Handelsblatt - 22.08.2019

(ff) #1
Stephan Scheuer Düsseldorf

K


onzerne schmücken
sich gerne mit visionä-
ren Projekten. Für den
Netzbetreiber Telefóni-
ca Deutschland war
die Tochtergesellschaft Next so ein
Projekt. Es sollte als Labor für neue
Geschäftsmodelle fungieren und
gleichzeitig beweisen, dass der Kon-
zern mehr kann, als nur Mobilfunk-
netze zu bauen. Doch drei Jahre nach
dem Start steht das Projekt vor dem
Aus, wie das Handelsblatt erfuhr.
Das Experiment wird als eigenstän-
diges Projekt abgewickelt. Einzelne
Ideen sowie ein Teil der Mitarbeiter
werden in den Mutterkonzern zu-
rückgeholt, wie ein Firmensprecher
bestätigte. Für einen großen Teil der
rund 100 Beschäftigten bedeutet die
Entscheidung aber das Ende ihre Tä-
tigkeit für den Netzbetreiber.
Das Unternehmen stellte den Vor-
gang als strategische Neuausrichtung
dar. „Nun ist der richtige Zeitpunkt,
erfolgreiche Konzepte enger an das
Kerngeschäft von Telefónica Deutsch-
land zu rücken“, sagte der Firmen-
sprecher. „Das bedeutet, dass einzel-
ne Plattformen und Modelle in die
OHG überführt und dort fokussiert
weiterentwickelt werden.“
Insider stellten die Situation dem
Handelsblatt gegenüber anders dar.
„Das ist ein gefährlicher Schritt. Next
war mit vielen Hoffnungen verbun-
den“, sagte ein Mitarbeiter, der nicht
namentlich genannt werden wollte.
Innerhalb der Belegschaft gebe es
große Sorgen, dass weitere Kürzun-
gen bevorstehen könnten. Im Mai
hatte der Konzern bekanntgegeben,
Standorte in Köln, Frankfurt und
Hannover zu schließen.
Next war nicht irgendein Projekt,
sondern sollte den Grundstein für ein
erweitertes Geschäftsmodell von Te-
lefónica in Deutschland legen. Noch
beim Kapitalmarkttag im vergange-
nen Jahr hatte die Telefónica-Ge-
schäftsführung angepriesen, wie die
2016 gegründete Telefónica Germany
Next GmbH helfen werde, die Wachs-
tumschancen der Digitalisierung zum
lukrativen Geschäft zu machen.
Besonders im Bereich der Auswer-
tung großer Datenmengen sowie in
Plattformlösungen für das Internet
der Dinge sollte Next Produkte entwi-
ckeln. Im Jahr 2017 hatte Next zu die-
sem Zweck das Berliner Start-up
Minodes für einen zweistelligen Mil-
lionenbetrag übernommen, das Lö-
sungen entwickelt hat, um für Einzel-
händler das Verhalten ihrer Kunden
besser zu erfassen.
Telefónica hatte laut Handelsblatt-
Informationen zwischenzeitlich ver-
sucht, die IoT-Plattform Geeny, die
aus Next hervorgegangen war, an ei-
nen Investor zu verkaufen. Doch der
Versuch war gescheitert. Telefónica
wollte sich dazu nicht äußern. Der
Firmensprecher teilte mit, Geeny
werde von Telefónica fortgeführt.
In Branchenkreisen wurde speku-
liert, die Telefónica-Muttergesell-
schaft in Spanien könnte die deut-
sche Tochter zur Abwicklung von
Next gedrängt haben. Die Spanier ha-
ben eine eigene Plattform für das In-
ternet der Dinge (IoT) entwickelt.
Daher könnte das Interesse an einer
eigenen Lösung der Deutschland-
tochter begrenzt sein, spekulierte ein
Branchenkenner.
Die Telefónica-Muttergesellschaft
in Spanien steht wirtschaftlich unter
Druck. „Sie sind auf den deutschen
Cashflow angewiesen“, sagte Com-
merzbank-Analystin Heike Pauls dem
Handelsblatt. Den Spaniern gehören
69 Prozent der Anteile der Telefónica

Deutschland Holding AG. Für das Ge-
schäftsjahr 2018 hatte Telefónica
Deutschland mehr als 800 Millionen
Euro an Dividende ausgeschüttet. Da-
mit war wichtige Finanzkraft vor al-
lem nach Spanien abgeflossen.
Dabei steht Telefónica in Deutsch-
land vor einem finanziellen Kraftakt.
Bei der Versteigerung der Frequen-
zen für den Echtzeitmobilfunk 5G in
Deutschland hatte Telefónica

Deutschland im Juli 1,4 Milliarden
Euro geboten. Rund eine Milliarde
Euro muss der Konzern bereits im
September an die Bundesnetzagen-
tur überweisen.
Das dürfte nur ein kleiner Teil der
nötigen Investitionskosten sein. Der
Mobilfunkkonzern muss sein Netz
grundlegend umbauen, um es fit für
5G zu machen. Auch mehr als vier
Jahre nach der Übernahme des Riva-

len E-Plus schneidet Telefónica bei
den Tests zur Netzqualität in
Deutschland deutlich schlechter als
die Wettbewerber Deutsche Telekom
und Vodafone ab. Zwar hat Telefóni-
ca zuletzt mehr Geld ausgegeben, die
ausgewiesene Investitionsquote stieg
im ersten Halbjahr im Vergleich zum
Vorjahreszeitraum um 1,9 Prozent-
punkte auf 13,9 Prozent. Die Telekom
weist für das Segment Deutschland
im ersten Halbjahr jedoch eine Inves-
titionsquote von 21,2 Prozent aus.
Der Rückstand von Telefónica zur Te-
lekom droht also größer zu werden.
Während die Telekom nach eige-
nen Angaben mehr als 80 Prozent ih-
rer Mobilfunkstandorte mit Glasfaser
angeschlossen hat, macht Telefónica
keine aktuellen Angaben mehr zum
Stand der eigenen Standorte. Telefó-
nica hatte das Ziel ausgegeben, bis
zum Jahr 2022 mehr als 25 Prozent
der Standorte auf dem Land und 90
Prozent der Standorte in den Städten
mit Glasfaser anzuschließen. Glasfa-
ser ist so entscheidend, weil sie die
ausreichende und verlässliche Daten-
rate für ultraschnelle Verbindungen
beim 5G-Mobilfunk sicherstellt.
Bislang konnte Telefónica in
Deutschland darauf verweisen, zu-
mindest beim Schuldenstand im Ver-
gleich zum Rest der Branche relativ
gut dazustehen. Doch die Nettofi-
nanzschulden sind von 1,1 Milliarden
Euro Ende 2018 auf 4,5 Milliarden
Euro zum Ende des ersten Halbjah-
res 2019 gestiegen. Gründe dafür
war en die Ausgaben für die Netzmo-
dernisierung, die hohe Dividenden-
auszahlung und der neue Rech-
nungslegungsstandard IFRS16.

Der wichtigste Faktor für die Zu-
kunft von Telefónica in Deutschland
könnte jedoch neben der Mutterge-
sellschaft in Madrid im rheinland-
pfälzischen Montabaur sitzen. Dort
hat der Mobilfunkkonzern United In-
ternet seinen Hauptsitz. Auflagen für
die Übernahme von E-Plus garantie-
ren der Firma aus Montabaur einen
Zugang zu bis zu knapp einem Drittel
der Netzkapazität von Telefónica.
Doch beide Firmen streiten darüber,
wie viel Miete United Internet dafür
zahlen muss. Eine erste Entschei-
dung in dem Rechtsstreit könnte im
Oktober anstehen.
Für Telefónica ist der Streit aller-
dings nur ein Randaspekt im Um-
gang mit United Internet. Denn die
Firma aus Montabaur will selbst zum
Netzbetreiber aufsteigen. Damit
würden Telefónica langfristig die
Mieteinnahmen komplett wegbre-
chen. „Es gibt eine große Skepsis ge-
genüber der Geschäftsentwicklung
von Telefó nica, wenn United Inter-
net wirklich ein eigenes Netz baut“,
warnt Commerzbank-Analystin
Pauls. Der Netzbetreiber steht vor
schwierigen Zeiten.

Telekommunikation


Telefónica spart an


der Zukunft


5G-Ausbau, Schulden und ein neuer Rivale: Der


Netzbetreiber steht unter Druck. Jetzt stoppt der


Konzern in Deutschland das Zukunftsprojekt Next.


O2-Tower in
München:
Das Experiment Next
wird abgewickelt.

NurPhoto/Getty Images

Schulden

4,


MILLIARDEN
Euro Nettofinanzschulden wies
Telefónica Deutschland zum Ende
des ersten Halbjahres aus.

Quelle: Unternehmen

Unternehmen & Märkte
DONNERSTAG, 22. AUGUST 2019, NR. 161
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