Süddeutsche Zeitung Magazin - #35 - 30.08.2019

(Brent) #1
SÜ D D EU TS C H E ZEITU N G M AGA ZI N 19

ch habe wieder mit Französisch
angefangen.
In Deutschland wird immer
weniger Französisch gelernt,
stand in der Zeitung, und dem
will ich mich entgegenstem­
men. Gerade in Zeiten wie die­
sen, wie man so sagt. Bezie­
hungsweise dans une période
telle que la nôtre, wie mein Französischlehrer
Philippe vermutlich wollen würde, dass ich
sage. Das Ganze hat jedenfalls absolut poli­
tische Gründe. Um nicht zusagen: europa­
politische. Aber es gibt auch persönliche.
Neulich forderte die Pariser Autorin Anne
Berest in derFrankfurter Allgemeinen Zeitung
nämlich, um die Europamüdigkeit zu über­
winden, müsse man sich mit Leidenschaft
auf die Sprache des Nachbarn einlassen.
Nun bedeutet das französische Wortla lan-
guenicht nur Sprache, sondern auch Zunge,
so wie umgekehrt das deutsche Wort Zunge
manchmal als poetisches Synonym für Spra­
che benutzt wird. Daher machte Anne
Berest kurzerhand ein Plädoyer für mehr
europäische Zungenküsse daraus.
Der amouröse Unterton wird bei dem
Thema manche überrascht haben, aber ich
fand ihn sehr sachangemessen. Denn wenn
der Satz »Ich habe wieder mit Französisch
angefangen« so klingt, als ob wir irgend­
wann einmal Schluss gemacht hätten mitei­
nander, das Französische und ich, dann ist
das leider korrekt. Und wenn das wiederum
so klingt, als ob es davor einmal eine leiden­
schaftliche, wenn auch vielleicht ein wenig
einseitige Liebesbeziehung gegeben habe:
Dann könnte man auch dies so sagen.
Ich allerdings nur auf Deutsch. Wie das
auf Französisch heißen würde –aucune idée.
Das ist es ja.
Es war damals in der Schule schon nicht
immer einfach zwischen uns, und jetzt ist es
nicht viel reibungsärmer geworden, obwohl
ich mich wirklich bemühe. Seit wir es wie­
der miteinander versuchen, habe ich zum
Beispiel ins Vokabelheft geschrieben, dass
»sich verlieben« auf Französisch tomber
amoureuxheißt. Ich übersetze mir das mit
deutscher Geradlinigkeit als »verliebt hin­
fallen« und finde, dass dadurch die Aspekte
von Missgeschick und Tragik bei der Sache
gut zum Ausdruck kommen. Es klingt ja
auch nur so lange wie etwas, was mit Freu­
den verbunden sein könnte, bis man anfan­
gen muss, es zu konjugieren. Gegen Ende
jeder einzelnen Unterrichtsstunde halte ich
Leute, die hier ernsthaft von einer Sprache
der Liebe schwärmen, für masochistisch ver­

anlagte Grammatikfetischisten. Ob zum
Beispiel »Ich habe mich verliebt« ein eher
abgeschlossen in der Vergangenheit begra­
benes Ereignis beschreibt oder ob es noch
Hoffnungen ins Heute treibt, halte ich für
eine viel zu private, geradezu philoso­
phische Frage, um sie mit einem einzigen
Verb zu entscheiden. Aber mein Lehrer Phi­
lippe will das gleich von vornherein wissen.
»Imparfait ou passé composé?«, fragt er im­
mer.
Ich möchte dann grundsätzlich antwor­
ten, dass die »allmähliche Verfertigung der
Gedanken beim Reden«, wie Heinrich von
Kleist sie gelehrt hat, so unmöglich funkti­
onieren könne. Aber Philippe sagt unerbitt­
lich entwederimparfaitoderpassé composé.
Und dass die Deutschen dazu neigten,
»compoßé« zu sagen, mit hartem S. Oft sagt
er mir übrigens auch, dass korrektes Franzö­
sisch nicht dadurch zustande komme, dass
man einfach spanische Vokabeln so aus­
spricht, als hielte man sich dabei die Nase
zu. Trotzdem mag ich meinen Lehrer. Er ist
ein feiner, geduldiger und kluger Mensch
und mir inzwischen sehr ans Herz gewach­
sen, womöglich fast noch mehr als die Spra­
che, die er mir beibringen soll in zähen
Doppelstunden stotternder,
haspelnder, oft genug schei­
ternder Konversation.
Er muss das nämlich
jetzt ausbaden, dass ich vor
ein paar Monaten mit gro­
ßer Geste in das Institut
français in Berlin marschiert
bin, um zur Not im Allein­
gang die deutsch­franzö­
sische Freundschaft zu ret­
ten. Die berühmte amitié
franco-allemande.Ein Begriff
mit einem Klang wie die
Eurovisionsfanfare. Hörte
man doch früher ständig.
Hört man heute so gut wie
gar nicht mehr.
Aber es gab nun einmal
nicht nur die Meldungen,
wonach immer weniger Schüler in Deutsch­
land Französisch lernen wollen, weil die
Sprache als schwierig, wenig nutzbringend,
nicht besonders cool gelte. Es gab auch die
Meldungen, wonach immer weniger Schü­
ler in Frankreich Deutsch lernen wollen,
weil die Sprache als schwierig, wenig nutz­
bringend, nicht besonders cool gelte. Und
dann gab es natürlich immer auch die ent­
sprechenden Bilder. Früher: Kohl und Mit­
terrand. Zwei Männer, die sich spontan bei

der Hand nehmen. So anrührend ungelenk
konnte Freundschaft einmal aussehen. Oder
so schick – um nicht zu sagen:chic– wie
davor bei Schmidt und Giscard d’Estaing.
Wenn man dagegen heute Merkel und Ma­
cron zusammenstehen sieht, hat man immer
den Eindruck, dass das M noch die größte
Gemeinsamkeit ist. Und mit den Vorgän­
gern war es nicht besser. Merkel stand da oft,
als könne sie die ihr vom französischen Wäh­
ler an die Seite gestellten Gockel nicht ganz
ernst nehmen. Die innigsten Bilder einer
deutsch­französischen Politikerfreundschaft
entstanden zuletzt eher bei dem Treffen von
Frauke Petry, ehemals Alternative für
Deutschland, mit Marine Le Pen vom ehe­
maligen Front National. Aber wenn sich die
Nationalisten beider Länder noch am bes­
ten zu verstehen scheinen, ist das kein ermu­
tigendes Zeichen.
Und das ist nur die Ebene der offiziellen
Politik. Das Private ist aber nun einmal
auch politisch, wie die Welt in den Sech­
zigerjahren von den Protestbewegungen
lernen durfte – wohlgemerkt zuerst auf
Französisch:Le privé est politique. Und das
schleichende Erkalten der Gefühle ließ sich
bei genauem Hinsehen auch auf der Ebene
der Alltagsgewohnheiten
beobachten: Bevor irgend­
wann alle in Deutschland
die tiefeItalianitàin sich
entdeckten und nur noch
Latte macchiato tranken,
hatte doch jeder, der etwas
auf seine kulturelle Verfei­
nerung hielt, ganz selbstver­
ständlich Café au lait be­
stellt – um dann beide Hän­
de fest an henkellose
Müslischalen zu pressen.
Und in den sogenannten
Szenekneipen fast aller
großen Städte wurden doch
früher vor allem Gauloises
geraucht, rot oder blau,
aber immer mit dem An­
spruch des Werbespruchs
Liberté toujours.Und zwar oft genug von
Männern und Frauen, die dabei auszusehen
versuchten wie einst Andreas Baader und
Gudrun Ensslin auf diesen berühmten
Café­Fotos aus Paris, auf denen das RAF­
Paar seinerseits auszusehen versuchte, als
spiele es zwei Liebende auf der Flucht in
einem Film von Truffaut oder Godard.
Jedenfalls ließ sich das einst in so gut wie
allen Großstädten der alten Bundesländer
beobachten. Und jetzt irgendwie nicht

I


Sieht man


Merkel und


Macron


zusammen, hat


man den Ein-


druck, das M sei


die größte


Gemeinsamkeit

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