Neue Zürcher Zeitung - 29.08.2019

(Martin Jones) #1

Donnerstag, 29. August 2019 SCHWEIZ 13


Eine neue Gesetzesvorlage räumt Strafermittlern


mehr Rechte bei der Auswertung von DNA-Probenein SEITE 14


Kritiker des Basler Hafenterminalprojekts lancieren


eine Beschwerde gegen die Wettbewerbskommission SEITE 15


Um«Netto null» für denCO 2 -Ausstosszuerreichen,müsstenwohl auchmehr Flugzeuge amBoden bleiben. KARIN HOFER/NZZ

Der Bundesrat will der Presse rasch helfen


Der Entwurf für ein neue s Mediengesetz la ndet im Papierkorb


RAINERSTADLER


Die Interessenvertreter der Zeitungs-
herausgeber haben in den vergangenen
Monaten Druck aufgesetzt. Angesichts
ihrer Umsatzverluste auf demWerbe-
markt und angesichts desrasanten Struk-
turwandels versuchten sie der Öffentlich-
keit klarzumachen, dassrasch gehandelt
werden müsse. EinAusbau der indirek-
ten Presseförderung sei sehr dringlich,
sagten sie. Es drohe ein Zeitungsster-
ben und damit die Schwächung einer
Mediengattung, welche für die politische
Meinungsbildung die wichtigste sei.
Mit ihrem Anliegen fanden dieVer-
leger bei Politikern Gehör, die ent-
sprechendeVorstösse einreichten. Nun
reagiert auch der Bundesrat. Er will
die Beiträge zurVerbilligung derPost-
transporttarife für die Presse von heute
30 Millionen auf 50 MillionenFranken
erhöhen.Für denVerband Schweizer
Medien ist das noch zu wenig, um eine
landesweite und qualitativ hochstehen-
den Abdeckung mit Qualitätszeitungen
zu sichern. Man benötige zusätzliche 90
MillionenFranken, hiess es am Mitt-
woch vonVerbandsseite.
Wie die fürs Dossier zuständige Bun-
desrätin Simonetta Sommaruga vor den


Medien sagte, brauche die Demokratie
starke und unabhängige Medien.Das
wirtschaftliche Umfeld sei für die Infor-
mationsanbieter tatsächlich schwierig
geworden. DieLandesregierungwolle
die Entwicklung nicht einfach hinneh-
men.Darum habe sie sich entschlossen,
rasch Hilfe zu leisten.
Das Massnahmenpaket, das bis im
kommenden Sommer geschnürt sein
soll, umfasst drei Schwerpunkte. So soll
die vor zweiJahrzehnten stark gekürzte
indirekte Presseförderung wieder aus-
gebaut werden.Damitkönnten grös-
sereTitel mit einerAuflage von mehr als
40000 Exemplaren, neu auch Zeitungen
innerhalb einesKopfblattverbunds, von
den öffentlichen Geldern profitieren.
Laut Sommaruga kämen 13Titel zu den
Anspruchsberechtigten hinzu. Erst noch
prüfen will der Bundesrat eine Subven-
tionierung derFrühzustellung – dieVer-
leger wünschen eineAusweitungauf die
Sonntagspresse.

Unterstützung fürBezahlmedien


Danicht auszuschliessen ist, dass ge-
druckte tagesaktuelle Informations-
angebote mittelfristig verschwinden und
es sich bei der indirekten Presseförde-

rung um einAuslaufmodell handeln
könnte, nimmt sich der Bundesrat auch
digitalen Angeboten an – das ist der
zweiteTeil desPakets. Er will Online-
Medien unter die Arme greifen, sofern
sie auf Bezahlmodellen basieren und
eine längerfristigeFinanzierung journa-
listischer Leistungen anstreben. Die Be-
dingungen für eine Unterstützung sol-
len sich an jenen der indirekten Presse-
förderung orientieren. DieLandesregie-
rung erwartet aber auch die «Einhaltung
journalistischer Standards».Diesbezüg-
lich stellen sichFragen zur medialenUn-
abhängigkeit. Der Bundesrat will diese
nicht einschränken.
Die Landesregierung sieht ferner
vor, dass die Unterstützung von Online-
Medien«am Umsatz digitaler Bezahlan-
gebote anknüpfen» soll. Dazu erklärte
auf Anfrage der NZZ das Bundesamt
fürKommunikation:«Dasheisst, dass
ein kleineres Online-Angebot, das noch
weniger Umsatz macht, pro verdientem
Franken mehrFörderbeiträge erhält als
einreichweitenstarkes Angebot,das den
mehrfachen Umsatz des kleinen erwirt-
schaftet.Die Details werden für die Bot-
schaft ausgearbeitet.»
DenFinanzbedarf für die Hilfe an
Online-Medien schätzt der Bundes-

rat auf 50 MillionenFranken.Das ent-
sp richt etwa dem Betrag, den dieVer-
leger für dieindirekte Presseförderung
nicht erhalten sollen. Die Online-Förde-
rung wäre vorerst zeitlich befristet, und
ihreWirksamkeit würde überprüft.Es
scheint unwahrscheinlich, dass eine sol-
che Unterstützung – wenn sie in Kraft
tritt – dereinst gestrichen würde.

Stärkung von Infrastrukturen


Derdritte Teil desMassnahmenpakets
betrifft Infrastrukturen des ganzen
Mediensektors, die teilweise bereits jetzt
Hilfe bekommen, so dieAus- undWei-
terbildung und die Nachrichtenagentu-
ren. Neu vom Staat profitierenkönn-
ten Selbstregulierungsorganisationen
wie der Presserat und IT-Projekte, wel-
che für journalistische Online-Angebote
nützlich wären. Entsprechende Mass-
nahmen hatte der nun gescheiterte Ent-
wurf für ein Gesetz überelektronische
Medien bereits vorgesehen.
Den Entwurf für ein neues Medien-
gesetz hatte der Bundesrat vor einem
Jahr vorgestellt. Es wurderelativ schnell
klar, dass erkeine Chance hatte. Für Poli-
tiker auf derrechtenSeite gingen die
Eingriffe und dieFördermassnahmen zu

weit,für die Linkereichten die vorge-
sehenen Massnahmen zu wenig weit. Es
stellten sich zudem ordnungspolitische
Fragen.Auf etliche Skepsis stiess imWei -
teren derVorschlag zur Schaffung einer
fünf-bis siebenköpfigenKommission für
elektronische Medien. Ihr wären zentrale
Kompetenzen bei der Medienkontrolle
übertragen worden. Diese Machtkon-
zentration provozierteWiderspruch. Die
Kommission hätte allerdings eine staats-
unabhängigeRegulierung der Medien-
branche gestärkt. Dieses Problem bleibt
nun bis auf weiteres ungelöst.

Für jeden etwas


Keine Änderung ist mit Blickaufdie
SRG vorgesehen – sie soll ihre bisherige
starkeRolle behalten.An denRahmen-
bedingungen für die lokalenRadio- und
Fernsehveranstalter will der Bundesrat
ebenfalls nichts ändern. Insgesamt stellt
er mit seinem Massnahmenpaket alle
halbwegs zufrieden: Die einen bekom-
men etwas mehr, die andern werden nicht
gerupft. DerVorschlag des Bundesrats
passt zur medienpolitischen Stimmung in
der Branche: Man lässt sich gegenseitigin
Ruhe und versucht seine eigenen Schäf-
chen insTr ockene zu bringen.

Die Schweiz soll ab 2050 klimaneutral sein


Der Bundesrat verschärft die Vorgabenfür den Klimaschutz – über den Weg zum Ziel schweigt er sich aber noch aus


FABIAN SCHÄFER, CHRISTOF FORSTER, BERN


Unpassender hätte das Ambiente nicht
seinkönnen. Als Bundesrätin Simonetta
Sommaruga (sp.) am Mittwoch vor die
Medien trat, um das neue, ehrgeizige
Klimaziel der Schweiz zu verkünden, tat
sie dies im rigoros klimatisierten Saal im
Medienzentrum des Bundeshauses. Im
angenehm unterkühltenRaum erklärte
Sommaruga die Entscheide,die der Bun-
desrat soebengefällthat: Bis 2050 soll die
Schweiz klimaneutral werden.Das heisst,
die Einwohner undFirmen imLand sol-
len unter dem StrichkeineTr eibhausgase
wie CO 2 , Stickoxid oder Methan mehr
ausstossen. Der Bundesrat hält eine
Reduktion um 95 Prozent für möglich.
DenRest will erkompensieren, wobei er
ausser an die «natürlichen Speicher» wie
dieWälder auch an neueTechnologien
denkt, dieTr eibhausgase speichern.


Gletscherinitiative umgesetzt


Mit dem neuen Klimaziel hat Umwelt-
ministerin Sommaruga denKollegen
im Gremium acht Monate nach ihrem
Departementswechsel eine beachtliche
Tempoverschärfung abgerungen. Bisher
hatte sich die Schweiz«nur» verpflich-
tet, die Emissionen bis 2050 um 70 bis
85 Prozent zu verringern.«Netto null»
heisst das neue Ziel. So gut das tönt,
so klar ist auch, dass derWeg dorthin
nicht einfach ist und unangenehme Ent-
scheide erfordern wird. DiePalette der
unpopulären Ansatzpunktereicht von


strengerenVorschriften bei der Isolie-
rung von Gebäuden oder derWahl der
Heizung bis zum Benzinpreis. Doch vor-
derhand verrät der Bundesrat nicht,wel-
che Massnahmen er ergreifen will.
Ganz nebenbei stellt sein Entscheid
mutmasslich eine Premiere in der Ge-


schichte der direkten Demokratie der
Schweiz dar: Zum ersten Mal setzt die
Landesregierung die Hauptforderung
einerVolksinitiative um, für die noch
nicht einmal die notwendigen Unter-
schriften gesammelt worden sind. Die
Rede ist von der Gletscherinitiative,die
ebenfalls das Netto-null-Ziel in dieVe r-
fassung schreiben will. Stichjahr ist auch
hier 2050. Im Unterschied zum Bundes-
rat sorgen die Initianten von Beginn weg
fürTr ansparenz. Sie nennen im Initiativ-
text nicht nur das Ziel, sondern auch eine
einschneidende Massnahme, die aus ihrer
Sicht notwendig ist: «Ab 2050 werden in
der Schweizkeine fossilen Brenn- und
Tr eibstoffe mehr inVerkehr gebracht.»

Zuerst sollen Benzin, Heizöl oder
Kohle durch neue Abgabenverteuert
und schliesslich verboten werden.Aus-
nahmen wären nur dort erlaubt, wo es
unvermeidlich ist, etwa in derLand-
wirtschaft oder der Zementproduktion.
BeimVerkehr gehen die Initianten da-
von aus, dass sich die heutigenTr eib-
stoffe durch neue Energietechniken er-
setzen lassen. Zudem müsse eine «intel-
ligentere»Verkehrspolitik undRaum-
planung dazu beitragen, dass dank
kürzerenWegen«mehr Mobilitätmit
wenigerVerkehr möglich» werde.
Bundesrätin Sommaruga ihrerseits
wollte vor den Medien nicht bestäti-
gen, dass dasAutofahren teurer wer-

den muss, damit die Schweiz das neue
Klimaziel erreichen kann. Sie hielt aber
vielsagend fest, es sei bekannt, in wel-
chen Bereichen wie viele Emissionen
entstünden. BeimVerkehr, der fürrund
einen Drittel derTr eibhausgase verant-
wortlich sei,habe sich die Situation im
Unterschied zur Industrie oder zu den
Gebäuden sogar noch verschlechtert.
Frei übersetzt:Auch beimVerkehr
sind zusätzliche Schritte nötig. DemVer-
nehmen nach denkt man in derVerwal-
tung bis jetzt aber nicht an einVerbot
fossilerTr eibstoffe,sondern an mildere
Massnahmen wie eine Lenkungsabgabe,
die mindestens teilweise wieder an die
Bevölkerung zurückverteilt wird. Der

Raster sei weit offen, heisst es.Bereits
heute ist geplant, die motorisierte Mobi-
lität zu verteuern. In derVariantedes
CO 2 -Gesetzes, über das der Ständerat im
September diskutiert, ist unter anderem
ein Preisaufschlag von bis zu 12Rappen
pro LiterTr eibstoff vorgesehen.
Das CO 2 -Gesetz ist imParlament um-
stritten.Das neue Klimaziel des Bundes-
rats wird erstrecht aufWiderstand stos-
sen, spätestens, wenn die Massnahmen
dazu bekannt sind. Doch dieLandesregie-
rungkann «Netto null» in eigenerKom-
petenz festlegen. Es handle sich dabei nur
um ein «indikatives»Ziel, erklärteSom-
maruga. Später ist allerdings geplant, das
Ziel gesetzlichzuverankern,sodass sich
auch dasParlament dazuäussernkönnte.
Sommaruga betonte jedoch, es sei wichtig,
dass der Bundesrat jetzt schon mit einer
klaren Ansage Planungssicherheit schaffe
und den Unternehmeneinen Anreiz gebe,
in diese Richtung zu investieren.

VerletzlichesAlpenland


Sommaruga begründete die schnel-
lere Gangart bei der CO 2 -Reduktion
mit neuen wissenschaftlichen Erkennt-
nissen. Ein Bericht desWeltklimarats
kam 2018 zum Schluss, dass das Netto-
null-Ziel bereits bis 2050 erreicht wer-
den sollte. Dies bedeutet, dass die Er-
wärmung bis zurMitte desJa hrhun-
derts bei 1,5 statt bei2Grad zu liegen
kommt. Dieses halbe Grad macht laut
dem Bericht einen grossen Unterschied.
Beim ambitionierteren Klimazielbüssen
6Prozent der Insekten und8Prozent
der Pflanzen mehr als die Hälfte ihres
Verbreitungsgebiets ein. Beim 2-Grad-
Ziel sind es bereits 18 beziehungsweise
16 Prozent. Der Bericht habe viel Be-
wegungin die politische Diskussionge-
bracht, heisst es aus derVerwaltung.
Als verletzliches Alpenland sei die
Schweiz besonders betroffen vom Klima-
wandel, sagte Sommaruga. Seit der Indus-
trialisierung ist dieTemperatur über-
durchschnittlich stark angestiegen. Dies
hatFolgen: DerPermafrost geht zurück,
fürLandwirtschaft und Stromversorgung
stehtwenigerWasser zurVerfügung.

Visionäre Realpolitik
gefordert
Kommentar auf Seite 11
Free download pdf