
der Region Hongkong nehmen wir im Sinne der
Sicherheit unserer Mitarbeiter vor Ort sehr
ernst“, sagte ein Sprecher auf Anfrage. Derzeit ge-
be es auf operativer Ebene keine Auswirkungen
auf die Geschäftstätigkeiten des Unternehmens in
dieser Region. Man beobachte die Entwicklungen
genau, um kurzfristig auf weitere Veränderungen
der Lage reagieren zu können, heißt es. Darüber
hinaus will sich Aldi Süd nicht über die politische
Entwicklung in Hongkong äußern.
Auch der BASF-Konzern, der seit 1995 seinen
regionalen Hauptsitz für Ostasien in Hongkong
hat, winkt ab. Die aktuellen Unruhen hätten kei-
ne Auswirkungen auf die Zukunft des Unterneh-
mens in der Stadt, heißt es von dem Chemiekon-
zern. Man hoffe auf eine zufriedenstellende Lö-
sung durch einen friedlichen Dialog.

Alibaba verschiebt Börsengang
Bei chinesischen Unternehmen hat der Konflikt
hingegen mittlerweile spürbare Folgen. Wie die
Nachrichtenagentur Reuters am Mittwoch unter
Berufung auf Insider berichtete, verschiebt der
chinesische Tech-Konzern Alibaba wegen der
Proteste in Hongkong seinen dort geplanten Bör-
sengang. Der Alibaba-Verwaltungsrat habe dies
vor dem Hintergrund instabiler Verhältnisse in
der Politik und an den Finanzmärkten nach den
zuletzt immer gewalttätigeren Protesten in der
Sonderverwaltungszone entschieden, zitiert Reu-
ters eine mit der Sache vertraute Person. „Es wä-
re sehr unklug, das Vorhaben jetzt oder in nächs-
ter Zeit durchzuziehen“, so der Insider. „Es wür-
de Peking sicher verärgern, Hongkong angesichts
der Vorgänge in der Stadt ein solch großzügiges
Geschenk anzubieten.“ Zuvor hatte die Hongkon-
ger Airline Cathay bereits zwei Piloten gefeuert,
nachdem sie an den regierungskritischen Protes-
ten in Hongkong teilgenommen hatten.
Deutsche Unternehmen vor Ort, so heißt es
dem Vernehmen nach, werden derzeit nicht von
Peking unter Druck gesetzt, im Sinne der chinesi-
schen Regierung Stellung zu beziehen, sich mit
öffentlichen Äußerungen zurückzuhalten oder ih-
re Mitarbeiter dazu anzuhalten, sich nicht auf ei-
ne Seite zu schlagen. Öffentlich äußern dazu wol-
len sich viele Unternehmen, wie etwa die Deut-
sche Bank oder Lidl, die in Hongkong vertreten
sind, jedoch nicht.
Mitarbeit: J. Koenen, F. Kolf, T. Sigmund

46,
Mrd. US$

Deutsche Unternehmen halten an Hongkong fest
Bewertung des Standorts* Handelsvolumen 2018

Angaben
in Prozent

23 %
Pessimistisch

21 %
Neutral oder unentschieden

56 %
(Sehr)
Zuversichtlich

HANDELSBLATT Quelle: AHK Hongkong

*Befragt: 600 Unternehmensvertreter, August 2019

Zwischen
Hongkong und ...

... Deutschland ... der EU

7, 5
Mrd. US$

Unternehmen & Märkte


DONNERSTAG, 22. AUGUST 2019, NR. 161
15

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