Neue Zürcher Zeitung - 29.08.2019

(Martin Jones) #1

Donnerstag, 29. August 2019 ZÜRICH UND REGION 17


ImGemeinderat geht der Hickhack umeinen


nichtgendergerecht formulierten Vorstoss weiter SEITE 18


Starbucks spürt den Druck der sichwandelnden


Kaffeekulturin der Stadt ZürichSEITE 19


Schabernack auf dem Dorfe


In Steinmaur tummeln si ch 15 Bibe r auf engstem Raum – das kostet die Gemeinde 30000 Franken pro Jahr


Löcher imWeiherdamm, ein


überfluteter Gymnastikraum und


270 MannstundenAufwand pro


Jahr: Biber halten in Steinmaur


die Gemeindemitarbeiter auf


Trab. Die Kosten bleiben


an derKommune hängen.


MICHAELVON LEDEBUR


Der Biber steht imRuf, fleissig zu sein.
SeineBauten rufen beim Menschen Be-
wunderung hervor. In Steinmaur jedoch,
einer Gemeinde im Zürcher Unterland,
hat man den Biber anderskennenge-
lernt. «Stinkfaul» ist der Begriff, den Ge-
meindewerk-Mitarbeiter Marc Brönni-
mann verwendet.Nichtweil der Biber in
Steinmaur aus der Art schlagen würde
und untätig bliebe, im Gegenteil: Die
Tiere – es sind insgesamt geschätzt 15
auf engstemRaum – sind äusserst bau-
und grabfreudig. Aber sie erstellen ihre
Bauten nach Brönnimanns Beobach-
tung einzig zum Zweck, möglichstkei-
nen Meter laufen zu müssen.«Der Biber
schwimmt lieber. Deshalb setzt er alles,
was er kann, unterWasser.»Fest steht,
dass des Bibers temporäre Umtriebig-
keit den Gemeindemitarbeitern eine
Menge Arbeit beschert.
Bis vor vierJahren gab es in Stein-
maurkeine Biber.Die Tiere müssen
den Fischbach hinaufgewandert sein.
Der Bach mündet in die Glatt, die seit
längerem von Bibern besiedelt ist.Wie
alle übrigen geschätzt 400 Biber im Kan-
ton Zürich handelt es sich umAbkömm-
lingejener Exemplare, die in den sieb-
zigerJahren imThurgau von Natur-
schützern ausgesetzt wurden. Ihre Zahl
dümpelte lange Zeit auf tiefem Niveau
dahin. Es schien, als verunmöglich-


ten verbaute Gewässer und begradigte
Flussläufe ein Gedeihen derPopulation.
Aber das hat sich geändert. Die Biber-
population verzeichnet zweistellige
Wachstumsraten (wobei alle dreiJahre
gezählt wird). Allerdings ist eine Mas-
sierung wie in Steinmaur mit dreiBau-
ten in unmittelbarer Nähe selten, weil
die Eltern dieJungtierefür gewöhnlich
aus ihremRevier vertreiben.
Über die Rückkehr des Bibers
freuen sich Naturschützer naturgemäss.
Robert Brunner, Präsident der Natur-
schutzkommission Steinmaur, ist einer
von ihnen. Mit Bart, Rundbrille und
Wollkäppchen wirkt er wie der Arche-
typ des grünenPoliti kers, der erals
Kantonsrat auchist. Aber Brunner ist
kein Naturromantiker, sondern viel-
mehr Pragmatiker. Dass d er Biberin
seiner Heimatgemeinde aktiv ist, freut
zwar auch ihn, «aber man darf nicht
einfachso tun, als wären damitkeine
Problemeverbunden».


Und täglich grüsstder Biber


Was Brunner damit meint, zeigt sich bei
einemAugenschein entlang desFisch-
bachs. Die Biber haben mehrereDämme
von rund eineinhalb Metern Höhe ge-
baut. Mit dem Segen der Biberfachstelle
entfernte Gemeindemitarbeiter Brönni-


mann einen derDämme, der besonders
störte. «Am nächsten Morgen stand er
wieder.» Brönnimannräumte das Ge-
hölz erneut weg, der Biber erstellte den
Damm aufs Neue. Dieses Spiel wieder-
holtesich monatelang Nacht für Nacht,
bis dasTier endlich vomDammbau ab-
liess.Wenn Brönnimann vom Biber er-
zählt, weiss man nicht sorecht, ob er
sich über ihn ärgert oder amüsiert.
Wahrscheinlich trifft beides ein wenig
zu. Der Biber folgt seinen Instinkten;
dennoch erscheint seinWirken wie das
ein es Lausbuben, der die Angestellten
der Gemeinde zum Narren hält.
Zahlreiche Schäden richten dieTiere
am Damm rund um den Mülliweiher
an. Dieser wurde einst angelegt, um
eine Mühle und eine Sägerei zu betrei-
ben. Für den Biber ist es ein Leichtes,
Löcher in den mehrere Meter dicken
Damm zu graben. Eine Magerwiese
neben demWeiher hat er schon mehr-
fach unterWasser gesetzt.Am anderen
Ende derWiese liegt ein Maisfeld, zu
dem der Biber gerne schwimmend ge-
langen würde. Brönnimann muss dann
jeweils dafür sorgen, dass dasWasser
abgeleitet wird. Dies gelingt dank einer
Wasserleitung,die unter derWiese ver-
läuft und in die der Gemeindemitarbei-
ter Löcher schlägt,durch die dasWasser
abläuft.Das Loch imDamm verschlies-
sen darf er nicht.Als er dies einmal ohne
Einwilligung der Biberfachstelle tat,
wurde er gerügt.
Die Biber haben denWeiherdamm
an mehreren Stellen untergraben, so
dass der Spazierweg nun über Holz-
planken geführt werden muss, welche
die Gemeinde installieren musste. Ein
bestehendes Ablaufrohr imTeich ver-
stopften dieTiere regelmässig, weil es
ein gurgelndes Geräusch machte.Die
Gemeinde installierte einen zweiten,
geräuschlosen Ablauf. «Seither ver-
stopftder Biber den alten Ablaufnicht
mehr», sagt Brönnimann und schüttelt
den Kopf, denn das ersteRohr lärmt
immer noch. Ein paar Schritte fluss-
aufwärts verläuft derFischbach ent-
lang von Maisfeldern.Darin wurden
zirka alle 50 Meter Breschen geschla-
ge n. Der Täter ist schnell ausgemacht:
Sch leifspuren führen jeweils zu einem
Damm aus Maispflanzen. AnLand lie-
gen vereinzelt abgenagte Maiskolben.

Für den Biber ist dieKombination aus
Futter undBaumaterial wohl ideal.«Der
Bauer ärgertsich nicht über den Mais-
diebstahl», sagt Robert Brunner, «aber
darüber, dass der Biber denBach a uf-
staut.» AlsFolge hebt sich nämlich die
Sohle desBaches an. Dies führt dazu,
dass die Drainageleitung, die dasFeld
entwässert, nicht mehr funktioniert. In
solchenFällen muss die Sohle ausgebag-
gert werden.

Beim Turnen überrascht


OskarRüegg steht im Steinmaurer Ge-
meinderat demTiefbau vor. Er muss
sich damit abfinden, dass seine Mit-
arbeiter zu einem gutenTeil mit Biber-
arbeiten beschäftigtsind. Neben den
Materialkosten fallen hauptsächlich die
Mannstunden ins Gewicht. 270 waren
es im vergangenenJahr. Die gesam-
ten Aufwendungen summieren sich auf
rund 30000 Franken jährlich. Der Kan-
ton bezahlt pro Biberfamilie 2500Fran-
ken – bei den vermuteten drei in Stein-
maur sind dies maximal 7500Franken.
Daneben stellt sich das Problem des
Hochwassers. Im Mai 2018riss derBach
laut Rüegg einen Biberdamm weg. Das
Material verstopfte denDurchlass unter
einerStrasse. Mehrere Gebäude wurden
überschwemmt – unter anderem ein
Gymnastikraum, aus dem die Anwesen-
den im letzten Moment flüchtenkonn-
ten. EinRechen würde das Problem
lösen, aber auch nach über einemJahr
liegt vom Amt für Abfall,Wasser, Ener-
gie und Luft (Awel) nochkeine Bewil-
ligung für diesesBauwerk vor. Robert
Brunner kritisiert, diever schiedenen

kantonalenFachstellen hätten jeweils
nur ihren eigenen Bereich im Blick.Stö-
rend sei insbesondere, dass die Gemein-
den in Zusammenhang mit dem Biber
überkeinen Spielraum verfügten und
auch simple Schritte mit der Biberfach-
stelle absprechen müssten.
Urs Philipp, Leiter derFischerei- und
Jagdverwaltung, verteidigt diese Pra-
xis. Der Biber sei auf eidgenössischer
Ebene geschützt, und der Schutz um-
fasse auch seinen Lebensraum. Es sei
unabdingbar, dass einFachmann jede
einzelne Massnahme begutachte:Ist ein
Haupt- oder ein Nebendamm von dem
Schritt betroffen? Hat es allenfallsJung-
tie re? Lokalkönne man durchausKom-
petenzen delegieren, also beispielsweise
das Abbauen einesDamms bewilligen
und dieAusführung dem Gemeindemit-
arbeiter überlassen. AberKompeten-
zen generell abzutreten, sei dem Kan-
ton nicht möglich.Dass die Gemeinde
Steinmaur auf einem Grossteil derKos-
ten sitzen bleibe, habemit der heutigen
eidgenössischenRegelung zu tun, die
Wildschäden an der Infrastruktur nicht
abdecke. Dies könne sich bei einer Ge-
setzesrevision ändern, bleibe aber mit-
telfristig so.
Die Steinmaurer haltenihre Biber
keineswegs für einreinesÄrg ernis. «Die
Bevölkerung hatFreude»,sagt Robert
Brunner. In der Dämmerung sässen
immer wieder Leute auf dem «Knutsch-
bänkli», wie es imVolksmund genannt
wird, amTeich und schauten denTieren
zu. Die Nager dürften dem Dorf noch
lange erhalten bleiben. DerFischbach
endet auf dem Gemeindegebiet; die
Biber befinden sich in Steinmaur sozu-
sagen in einer Sackgasse.
Bachaufwärts, oberhalb des Müll-
iweihers, führt an einer Stelle eine
Brücke über denBach. Ein Damm
darunter wäre besonders störend.Auf
Anraten der Biberfachstelle hat Marc
Brönnimann Flaschen an Schnüren an-
gebracht. Der Biber soll sich denKopf
anschlagen, bis ihm die Lust amBauen
vergeht. DasTier biss die Schnüre kur-
zerhand durch. Brönnimann hängte
neue Flaschen auf. Irgendwann suchte
sich der Biber eineandere Stelle.Esist
einer der wenigen Orte in Steinmaur,
wo der Mensch den Sieg über den Biber
davongetragen hat.

DerBiber vermeidet jeden unnötigen Schritt,erschwimmt lieber.Deshalb setzt er alles,was er kann, unterWasser. IMAGO

10 Kilometer NZZ Visuals/jok.

Steinmaur

Bülach
Winterthur

Zürich

KANTONZÜRICH

BEZIRKSGERICHT

45Monate für zu


Unrechtbe zogene


Sozialhilfe


Familienvater hat 527000 Franken
Unterstützung erhalten

TOM FELBER

DieStaatsanwältinhatte«nur»38Monate
Freiheitsstrafe verlangt. Das Bezirks-
gericht ging im Urteil noch 7 Monate dar-
über , obwohl mehrereVorwürfe wegen
Verjährung wegfielen: Ein 51-jähriger
Kosovare lebte in der Stadt Zürich von
2003 bis 2015 mit seiner Ehefrau und drei
Töchtern angeblich nur von Sozialhilfe.
Im Verlaufe der Untersuchung
tauchten aber achtBankkonti auf, die
er den Behörden verheimlicht hatte.
Schon bei Unterstützungsbeginn imJuli
2003 hatten dieseKontenVermögen
von 150000 Franken ausgewiesen. Der
Mann unterliess es über dieJahre, Ver-
mögensstände von 470000 Franken zu
deklarieren,und bezog 527000Franken
Sozialhilfegeld zu Unrecht.

AngeblichGeld von Vater


GegenüberderStaatsanwältinhatteerge-
sagt, er habe die Deklarationsformulare
garnichtgelesen,weilervomLesenKopf-
schmerzen bekomme. Der Fehler liege
bei den Sozialen Diensten, die ihm Gel-
der ausbezahlt hätten,obwohl er sie nicht
dazu gezwungen habe. Man habe ihm ge-
sagt, er solle einfach Kreuze machen, das
habe er gemacht, erklärt er vor Gericht.
Das Geld habe seinemVater und
einem Brudergehört.Wegen der insta-
bilenLage inKosovo hätten sie es ihm
zur Aufbewahrung anvertraut.Dagegen
spricht allerdings gemäss Staatsanwältin,
dass der Mann praktisch täglich Ein- und
Auszahlungen von unterschiedlichsten
Beträgen auf denKonten vornahm, die
alle inbar erfolgten.
Zudem hatte der Beschuldigte 31
verschiedeneAutos jeweils für kurze
Zeit auf seinen Namen immatrikuliert.
Er erklärt, die Autos hätten einemKol-
legen gehört und er habe sie alsFreund-
schaftsdienst nachKosovo gefahren. Der
seit Jahren stellenlose Mann macht trotz
diesen freiwilligen langenAutofahrten
schwere gesundheitliche Probleme –
Depressionen undRückenbeschwerden


  • gel tend, die es ihm angeblich verun-
    möglichen, alsLastwagenchauffeur zu
    arbeiten. Ein Antrag auf eine IV-Rente
    sei hängig. Seit 2010 hat der Mann sechs
    Vorstrafen wegenVermögens- undVer-
    kehrsdelikten erwirkt.


SerienweiseVerkehrsdelikte


Von März bisJuni 20 16 wurde der Mann
sporadisch polizeilich observiert, wobei
serienweiseVerkehrsdelikterapportiert
wurden.Auch mehrereLadendiebstähle
wurden festgestellt.
ImMai2019 stahlerzudemeineteure
Kaffeemaschine,angeblich, um vom Er-
löseiniPhonezukaufen.DerVerteidiger
beantragt eineVerurteilung nur wegen
der Kaffeemaschine zu einer Geldstrafe
von 30Tagessätzen à 30Franken.Auch
die Verkehrsdelikte, die der Beschul-
digte zugibt,seien nicht bewiesen.
Das Gericht verurteilt denKosova-
renzueinervollumfänglichvollziehbaren
Freiheitsstrafevon45Monatenwegenge-
werb smässigen Betrugs, mehrfacher gro-
ber Verkehrsregelverletzung und Dieb-
stahls. Die Erklärungen zur Herkunft der
Gelder seien absolut unglaubhaft.Woher
das Geld stamme, bleibe aber ungeklärt.
Der Mann habe bewusstKonten ver-
schwiegen,überdieerverfügungsberech-
tigt gewesen sei,das sei als arglistigeTäu-
schungzu werten. Er zeige zudemkei-
nerlei Einsicht undReue und habe sich
auch durchVorstrafen nicht von weiteren
Diebstählen abhalten lassen.

Urteil DG 190053 vom 28 .8.2 01 9,noch nicht
rechtskräftig.

«Der Bauer ärgert
sich nicht über den
Maisdiebstahl, aber
darüber, dass der Biber
den Bach aufstaut.»

Robert Brunner
Präsident der Naturschutzkommission
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