Handelsblatt - 22.08.2019

(ff) #1

SPD


Zurück zu alter Stärke


Klara Geywitz und Olaf Scholz


wollen die SPD retten. Bei


ihrem ersten gemeinsamen


Auftritt skizzieren sie die


Rollenverteilung, sollten sie


Parteichefs werden.


Klaus Stratmann Berlin


E


s ist natürlich nur ein Zufall,
dass Olaf Scholz zwischen Kla-
ra Geywitz und Gregor
Mayntz, dem Vorsitzenden der Bun-
despressekonferenz, Platz nimmt
und somit an diesem Mittwoch um
Punkt 12 Uhr automatisch in die Mitte
des Geschehens rückt. Um dem Ein-
druck entgegenzuwirken, Scholz sei
der Haupt- oder Alleindarsteller der
Pressekonferenz, ergreift Geywitz als
erste der beiden SPD-Politiker das
Wort. Die künftige Rollenverteilung
umreißt sie so: „Olaf Scholz kann vie-
le Sachen unheimlich gut erklären.
Ich kann viele Sachen gut auf den
Punkt bringen.“ Es werde aber nicht
so laufen, dass der eine die Weltpoli-
tik kommentiere und der andere die
Unterbezirksparteitage besuche, sagt
die SPD-Politikerin später. Sie werde
„nicht das dekorative Salatblatt an
seiner Seite“ sein.
Klara Geywitz und Olaf Scholz sind
die Überraschungs-Kombination im
Wettlauf um die künftige SPD-Spitze.
Erst vergangene Woche hatte Scholz
erklärt, dass er für den Vorsitz kandi-
dieren werde. Zunächst war unklar,
mit welcher Partnerin an seiner Seite
er ins Rennen gehen würde. Am
Dienstag wurde dann bekannt, dass
er mit Klara Geywitz gemeinsam ein
Bewerber-Duo bilden wird.
Geywitz hatte bis dahin niemand
auf dem Zettel. Die 43-jährige Bran-
denburgerin ist zwar wie Scholz Mit-
glied im Parteivorstand der Sozialde-
mokraten, außerhalb der Partei und
außerhalb der brandenburgischen
Landesgrenzen hat sie sich bislang
aber keinen Namen machen können.
Scholz kennt Geywitz allerdings
sehr wohl. 2018 saßen beide in der
Hauptverhandlungsrunde, die den
Koalitionsvertrag von CDU, CSU und
SPD auf Bundesebene aushandelte.
Seit 2004 ist sie Abgeordnete im Pots-
damer Landtag. Derzeit kandidiert


sie für die Landtagswahl am 1. Sep-
tember. Im Wahlkampf ist sie seit Wo-
chen mit einem roten Lastenfahrrad
in der Brandenburger Landeshaupt-
stadt unterwegs.
Geywitz gibt sich bei ihrem Auftritt
mit Scholz vor der Bundespressekon-
ferenz bodenständig und bürgernah.
Den „Berliner Berufspolitikern“ rich-
tet sie aus, sie kümmerten sich in der
Wahrnehmung vieler Bürger nicht in-
tensiv genug um die Probleme der
einfachen Leute. Es müsse darum ge-
hen, die Leute mitzunehmen, sie zu
überzeugen. Wenn Geywitz dann
noch von einer Begegnung mit einem

jungen syrischen Mädchen berichtet,
die sie fast zum Weinen gebracht hät-
te, wird auch dem letzten Beobachter
klar: Die Brandenburgerin ist das
glatte Gegenteil des kühlen Hansea-
ten Scholz. Geywitz fasst das sehr
treffend so zusammen: „Herr Scholz
und ich sind äußerst unterschiedli-
che Personen mit äußerst unter-
schiedlichen Biografien.“ Wer wollte
da widersprechen?
Scholz, der Vizekanzler und Bun-
desfinanzminister, ist und bleibt auch
und gerade an der Seite von Geywitz
ganz der Alte. Er spricht von struktu-
rellen Problemen, die neue Antwor-

ten erforderten, über die Gleichwer-
tigkeit von Lebensverhältnissen, von
Verantwortung und Pflicht. Damit
bleibt er blutleer wie erwartet.
Was Scholz und Geywitz eint, ist
ihre Haltung zur Großen Koalition.
„Wir stehen für eine SPD, die die Pro-
bleme löst. Das kann man nur in der
Regierung“, sagt Geywitz. Beide be-
tonen sie allerdings auch, dass man
den Prozess der Kandidatenkür von
der Frage nach dem Verbleib der
SPD in der Großen Koalition trennen
müsse. Das seien zwei völlig unter-
schiedliche Vorgänge.
Die Kandidatur von Olaf Scholz
war nicht absehbar. Zunächst hatte
der SPD-Politiker gesagt, das Amt des
Finanzministers lasse sich schon al-
lein vom Zeitaufwand her nicht mit
dem Amt des Parteivorsitzenden un-
ter einen Hut bringen. Er sehe das
mittlerweile anders, sagte Scholz am
Mittwoch.

Wussten die Vorsitzenden
von der Kandidatur?
Vorerst ungeklärt bleibt indes die Fra-
ge, ob die kommissarischen Parteivor-
sitzenden Malu Dreyer, Thorsten
Schäfer-Gümbel und Manuela Schwe-
sig den Hanseaten zu einer Kandida-
tur gedrängt haben oder ihm zumin-
dest ihren Segen gegeben haben. Ob
es – wie vom „Spiegel“ berichtet und
von vielen anderen Medien übernom-
men – am 12. August eine Telefon-
schalte mit Dreyer, Schäfer-Gümbel,
Schwesig und Scholz gegeben hat, bei
der Scholz’ Kandidatur besprochen
wurde, ließ sich am Mittwoch nicht
klären. Scholz antwortete auf entspre-
chende Journalistenfragen, er berich-
te nicht aus vertraulichen Gesprä-
chen. Schäfer-Gümbel hatte zuvor ge-
sagt, die Telefonschalte habe nicht
stattgefunden. In der Partei sorgt der
Vorgang für Unmut. Karl Lauterbach,
SPD-Fraktionsvize und Kandidat für
den SPD-Vorsitz, forderte Klarheit da-
rüber, wie und wann Scholz die Par-
teispitze informiert hat. Kritik kam
auch von Flensburgs Oberbürger-
meisterin Simone Lange, die eben-
falls SPD-Chefin werden will: „Olaf
Scholz muss das restlos aufklären.
Das ist eine Frage der politischen Hy-
giene. Sein Verhalten schadet der
Partei“, sagte sie der „Bild“-Zeitung.

Kandidaten Scholz
und Geywitz:
Überraschungs -
kombination
im Kampf um die
SPD-Spitze.

Bernd von Jutrczenka/dpa

Sonntagsfrage
Wenn am nächsten Sonntag
Bundestagswahl wäre ...

HANDELSBLATT

Ergebnis in %; Umfrage vom 17.8.
Quelle: Forsa

Union

SPD

Grüne

AfD

FDP

Linke

25 %

13 %

24 %

8 %

 %

13 %

Ausländische Abschlüsse

Karliczek will


schnellere


Anerkennung


Barbara Gillmann Berlin

E


s geht voran, wenn auch lang-
sam: Die Zahl der Anerken-
nungen ausländischer Berufs-
abschlüsse – sei es vollständig oder
teilweise – ist 2018 um 20 Prozent auf
36 400 gestiegen.
61 Prozent entfallen dabei auf die
Gesundheitsberufe: 10 400 Pflege-
kräfte und 7 200 Ärzte und Ärztin-
nen, denen damit die Approbation
erteilt wurde. Es folgen Anerkennun-
gen für 2 900 Ingenieure, 1 900 Lehr-
kräfte und 900 Erzieher.
Damit wurden seit Einführung des
Rechtsanspruches im Jahr 2012 insge-
samt rund 156 000 Abschlüsse aner-
kannt. Das ist allerdings weit weniger,
als sich die Politik erhofft hatte: Die
damalige Bildungsministerin Annette
Schavan (CDU) hatte insgesamt
300 000 Anerkennungen angepeilt.
Bundesbildungsministerin Anja
Karliczek (CDU) versprach daher, die
Verfahren müssten „schneller, trans-
parenter und bekannter werden“.
Das sei auch deshalb nötig, weil das
neue Fachkräfteeinwanderungsge-
setz ab 2020 weitere Zugänge schaf-
fe. Daher wolle ihr Haus gemeinsam
mit dem Bundesarbeitsministerium
und der Bundesagentur für Arbeit ei-
ne Zentrale Servicestelle Berufsaner-
kennung einrichten.

Weiter hohe Hürden
Sowohl Oppositionspolitiker als auch
Wirtschaftsvertreter hatten beklagt,
dass die Anerkennung viel zu lange
dauere. Zudem würden in jedem
Bundesland unterschiedliche Regeln
gelten, kritisierten etwa die Arbeitge-
ber der Pflegebranche.
„Die gestiegenen Zahlen verde-
cken: Für die Anerkennung ausländi-
scher Abschlüsse gelten nach wie vor
zu hohe Hürden“, kritisiert der Vor-
sitzende des Demografienetzwerks
(DDN), Rudolf Kast. Es sei „zu lang,
zu umständlich, zu schlecht für junge
Menschen“. Im DDN haben sich zahl-
reiche Unternehmen zusammenge-
schlossen, um in Kooperation mit
dem Bundesarbeitsministerium die
Herausforderungen des demografi-
schen Wandels besser zu meistern.
„An keiner anderen Stelle im Ar-
beitsmarkt gibt es so überzogene
Eingangsvoraussetzungen. Wir
schrecken Menschen ab und schlie-
ßen sie aus, anstatt ihnen eine Per-
spektive anzubieten“, sagt Kast. Das
sei „nicht geeignet, unseren Arbeits-
markt zu stabilisieren“. Wartezeiten
von mehreren Monaten bis zu mehr
als einem Jahr entsprächen weder
den Bedürfnissen der Unternehmen,
noch sind sie zumutbar für die An-
tragsteller.
Bei der Herkunft derjenigen, die ei-
nen Antrag auf Anerkennung stellen,
führten 2018 die Syrer mit 4 800 Fäl-
len. Es folgten Fachkräfte aus Bos-
nien und Herzegowina (3 000), Ser-
bien (2 100) und Polen (2 000). Die
Anträge von den Philippinen haben
sich mit 1 600 mehr als verdoppelt.
Aus der EU kamen insgesamt
11 900 Anträge, aus dem übrigen
Europa 11 500 und 10 000 aus Asien.
Wer seinen Berufsabschluss anerken-
nen lassen will, muss dafür jedoch
nicht nach Deutschland reisen. Die
Anträge können auch aus dem Aus-
land gestellt werden.

Ich werde


nicht das


dekorative


Salatblatt


an seiner


Seite sein.


Klara Geywitz
Kandidatin für den
SPD-Vorsitz mit
Olaf Scholz

Wirtschaft & Politik
DONNERSTAG, 22. AUGUST 2019, NR. 161
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