Süddeutsche Zeitung Magazin - #35 - 30.08.2019

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16 SÜ D D EU TS C H E ZEITU N G M AGA ZI N

s gibt einen magischen Ort, an dem
Menschen zwischen Regenbögen mit
Delfinen spielen können. Um dorthin
zu gelangen, genügt ein Surfboard.
Man paddelt hinaus, taucht unter den bre­
chenden Wellen hindurch, bis kurz hinter
die Brandung. Da draußen sitzend, sieht man
zauberhafte Dinge: Die Gischt hinterlässt im
Sonnenschein kleine Regenbögen, das fiel
mir in Portugal zum ersten Mal auf. In Costa
Rica sah ich Delfine zwischen Surfern in den
Wellen spielen, in Kalifornien trieb ein See­
otter neben mir, der auf dem Rücken liegend
Krebse knabberte.
Die Harmonie des Surfers mit der Natur
stört nur eine Sache – das Fliegen. Wer als
Deutscher zu den Wellen von Malibu bei Los
Angeles möchte, wo Surfen in den Fünfziger­
jahren groß wurde, verursacht auf dem Flug
mehr als sechs Tonnen Kohlendioxid. Pro
Person. Der nächstgelegene Surfstrand liegt
von München aus – wo ich lebe – 700 Kilo­
meter entfernt in Ligurien. Dort bringt das
Meer nur alle paar Wochen nach Stürmen
ausreichend hohe Wellen hervor. Der erste
Ort mit halbwegs zuverlässigen Surfbedin­
gungen ist die französische Atlantikküste
(1300 Kilometer), 14 Autostunden oder zwei
Flugstunden entfernt. Welche Schäden darf
ein Hobby verursachen?
Die Frage betrifft nicht nur Surfer. Golfer
reisen im Winter gern nach Spanien, andere
schnorcheln in Thailand oder fahren als
Norddeutsche Ski in den Alpen. Aber blei­
ben wir beim Surfen, weil man da alle
Aspekte dieser Gewissensfrage sieht: das Ver­
drängen, das Schönreden und den mög­
lichen Verzicht. »Wenn man ehrlich ist, gibt
es keine Argumente für weite Surfreisen
mehr«, sagt Michael Zirlewagen, der Vizeprä­
sident des Deutschen Wellenreitverbandes.
»Es gibt dann aber auch keine Argumente
mehr für Fleisch, SUV oder das neueste

Handymodell.« Zirlewagen ist es wichtig zu
sagen, dass er nur für sich spricht. Im Ver­
band werde das Fliegen oft diskutiert, »aber
wir finden keine Lösung«.
Ich wollte in diesem Sommer zu Rudolfo,
einem Bekannten, der in Portugal Ferienhäu­
ser hat. ImSZ-Magazin37/2014 empfahl ich
seine Unterkünfte für surfende Familien.
Fünf Jahre später versteckt sich die Gewiss­
heit, dass Fliegen verheerend für die Umwelt
ist, nicht mehr in einer hinteren Ecke des
Gehirns. 2019 habe ich den Begriff Flug­
scham gelernt. Die Klimaforscherin Joëlle
Gergis schrieb kürzlich in einem Essay, sie
bekomme nach Konferenzen Weinkrämpfe


  • weil die Fakten so klar seien, so ein verzwei­
    felter Ruf nach entschlossenem Handeln.
    Weltweit muss sofort massiv der Ausstoß von
    klimaschädlichen Gasen reduziert werden.
    Weltweit heißt auch: Hey, Marc Baumann,
    ändere endlich deinen Lebensstil! Mein Le­
    bensstil bedeutet zu einem Teil aber: Surfen.
    Schon als Kind in Frankreich­Urlauben auf
    kleinen Styropor­Brettern, auf jeden anderen
    Sport könnte ich verzichten. Und hat das
    Reisen an sich nicht einen Wert? »Mein Um­
    weltbewusstsein kommt vom Surfen, da ist
    mein Blick auf die Welt entstanden«, sagt
    Michael Zirlewagen.
    Viele Surfer sammeln Plastikmüll am
    Strand ein, kämpfen für den Schutz der
    Meere, sind Veganer. Im Frühjahr hab ich mir
    die »Fernweh­Ausgabe« eines deutschen Surf­
    magazins gekauft. In dem Heft wird gewor­
    ben für Kleidung und Surfzubehör aus recy­
    celten Materialien – aber ein Artikel emp­
    fiehlt neben einer Weltkarte die »Top Ten
    Surfziele« für 2019 von Kanada bis Indone­
    sien. »Das Thema Fliegen ist der Elefant im
    Raum, über den keiner spricht«, sagt Bruce
    Sutherland, Herausgeber desStormrider Surf
    Guides,des bekanntesten Surfreiseführers.
    Er lebt in London, ein Flug mit dem Billig­


flieger zu den Wellen bei Lissabon koste ihn
ein Zehntel der Autofahrt dahin. Solange
Fliegen lächerlich billig sei, werde sich nichts
ändern, sagt er.
Michael Zirlewagen hat mehr Hoffnung:
»Die Debatte ums Fliegen erinnert mich an
die Proteste gegen sexistische Surfwerbung
vor einigen Jahren, da haben die Firmen ge­
merkt, um das Thema kommen wir nicht
rum.« Der Weltverband »World Surf League«,
der in Wettkämpfen von Australien über
Frankreich bis Hawaii seine Weltmeister­
schaften ausrichtet, hat verkündet, den
Kohlenstoffdioxid­Verbrauch aller Flüge mit
Spenden für Umweltschutzprogramme aus­
zugleichen. Zur kleinen deutschen Surf­
meisterschaft in Frankreich werden Busse
organisiert. Aber Profisport ganz ohne Flie­
gen gehe nicht, sagt Zirlewagen. Nächstes
Jahr ist Wellenreiten olympisch, in Tokio.
Und das Surfen in der Freizeit? Zirlewa­
gen war dieses Jahr in Sri Lanka, mit schlech­
tem Gewissen, aber: »Die Wellen in Asien
sind signifikant besser als in Europa«. Zu­
mindest Surfer, die an Weltklassestränden
leben – Australier, Südafrikaner, Hawaiianer


  • könnten einfach an ihrem Heimatstrand
    bleiben. Aber immer derselbe Strand reicht
    ihnen nicht. Bis zur nächsten Welle brauche
    ich vomSZ-Büro aus zehn Minuten mit dem
    Rad: zum Eisbach, einer stehenden Fluss­
    welle. Da surfe ich seit Jahren, klimaneutral.
    Dass dort die Lösung meines Problems liegt,
    habe ich noch nie gedacht.


TextMARC BAUMANN


MEER GEHT NICHT

E


Surfer empfinden eine tiefe Verbundenheit zur Natur und kämpfen für den Schutz
der Ozeane. Aber leider erreicht man von Deutschland aus die besten Surfstrände nur im
Flugzeug. Kann man diesen Sport in Zeiten der Klimakrise noch ausüben?

hat ein überzeugendes Argument gegen Flugreisen
noch nicht genannt: Transportschäden. Die kennt
fast jeder Surfer, der schon mal ein Surfbrett, egal,
wie gut verpackt, beim Sperrgepäck abgegeben hat. Fotos: Axel Schmies/Picture Press/ddp, Getty Images

MA RC BAUMAN N
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